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DOI: 10.1055/a-2183-0112
Klimawandel geht uns alle an – und warum uns Fußball dabei helfen kann
Wenn renommierte Wissenschaftler in 200 medizinischen Fachjournals die WHO (vermutlich ohne das gewünschte Ziel direkt zu erreichen) auffordern, die Erwärmung zu einer globalen Bedrohung zu erklären, richtet sich der Appell auch an uns, die Vertreter der Fachdisziplinen Krankenhaushygiene, Infektiologie und Medizinischen Mikrobiologie. Wir dürfen uns angesprochen fühlen, die Herausforderungen der kommenden Jahre aktiv wahrzunehmen und zu prüfen, was jetzt zu tun ist, um bereits in naher Zukunft besser aufgestellt zu sein. Die vielfältigen und komplexen Konsequenzen des Klimawandels werden keine Bereiche des Gesundheitswesens aussparen, aber möglicherweise die unsrigen noch stärker betreffen:
Veränderte Umweltbedingungen mit über längere Zeit stabil warmen Temperaturen schaffen für einige Mücken und Zecken, die als Vektoren von Infektionserregern in Frage kommen, passagere bis dauerhafte Überlebenschancen in davon zuvor nicht betroffenen Gegenden. Durch deren Ausbreitung in neue geografische Regionen der Welt, kann sich die globale und regionale Infektionsepidemiologie grundlegend verändern.
Höhere Temperaturen und veränderte Niederschlagsmengen werden die geografischen Verbreitungsgebiete von altbekannten wie neuen Krankheitserregern beeinflussen und deren Exposition gegenüber Mensch und Tier verändern. Die zeitliche Manifestation von Infektionskrankheiten folgt den Veränderungen der Jahreszeiten und Klimamuster: Infektionskrankheiten können zu unerwarteten Zeiten in neuer saisonaler Periodizität auftreten.
Wetterextreme in allen Ausprägungen, von Trockenheit bis Überschwemmungen, bedrohen die wertvolle Sicherheit unserer Wasserversorgung als elementares Fundament stabiler Gesundheitskonditionen. Es wird eine wichtige Aufgabe sein, auf diese Veränderungen zum einen frühzeitig und adäquat zu reagieren, zum anderen eine nachhaltige Stabilität sicherzustellen, um den unschätzbaren Wert der Versorgung mit sauberem Wasser bewahren zu können.
Die bedrohte Ernährungssicherheit geht mit ungünstigen Auswirkungen auf die Immunleistung vieler Individuen einher und kann zu einer Zunahme bislang ungewöhnlicher Infektionskrankheiten führen.
Zahlreiche Fachdisziplinen sind bereits mit den direkten und indirekten Folgen des Klimawandels konfrontiert und davon betroffen: Herz-Kreislauferkrankungen, Lungenerkrankungen selbst Allergien drohen über die Veränderungen der Umweltbedingungen sowie der Zusammensetzung des tierischen und pflanzlichen Lebens häufiger aufzutreten.
Wir sehen bereits jetzt in Deutschland eine Zunahme von Infektionskrankheiten, die in der Vergangenheit mit anderen geografischen Regionen der Welt assoziiert waren. Ob es sich um Wundinfektionen durch Vibrio vulnificus in wärmeren Uferwassern oder autochtone Fälle von West-Nile-Virus-Infektionen in Deutschland handelt oder wir feststellen müssen, dass sich die asiatische Tigermücke (Aedes albopictus) – mit hoher Vektorkapazität für Krankheitserreger wie Dengue-, Chikungunya- und Gelbfieberviren – in einigen Regionen stabil zu etablieren beginnt: Veränderungen haben uns in Deutschland längst erreicht.
Zwar hat in der vergangenen Pandemie eine leistungsfähige Infektiologie, Krankenhaushygiene und infektionsmedizinische Diagnostik eine breite Akzeptanz erfahren, aber verbale und mentale Anerkennung garantiert keine langfristige Leistungsfähigkeit. Diese Strukturen müssen für die alltäglichen Herausforderungen der nächsten Jahre und Jahrzehnte nicht nur quantitativ belastbar bleiben, sondern gegenüber neuartigen Fragestellungen inhaltlich vorbereitet sein.
