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DOI: 10.1055/a-2189-3088
Zerstörte Insulinversorgung im Gaza-Streifen
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Täglich erreichen uns neue Nachrichten aus dem Kriegsgebiet in Israel, viele Nachrichten sind nicht überprüfbar, aber es ist offensichtlich, dass sich eine bisher nicht dagewesene humanitäre Krise abzeichnet. Gleichzeitig erleben wir, dass die Diskussion über den Krieg und die Gesamtsituation, die zu dem Krieg geführt hat, vergiftet ist und antisemitische und antipalästinensische Narrative salonfähig werden. Fakt ist, dass eine Terrororganisation an Menschen in Israel einen Terroranschlag verübt hat und dass jetzt ein demokratischer Staat mit westlichen Werten darauf reagiert – für mich setzt das den Kontext.
In Gaza leben etwa 320 000 Menschen mit Diabetes mellitus, etwa 15 000 Typ-1-Diabetiker, davon etwa 5 000 Kinder. Seit November 2022 vertrete ich als President-elect der Internationalen Diabetes-Federation alle Menschen mit Diabetes weltweit. In dieser Funktion hatte ich im Mai die Chance, auf Einladung der israelischen und der palästinensischen Diabetes-Gesellschaft sowohl in Israel als auch in den Palästinensergebieten Diabeteseinrichtungen zu besuchen. Die israelische und die palästinensische Diabetesgesellschaft sind beide gleichberechtigte IDF-Mitgliedsorganisationen. In der Diabeteseinrichtung im Shifa Krankenhaus wurden 583 Kinder mit Typ-1-Diabetes in Gaza geschult, behandelt und versorgt. Dort fand ich einen vergleichbaren Schulungsstandard wie in Deutschland vor. Die Diabetesteams haben sehr gute medizinische und wissenschaftliche Arbeit geleistet. Es gab Sensoren, es gab Insulinpumpen, AID-Systeme, viele unterschiedliche Insuline. Die Praxis der Versorgung beinhaltete aber, dass die Kinder einmal in der Woche in das Diabetes-Zentrum kamen, um sich ihr Insulin abzuholen. Jeder kann sich vorstellen, dass die Zerstörung der Infrastruktur im Gaza-Streifen die Versorgungsketten zusammenbrechen lassen hat, zum Abbruch der Versorgung mit Insulin führte und damit möglichem Tod vieler Kinder mit Typ-1-Diabetes. Die WHO hat eine Liste der am dringendsten in Gaza benötigten Medikamente zusammengestellt. Auf Platz 1 dieser Liste steht Insulin. Zusammen mit den Vereinten Nationen und der WHO haben wir in den letzten Wochen versucht, konkret Hilfe zu leisten. Mithilfe von Diabetes Palestine, dem Ägyptischen Roten Kreuz, Direct Relief und der UNRWA, als auch Insulin for a Child und Insulin for Life haben wir es geschafft, Insulin bereitzustellen, das an der Grenze nach Gaza gekühlt wartet, um viele tausend Menschen mit Diabetes zu versorgen. Seit vielen Tagen warten wir auf die Freigabe, dass das Insulin nach Gaza geschafft werden kann.
Nun darf man diese Situation nicht singulär betrachten. Die Hamas hat am 7. Oktober ein Massaker an Juden durchgeführt. Die Hamas ist eine Terrororganisation und muss für das, was sie getan hat, bekämpft und nach geltendem Recht bestraft werden. Die Hamas führt keinen Krieg, sondern folgt einer antisemitischen Ideologie, die keinen Platz in einer modernen demokratischen Welt hat. Es ist wichtig, dass wir gegen Antisemitismus, unabhängig davon, wo er auftritt, eintreten. Es gibt eine Initiative von deutschen und jüdischen Ärzten in Deutschland und Israel, die gemeinsam aus der Ärzteschaft heraus gegen Antisemitismus eintreten, die Freilassung der Geiseln fordern und ihren Beitrag leisten wollen, dass nach dem Krieg ein neues Israel entsteht. Wir sollten uns als Ärzte von Antisemitismus in jeglicher Form distanzieren und dagegen auftreten. Ärztinnen und Ärzte gegen Antisemitismus (ae.gg.antisemitismus@gmail.com; http://openpetition.de/!cbtjj).
Es ist nachzuvollziehen, dass Israel zusammensteht und aufgrund des Schocks mit aller Härte reagieren will. Die Tatsache aber, dass Menschen mit Diabetes nicht mehr versorgt werden können, erfüllt mich mit großer Betroffenheit, da hier Kinder mit einer chronischen Erkrankung, die mit wenigen Mitteln behandelbar ist, als Kollateralschäden in einem Krieg, für den sie nicht verantwortlich sind, sterben. Wir als Ärzte sollten uns auch stark dafür machen, dass demokratische Staaten humanitäre Katastrophen wie in Gaza verhindern.
Publication History
Article published online:
07 December 2023
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Georg Thieme Verlag KG
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