Aktuelle Urol 2023; 54(05): 362-364
DOI: 10.1055/a-2127-8306
Klinik und Praxis

Aus Fehlern lernen muss mehr als eine Floskel sein

Barbara Erbe

Wenn in Medizin und Pflege etwas schief geht, ist Kommunikation das A und O. Von einem offenen Umgang mit unerwünschten Ereignissen würden nicht nur die Behandelten, sondern auch die Behandelnden profitieren – wenn er sich denn durchsetzte!

Für die Chirurgie ist es eine alltägliche Situation: Ein Patient muss wegen einer Entzündung am linken Mittelohr operiert werden. Ein junger Kollege klärt ihn auf und markiert dann für das OP-Team die linke Schulter mit einem Punkt – allerdings ein bisschen weiter hinten als üblich. Das – in der Klinik noch relativ neue – Anästhesie-Team übernimmt den Patienten, sieht die Markierung nicht, sucht aber auch nicht danach, sondern legt schon einmal den Tubus für die Beatmung. Normalerweise müsste dieser rechts liegen, da links operiert werden soll. So aber legen sie ihn in den linken Mundwinkel des Patienten. Nun tritt der Chirurg hinzu. Er schneidet sich zunächst aus Versehen in den Finger und muss deshalb die Handschuhe wechseln, die dabei blutig geworden sind. Nach diesem Malheur setzt er den ersten Schnitt – und zwar am rechten Ohr, weil ja links, auf der üblicherweise gegenüberliegenden Seite, der Tubus liegt. Jetzt erst bemerkt die Anästhesistin die Markierung an der linken Schulter und schlägt Alarm. Der Chirurg näht den Schnitt wieder zu und widmet sich dann dem behandlungsbedürftigen linken Ohr des Patienten.

Klingt abenteuerlich? Nicht für Dr. Ruth Hecker, Vorsitzende des Aktionsbündnisses Patientensicherheit. An sie wandte sich der junge Chirurg nach diesem Ereignis. „Der Kollege hat sich danach noch wochenlang Vorwürfe gemacht, lange Zeit schlecht geschlafen und immer wieder bezweifelt, dass er für seinen Beruf geeignet ist.“ Und das, obwohl die Verwechslung bemerkt wurde, bevor es zu noch Schlimmerem kam, obwohl der Chirurg keinesfalls allein für das Geschehen verantwortlich war und obwohl er die Situation direkt im Anschluss dem Patienten und seinen Angehörigen erläutert hatte.

Die allermeisten Fehler, die in Arztpraxen oder Kliniken geschehen, sind nicht Folge einer einzelnen (Fehl-)Aktion, sondern Prozessfehler und – so wie eingangs beschrieben – ein Glied in einer Kette von Unachtsamkeiten und mangelhafter Kommunikation, berichtet die Fachärztin für Anästhesiologie und Chief Patient Safety Officer an der Universitätsmedizin Essen. „Sich das klarzumachen, hilft nicht nur direkt betroffenen medizinischen Fachkräften im Umgang mit der ‚Schuldfrage‘. Es ist vor allem für die Prävention wichtig, denn es zeigt, dass wir alle aufeinander aufpassen müssen, wenn wir Fehler vermeiden wollen.“ Ein offener, transparenter Umgang sei dafür das A und O, sagt Dr. Ruth Hecker, auch wenn er noch viel zu selten praktiziert werde.



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Article published online:
23 August 2023

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