Einleitung
Seit den ersten randomisiert kontrollierten Bewegungsstudien, die vor etwa 25 Jahren
mit onkologischen Patienten durchgeführt wurden, ist die Datenlage enorm
angewachsen. Eine vielzitierte Passage aus einem Übersichtsartikel schätzt die
Anzahl klinischer Studien auf etwa 700 [1]. Der
Artikel wurde vor 5 Jahren publiziert, daher kann angenommen werden, dass die Anzahl
der Studien inzwischen fast in den vierstelligen Bereich gestiegen ist. Im Rahmen
der S3-Leitlinie „Onkologische Bewegungstherapie“, die unter der Leitung von Prof.
Dr. Joachim Wiskemann und Prof. Dr. Freerk Baumann initiiert und geleitet wird,
wurden immerhin etwa 300 randomisiert-klinische Studien mit angemessener
Stichprobengröße (≥ 20 Teilnehmer pro Studienarm) identifiziert. Allen diesen
Studien ist gemeinsam, dass sie überwiegend krebsdiagnose- oder -therapiebedingte
Nebenwirkungen/Symptome als primäre Endpunkte definiert haben. Auch andere
Leitlinien und Konsensusstatements [2], [3] sowie bewährte Therapiekonzepte [4], [5] rücken
die Nebenwirkungsorientierung der onkologischen Bewegungstherapie in den Fokus.
Wenige Studien fokussieren sich bislang mit kausaler Intention auf die in
onkologisch-klinischen Studien meist im Mittelpunkt stehenden Parameter wie
Tumorprogression oder Überleben. Diese „Zurückhaltung“ kann auf mehrere Gründe
zurückgeführt werden, die einerseits in der Natur einer bewegungstherapeutischen
Intervention im Kontext eines RCTs liegen (einer Verblindung der Intervention ist
nicht möglich und eine Verbot an Bewegung in einer etwaigen Kontrollgruppe aus
ethischen Gründen nicht zulässig) und andererseits in dem enormen Ressourcenaufwand
für solche Studien liegen (hohe Fallzahlen und lange Beobachtungszeiträume vonnöten)
bei fehlender Lobbyindustrie im Hintergrund. Dennoch dürfen die wichtigen Parameter
zur prognostischen Wirkung von Bewegung nicht unangetastet oder gar zurückgehalten
werden gegenüber Klinikern, Kosten- und Entscheidungsträgern sowie Patienten.
Natürlich kann dieser kurze Überblick keine umfassende Darstellung der Studienlage
bieten. Dennoch soll versucht werden, eine Diskussion anzustoßen, die weitaus mehr
Aufmerksamkeit verdient, als sie bisher erhält.
Epidemiologische Daten
Mit allein etwa einer halben Million Neuerkrankungen in der Bundesrepublik (RKI) und
fast 20 Millionen weltweit [6] können
Krebserkrankungen berechtigterweise als epidemiologisches Schwergewicht bezeichnet
werden. Aufgrund dieser großen Zahlen gibt es auch zahlreiche epidemiologische
Studien, die sich mit den Zusammenhängen zwischen Bewegung, Erkrankungsrisiko,
Wiedererkrankungsrate und Sterblichkeit/Überleben beschäftigen.
