Aktuelle Urol 2024; 55(04): 286-288
DOI: 10.1055/a-2241-5950
Referiert und kommentiert

Kommentar zu: Augmented Reality unterstützt roboterassistierte Nierenchirurgie

Contributor(s):
Caelán Max Haney
1   Klinik und Poliklinik für Urologie, Universitätsklinikum Leipzig, Leipzig, Germany (Ringgold ID: RIN39066)
2   Intelligent Systms and Robotics in Urology (ISRU), DKFZ-Hector Krebsinstitut, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim
3   Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, Germany
,
Karl-Friedrich Kowalewski
2   Intelligent Systms and Robotics in Urology (ISRU), DKFZ-Hector Krebsinstitut, Universitätsmedizin Mannheim, Mannheim
3   Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ), Heidelberg, Germany
4   Klinik für Urologie und Urochirurgie, Universitätsklinikum Mannheim, Mannheim, Germany
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Nachdem die Urochirurgie in den letzten 20 Jahren durch den Einsatz der roboterassistierten Chirurgie revolutioniert wurde, wird derzeit intensiv an der Weiterentwicklung hin zur augmentierten Realität geforscht. Das Ziel der augmentierten Chirurgie besteht nicht darin, in einer vollständig virtuellen Umgebung (Virtual Reality) zu operieren, sondern vielmehr darin, die bereits vorhandene Umgebung mit zusätzlichen Informationen zu versehen, um die Ergebnisse der Operationen zu verbessern. Pieter de Backer et al. widmen sich in ihrer „Case Series of the Month“ in der im Juli 2023 veröffentlichten Ausgabe von European Urology insbesondere der intraoperativen Navigation. Speziell wird das Problem angegangen, dass bei der Überlagerung von dreidimensionalen (3D) Modellen die Instrumente nicht mehr sichtbar sind, was Chirurg*innen in der augmentierten Realität beeinträchtigt, da sie bei nicht sichtbaren Instrumenten während des 3D-Overlays nicht weiterarbeiten können.

Auf den ersten Blick mag das Problem als trivial erscheinen, jedoch ist ein hoher Aufwand notwendig, um es zu lösen. Initial muss ein neuronales Netzwerk trainiert werden, um die Instrumente zu erkennen. Für die Studie wurden 15.100 Einzelbilder aus Videoaufnahmen von roboterassistierten Eingriffen mit 37 verschiedenen Instrumentenklassen semantisch annotiert. Allein dies dauerte 1258 Stunden, was bei einer 42-Stunden-Arbeitswoche fast genau 30 Arbeitswochen entspricht. Nachdem dieser Datensatz erstellt wurde, konnte ein U-Net (eine Unterart der künstlichen neuronalen Netzwerke, welches auf Segmentierungsaufgaben spezialisiert ist) trainiert werden, um ausschließlich die Instrumente zu erkennen. Der anschließende Schritt der Implementierung in den OP-Saal beinhaltet zuerst eine Verarbeitung der Videodaten mit dem trainierten U-Net, sodass die Instrumente erkannt werden und dann ein selektives Overlay des 3D Modells über das Bild mit Aussparen der Instrumentregionen. Dieser zusätzliche Schritt führte zu einer zeitlichen Verzögerung von einer halben Sekunde. Die Gesamtleistung lässt sich sehr gut in einem der Publikation beigefügten Video beobachten. Hierbei ist dem Team um Dr. de Backer ein sichtbarer Erfolg gelungen.

Es gibt jedoch noch bedeutende Hürden für die augmentierte Realität in der Urochirurgie. Neben den technischen Herausforderungen (zeitliche Verzögerung, angemessenes Overlay, automatisierte 3D-Modelle, Integration in bestehende Systeme, Kosten) ist der Nachweis des klinischen Nutzens für die Chirurg*innen eine entscheidende Frage. Welche Patient*innen profitieren von einem intraoperativen 3D-Modell? Welche klinischen Vorteile sind zu erwarten? Kürzere Operationszeiten? Weniger Komplikationen? Zufriedenere Chirurgen? Eine steilere Lernkurve?

Um diese Fragen zu beantworten, wird aktuell die 3DPN-Studie unter Leitung des Universitätsklinikum Leipzig durchgeführt. Als randomisierte kontrollierte, multizentrische Studie soll sie untersuchen, ob die Erstellung eines 3D-Modells der Niere und des Nierentumors zu kürzeren Operationszeiten bei der partiellen Nephrektomie führt. Die Studie wird auch perioperative Endpunkte wie die Komplikationsrate, die warme Ischämiezeit, technische Unterschiede in der Operation, die Konversionsrate zur radikalen Nephrektomie und die Zufriedenheit der Operateure untersuchen. Sollten die Ergebnisse der 3DPN-Studie Aufschluss darüber geben, ob die 3D-Modellierung von Organen zu besseren Operationsergebnissen führt, werden wir sicherlich in Zukunft viele Studien wie die von de Backer sehen. Sehr wahrscheinlich wird die augmentierte Realität dabei nicht nur die Navigation betreffen, sondern auch Faktoren wir Oxygenierung, Perfusion und eine automatisierte Tumormarkierung beinhalten. Schlussendlich werden auch Systeme Einzug halten, die darauf auszielen werden, die Lernkurven zu verringern, indem KI-gesteuert Vorschläge gebracht werden, wie ein*e Experte*in in einer OP-Situationen fortfahren würde.

Während sicherlich keiner dieser Schritte so groß sein wird wie der Wechsel von der offenen zur klassisch laparoskopischen zur Roboter-assistierten Chirurgie, wird hoffentlich die Kumulation der verschiedenen Kleinschritte zu einer besseren Versorgung von Patient*innen führen.



Publication History

Article published online:
24 July 2024

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