Der Stellenwert dieser Disziplinen wird zunehmen und diesem Umstand muss an mehreren Stellen Rechnung getragen werden: in der Ausbildung der Studierenden, auch als Element zur Sicherung des dünnen medizinischen Nachwuchses in unseren Fächern. Was wäre eine effektive Infektiologie, was eine moderne Krankenhaushygiene ohne zeitgemäße und effektive Erregerdiagnostik? Die modernen Ansprüche an diese Fächer erfordern flexible Strukturen und einen innovativen Geist. Die Fächer müssen an Attraktivität für junge, offene und interessierte Mediziner gewinnen: Was motiviert mehr als der lebendige Erfahrungsschatz der aktuellen Generation mit daraus resultierenden, als praxisnah überzeugenden, wirksamen Konzepten? Selbstverständlich gelten diese Überlegungen gleichermaßen für arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen, die ebenfalls Charme besitzen dürfen … Unsere Fort- und Weiterbildungsangebote für tätige Kollegen müssen an aktuelle Herausforderungen angepasst werden: Das Spektrum der Differentialdiagnostik wie auch die klinische Expertise werden von den Veränderungen des Klimawandels strapaziert werden. Verdachtsdiagnosen, die vor wenigen Jahren als tropenmedizinische Kolibris bewertet wurde, rücken in den engeren Kreis wahrscheinlicher Differenzialdiagnosen und erfordern spätestens im Verdachtsfall alltagstaugliche infektionsmedizinische wie auch krankenhaushygienische Konzepte.
Selbst wenn die WHO der Aufforderung der zahlreichen wissenschaftlichen Kollegen (zunächst) nicht folgt, heißt das nicht, dass der Wandel weniger relevant sei oder durch Abwarten relativiert werden könne: beherztes Umdenken im eigenen privaten wie auch beruflichen Umfeld ist wichtig und gut.
Was aber hat das nun mit Fußball zu tun?
Es sei vorweggestellt, dass hier weniger die negativen Auswirkungen überdimensionierter Fußball-Events auf die Klimabilanz herangezogen oder thematisiert werden sollen.
Ich möchte vielmehr angesichts der gewaltigen Aufgaben, die uns durch den Klimawandel erwarten, eine motivierende Publikation [1] empfehlen und damit einige, vielleicht sogar mutmachende Gedanken aus der Perspektive eines Fußballfans in den eben diskutierten Kontext übertragen. Deren Autor, Gonazalo Bearman, der als Infektiologie und Krankenhaushygieniker an der Virginia Commonwealth University (USA) arbeitet, stellt in sehr unterhaltsamer Art erfolgversprechende und Resilienz-fördernde Prinzipien aus der Welt einzelner Fußballgrößen – sowohl Spieler als auch Trainer und Manager – vor, die auch in der Medizin, ganz besonders im Fach der Krankenhaushygiene nützlich sein können: Das ehrenwerte Ziel der Infektionsprävention, dem Patienten durch Medizin nicht zu schaden, kann von niemandem ernstlich in Frage gestellt werden, dennoch werden die Möglichkeiten der Umsetzung mit unterschiedlich überzeugender Konsequenz gelebt. Das Ziel trotz wiederholter Misserfolge nicht aus den Augen zu verlieren und diesem treu zu bleiben, ist vergleichbar mit der Motivation eines Fußballteams, nach einem verlorenen Spiel erneut anzutreten.
Große Ziele sind oft mit anstrengenden Wegen verknüpft und der Wert des Ziels bestimmt die vorhandene Ausdauer mit. Die Energie und Überzeugungskraft, mit der die Größen des Fußballs imponieren, dürfen in der (infektions-)medizinischen Welt Beachtung und Nachahmung finden. Beide Bereiche sind von großen Zielen bestimmt, für niemanden existiert eine Erfolgsgarantie (schon gar nicht über Nacht) und dennoch ist Erfolg (sogar mit gelegentlichem Spaßfaktor) möglich. „I start early and I stay late, day after day, year after year. It took me 17 years and 114 days to become an overnight success.“ (Lionel Messi, mehrmaliger FIFA-Welt-Fußballspieler des Jahres, Argentinien)
Die Welt des Fußballs ist von mitreißender Motivation, von Teamarbeit wie von individuellen Stärken einzelnen geprägt, die selbst mich, der ich nicht besonders fußballaffin bin, und meine Haut „zum Kribbeln“ bringen. Diese Elemente können in unserem beruflichen Kontext mindestens genauso hilfreich sein. Möglicherweise kann es als gute Nachricht verstanden werden, dass unsere Arbeitsplätze als sicher gelten können, weil uns die Arbeit mit abwechslungsreichen Herausforderungen nicht ausgehen wird, die wir mit der Stärke eines Teams im Rücken noch besser meistern werden: „It‘s hard to beat somebody that never gives up“ (Megan Rapinoe, ein Welt-Superstar im Fußball der Frauen).
Ich wünsche Ihnen, diesen inspirierenden und unterhaltsamen Ratgeber aus Sicht eines Fußballfans nutzen zu können, das infektionsmedizinische Tun eines jeden Tages mit der überzeugenden Lebendigkeit zu füllen, die weitere Kollegen für unser Fach zu begeistern vermag.
Ihr
Thomas Schwanz
Publication History
Article published online:
27 November 2023
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Georg Thieme Verlag KG
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Literatur
- 1 Bearmann G. Leadership in healthcare epidemiology, antimicrobial stewardship, and medicine: A soccer enthusiast’s perspective. Infection Control & Hospital Epidemiology 2023; 44: 171-174 DOI: 10.1017/ice.2022.221.