Pneumologie 2024; 78(04): 233-235
DOI: 10.1055/a-2227-3775
Positionspapier

Kriterien für die Behandlung von thoraxonkologischen Erkrankungen als stationäre Leistung bei Erwachsenen [*]

Criteria for inpatient diagnostic and treatment of patients with lung cancer, mesothelioma or thymoma
Nikolaj Frost
1   Charité Universitätsmedizin Berlin, Fächerverbund für Infektiologie, Pneumologie und Intensivmedizin, Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin, Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Intensivmedizin mit dem Arbeitsbereich Schlafmedizin, Berlin, Deutschland
,
Claas Wesseler
2   Asklepios Klinikum Harburg, Klinik für Pneumologie, Hamburg, Deutschland
,
Bernhard Wörmann
3   Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie, Berlin, Deutschland
,
Wilfried Ernst Erich Eberhardt
4   Universitätsmedizin Essen, Ruhrlandklinik, Westdeutsches Tumorzentrum, Essen, Deutschland
› Author Affiliations
 

Allgemeine Anmerkungen

Lungenkarzinome sowie artverwandte Diagnosen wie Pleuramesotheliome und Thymusneoplasien stellen die zweithäufigste Krebsdiagnose in Deutschland dar, gehen für die Betroffenen mit erheblicher Morbidität und bei beiden Geschlechtern mit der höchsten Anzahl an krebsbedingten Todesfällen in Deutschland einher und stellen das Gesundheitswesen inzidenzbedingt vor große logistische wie finanzielle Herausforderungen. Prinzipiell können Teile der Diagnostik und Therapie ambulant durchgeführt werden.

In bestimmten Fällen kann es jedoch notwendig sein, entsprechende Leistungen (Bronchoskopie, Systemtherapie) als stationäre Leistung durchzuführen. Dies ist insbesondere der Fall, wenn weitere gravierende gesundheitliche Beeinträchtigungen vorliegen oder invasive Diagnostik und Therapien ein ausgedehntes Monitoring erfordern, die nur innerhalb der speziellen Möglichkeiten eines Krankenhauses zu bewältigen sind. Dies können Begleiterkrankungen sein, die zu einem erhöhten Risiko für Komplikationen führen, ein unmittelbares ärztliches Eingreifen erfordern oder die einen zusätzlichen pflegerischen Aufwand bedingen, der unter ambulanten Bedingungen nicht erbracht werden kann.

Auch die Notwendigkeit zur Durchführung von zusätzlichen Untersuchungen, die in direktem zeitlichem Zusammenhang mit der betreffenden Diagnose erbracht werden müssen (z. B. Bildgebung), kann eine Begründung sein. Zudem kann die Therapieapplikation einen stationären Aufenthalt durch die Dauer der Therapie oder die Risiken der Applikation begründen. Beispielhaft sei das Zytokin-Release-Syndrom bestimmter Antikörper genannt. Die DGP/DGHO gehen davon aus, dass bei den folgenden zusätzlichen Indikationen ein relevanter Grund gegeben ist, der einen vollstationären Aufenthalt begründet. Der aufgeführte Kriterienkatalog stellt jedoch keine abschließende Liste dar und kann im Verlauf ergänzt werden.


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Kriterienkatalog

Pulmonale Komorbiditäten

  • Einhergehend mit ventilatorischer oder respiratorischer Insuffizienz

    • chronische obstruktive Atemwegserkrankung mit chronisch-ventilatorischer Insuffizienz und nächtlicher Hypoventilation und Anwendung von Beatmungsverfahren

    • chronisch ventilatorische Insuffizienz mit pCO2 > 45 mm Hg[1] am Tage

    • alveoläre Hypoventilation mit nächtlicher Hyperkapnie, pCO2 > 45 mm Hg[1]

    • Obesitas-Hypoventilationssyndrom mit Anwendung von Beatmungsverfahren

    • BMI > 30 mit Anstieg des nächtlichen pCO2 > 45 mm Hg[1]

    • Atmungsregulationsstörung bei Opiatdauertherapie

    • vorbestehende Langzeit-Sauerstofftherapie mit subjektiver Atemnot

  • fortgeschrittenes Lungenemphysem

  • Erkrankungen mit erhöhtem Pneumothoraxrisiko

  • Pleuraerguss, ggf. mit Notwendigkeit zur zeitnahen Entlastung

  • Strahlenpneumonitis in der Vorgeschichte

  • jegliche pulmonale Vorerkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für ein capillary leakage einhergeht (mit Risiko der akuten respiratorischen Insuffizienz bspw. durch die Gabe bestimmter Zytostatika [Cisplatin, Docetaxel, Gemcitabin, Paclitaxel, Pemetrexed])

  • COVID-Infektion mit i. v. Behandlungsnotwendigkeit und unvorhersehbarem Verlauf unter weiterer Antitumortherapie

  • Tracheostoma, klinisch relevante Trachealstenose

    • Cave: ggf. muss eine unverzügliche intensivmedizinische Behandlung gewährleistet sein.


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Kardiale Komorbiditäten

  • akuter Myokardinfarkt innerhalb der letzten 4 Wochen

  • instabile Angina Pectoris

    • Cave: ggf. muss eine unverzügliche intensivmedizinische Behandlung gewährleistet sein.

