Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/a-2179-7851
Für Sie gelesen: Aktuelle Studien
Al-Wandi MSI, Baumgardt J, Jäckel D et al. Langzeitevaluation der Implementierung des Safewards-Modells – Ergebnisse einer Follow-Up-Erhebung unter Patient*innen und Mitarbeitenden der Akutpsychiatrie. Psychiatrische Praxis 2023; 50 (2): 98–102. doi: 10.1055/a-1961-1486
Hintergrund: Während akutpsychiatrischer Behandlungen kommt es immer wieder zu Aggressionsereignissen und damit einhergehend oft zu Zwangsmaßnahmen in Form von freiheitseinschränkenden Maßnahmen (FEM). Das Safewards-Modell (SM) beinhaltet 10 Strategien, mit dem Ziel, FEM zu vermeiden. Hierzu gibt es erste empirische Belege, die positive Effekte zeigen. Wie langfristig sich diese Effekte in der Akutpsychiatrie auswirken, wurde im deutschen Sprachraum bisher noch nicht untersucht.
Methode: Auf zwei geschützten akutpsychiatrischen Stationen wurde das SM unmittelbar vor (t0) und nach (t1) der Implementierung evaluiert. 15 Monate nach Implementierungsende fand eine Follow-Up-Erhebung statt (t2). Es fanden drei unterschiedliche Erhebungen statt: 1) Befragung von Mitarbeitenden und Patient*innen zum Stationsklima mittels des Essen Climate Evaluation Schema (EssenCES-D); gemessen wurde das Globale Stationsklima (GS) anhand der Subkonstrukte Therapeutischer Halt (TH), Zusammenhalt der Patienten*innen (ZP) und Sicherheitserleben (SE) 2) Erfassung der Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden anhand der Globaleinschätzung von Neuberger und Allerbeck 3) Erfassung der Anzahl von FEM anhand klinikinterner Daten.
Ergebnisse: Aus Sicht der Mitarbeitenden (nt0 = 40; nt2 = 41) haben sich der TH (p = 0,001), das GS (p = 0,002) und der ZP (p = 0,034) signifikant verändert. Darüber hinaus zeigten sich bei der Messung der anderen Subkonstrukte zum Stationsklima keine signifikanten Veränderungen. Die Arbeitszufriedenheit lag bei beiden Zeitpunkten der Messung unverändert im oberen Bereich. Während auf Station A im Verhältnis zu allen behandelten Patient*innen der Anteil derer, die von FEM betroffenen waren, von t0 zu t2 sank, konnten auf Station B diesbezüglich keine signifikanten Unterschiede festgestellt werden.
Fazit: Die Ergebnisse der Studie legen den Schluss nahe, dass die Implementierung des SM nachhaltig zu einem verbesserten Stationsklima und darüber hinaus auch langfristig zu einer Reduktion von FEM beitragen kann. Zukünftige Studien zur Implementierung des SM sollten sowohl quantitative als auch qualitative Forschungsansätze berücksichtigen.
Gitte Herwig
Bausch-Becker N, Brackmann N, Sternemann U et al. Welches Behandlungssetting ist für stationäre forensische Patienten im Alter ≥ 60 Jahre geeignet? Eine systematische Analyse der Literatur. Psychiatrische Praxis 2023; 50 (6): 293–298. doi: 10.1055/a-2089-1190
Hintergrund: Die Autor*innen setzten sich mit der Frage nach passenden Behandlungssettings für ältere forensische Patienten ab 60 Jahren auseinander, da sie einen Mangel an verlässlichen Daten in der vorhandener Literatur zum Thema sahen. Ein möglicher Handlungsbedarf entsteht aufgrund des demografischen Wandels, der auch Patienten in forensischen Settings betrifft. Auch gerichtlich untergebrachte Personen werden immer älter, so verdreifachte sich zwischen 1995 und 2017 der Anteil älterer forensischer Patient*innen in Großbritannien und Europa (beispielsweise in Italien oder Deutschland). In diesem Zusammenhang stehen die Institutionen beispielsweise vor der Herausforderung, dem erhöhten Pflege- und Betreuungsaufwand der Patient*innen gerecht zu werden. In der vorliegenden Studie wurde daher untersucht, welche Informationen über ältere forensische Patient*innen im stationären Vollzug in der Forschungsliteratur vorliegen. Zielsetzung war, demografische, psychiatrische und somatische Besonderheiten zu klären, um die Frage nach einem geeigneten Behandlungsrahmen für die fokussierte Zielgruppe zu beantworten.
Methode: Es wurde eine systematische Literaturrecherche in den vier Fachdatenbanken PsycInfo, Medline, Embase und Web of Science mit den Stichwörtern elderly offender/perpetrator, aged, mental disorder, forensic treatment und forensic psychiatry durchgeführt. Eingeschlossen wurden Artikel, die bis November 2022 veröffentlicht wurden. Weitere Einschlusskriterien waren unter anderem: empirischer Studienansatz (= systematische Erhebung, Auswertung und Interpretation von Daten), Altersgrenze der Patienten ≥ 60 Jahre und stationäre forensische Behandlung.
Ergebnisse: Es konnten 744 Artikel (PsycInfo: 16, Pubmed: 630, Embase: 79, Web of Science: 19) gefunden werden, letztlich verblieben durch ein mehrstufiges, systematisches Auswahlverfahren fünf Artikel in der Studie. Auf der Datengrundlage konnten fünf, für die Forschungsfrage relevante, Themenbereiche eruiert werden: Demografie, Indexdelikte und ältere Ersttäter, psychische Erkrankungen, körperliche Erkrankungen und stationäre forensische Behandlungssettings.
Fazit/Ausblick: Auf der Grundlage der ausgewerteten Studienergebnisse konnte die Frage nach einer geeigneten Behandlungsumgebung für ältere forensisch untergebrachte Patient*innen wissenschaftlich nicht eindeutig beantwortet werden, daher besteht weiterer Forschungsbedarf. Eine Zunahme an forensischen Patent*innen ist aufgrund des demografischen Wandels zu erwarten. Daher wird empfohlen, dass die Institutionen personelle und bauliche Anpassungen in Erwägung ziehen, um dem zukünftigen Versorgungsbedarf der älteren Patienten gerecht zu werden. Zudem sollten die Mitarbeitenden über alterspsychiatrische Fachkenntnisse verfügen.
Gitte Herwig
Publication History
Article published online:
25 January 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
© Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany