CC BY-NC-ND 4.0 · Geburtshilfe Frauenheilkd 2023; 83(10): 1199-1204
DOI: 10.1055/a-2160-3279
GebFra Science
Statement/Stellungnahme

Stellungnahme der Kommission Uterus der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) zur operativen Therapie bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom im Stadium IA2–IIB1

Article in several languages: English | deutsch
Tanja Fehm
1   Universitätsfrauenklinik der Universität Düsseldorf, CIO ABCD, Düsseldorf, Germany
,
Matthias W. Beckmann
2   Frauenklinik, Comprehensive Cancer Center ER-EMN, Universitätsklinikum Erlangen, Erlangen, Germany
,
Sven Mahner
3   Klinik und Poliklinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, LMU-Klinikum München, München, Germany
,
Dominik Denschlag
4   Frauenklinik, Hochtaunus Kliniken, Bad Homburg, Bad Homburg, Germany
,
Sara Brucker
5   Universitäts-Frauenklinik Tübingen, Department für Frauengesundheit, Universität Tübingen, Tübingen, Germany
,
Peter Hillemanns
6   Frauenklinik, Comprehensive Cancer Center Niedersachsen, Medizinische Hochschule Hannover, Hannover, Germany
,
Clemens Tempfer
7   Universitätsfrauenklinik, Comprehensive Cancer Center der Ruhr Universität Bochum (RUCCC), Bochum, Germany
,
for the Uterus Commission of the AGO and the AGO Working Group › Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Die Präsentation der Ergebnisse der prospektiv-randomisierten internationalen Multicenterstudie AGO-OP.8 – CCTG CX.5 – SHAPE auf dem Kongress der American Society of Clinical Oncology (ASCO) 2023 wird die operative Therapie des frühen Zervixkarzinoms beeinflussen. In der SHAPE-Studie war die einfache totale Hysterektomie (experimenteller Arm) gegenüber der radikalen Hysterektomie (Standardarm) bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom mit FIGO-Stadien (2018) IA2 bis IB1 ≤ 2 cm und < 1 cm Infiltrationstiefe nicht unterlegen und führte nach 3 Jahren Nachbeobachtungszeit zu einer pelvinen Rezidivrate von 2,52% (experimenteller Arm) versus 2,17% (Standardarm) ohne statistisch signifikanten Unterschied bezüglich des rezidivfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens. In Abwägung der auf dem Kongress publizierten Ergebnisse der SHAPE-Studie kann daher nach Einschätzung der Organkommission Uterus der AGO e. V. bei Patientinnen mit invasivem Zervixkarzinom der FIGO-Stadien IA2 bis IB1 ≤ 2 cm und einer Infiltrationstiefe < 1 cm neben einer radikalen Hysterektomie – nach entsprechender Risikoaufklärung im Sinne einer Einzelfallentscheidung – eine einfache totale Hysterektomie als operative Primärtherapie diskutiert werden. Die Daten der Vollpublikation müssen allerdings abgewartet werden, bevor dieses Vorgehen auf Leitlinienebene diskutiert und eventuell als neuer Therapiestandard definiert werden kann.


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Einleitung

Die Vorstellung der Ergebnisse der internationalen, randomisierten Multicenterstudie AGO-OP.8 – CCTG CX.5 – SHAPE hat die Studienlandschaft zur primären operativen Therapie bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom der FIGO-Stadien IA2 bis IB1 ≤ 2 cm erweitert [1]. Erstmals konnte in einer prospektiv randomisierten Studie gezeigt werden, dass die einfache Hysterektomie als operative Primärtherapie des frühen Zervixkarzinoms der FIGO-Stadien IA2 bis IB1 ≤ 2 cm (altes FIGO-Stadium) und Infiltrationstiefe < 1 cm der radikalen Hysterektomie nicht unterlegen ist und darüber hinaus zu signifikant besseren sexuellen Funktions-Scores in den ersten 24 Monaten nach der Operation führt. Im Folgenden sollen daher kurz der aktuelle Empfehlungsstand zur Standardtherapie des frühen Zervixkarzinoms zusammengefasst und anschließend die Ergebnisse der SHAPE-Studie dargestellt und im Kontext interpretiert werden.


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Aktueller Stand der Therapie des frühen Zervixkarzinoms

Die aktuelle S3-Leitlinie zur Therapie und Nachsorge der Patientin mit Zervixkarzinom empfiehlt mit Stand März 2022 im Falle eines frühen Zervixkarzinoms mehrere Strategien, die von der Konisation über die einfache Hysterektomie, die Trachelektomie bis zur radikalen Hysterektomie reichen, alleine oder in Kombination mit einer Sentinel-Lymphadenektomie, einer systematischen pelvinen und/oder paraaortalen Lymphadenektomie [2]. Eine einfache Hysterektomie als Standardtherapie für Patientinnen mit Zervixkarzinomen der Stadien FIGO IA2 bis IB1 ≤ 2 cm wird aktuell nicht empfohlen. Diese wird nur bei Patientinnen mit FIGO-Stadium IA1/2 unter Berücksichtigung des Vorliegens weiterer Risikofaktoren als ausreichende Therapie definiert.


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Konisation, einfache Hysterektomie und Trachelektomie bei frühem Zervixkarzinom

Zunächst sollte im Falle der Diagnose eines frühen Zervixkarzinoms geprüft werden, welches FIGO-Stadium und welche Risikofaktoren vorliegen. Als relevante Risikofaktoren für das frühe Zervixkarzinom gelten die Parameter L1, V1, G3, tiefe Stromainfiltration und Tumorgröße > 4 cm (definitionsgemäß bei Tumorgröße > 4 cm und mehreren Risikofaktoren bereits als lokal fortgeschrittenes Zervixkarzinom zu bezeichnen [2]). Im Falle eines FIGO-Stadiums IA1 ohne Risikofaktoren empfiehlt die Leitlinie in gleicher Empfehlungsstärke die Konisation oder die einfache Hysterektomie je nach Wunsch, Familienplanung und Sicherheitsbedürfnis der Patientin. Bei R1-Resektion nach Konisation empfiehlt die Leitlinie alternativ die Re-Konisation oder die Trachelektomie. Liegt ein Stadium FIGO IA1 mit Lymphgefäßinfiltration (L1) vor, ist zusätzlich zu den genannten Therapien eine Sentinel-Lymphadenektomie indiziert. Liegt ein Stadium FIGO IA1 mit 2 Risikofaktoren oder ein Stadium FIGO IA2 mit 1 Risikofaktor vor, empfiehlt die Leitlinie bei histologisch tumorfreiem Sentinel-Lymphknoten mit gleicher Empfehlungsstärke die Konisation, die einfache Hysterektomie oder die radikale Trachelektomie. Bei histologisch tumorbefallenem Sentinel-Lymphknoten empfiehlt die Leitlinie die systematische pelvine und paraaortale Lymphadenektomie, gefolgt von einer primären Radio-Chemotherapie.

Eine radikale Hysterektomie wird ab dem FIGO-Stadium IA2 mit mindestens 2 Risikofaktoren bis zu den Stadien IB1 und IIA1 empfohlen, falls die Sentinel-Lymphknoten (bei Tumoren < 2 cm) oder die pelvinen Lymphknoten (bei Tumoren > 2 cm) tumorfrei sind. Als Methode der Wahl einer radikalen Hysterektomie wird die Hysterektomie nach Piver II mit Absetzen der A. uterina an der Überkreuzung des Ureters, Absetzen der Ligg. uterosacralia und cardinalia auf halbem Weg zum Kreuzbein bzw. zur Beckenwand und Resektion des oberen Vaginaldrittels sowie die Präparation der Ureteren ohne Herauslösen aus dem Lig. pubovesicale empfohlen [2]. Der operative Zugang sollte basierend auf den Ergebnissen der LACC-Studie offen per Laparotomie erfolgen oder die Patientinnen in die aktuell rekrutierenden Studien RACC (roboterassistiert vs. offen; https://racctrial.org/) bzw. G-LACC (minimalinvasiv vs. offen) eingeschlossen werden. Bei Tumoren bis 2 cm wird in der aktuellen S3-Leitlinie die Sentinel-Lymphadenektomie empfohlen, ansonsten die systematische pelvine Lymphadenektomie. Bei Tumoren bis 4 cm können Patientinnen aktuell auch in die Senticol-III-Studie (AGO-OP.9; Sentinel-Lymphadenektomie versus Sentinel-Lymphadenektomie, gefolgt von systematischer pelviner Lymphadenektomie) rekrutiert werden. In den Stadien IA2 und IB1 < 2 cm kann alternativ zur radikalen Hysterektomie bei Wunsch der Patientin nach Organerhalt auch eine radikale Trachelektomie erfolgen.

