Schlüsselwörter
pulmonalarterielle Hypertonie - angeborene Herzfehler - Eisenmenger-Syndrom
Keywords
pulmonary arterial hypertension - congenital heart disease - Eisenmenger syndrome
Einleitung und neue Aspekte
Einleitung und neue Aspekte
Angeborene Herzfehler (AHF) sind die häufigsten isolierten angeborenen Organanomalien. Weltweit werden pro Jahr ca. 1,5 Millionen Kinder mit AHF geboren, in Deutschland etwa 8500 [1]
[2]. Da durch die verbesserte medizinische Versorgung heutzutage in der industrialisierten Welt mehr als 95 % dieser Patienten das Erwachsenenalter erreichen, leben weltweit momentan etwa 50 Millionen Erwachsene mit angeborenem Herzfehler (EMAH), in Deutschland etwa 360.000 [3]
[4]. Eine der wichtigsten Komplikationen bei AHF ist eine pulmonalarterielle Hypertonie (PAH) bzw. pulmonalvaskuläre Erkrankung, die sich in jedem Lebensalter entwickeln kann [5] und den klinischen Status und Erkrankungsverlauf ungünstig beeinflusst [6]
[7].
In diesem Beitrag soll der Abschnitt zur PAH bei EMAH aus de neuen ESC/ERS-Leitlinien zur pulmonalen Hypertonie [8]
[9] zusammengefasst und kommentiert werden.
Epidemiologie und Klassifikation
Epidemiologie und Klassifikation
Etwa 3–7 % der EMAH entwickeln im Laufe ihres Lebens eine PAH, insbesondere Frauen [7]. Die Inzidenz hängt wesentlich von der Art des zugrunde liegenden AHFs ab und nimmt mit Patientenalter und Alter bei Defektverschluss zu [10].
Nach Korrektur eines einfachen Herzfehlers liegt die geschätzte PAH-Prävalenz bei 3 % [11]. Das Eisenmenger-Syndrom als schwerste Form der PAH bei AHF nimmt in den industrialisierten Staaten ab. Künftig werden weniger Patienten mit einfachen, frühzeitig behandelten AHF im Erwachsenenalter eine PAH entwickeln. Allerdings werden im Erwachsenalter mehr Patienten mit PAH bei komplexen AHF erwartet und solche, die Jahrzehnte nach Defektverschluss noch eine PAH entwickeln [12]. Auch in den aktuellen ESC/ERS-Leitlinien basiert die PH-Klassifizierung auf den Vorschlägen der früheren Weltkonferenzen bzw. Weltsymposien. Die Zuordnung der Patienten zu dieser Klassifikation ist therapeutisch von Bedeutung [13]
[14] ([
Tab. 2
]). Patienten mit PH bei AHF erscheinen in dieser Klassifikation vorzugsweise in den Gruppen 1 und 2. Man muss allerdings beachten, dass EMAH bei zunehmendem Alter in Abhängigkeit von Komorbiditäten dann auch den Klassen 3, 4 und 5 zugeordnet werden [15].
Die PAH in Verbindung mit angeborenen Shuntvitien wird 4 klinisch und prognostisch bedeutsamen Gruppen zugeordnet: Eisenmenger-Syndrom, korrigierbare oder nicht korrigierbare Links-Rechts-Shunts, eine zufällig mit einem AHF assoziierte PAH sowie die PAH nach reparativer Behandlung ([
Tab. 1
], nach [6]).
Tab. 1
Klassifikation der pulmonalen Hypertonie bei angeborenen Shunt-Vitien nach klinischen Gesichtspunkten (nach Humbert et al. 2022 [14]).
PAH-Subgruppen bei Shuntvitien
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Hämodynamische Details
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Eisenmenger-Syndrom
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Alle großen intra- und extrakardialen Defekte mit initialem systemico-pulmonalem Shunt (Links-Rechts-Shunt), bei denen im Verlauf der Erkrankung der pulmonale Gefäßwiderstand (PVR) stark ansteigt, mit resultierendem bidirektionalem oder reinem Rechts-Links-Shunt.
Klinisch resultiert zumeist eine zentrale Zyanose, eine sekundäre Erythrozytose und ein zyanosebedingter Multiorganschaden.
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PAH in Verbindung mit vorherrschendem systemico-pulmonalen Shunt, interventionell oder chirurgisch korrigierbar oder nicht korrigierbar
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Mittelgroße bis große Defekte mit vorherrschendem gering- bis mittelgradigem systemico-pulmonalem Blutfluss. Der PVR ist leicht bis mäßig erhöht. Unter Ruhebedingungen besteht keine Zyanose.
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Pulmonalarterielle Hypertonie (PAH) mit kleinen/beiläufigen Defekten
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Deutlich erhöhter PVR bei Vorliegen von AHF, die als hämodynamisch nicht signifikant angesehen werden und nicht für die Entwicklung eines erhöhten PVR verantwortlich sind (i. d. R. Ventrikelseptumdefekte mit einem echokardiografisch gemessenen effektiven Diameter < 1 cm oder einen Vorhofseptumdefekt < 2 cm).
Das klinische Bild ähnelt stark einer idiopathischen PAH.
Ein Defektverschluss ist kontraindiziert.
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Pulmonalarterielle Hypertonie nach reparativer Behandlung
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Nach Reparatur des AHF unmittelbar persistierende oder innerhalb von Monaten oder Jahren wiederkehrende PAH ohne vorhandene hämodynamisch relevante Re-/Rest-Shunts
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Tab. 2
Echokardiografische Besonderheiten bei AHF-assoziierter PAH.
Parameter
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Besonderheiten bei AHF
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RV-Morphe und Funktion
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Kritische Anwendung üblicher Normwerte unter Berücksichtigung struktureller Besonderheiten des jeweiligen Herzfehlers
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Systolischer Gradient über die Trikuspidalklappe (sPAP)
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Aussagekraft bzgl. PAH/PH nur, falls Trikuspidalklappe der subpulmonalen AV-Klappe entspricht und keine posttrikuspidalen Stenosen bestehen
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Früh-/enddiastolischer Gradient über die Pulmonalinsuffizienz
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Eingeschränkte Aussagekraft bei höhergradiger Pulmonalinsuffizienz oder nachgeschalteter Stenose
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Pulmonalarterien (PA)-Weite, RVOT-Akzelerationszeit
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PA-Erweiterung bei AHF häufig auch unabhängig einer PAH/PH.
RVOT-Akzelerationszeit (Norm > 105 ms) bei komplexer Hämodynamik (z. B. segmentale PH, unilaterale Pulmonalstenose) unzureichend validiert
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LV-Exzentrizitätsindex
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Bei AHF mit residuellem, posttrikuspidalem Shunt (Entlastung des subpulmonalen Ventrikels durch Rechts-Links-Shunt) oder bei komplexer Anatomie bzw. univentrikulärer Zirkulation nicht anwendbar
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Einige komplexe AHF sind mit angeborenen Anomalien des pulmonalen Gefäßbaums verbunden, die zu einer segmentalen PH führen. Bei segmentaler PH sind ein oder mehrere, aber nicht alle Lungensegmente hypertensiv und jeder hypertensive Bereich kann eine PH unterschiedlichen Schweregrads aufweisen, während andere Teile des Lungengefäßsystems hypoplastisch sein können. Die Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt und systemischen aortopulmonalen Kollateralen ist hierbei die häufigste Erkrankung, aber auch andere komplexe AHF können zu segmentaler PH führen [6].
Kommentar:
Für den klinischen Alltag erscheinen die in der neuen ESC/ERS-Leitlinie vorgegebenen Klassifizierungen ausreichend, werden aber vielfach der Komplexität der Krankheitsbilder nur bedingt gerecht. Eine Einteilung nach Schweregrad oder Komplexität der AHF existiert nicht, obwohl komplexe AHF, insbesondere univentrikuläre Herzen nach modifizierter Fontan-Operation, durch ihre pulmonalvaskuläre Beteiligung in Zukunft in den Fokus rücken werden
[16].
Diagnostik bei AHF-PAH
Die diagnostische Abklärung von PAH bei EMAH sollte auf dem Vorhandensein von Symptomen beruhen und umfasst Anamnese, körperliche Untersuchung, Lungenfunktionstests, BGA, Bildgebung (insbesondere Echokardiografie) sowie Belastungs- und Labortests. Es wird darauf hingewiesen, dass die Standardkriterien für die Echokardiografie zum Nachweis einer PH bei einem komplexen AHF möglicherweise nicht anwendbar sind [17].
Eine Herzkatheteruntersuchung mit partieller Oxymetrie zur Berechnung des pulmonalen Blutflusses/systemischen Blutflusses (Qp/Qs) und der vaskulären Widerstände ist erforderlich, um die PAH-Diagnose zu bestätigen und therapeutische Maßnahmen einzuleiten. Die Thermodilution sollte bei Vorhandensein von intrakardialen Shunts vermieden werden, die direkte Fick-Methode ist in dieser Indikation geeigneter. Der pulmonale Gefäßwiderstand kann aufgrund einer Erythrozytose überbewertet werden [18]. Die Interpretation der invasiven Hämodynamik sollte im Zusammenhang mit der multiparametrischen Beurteilung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Labortests und Bildgebung erfolgen.
Kommentar zur Echokardiografie und Herzkatheteruntersuchung:
Die transthorakale Echokardiografie (TTE) ist auch bei AHF die wichtigste nicht-invasive Untersuchungsmethode zum PAH-Screening und für -Verlaufskontrollen. Anatomisch-hämodynamische Besonderheiten wie Shunts oder Stenosen im Herzen oder der nachgeschalteten pulmonalen Strombahn sind zu berücksichtigen, um echokardiografisch erhobene Parameter richtig einordnen zu können. Die echokardiografische PAH-Beurteilung bei komplexen Vitien (z. B. AHF mit Kollateralversorgung der Lunge, segmentaler PAH oder pulmonaler Vaskulopathie bei Fontan-Zirkulation bei funktionell univentrikulärem Herzen) ist stark limitiert.
In [
Tab. 2
] werden exemplarisch gängige echokardiografische Parameter zur PAH-Beurteilung und Besonderheiten bei AHF aufgeführt.
Eine Herzkatheteruntersuchung ist bei EMAH mit PAH komplex und nicht ungefährlich. Sie wird meist nicht routinemäßig wiederholt und ist somit kein geeigneter Parameter für Verlaufsbeobachtungen. Re-Katheter erfolgen eher bei diagnostischen Unklarheiten oder klinisch relevanten Veränderungen. Bei Shuntvitien sollte generell eine venöse und arterielle Katheterisierung nach einem standardisierten Protokoll erfolgen. Bei EMAH > 40 Jahre oder einer Risikokonstellation für eine koronare Herzerkrankung sollte ergänzend eine Koronarangiografie erfolgen. Bei EMAH mit PAH kann eine Linksherzproblematik die PAH aggravieren. Dies ist bei einer invasiven Diagnostik dezidiert herauszuarbeiten.
Ein Vasoreagibilitätstest kann bei Patienten mit PAH bei Shuntvitien (Vorhofseptumdefekt, Ventrikelseptumdefekt, persitierender Ductus arteriosus botalli) mit hämodynamisch relevantem Links-Rechts-Shunt und einem PVR > 3 WU in Zusammenschau mit anderen klinischen, laborchemischen und bildgebenden Befunden zur Klärung der Möglichkeit eines Defektverschlusses hilfreich sein [19]. Die wissenschaftliche Evidenz hierfür ist allerdings unzureichend.
Risikostratifikation
Ungünstige prognostische Prädiktoren bei AHF-assoziierter PAH sind WHO-FC III–IV, Belastungsintoleranz, gemessen an 6MWD oder maximaler Sauerstoffaufnahme (VO2max), Krankenhausaufenthalt wegen Rechtsherzinsuffizienz, Biomarker (NT-proBNP > 500 pg/ml, C-reaktives Protein > 10 mg/ml), hohe Serumkreatininwerte und niedrige Albuminwerte, Eisenmangel und echokardiografische Indizes einer RV-Dysfunktion [20]. Im Vergleich zu Patienten mit IPAH können Patienten mit Eisenmenger-Syndrom einen relativ stabilen langfristigen klinischen Verlauf aufweisen. Der rechte Ventrikel wird durch den Rechts-Links-Shunt entlastet und erhält das Herzzeitvolumen auf Kosten von Hypoxämie und Zyanose aufrecht. Allerdings ist die Prognose des Eisenmenger-Syndroms aufgrund des „Immortal-time-Bias“ möglicherweise nicht so günstig wie bisher angenommen [21].
Wie bei anderen PAH-Formen ist eine Risikobewertung für die Therapiesteuerung wichtig. Beim Eisenmenger-Syndrom wurden spezifische Risikofaktoren beschrieben. Eine große multizentrische Studie ergab für die Risikostratifizierung von Erwachsenen mit Eisenmenger-Syndrom folgende ungünstige prädiktive Faktoren: das Vorhandensein eines prätrikuspidalen Shunts, höheres Alter, niedrige Sauerstoffsättigung in Ruhe, Fehlen eines Sinusrhythmus und das Vorhandensein eines Perikardergusses [22].
Kommentar zur Risikostratifizierung:
Insbesondere für Erwachsene mit größeren Shunts oder einer Eisenmenger-Reaktion fehlt eine Adaption der in der Risikoevaluierung verwendeten Parameter: Folgende Kriterien könnten bei PAH infolge eines AHF als Therapieziele dienen:
Stabilisierung oder Verbesserung der Funktionsklasse und der klinischen Befunde, stabiler Belastungstest, stabile oder verbesserte Serum-BNP-Werte, eine stabile oder verbesserte RV-Funktion (im Echo oder MRT), im Einzelfall eine stabile oder verbesserte Hämodynamik.
Für die Verlaufsuntersuchung stimmen die Parameter weitgehend mit den allgemeinen Empfehlungen der ESC/ERS-Leitlinien überein und beinhalten Anamnese, Funktionsklasse, klinische Untersuchung, EKG und Langzeit-EKG, 6-Minuten-Gehtest, Spiroergometrie (cardiopulmonary exercise test, CPET), Echokardiografie und labormedizinische Untersuchungen
[15].
Risikostratifizierung und Nachsorge in Sondersituationen (z. B. Syndrome, Trisomie 21, …)
Risikostratifizierung und Nachsorge in Sondersituationen (z. B. Syndrome, Trisomie 21, …)
Ca. 15 % der Herzfehler sind syndromal assoziiert [23]. Trisomie 21, mit etwa 1 auf 800 Geburten die häufigste Chromosomenanomalie weltweit [24] und geht in ungefähr 40–50 % der Fälle mit AHF einher. Der atrioventrikuläre Septumdefekt ist am häufigsten, gefolgt vom Ventrikelseptumdefekt, seltener dem isolierten Vorhofseptumdefekt vom Sekundum-Typ und dem isolierten persistierenden Ductus arteriosus [25]
[26]. Bei unkorrigierten Shunts kann sich frühzeitig ein irreversibel fixierter pulmonaler Hypertonus mit Shuntumkehr entwickeln und zu signifikant verkürztem Überleben führen [27]
[28]. Ungefähr ein Drittel aller Patienten mit Eisenmenger-Reaktion haben eine Trisomie 21. Bei Menschen mit Trisomie 21 besteht zudem eine erhöhte Inzidenz von pulmonaler Hypertonie, bedingt durch zusätzliche genetische, kongenitale und umweltbedingte Faktoren [29]. Bereits initial besteht ein erhöhtes Risiko für das Auftreten einer persistierenden pulmonalen Hypertonie des Neugeborenen (PPHN) [30] sowie einer im weiteren Lebensverlauf auftretenden pulmonalen Hypertonie mit einer Inzidenz von 1,2–5,2 % [30]
[31]
[32]. Die Lebenszeitprävalenz ist nicht bekannt [33]. Betroffene fallen oft in mehrere PH-Klassifizierungskategorien, was eine Risikostratifizierung und leitliniengerechte Therapie erschwert [34]. Eine individualisierte Herangehensweise, gegebenenfalls mit invasiver hämodynamischer Evaluierung durch Kinderkardiologen und Erwachsenenkardiologen mit EMAH-Zertifizierung und PH-Expertise ist daher erforderlich.
Geschlechterspezifische Aspekte
Geschlechterspezifische Aspekte
Obwohl noch keine genauen Prävalenzdaten vorliegen, ist die weibliche Prädisposition für PH bei AHF allgemein bekannt
[35]
[36]
[37]
. Der genaue Pathomechanismus ist bis dato noch nicht vollständig geklärt, aber ein Zusammenhang mit dem Hormonhaushalt wird diskutiert. Aktuell geht man davon aus, dass Sexualhormone auch bei Shuntvitien zu einer höheren Prävalenz der PAH bei Frauen führen
[36].
Daten aus dem niederländischen CONCOR-Register zeigen, dass Frauen mit AHF im Vergleich zu Männern ein um 33 % höheres Risiko für die Entwicklung einer PAH haben
[37]
. Dabei spielt für die weibliche Dominanz der PAH auch die geschlechterspezifische Häufigkeit der AHF eine wichtige Rolle. Männer haben tendenziell komplexere AHF
[38]
[39]
und eine höhere Prävalenz für Erkrankungen mit Aortenbeteiligung
[35]
[40]
. Bei Frauen konnte demgegenüber in den letzten Jahren eine höhere Inzidenz (Verhältnis Männer/Frauen = 0,75)
[41]
einfacher Shuntvitien (Vorhofseptumdefekt, Ventrikelseptumdefekt und atrioventrikulärer Septumdefekt) beobachtet werden, welche wiederum häufiger mit einer PAH assoziiert sind
[42].
Künftiger Forschungsbedarf besteht insbesondere hinsichtlich geschlechterspezifischen Behandlungsstrategien unter Berücksichtigung des soziokulturellen Geschlechtes („Gender“)
[39]
[43]
, da sich dieses ebenfalls relevant auf Manifestation, Epidemiologie und Pathophysiologie auswirken kann
[44]
. Da es sich bei geschlechterspezifischen Unterschieden um einen nicht modifizierbaren Risikofaktor handelt, scheint eine explizite Aufnahme in die Leitlinie unabdingbar.