  • manifeste Herzinsuffizienz im Stadium NYHA III oder IV, bzw. latente Herzinsuffizienz, die unter Hyperhydratation bei Cisplatingabe unkalkulierbar rasch manifest und symptomatisch werden kann

  • höhergradige Herzrhythmusstörung, wenn keine medikamentöse oder gerätetechnische Korrektur vorliegt

  • arterieller Hypertonus mit potenzieller Notwendigkeit zur akuten medikamentösen Anpassung unter laufender i. v. Therapie (Hyperhydratation)

  • pulmonaler Hypertonus

  • höhergradige Herzklappenvitien

  • Perikarderguss mit Gefahr der Perikardtamponade unter Volumengabe

  • Hinweise auf (immunvermittelte) Myokarditis


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Allgemeine Komorbiditäten

  • Pflegegrad 3 und höher

  • Schwerbehinderung mit Merkzeichen „H“ oder „BL“

  • Barthel-Index (nach Hamburger Manual) ≤ 60


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Sonstige Komorbiditäten

  • Diabetes mellitus mit symptomatischen nächtlichen Hypoglykämien und schwer einstellbarer Diabetes mellitus mit rez. Hyperglykämien

  • Diabetes mellitus und geplante höher dosierte Steroidgabe (Taxane, Pemetrexed, irAE unter laufender Immuntherapie mit Checkpointinhibitor)

  • endokrine Komplikationen und Therapienebenwirkungen, die eine engmaschigere Beobachtung unter laufender Behandlung benötigen (relevante Hypothyreose mit Komplikationen, relevante Hyperthyreose mit Komplikationen, Hyponatriämie-SIADH, Hyperkalzämie, Hypokalzämie, Hypophysitis, Diarrhö, grenzwertige Hepatitis, Cholangitis oder Pankreatitis)

  • zu optimierende kurzfristige Einstellung der Schmerztherapie (ossäre Schmerzen, neurologische Schmerzen)

  • residuelle Befunde von interkurrenten Infektionen, die einer weiteren i. v. Antibiose und Verlaufskontrolle bedürfen

  • Ileum-Conduit mit Komplikationsrisiko

  • Kolostoma mit Komplikationsrisiken

  • alle Einschränkungen für eine regelmäßige ambulante Vorstellungsmöglichkeit zur ambulanten Systemtherapie, bzw. unzureichende soziale Einbindung der Patienten, sodass zu Hause eine fehlende Überwachbarkeit ein Problem darstellt


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Neurologische Komorbiditäten

  • mit erheblichen Einschränkungen der ADL

    • Apoplexie mit persistierenden erheblichen Einschränkungen der Bewegungskoordination, Paresen oder Plegien

    • Morbus Parkinson im Stadium IV und V nach Hoehn und Yahr (schwere Behinderung oder Rollstuhl oder bettlägerig)

    • progrediente neuromuskuläre Erkrankungen

    • Post-Polio-Syndrom mit schweren Einschränkungen

  • medikamentös unzureichend eingestellte Epilepsie (persistierende Symptomatik bzw. nächtliche Krampfpotenziale)

  • Polyneuropathie mit Koordinationsstörungen

  • aktive, unbehandelte Hirnmetastasen (Kleinhirn, Hirnstamm, multiple Hirnmetastasen mit relevantem Ödemanteil und konsekutiven neurologischen Einschränkungen, Meningeosis carcinomatosa)


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Psychiatrische Komorbiditäten

  • schwere Formen von Schizophrenie, Borderline-Syndrom, Angst- oder Persönlichkeitsstörungen

  • mittel- oder schwergradige Intelligenzminderung mit erheblicher Beeinträchtigung der Kognition, Sprache, motorischer Fähigkeiten

  • Demenz mit Störung der Orientierung, Fluchtverhalten, Aggressivität

  • mittelschwere oder schwere Depression

  • Klaustrophobie


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Therapiebedingte Notwendigkeit zur stationären Aufnahme

  • alle notwendigen und überwachungspflichtigen i. v. Medikamente oder Supportivtherapien

  • intravenöse Cisplatingabe mit Hyperhydratation in Risikosituationen, die zu einem Abbruch der Therapie führen könnten oder bei denen die Dosisdichte der Therapie unter Abbruch abnehmen könnte und Kuration bzw. Effektivität der Behandlung reduziert werden

  • chronische Niereninsuffizienz, bei der alle Medikamentengaben adaptiert und modifiziert werden müssen

  • Patienten mit terminaler dialysepflichtiger Niereninsuffizienz

  • Patienten mit Zustand nach Organtransplantation mit engmaschiger Überwachungsnotwendigkeit von Medikamentengaben und Komplikationen mit Interventionsnotwendigkeit

  • Patienten mit höhergradigen allergischen Reaktionen in der Vorgeschichte (Grad 2–4)

  • Therapien mit dem Risiko eines Zytokinsturms = Cytokin-Releasing Syndrome (CRS)

  • bei kurativ intendierter Therapie mit eingeschätztem hohen Risiko der Therapieverzögerung und Minderung der Dosisintensität

  • simultane Radiochemotherapie

Erratum

Frost N et al. Positionspapier der DGP: Kriterien für die Behandlung von thoraxonkologischen Erkrankungen als stationäre Leistung bei Erwachsenen. Pneumologie 2024; DOI 10.1055/a-2227-3775
Im oben genannten Artikel wurden mehrere Ergänzungen von zusätzlichen Autoren hinzugefügt.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

* Erstellt durch die Sektion 11 Pneumologische Onkologie der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) sowie die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie (DGHO)


1 Arterielle und kapilläre Messungen sind als äquivalent zu berücksichtigen.



Korrespondenzadresse

PD Dr. med. Nikolaj Frost
Charité Universitätsmedizin Berlin
Fächerverbund für Infektiologie, Pneumologie und Intensivmedizin
Klinik für Infektiologie und Intensivmedizin
Klinik für Pneumologie, Beatmungsmedizin und Intensivmedizin mit dem Arbeitsbereich Schlafmedizin
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
Deutschland   

Publication History

Article published online:
04 January 2024

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