Aktuelle Ernährungsmedizin 2024; 49(01): 45-47
DOI: 10.1055/a-2167-3126
Gesellschaftsnachrichten

Gesellschaftsnachrichten der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin e.V. (DGEM)

Interview mit DGEM-Präsident Prof. Matthias Pirlich zur Malnutrition Awareness Week MAW 2023

Die DGEM führte vom 6.–10. November 2023 in Kooperation mit Fachgesellschaften und Verbänden die Aktionswoche Malnutrition Awareness Week (MAW) durch. Kliniken, Fachleute, Betroffene und Interessierte konnten sich in verschiedenen Veranstaltungen zum Thema Mangelernährung informieren und auch selbst aktiv mitwirken. Dazu hat die DGEM neben einer Pressekonferenz eine politische Diskussionsrunde, Webinare rund um die Mangelernährung sowie Vorträge für Nachwuchskräfte und einen Culinary Medicine-Kochkurs angeboten. Über den Erfolg der MAW und die Forderungen an die Politik haben wir mit DGEM-Präsident Prof. Matthias Pirlich gesprochen.

Zoom Image
Abb. 1 DGEM-Präsident Prof. Pirlich mit Prof. Rubin und Dr. Thomas Voß.

Herr Prof. Pirlich, das Ziel der Malnutrition Awareness Week ist ja, das Thema Mangelernährung stärker in die Öffentlichkeit zu rücken. Wie gut ist das aus Ihrer Sicht gelungen?

Zoom Image
Abb. 2 DGEM-Präsident Prof. Pirlich auf der Podiumsdiskussion mit Abgeordneten des Bundestags.

Die MAW war aus meiner Sicht sehr erfolgreich. Wir konnten unsere Botschaft verbreiten, dass Mangelernährung jeden treffen kann und dringender Handlungsbedarf besteht. Das Thema ist von der Presse insgesamt sehr gut aufgenommen worden, sodass die Öffentlichkeit durch verschiedene Medien informiert wurde. Zudem bot die von uns initiierte Podiumsdiskussion mit vier Bundestagsabgeordneten unter der Schirmherrschaft des Patientenbeauftragten der Bundesregierung Stefan Schwartze MdB (SPD) eine hervorragende Plattform für den Austausch zwischen Wissenschaft und Politik. Wir diskutierten mit Nezahat Baradari (SPD), Ates Gürpinar (Die Linke), Lars Lindemann (FDP) und Johannes Wagner (B90/Die Grünen) die unbefriedigende Situation der Mangelernährung in Kliniken, aber auch in der ambulanten Versorgung. Dies ist auch dank der souveränen Moderation von Lisa Braun aus der Presseagentur Gesundheit sehr gut gelungen.

Können Sie ein paar Beispiele aus der politischen Diskussion wiedergeben?

Sehr gerne. Beispielsweise forderte Frau Baradari, insbesondere im ländlichen Raum bessere Strukturen in der ernährungsmedizinischen Versorgung zu schaffen und die Prävention zu stärken. Johannes Wagner sprach sich dafür aus, das üblicherweise bei onkologischen PatientInnen durchgeführte Ernährungsscreening auch auf andere Bereiche auszuweiten. Herr Gürpinar mahnte seine Mitparlamentarier, dass jetzt eine politische Entscheidung für ein verpflichtendes Screening auf Mangelernährung überfällig wäre, nachdem alle Fakten im Gesundheitsausschuss schon im Juni beim Expertengespräch diskutiert worden wären. Dass es nicht immer nur eine Frage des Geldes, sondern auch der Prioritäten und des Engagements Einzelner sei, Mangelernährung zu bekämpfen, betonte Lars Lindemann. Wie gut dies gelingen kann, zeigte dann Dr. Thomas Voß, Kaufmännischer Direktor der LWL Kliniken Münster und Lengerich. Er setzt sich seit Jahren erfolgreich für eine bessere Verpflegung von PatientInnen ein und erreicht mit einem überdurchschnittlichen Einsatz von mehr als 7 € pro Person und Tag für die Verpflegung im Krankenhaus nicht nur zufriedene PatientInnen, sondern auch eine individuell zugeschnittene Ernährungsversorgung. Leider trifft dieses Erfolgsmodell bisher nur auf wenige Kliniken in Deutschland zu. Welche Auswirkungen eine Mangelernährung hat und warum dringender Handlungsbedarf besteht, betonte Karin Kastrati, die Patientenvertreterin des Nierenkrebs Netzwerk Deutschland e.V. mit ihrer Aussage „Jeder 4. onkologische Patient stirbt an den Folgen der Mangelernährung und nicht an Krebs!“. Auch Frau Prof. Diana Rubin, Chefärztin des Vivantes Klinikum Spandau, forderte ein bessere Ernährungsversorgung: „Es ist ein Skandal, wenn einem Patienten die Bauchspeicheldrüse entfernt wird und der Betroffene nie eine Ernährungstherapie erhält!“ Zusammenfassend kann ich sagen, dass alle DiskutantInnen, auch der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft Dr. Gerald Gaß, übereinstimmten, dass es dringenden Handlungsbedarf gibt [Abb. 1] [2] [3]