Im Stadium FIGO IB2 mit tumorfreien pelvinen Lymphknoten nach systematischer Lymphadenektomie empfiehlt die aktuelle S3-Leitlinie die radikale Hysterektomie nach Piver III mit Absetzen der A. uterina am Ursprung, Absetzen der Ligg. uterosacralia und cardinalia nahe an ihren Ursprüngen und Resektion des oberen Vaginaldrittels sowie die Präparation der Ureteren bis zur Einmündung in die Blase unter Schonung eines kleinen lateralen Anteils des Lig. pubovesicale [2].

Die Frage der standardmäßigen Konisation vor einer radikalen Hysterektomie wird derzeit in der S3-Leitlinie noch nicht adressiert. Ergebnisse aktueller retrospektiver Studien zeigen, dass eine präoperative Konisation vor einer radikalen Hysterektomie das Rezidivrisiko bei Patientinnen mit frühen Zervixkarzinom (FIGO IA2, IB1) signifikant verringern könnte [3], [4], [5], [6], [7]. Gleichzeitig erlaubt die Konisation vor definitiver operativer Therapie auch eine bessere pathologische Beurteilung, Stadieneinteilung und Größenbestimmung des Primärtumors.


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Einfache Hysterektomie bei frühem Zervixkarzinom: AGO OP.8 – CCTG CX.5 – SHAPE-Studie

Die Entfernung der Parametrien, deren Ausmaß im Wesentlichen die Radikalität einer Hysterektomie definiert, ist mit einer hohen Morbiditäts- und Komplikationsrate assoziiert. Diese wird vor allem durch die Verletzung von autonomen Nerven, welche die Blasen-, Darm- und Sexualfunktion koordinieren, bedingt. Bei Zervixkarzinomen kleiner 2 cm ohne pelvinen Lymphknotenbefall liegt die Wahrscheinlichkeit einer Parametriuminfiltration unter 1% [8]. Aus diesem Grund stellt sich die Frage, ob beim frühen Zervixkarzinom ohne Reduktion der onkologischen Sicherheit eine einfache Hysterektomie ausreichend ist. Ergebnisse aus monozentrischen Studien und Metaanalysen unterstützen dieses Vorgehen [9], [10]. Daten aus randomisierten Studien fehlten bisher. Mit der SHAPE-Studie liegt nun die erste prospektiv-randomisierte Studie zu dieser Fragestellung vor.

In der SHAPE-Studie, einer internationalen Multicenterstudie, wurden Patientinnen mit histologisch gesichertem, frühem Zervixkarzinom der Stadien IA2 und IB1 unabhängig vom Grading untersucht, wobei die Tumorgröße ≤ 2 cm im maximalen Oberflächendurchmesser und die Stromainvasion < 10 mm betragen durfte (alternativ ohne Konisation < 50% Stromainvasion in der Magnetresonanztomografie) [1]. Alle Patientinnen erhielten eine komplette pelvine Lymphadenektomie, auch wenn die Sentinellymphknotenbiopsie (optional) unauffällig war. Insgesamt wurden 700 Patientinnen (350 im experimentellen Arm vs. 350 im Standardarm) randomisiert. Stratifikationsfaktoren waren Eastern Cooperative Oncology Group (ECOG) Score [11], Sentinel-Lymphadenektomie, Tumorstadium, histologischer Subtyp und Grading. Primärer Studienendpunkt war die pelvine Rezidivrate nach 3 Jahren. Sekundäre Endpunkte waren pelvines rezidivfreies Überleben, extrapelvines rezidivfreies Überleben, rezidivfreies Überleben, Gesamtüberleben, histopathologische Variablen (z. B. Resektionsränder, nodale Positivität und Parametrienbefall) und Patient-Reported Outcomes zur sexuellen Gesundheit (z. B. EORTC QLQ-C30 Pain Scale, EORTC QLQ-CX24 Symptom Scale, FSFI Total Score und FSDS Total Score). Die Studienhypothese lautete, dass die einfache Hysterektomie der radikalen Hysterektomie hinsichtlich der pelvinen Rezidivrate nach 3 Jahren innerhalb einer Bandbreite von 4% (i. S. eines oberen 95%igen Konfidenzintervalls als Non-Inferiority Margin) nicht unterlegen ist. Anzumerken ist, dass der primäre Endpunkt aufgrund einer zu niedrigen Ereignisrate im Jahr 2022 vom pelvinen rezidivfreien Überleben zur pelvinen Rezidivrate nach 3 Jahren geändert wurde. Die Rekrutierung erfolgte zwischen Dezember 2012 und November 2019.


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Ergebnisse der AGO OP.8 – CCTG CX.5 – SHAPE-Studie

Die wichtigsten Patientinnencharakteristika der SHAPE-Studie lauteten wie folgt: Konisation vor Hysterektomie (68,6%), Stadium IA2 (8,3%), Stadium IB1 (91,7%), Plattenepithelkarzinome (61,7%), Adenokarzinome (35%). Die mittlere Beobachtungszeit der Studie betrug 4.5 Jahre.

Patientinnen in der experimentellen Gruppe (einfache Hysterektomie) wurden signifikant häufiger laparoskopisch operiert (55,6% vs. 44,2%; p = 0,0036). Hingegen wurde für Patientinnen mit radikaler Hysterektomie häufiger ein offenes Vorgehen gewählt (28,8% vs. 16,9%, p = 0,0003) Die Wahl des operativen Zugangsweges stand nicht im Fokus der Studie und oblag dem/r Operateur/in. Die Rate an Sentinel-Lymphadenektomien, die optional zusätzlich durchgeführt werden konnte, war nicht unterschiedlich (37,3% vs. 38,2%). Hinsichtlich der Rate an Lymphgefäßinvasionen (13,3% vs. 13,1%), pelvin-nodaler Positivität (3,3% vs. 4,4%), positiver vaginaler Resektionsränder (2,1% vs. 2,9%) und (Rest-)Tumor im Operationspräparat (45,6% vs. 47,4%) zeigten sich keine signifikanten Unterschiede ([Tab. 1]). Im Standardarm der Studie betrug die Rate an befallenen Parametrien 1,7%. Die Rate an adjuvanten Therapien betrug in den beiden Studienarmen 9,2% bzw. 8,4%. [Tab. 1] fasst die wesentlichen Ergebnisse zusammen.

Tab. 1 Tabellarische Zusammenfassung der SHAPE-Studie [1].

Faktoren

einfache HE (n [%])

radikale HE (n [%])

p-Wert (n [%])

diagnostisches Vorgehen

Konisation

Zervixbiopsie

beides

keine Angaben

254 (72,6)

52 (14,9)

40 (11,4)

4 (1,1)

226 (64,6)

77 (22)

41 (11,7)

6 (1,7)

keine Angaben

FIGO-Stadium

IA2

IB1

30 (8,6)

320 (91,4)

28 (8,0)

322 (92,0)

keine Angaben

Zugangsweg

abdominal

laparoskopisch

robotisch

vaginal

57 (16,9)

188 (55,6)

82 (24,3)

11 (3,3)

99 (28,8)

152 (44,2)

87 (25,3)

4 (1,2)

0,0003

0,0036

0,79

0,07

histologisches Endergebnis

Tumorrest (Zervix)

Lymphangiosis

positiver Lymphknotenbefall

positive vag. Absetzungsränder

Parametriumbefall

Tumoren größer 2 cm

154 (45,6)

45 (13,3)

11 (3,3)

7 (2,1)

0

15 (4,4)

163 (47,4)

45 (13,1)

15 (4,4)

10 (2,9)

6 (1,7)

14 (4,1)

0,65

1,00

0,55

0,62

0,03

0,85

adjuvante Behandlung

erfolgt

31 (9,2)

29 (8,4)

0,79

Die Ergebnisse der SHAPE-Studie bezüglich der pelvinen Rezidivrate und der sekundären Endpunkte bestätigen die Hypothese, dass in diesem Kollektiv auf eine radikale Hysterektomie verzichtet werden kann. Die einfache totale Hysterektomie (experimenteller Arm) war gegenüber der radikalen Hysterektomie (Standardarm) bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom FIGO IA2 bis IB1 nicht unterlegen und führte nach 3 Jahren Nachbeobachtungszeit zu einer ähnlich hohen pelvinen Rezidivrate mit 2,52% (experimenteller Arm: n = 11) bzw. 2,17% (Standardarm: n = 10) (Differenz 0,35%; oberes 95%-Konfidenzlimit 2,32%; daher < 4% und somit nicht unterlegen). In der Subgruppenanalyse war die Nichtunterlegenheit in allen untersuchten Subgruppen (z. B. Tumorstadium, histologischer Subtyp, Grading, per Protokoll-Population gesamt und mit postoperativ exkludierten Patientinnen) ebenfalls gleichermaßen sichtbar. Die Anzahl der extrapelvinen Rezidive war im experimentellen Arm mit 7 Fällen höher als im Standardarm mit 2 Fällen. Ob dies möglicherweise durch die höhere Anzahl an minimalinvasiven Operationen im experimentellen Arm bedingt ist, wird möglicherweise erst durch weitere Analysen geklärt werden. Bezüglich des pelvinen rezidivfreien Überlebens, des extrapelvinen rezidivfreien Überlebens, des rezidivfreien Überlebens und des Gesamtüberlebens zeigten sich keine Unterschiede. [Tab. 2] fasst die Überlebensdaten zusammen.

Tab. 2 Rezidiv- und Überlebensdaten der SHAPE-Studie [1].

Endpunkte

einfache HE

radikale HE

HR (90%-KI)

p-Wert

3-Jahres Outcome-Rate in %

n. s.: nicht signifikant

pelvines rezidivfreies Überleben

97,5%

97,8%

1,12 (0,54 – 2,32)

n. s.

extrapelvines rezidivfreies Überleben

98,1%

99,7%

3,82 (0,79 – 18,4)

n. s.

rezidivfreies Überleben

96,3%

97,8%

1,54 (0,69 – 3,45)

n. s.

Gesamtüberleben

99,1%

99,4%

1,09 (0,38 – 3,1)

n. s.

Intra- und postoperative Komplikationen

Die intra- und postoperativen Komplikationen waren keine definierten Endpunkte der Studie. Bezüglich intraoperativer Komplikationen (z. B. Ureterverletzung, Harnblasenverletzung, Nervenverletzung, Darmverletzung, Gefäßverletzung) zeigte sich entgegen den Erwartungen kein signifikanter Unterschied (7,1% vs. 6,4%). Signifikante Unterschiede zugunsten des experimentellen Arms ergaben sich bei der Rate von akuten und späten operationsbedingten unerwünschten Ereignissen. Patientinnen, die sich einer einfachen Hysterektomie unterzogen, hatten weniger unerwünschte Ereignisse sowohl innerhalb von 4 Wochen nach der Operation (42,6% vs. 50,6%; p = 0,04) als auch > 4 Wochen nach der Operation (53,6% vs. 60,5%; p = 0,08). Dies galt vor allem für urologische Komplikationen. Patientinnen, die sich einer einfachen Hysterektomie unterzogen, hatten, im Vergleich zu Patientinnen mit einer radikalen Hysterektomie, signifikant seltener eine akute Harnretention (0,6% vs. 11,0%; p < 0,0001) und Harninkontinenz (2,4% vs. 5,5%; p = 0,048) sowie eine verzögerte Harnretention (0,6% vs. 9,9%; p < 0,0001) und Harninkontinenz (4,7% vs. 11,0%; p = 0,003).


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Patient-Reported Outcome/sexuelle Gesundheit

Bezüglich der Patient-Reported Outcomes zeigte sich eine signifikant bessere Lebensqualität und sexuelle Gesundheit mit einem mittleren Unterschied der Veränderung der EORTC QLQ-C30 Pain Scale von − 4,53 (p = 0,02) und der EORTC QLQ-CX24 Symptom Scale von − 2,12 (p = 0,02). Im Rahmen der EORTC QLQ-CX24 Symptom Scale wurden folgende Symptome abgefragt: Symptom Experiences, Body Image, Sexual Worries, Sexual Activities und Sexual Enjoyment. Ebenso konnten signifikant höhere FSFI (Female Sexual Function Index basierend auf Arousal, Desire und Lubrication), Total Scores und geringere FSDS (Female Sexual Distress Scale) Total Scores bis zu 24 Monate nach der Operation zugunsten des experimentellen Arms nachgewiesen werden.


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Abschließende Einschätzung und Therapieempfehlung

Aktuell liegen die Ergebnisse der prospektiv-randomisierten internationalen Multicenterstudie AGO OP.6 – CCTG CX.5 – SHAPE zur operativen Therapie bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom lediglich in Abstractform und als Kongresspräsentation vor. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die einfache Hysterektomie eine onkologisch sichere Therapiealternative zur radikalen Hysterektomie bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom darstellt. In der SHAPE-Studie war die einfache totale Hysterektomie (experimenteller Arm) gegenüber der radikalen Hysterektomie (Standardarm) bei Patientinnen mit frühem Zervixkarzinom mit alten FIGO-Stadien (2018) IA2 bis IB1 ≤ 2 cm nicht unterlegen und führte nach 3 Jahren Nachbeobachtungszeit zu einer

  1. nicht signifikant unterschiedlichen pelvinen Rezidivrate,

  2. nicht signifikant unterschiedlichen extrapelvinen rezidivfreien Überlebensrate,

  3. nicht signifikant unterschiedlichen rezidivfreien Überlebensrate und einer

  4. nicht signifikant unterschiedlichen Gesamt-Überlebensrate bei gleichzeitig

  5. signifikant weniger postoperativen unerwünschten Ereignissen innerhalb und nach 4 Wochen sowie einer

  6. signifikant besseren sexuellen Gesundheit.

Dennoch sollten einige Punkte und Aspekte angemerkt werden, die möglicherweise erst durch die Vollpublikation dieser Studie geklärt werden können.

  1. Der primäre Endpunkt wurde im Laufe der Studie – wenn auch geringfügig – geändert. Initial war das pelvine rezidivfreie Überleben als primärer Endpunkt geplant. Aufgrund der geringen Zahl der Ereignisse (weniger als die Hälfte der erwarteten Rezidive waren tatsächlich eingetreten) wurde der ursprüngliche primäre Endpunkt durch die pelvine Rezidivrate nach 3 Jahren ersetzt.

  2. Die Studiendauer war mit 10 Jahren sehr lange. Insgesamt nahmen 130 Zentren in 12 Ländern teil. Dies lässt folgern, dass die Zahl der eingeschlossenen Patientinnen pro Zentrum gering war und möglicherweise nur ein selektioniertes Patientinnengut eingeschlossen wurde (möglicher Selektionsbias).

  3. Im Rahmen der SHAPE-Studie erhielten alle Patientinnen trotz negativer Sentinellymphknotenbiopsie (SNB) eine systematische pelvine Lymphadenektomie. Bei negativen SNB und dennoch positiven Lymphknoten wurden die Patientinnen anschließend aus der Studie ausgeschlossen. In Deutschland würden viele Patientinnen nur eine SNB erhalten, die mit einer Falsch-negativ-Rate von ca. 5 – 9% assoziiert ist [12]. Dies würde bedeuten, dass entweder vor einer einfachen Hysterektomie immer eine systematische Lymphadenektomie durchgeführt werden müsste oder dass ein gewisser Anteil von Patientinnen eine einfache Hysterektomie erhalten würden, die in der SHAPE-Studie sekundär ausgeschlossen worden wären. Sofern man die Einschlusskriterien der SHAPE-Studie streng auslegt, könnten nur solche Patientinnen eine einfache Hysterektomie erhalten, die vorher systematisch pelvin lymphadenektomiert wurden und negative Lymphknoten aufweisen. Dieses Vorgehen lässt sich in der klinischen Routine allerdings nur schwer umsetzen.

  4. Die Konisation vor einer radikalen Hysterektomie scheint mit einem verbesserten Outcome assoziiert zu sein, insbesondere, wenn eine R0-Resektion erfolgt [3], [4], [5], [6], [7]. In der SHAPE-Studie war der Anteil der Patientinnen, die eine präoperative Konisation erhalten hatten, mit 72,6% im experimentellen Arm um 8% höher als im Standardarm. Somit könnte sich dies günstig auf die Ergebnisse des experimentellen Studienarms ausgewirkt haben, indem potenziell ein „schlechteres Überleben“ bedingt durch die einfache Hysterektomie durch die höhere Anzahl an präoperativen Konisationen kompensiert worden wäre. Allerdings scheint die prognostische Verbesserung durch Konisation auf die Fälle mit „In-sano-Konisation“ beschränkt, und die Rate an Komplettresektionen durch Konisation wurden auf der Kongresspräsentation der SHAPE-Studie nicht berichtet. Die unterschiedliche Rate an präoperativen Konisationen stellt also einen möglichen Verzerrungsfaktor dar, der hoffentlich in der Vollpublikation detaillierter analysiert wird.

  5. Die Rate an extrapelvinen Rezidiven war numerisch mit 7 Fällen im experimentellen Arm höher als im Standardarm mit 2 Fällen. Dies traf auch für die Zahl der zervixkarzinomassoziierten Todesfälle mit 4 versus 1 zu. Dies könnte möglicherweise nicht nur durch die Art der Hysterektomie, sondern auch durch den operativen Zugangsweg bedingt sein. Zum Zeitpunkt der Rekrutierung der SHAPE-Studie lagen die Ergebnisse des LACC-Trials nicht vor [13]. Dieser zeigte, dass ein minimalinvasives Vorgehen mit einem verkürzten rezidivfreien und Gesamtüberleben assoziiert ist. Im Rahmen der SHAPE-Studie lag der Zugangsweg (offen vs. minimalinvasiv) in der Entscheidungsfreiheit des/r Operateurs/in. Insgesamt wurde im experimentellen Arm signifikant häufiger minimalinvasiv operiert als im Standardarm. Die Überlebensdaten waren zwar nicht unterschiedlich, aber es zeigte sich – wie bereits erwähnt – eine höhere Rate an extrapelvinen Rezidiven und zervixkarzinomassoziierten Todesfällen. Aus diesem Grund muss kritisch diskutiert werden, inwieweit zukünftig ein laparoskopisches Vorgehen bei der einfachen Hysterektomie als Therapie eines frühen Zervixkarzinoms ≤ 2 cm vertretbar ist. Diese Frage wird in der G-LACC-Studie adressiert mit Randomisierung der einfachen Hysterektomie (als optionale Alternative zur radikalen Hysterektomie) in einen laparoskopischen versus offenen Arm bei Patientinnen, welche die SHAPE-Einschlusskriterien erfüllen.


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Fazit

Die Ergebnisse der SHAPE-Studie legen nahe, dass bei Patientinnen mit invasivem Zervixkarzinom der FIGO-Stadien IA2 bis IIB1 ≤ 2 cm und Stromainvasion < 10 mm in der Konisation (< 50% stromale Invasion im MRT) eine einfache totale Hysterektomie als operative Primärtherapie onkologisch sicher ist und daher im Sinne einer Einzelfallentscheidung als Alternative zur radikalen Hysterektomie mit betroffenen Patientinnen diskutiert werden kann. Die Vorteile der einfachen Hysterektomie liegen in einer verbesserten sexuellen Gesundheit und weniger Akut- und Spätkomplikationen. Allerdings sind derzeit noch einige Aspekte der SHAPE-Studie ungeklärt (z. B. die Rolle der präoperativen Konisation, die Bedeutung des Zugangsweges). Die Daten der Vollpublikation müssen daher abgewartet werden, bevor dieses Vorgehen auf Leitlinienebene diskutiert und eventuell als neuer Therapiestandard definiert werden kann. Aus Sicht der AGO Organkommission Uterus kann derzeit die einfache Hysterektomie nach entsprechender Risikoaufklärung im Sinne einer Einzelfallentscheidung mit betroffenen Patientinnen diskutiert werden.


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Conflict of Interest/Interessenkonflikt

The authors (T Fehm, MW Beckmann, D Denschlag, S Brucker, C Tempfer) state that they have no conflicts of interest relating to the contents of this publication. S Mahner is the German principal investigator of the SHAPE trial.

  • References/Literatur

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Correspondence/Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Tanja Fehm
Universitätsfrauenklinik der Universität Düsseldorf
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf
Germany   

Publication History

Received: 24 August 2023

Accepted: 24 August 2023

Article published online:
05 October 2023

© 2023. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commecial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/)

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