Primärprävention
In ihrem umfangreichen „Review of Reviews“, in dem 45 systematische
Übersichtsarbeiten eingeschlossen wurden, fanden McTiernan et al. [7] eine deutliche Assoziation zwischen dem
Niveau der körperlichen Aktivität und dem Risiko für Krebserkrankungen, wobei
dieser Zusammenhang zwischen den unterschiedlichen Krebsarten deutlich
variierte. Die Daten zeigen beispielsweise, dass die körperlich aktivste Kohorte
ein um etwa 20% niedrigeres Brust-, Endometrium-, Lungen- und Darmkrebsrisiko
aufwiesen als die inaktive Vergleichsgruppe. Hinsichtlich des Schilddrüsen- und
Rektumkarzinoms konnten hingegen keine Assoziationen mit dem körperlichen
Aktivitätsniveau festgestellt werden. Diese Daten werden auch durch eine
Publikation des ‚American College of Sports Medicine (ACSM) Roundtable on
Exercise and Cancer‘ bestätigt [8]. Die
Autoren berichten, dass körperliche Aktivität bei neun von zehn untersuchten
Krebsarten (Darm, Brust, Niere, Blase, Gebärmutter, Speiseröhre, Magen, Lunge
und Leber) mit einem reduzierten Risiko assoziiert ist. Lediglich der Hautkrebs
(Melanom) wies bei der körperlich aktiven Kohorte ein um 27% (HR: 1.27, 95% KI:
1.16, 1.40) höheres Auftrittsrisiko auf. Die Autoren führen dies auf die erhöhte
Sonnenexposition von körperlich aktiven Menschen zurück und heben in diesem
Kontext die Notwendigkeit eines angemessenen Sonnenschutzes hervor.
Rezidivrisiko
Selbst wenn der Tumor besiegt wurde, verbleibt auch nach Abschluss der Therapie
ein Risiko für ein erneutes Auftreten des Tumors bestehen. Leider weisen diese
Rückfälle, auch Rezidive genannt, oft ein schlechteres Ansprechen auf die
Therapie und eine schlechtere Prognose im Vergleich zum ursprünglichen Tumor
auf. Auch hier zeigt die bewegungsepidemiologische Literatur interessante
Zusammenhänge mit dem Aktivitätsniveau. In ihrer Arbeit identifizierten Cormie
und Kollegen [9] neun Beobachtungsstudien, die
das Risiko für ein Rezidiv untersuchten. In vier dieser Studien konnte im
Vergleich zur körperlich inaktivsten Gruppe ein statistisch signifikant
niedrigeres Wiedererkrankungsrisiko seitens der körperlich Aktiven beobachtet
werden. Auch die verbleibenden fünf Studien zeigten ein ähnliches Bild,
lediglich das statistische Signifikanzniveau konnte nicht unterschritten werden.
Aufgrund der begrenzten Vergleichbarkeit der Studien verzichteten die Autoren
auf eine meta-analytische Betrachtung.
Mortalität
Auch in Bezug auf die Sterblichkeit zeigen sich klare Zusammenhänge mit dem
körperlichen Aktivitätsniveau. In der Publikation des ACSM Roundtables [8] konnten 23 Studien aus den Entitäten Brust-,
Darm- und Prostatakrebs identifiziert werden, in welchen das körperliche
Aktivitätsniveau nach Diagnose in Zusammenhang mit der Mortalität gesetzt wurde
und anhand von Meta-Analysen zusammengefasst wurde. Für alle drei Entitäten
konnten vergleichbare Assoziationen beobachtet werden. So wiesen die aktivsten
Kohorten eine um etwa 30% geringere krebsbedingte Sterblichkeit auf als ihre
inaktiven Peers. Hinsichtlich der allgemeinen Sterblichkeit fiel diese
Assoziation noch stärker aus und beträgt für den Darmkrebs 38%, für den
Brustkrebs 41% und für den Prostatakrebs sogar 45%. Neben diesen drei „großen“
Entitäten berichten die Autoren auch die Ergebnisse einzelner Kohortenstudien,
in welchen ebenfalls vergleichbar vielversprechende Zusammenhänge zwischen
Mortalität und körperlichem Aktivitätsniveau bei Non-Hodghkin-Lymphomen,
Hirntumoren, Speiseröhren- und Magenkarzinomen sowie in der Pädiatrischen
Onkologie berichtet werden. Ein weiteres umfassendes systematisches Review von
Friedenreich et al. [10] nahm sich ebenfalls
des Zusammenhangs zwischen körperlicher Aktivität und Mortalität an. Ebenso wie
oben, zeigte die körperliche Aktivität nach der Diagnose eine deutliche
Assoziation sowohl mit dem krebsspezifischen als auch dem allgemeinen Überleben.
Zusätzlich konnten die Autoren einen L-förmigen Dosis-Wirkungs-Zusammenhang
zwischen Umfang der körperlichen Aktivität und Risikoreduktion demonstrieren.
Dieser L-förmige Zusammenhang, wie er typisch für die Bewegungsepidemiologie
ist, bedeutet, dass gerade initial, d. h. der Wechsel von körperlicher
Inaktivität zu ein wenig körperlicher Aktivität, mit den größten Effekten
assoziiert ist und der inkrementelle Mehrwert von körperlicher Aktivität von
hier abnimmt, bis ein Plateau erreicht wird. Interessanterweise liegt der Knick,
an welchem eben dieses Plateau erreicht wird, zwischen 10 und 15 MET-h pro Woche
und deckt sich damit weitestgehend mit den Mindestaktivitätsempfehlungen der
Weltgesundheitsorganisation von 150 Minuten moderater körperlicher Aktivität pro
Woche [11].
MET – Metabolic Equivalent Tasks beschreibt eine Möglichkeit, körperliche
Aktivitäten anhand ihres Energieumsatzes zu operationalisieren. 1 MET
entspricht einer kcal pro Stunde pro kg Körpergewicht (kcal/(h*kg)). MET-h
(MET-Stunden) entsprechen demzufolge dem Energieaufwand durch körperliche
Aktivität pro kg Körpergewicht, welches die Personen in einem definierten
Zeitraum (hier pro Woche) durchgeführt haben.
In einer kürzlich publizierten Arbeit von Cariolou et al. [12] werden die hier gefundenen Ergebnisse
nochmals explizit für den Brustkrebs bestätigt. Die Autoren kommen zu
vergleichbaren Ergebnissen und identifizierten ebenfalls einen kurvilinearen
Dosis-Wirkungs-Zusammenhang zwischen körperlichem Aktivitätsniveau in MET-h pro
Woche und der Mortalität. In dem Modell lag der Knick, ab welchem der Mehrwert
von höheren Aktivitätsvolumina nur noch gering ausfällt, mit etwa 20 MET-h pro
Woche deutlich höher als oben.
Zwischenfazit
Daten aus Kohortenstudien, wie sie hier berichtet wurden, sind korrelativer
Natur. Das bedeutet, dass sie zwar Zusammenhänge aufzeigen, jedoch keine
Aussagen über die Ursache-Wirkungs-Richtung zulassen. Zum Beispiel könnte ein
aktiver Lebensstil noch mit anderen, gesundheitsprotektiven Faktoren assoziiert
sein, sodass die beobachteten Risikoreduktionen letztendlich auf andere
Variablen zurückgeführt werden können. Aus diesem Grund werden die statistischen
Modelle epidemiologischer Studien auf derartige Einflussvariablen (Confounders)
adjustiert, jedoch kann nie ausgeschlossen werden, dass wichtige Faktoren nicht
doch übersehen wurden. Darüber hinaus wird das körperliche Aktivitätsniveau in
Kohortenstudien oft nur mit einfachen und kurzen Instrumenten erfasst. Die
Erfassung der körperlichen Aktivität ist jedoch sehr komplex und mit vielen
Fehlerquellen behaftet, was die Verlässlichkeit der Ergebnisse zusätzlich
einschränkt. Darüber hinaus könnten auch Aktivitätslevel nach der
Diagnosestellung selbst ein Indikator für den Gesundheitsstatus der Betroffenen
sein, wonach Patienten mit schwererer Erkrankung und damit schlechterer Prognose
schlicht weniger aktiv sind als die aktiveren Peers und gar kein
Kausalzusammenhang zwischen körperlicher Aktivität und Mortalität besteht.
Diesem letztgenannten Aspekt kann jedoch entgegengesetzt werden, dass bereits
das Aktivitätsniveau vor der Diagnosestellung einen Zusammenhang mit der
Mortalität aufzeigt, der allerdings systematisch schwächer ausfällt als die
Aktivität nach der Diagnose. Auch in Anbetracht der Konsistenz der Daten liegt
jedoch die Schlussfolgerung, dass körperliche Aktivität direkte Auswirkungen auf
den Tumor und/oder die Therapie hat, relativ nahe. Die diskutierten
Kohortenstudien können in dieser Hinsicht jedoch nur als hypothesengenerierend
und nicht als hypothesenbestätigend angesehen werden. Dafür bedarf es
letztendlich experimenteller Designs, bei denen die Patienten zufällig
(randomisiert) den Bedingungen mindestens zweier Studienarme, normalerweise
einem Interventions- und einem Kontrollarm, zugeteilt werden.
Experimentalstudien
Durch die zufällige Zuweisung von Patienten zu Interventions- und Kontrollgruppen
können potenzielle Einflüsse von Störfaktoren kontrolliert und reduziert werden,
was die interne Validität erhöht und die Identifizierung von
Kausalzusammenhängen ermöglicht. Besonders bei harten Endpunkten wie der
Mortalität ist es wichtig, ein möglichst hohes Vertrauen in die Kausalität zu
gewährleisten. Daher sind auch in der Bewegungsonkologie Ergebnisse aus
randomisierten kontrollierten Studien (Randomized Controlled Trial – RCT) zu
diesen Endpunkten erforderlich.
Mortalität
Unseres Wissens wurden bislang keine Bewegungsstudien in der Onkologie
durchgeführt, in denen das Überleben als primärer Endpunkt definiert wurde.
Inzwischen gibt es allerdings erste Publikationen, in denen das Überleben im
Rahmen von Langzeitnachverfolgungen von RCTs nachvollzogen wurde. Acht
Publikationen dieser Art konnten Morishita und Kollegen [13] für ihre Übersichtsarbeit identifizieren.
In sieben der acht Publikationen (ausgenommen einer Arbeit [14]) konnte in den Interventionsgruppen
zumindest nominell eine Reduktion des Mortalitätsrisikos gegenüber den
Kontrollgruppen gezeigt werden. Lediglich eine dieser Studien erreichte jedoch
statistische Signifikanz [15]. Per Metaanalyse
konnte über alle Studien hinweg eine mittlere Risikoreduktion von 24% (HR: 0.76;
95% KI: 0.62, 0.93) gefunden werden.
Rezidivrisiko
Nach unserem Kenntnisstand liegen keine Bewegungsstudien vor, die das
Rezidivrisiko als primären Endpunkt definiert haben. In ihrer Übersichtsarbeit
konnten Morishita und Kollegen [13] lediglich
drei Studien einschließen, die das Rezidivrisiko zumindest in
Langzeitnachverfolgungen betrachteten. In zwei dieser Studien konnte sogar eine
statistisch signifikante Risikoreduktion beobachtet werden. Mithilfe einer
Metaanalyse konnte eine mittlere Risikoreduktion von 48% (HR: 0.52, 95% KI:
0.29, 0.92) geschätzt werden. Es ist jedoch wichtig, auf das breite
Konfidenzintervall hinzuweisen. Dies bedeutet, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit
eine Risikoreduktion angenommen werden kann, jedoch die Größe dieses Effekts
sehr ungewiss ist.
Zwischenfazit
Auch wenn die Daten zur Mortalität und dem Rezidivrisiko extrem vielversprechend
wirken, muss an dieser Stelle hervorgehoben werden, dass die Überlebensanalysen
initial nicht geplant und die Analysen dementsprechend nicht auf diese Endpunkte
gepowert wurden. Die hieraus resultierenden kleinen Fallzahlen und die
unterschiedlichen Entitäten, die in den Studien untersucht wurden, erschweren
eine Verallgemeinerung der Ergebnisse.
Wirkung auf Tumor und Wechselwirkung mit Chemotherapie
Körperliches Training könnte die Tumorprogression auf verschiedene Arten positiv
beeinflussen. Einerseits wäre eine direkte Beeinflussung des Tumors vorstellbar,
alternativ könnte das Training aber auch die Wirkung der medikamentösen Therapie
verstärken. Eine weitere nützliche Wechselwirkung mit der Tumortherapie läge
wiederum darin, dass Nebenwirkungen reduziert und Anpassungen der Tumortherapie
vermieden werden. Da bislang keine Humanstudien durchgeführt wurden, in denen
die Wirkung körperlichen Trainings auf den Tumor isoliert von der medikamentösen
Behandlung untersucht wurde und dies aus ethischen Gründen auch nicht vertretbar
wäre, können die ersten beiden potenziellen Mechanismen nicht differenziert
betrachtet werden. Für die praktische Relevanz ist dies jedoch ohnehin nur von
nachgeordnetem Interesse, da Bewegung nicht als Alternative, sondern als
Ergänzung zur medizinischen Therapie verstanden werden muss.
Wirkung von Training auf das Tumoransprechen
Es liegen bereits einige präklinische und sogar klinische Studien vor, welche die
Wirkung von körperlichem Training auf den Tumor untersuchten. In ihrer
Übersichtsarbeit berichten Yang und Kollegen [16] Daten aus 13 Studien, davon sechs Tiermodelle und sieben
Humanstudien. In den Tierstudien fand durchwegs vierarmige Designs Anwendung. Im
ersten Arm wurde nur Bewegung durchgeführt, im zweiten Arm nur die
Tumortherapie, im dritten Arm wurden Bewegung und Tumortherapie kombiniert und
im letzten, als Kontrolle dienenden Arm, wurden weder Bewegung noch Therapie
appliziert. In allen Studien zeigten die Interventionsarme eine Überlegenheit
gegenüber dem inaktiven Kontrollarm. In fünf der sechs Publikationen konnte eine
Verstärkung des Therapieeffekts beobachtet werden. Hierbei wurde in zwei
Modellen ein einfacher additiver Effekt gefunden, in den verbleibenden drei
Studien eine positive Interaktion, in welchen ein Effekt demonstriert werden
konnte, welcher über den additiven Effekt hinausreicht. Lediglich eine Arbeit
beobachtete eine Beeinträchtigung der medikamentösen Therapie durch Bewegung.
Bei den sieben eingeschlossenen Humanstudien handelte es sich um fünf RCTs und
zwei Studien, in denen eine nicht-randomisierte Vergleichsgruppe herangezogen
wurde. Vier der sieben Studien fanden parallel zur Chemotherapie statt, und
jeweils eine Studie während der Chemoradiotherapie bzw. Radiotherapie. Drei
Studien betrachteten die unmittelbare Wirkung auf den Tumor, zwei der Arbeiten
fanden in diesem Zusammenhang einen statistisch signifikanten positiven Effekt.
Einmal bei Rektumkarzinompatienten unter neoadjuvanter Radiochemotherapie [17] und einmal bei Brustkrebspatientinnen unter
adjuvanter Chemotherapie [18]. Die
verbleibenden Studien hatten das Rezidivrisiko und/oder das Überleben im Fokus
und wurden bereits in den Erläuterungen oben berücksichtigt.
Seit der Publikation der Arbeit von Yang et al. sind weitere Arbeiten zur
Thematik erschienen [19], [20]. Sanft et al. [19] untersuchten den Einfluss einer Lebensstilintervention auf das
neoadjuvante Tumoransprechen von Brustkrebspatienten. Konkret wurden 173
Brustkrebspatientinnen rekrutiert und zu gleichen Anteilen in eine
Interventions- (n=87) und eine Kontrollgruppe (n=86) randomisiert. Parallel zur
Chemotherapie führten die Patientinnen ein heimbasiertes kombiniertes Ausdauer-
(Walking) und progressives Krafttraining durch, mit dem Bewegungsziel, die
WHO-Empfehlungen von mind. 150 min moderater Intensität zur erfüllen. Daneben
wurden die Patientinnen angehalten, eine dem Healthy Eating Index entsprechende
Ernährung zu implementieren.
Von den initial 173 randomisierten Patientinnen erhielten jeweils 40 Patientinnen
der Interventionsgruppe und 32 Patientinnen der Kontrollgruppe eine neoadjuvante
Chemotherapie. Innerhalb dieser Subgruppen konnte seitens der
Interventionspatientinnen fast doppelt so häufig ein Komplettansprechen auf die
Chemotherapie beobachtet werden (53% vs. 28%, p=.037). Effekte von ähnlicher
Stärke konnten auch in der Arbeit von Zystra und Kollegen [20] gefunden werden (die Studie wurde bereits
ausführlich im JC in der B&G 3/23 vorgestellt [21]). In der nicht-randomisierten kontrollierten Studie wurden 40
Speiseröhrenkarzinompatienten eingeschlossen, wovon 21 Patienten eine
Bewegungsintervention erhielten. Die Zuordnung auf die beiden Gruppen erfolgte
anhand des Wohnortes, wobei die Autoren vorwegnehmen, dass historische Daten
keine systematischen Effekte der Geografie vermuten lassen. Durch die
Intervention, bestehend aus moderater aerober Aktivität, welche mit kleineren,
intensiven Bouts gespickt wurde, zeigte sich in der Interventionsgruppe ein etwa
doppelt so starkes Ansprechen des Tumors. Konkret zeigten 75% der
Interventionspatienten ein gutes bis moderates Ansprechen (Mandard Tumor
Regression Score Grade I–III), was bei lediglich 37% der Kontrollpatienten der
Fall war (p=.025). Hiervon zeigte etwa die Hälfte (35%) ein gutes Ansprechen
(Grade I–II), verglichen mit 5% in der Kontrollgruppe (p=.044). Sowohl für den
Brustkrebs [22] als auch das
Speiseröhrenkarzinom [23], [24] ist das Tumoransprechen direkt mit der
weiteren Prognose assoziiert.
Chemotherapy Completion Rate (CCR)
Obwohl die Chemotherapie dann am erfolgreichsten ist, wenn sie in geplanter Dosis
appliziert werden kann, muss sie aufgrund schwerer Nebenwirkungen häufig
modifiziert bzw. reduziert werden. Als CCR wird der relative Anteil der initial
geplanten Chemotherapiekummulativdosis bezeichnet, der tatsächlich verabreicht
wurde. Bland et al. [25] untersuchten in einer
systematischen Übersichtsarbeit die Wirkung körperlicher Aktivität auf die CCR.
Die Autoren konnten acht RCTs identifizieren, von denen sieben die Wirkung von
körperlichem Training auf die CCR betrachteten. In lediglich zwei der sieben
Publikationen konnte ein statistisch signifikanter Effekt auf die CCR beobachtet
werden. Von den verbleibenden sechs Studien zeigen vier Arbeiten einen zumindest
nominell günstigen Effekt. Interessant ist in diesem Kontext eine dreiarmige
Studie mit einem supervidierten Trainingsarm, einem Trainingsarm, in welchem die
Patienten ein unsupervidiertes Training zu Hause durchführten, und einer
inaktiven Kontrollgruppe [26]. Im
Gruppenvergleich lag der Anteil der Patienten, die eine Anpassung der
Therapiedosis bedurften, im heim-basierten Trainingsarm und der Kontrollgruppe
mit je 34% gleichauf. Im Gegensatz hierzu unterschied sich der supervidierte
Trainingsarm deutlich von den beiden anderen Gruppen. Bei lediglich 12% der
Patienten kam es zu einer Anpassung der Chemotherapiedosis. Diese Ergebnisse
werden durch mindestens zwei seitdem erschienene Studien ergänzt [19], [27]. In
der Arbeit von Mijwel und Kollegen wurden 240 Brustkrebspatientinnen in
ebenfalls drei Studienarme randomisiert. In den beiden Trainingsarmen wurden
jeweils Krafttraining oder konventionelles Ausdauertraining mit intensivem
Intervalltraining kombiniert. Der dritte Arm führte keine Bewegungsintervention
aus und diente als inaktive Kontrollgruppe. Zwischen den Gruppen konnte kein
Unterschied hinsichtlich der CCR beobachtet werden. Auch in der oben bereits
erwähnten Arbeit von Sanft et al. [19] wurde
kein Einfluss des Trainings auf die CCR, welche in der Studie zudem als primärer
Endpunkt geführt wurde, beobachtet.
Zwischenfazit
Körperliches Training könnte einen positiven Einfluss auf das Tumoransprechen und
die Wirksamkeit der Tumortherapie besitzen. Hierzu werden verschiedene
potenzielle Wirkmechanismen in der Literatur diskutiert. Einerseits wird bereits
durch eine akuten Bewegungsstimulus die Sekretion von Hormonen,
Wachstumsfaktoren und Zytokinen aus verschiedenen Organsystemen stimuliert sowie
die Tumorperfusion erhöht, wodurch ein tumorfeindliches Milieu geschaffen wird.
Durch regelmäßiges Training wird dieses Milieu gefestigt. Für eine ausführliche
Diskussion potenzieller Wirkmechanismen sei auf die Übersichtsarbeit von Koelwyn
et al. verwiesen [28].
Limitationen und Fazit
Wie initial bereits angesprochen, ist bei der Interpretation harter Endpunkte in der
vorliegenden bewegungswissenschaftlichen Literatur eine gewisse Vorsicht geboten.
Einerseits treffen hier jene Probleme zu, die bei Bewegungsstudien immer auftreten
und die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränken. So ist es kaum möglich,
Bewegungsstudien für Patienten und Therapeuten wirklich zu verblinden und Placebo
kontrollieren. Darüber hinaus muss immer mit einem Allokationsbias gerechnet werden.
Dies bedeutet, dass lediglich jene Personen an Bewegungsstudien teilnehmen, bei
denen bereits ein gewisses Interesse an körperlicher Aktivität vorliegt, was ggf.
mit anderen Faktoren assoziiert ist, welche den Effekt des Trainings auf klinische
Endpunkte moderiert. Darüber hinaus liegt den hier vorgestellten Übersichtsarbeiten
und Metaanalysen eine sehr heterogene Studienlage zugrunde. So unterscheiden sich
die Stichproben zwischen den Studien hinsichtlich Entitäten, Therapiestatus und
Staging. Verallgemeinerungen gestalten sich damit nur sehr schwer. Abseits der
betrachteten Patientenkollektive ist aber auch die Heterogenität der
Bewegungsinterventionen hervorzuheben. Es ist gut vorstellbar, dass
Belastungsnormativa wie Häufigkeit, Intensität, Dauer, aber auch die Art der
Bewegung und die Menge an rekrutierter Muskelmasse einen direkten physiologischen
Einfluss auf den Tumor und die Therapie besitzen. Die vorliegenden Daten lassen
diesbezüglich aber noch keine Aussagen zu und werfen eindeutige Fragen auf, die in
zukünftigen Studien adressiert werden sollten.
Trotz der gerechtfertigten Zurückhaltung und der genannten Limitationen muss jedoch
deutlich gemacht werden, dass Bewegung in keinem der betrachteten Outcomes mit einer
Verschlechterung assoziiert war. Dementsprechend kann hier ein bescheidenes, aber
insgesamt sehr optimistisches Fazit gezogen werden. Im ungünstigsten Fall bewirkt
die Bewegung bei den Patienten lediglich Verbesserungen in Lebensqualität und
körperlicher Funktionsfähigkeit sowie Reduktionen der Fatigue und anderer
Nebenwirkungen und hat nur einen zu vernachlässigenden Effekt auf die harten
Endpunkte. In Anbetracht der ersten Experimentaldaten und insbesondere, wie gut
diese mit den epidemiologischen Daten zusammenpassen, sowie die Tatsache, dass
hierzu auch mechanistische Erklärungen vorliegen, erscheint es jedoch sehr
unwahrscheinlich, dass Bewegung nicht auch den Tumor und die Wirkung der Therapie
positiv beeinflusst.