Welche Forderungen haben Sie konkret an die Politik gestellt?

Wir haben darauf hingewiesen, dass Ernährungsfürsorge ein Menschenrecht ist! Wir fordern - auch im Namen der MAW- Kooperationspartner - ein systematisches Screening auf Mangelernährung in allen Patientengruppen und eine im Qualitätsmanagement verankerte Ernährungskompetenz. Zugleich muss dies vom DRG-System abgebildet und entsprechend vergütet werden. Eine Verankerung im Gesetz ist dringend erforderlich. Dies habe ich auch auf der Pressekonferenz zusammen mit Dr. Nicole Erickson, (Anm. d. Red: Wissenschaftliche Koordinatorin des interdisziplinären Zentrums für Diätetik und Ernährungsmedizin, IZDE), gefordert.

Sehen Sie eine realistische Chance, dass Ihre Forderungen auch gesetzlich verankert werden?

Mir ist klar, dass die Krankenhausreform derzeit vor extremen Herausforderungen steht. Aber natürlich hoffen wir, dass unsere Forderungen hinsichtlich einer Verbesserung der Ernährungsversorgung in Kliniken auf fruchtbaren Boden fallen und letztendlich gesetzlich verankert werden. Denn es liegt ja in unser aller Interesse, nicht nur persönliches Leid zu lindern, sondern auch langfristig Kosten im Gesundheitssystem zu senken. Und das wäre ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung.

Was hat Ihnen bei der MAW besonders gut gefallen?

Wir haben mit der MAW in Deutschland eine wirklich gelungene Kooperation verschiedener Fachgesellschaften praktiziert. Dazu zählen BDEM, DAEM, DGG, DKG, VDD, VDOE, Nierenkrebs-Netzwerk Deutschland e.V. und Culinary Medicine Deutschland, mit denen wir dasselbe Ziel verfolgen. Außerdem haben wir mit der Aktionswoche an bestehende internationale Aktivitäten von ESPEN und ONCA angeknüpft. Auch die WHO in Europa sieht die Problematik der unzureichenden Ernährungsversorgung und fordert eine bessere Ernährungsversorgung im Krankenhaus. Besonders gut hat mir auch die Vielfalt der Angebote gefallen. Es gab nicht nur online verschiedene Möglichkeiten, sich zu informieren und auszutauschen – und zwar sowohl für Fachkräfte als auch für Interessierte und Betroffene. Kliniken vor Ort haben ebenfalls aktiv mitgewirkt und PatientInnen miteinbezogen. Dafür waren auch die verschiedenen Medien einschließlich der Website, die wir entwickelt haben, sehr hilfreich. Da möchte ich der DGEM-Geschäftsstelle und allen Beteiligten für ihren immensen Einsatz in den letzten Wochen vor der Veranstaltung ganz herzlich danken! Alle Beteiligten waren sich einig, die MAW im nächsten Jahr zu wiederholen.

Herr Prof. Pirlich, vielen Dank für das Gespräch!



Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
23. Februar 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany