Rofo 2024; 196(10): 1029-1036
DOI: 10.1055/a-2254-5651
Review

Perivaskuläre Räume und wo sie zu finden sind – MR-Bildgebung und Auswertungsmethoden

Article in several languages: English | deutsch
Svea Seehafer
Clinic for Radiology and Neuroradiology, University Hospital Schleswig-Holstein – Campus Kiel, Germany
,
Clinic for Radiology and Neuroradiology, University Hospital Schleswig-Holstein – Campus Kiel, Germany
,
Schekeb Aludin
Clinic for Radiology and Neuroradiology, University Hospital Schleswig-Holstein – Campus Kiel, Germany
,
Olav Jansen
Clinic for Radiology and Neuroradiology, University Hospital Schleswig-Holstein – Campus Kiel, Germany
,
Lars-Patrick Andreas Schmill
Clinic for Radiology and Neuroradiology, University Hospital Schleswig-Holstein – Campus Kiel, Germany
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Hintergrund Perivaskuläre Räume (Synonym: Virchow-Robin-Räume) wurden erstmals vor bereits über 150 Jahren beschrieben. Sie sind definiert als der flüssigkeitsgefüllte Raum in Umgebung der kleinen penetrierenden zerebralen Gefäße. Zunehmendes wissenschaftliches Interesse erlangten sie insbesondere mit der Postulation des sogenannten glymphatischen Systems und ihrer möglichen Bedeutung bei neurodegenerativen und -inflammatorischen Erkrankungen.

Methoden Es erfolgte eine gezielte PubMed-Recherche mit Fokus auf Arbeiten zur MR-Bildgebung und Auswertung von perivaskulären Räumen. Eingeschlossen wurden Arbeiten zur humanen in-vivo Bildgebung. Insbesondere auf Arbeiten zur gesunden Bevölkerung wurde geachtet. Eine Zeitraumbegrenzung erfolgte nicht. Die Nomenklatur in der Literatur ist sehr heterogen. Häufig wird beispielsweise von „large“, „dilated“, „enlarged“ perivaskulären Räumen gesprochen, wobei Grenzen und Definitionen meist unklar sind. In der vorliegenden Arbeit wird daher allgemein die Bezeichnung „Perivaskuläre Räume“ verwendet.

Ergebnisse Der vorliegende Übersichtsartikel erörtert die MR-morphologischen Charakteristika perivaskulärer Räume in verschiedenen Sequenzen. Mit der sich stetig verbessernden Bildqualität können auch zunehmend kleinere Strukturen immer detaillierter visualisiert werden. Es werden sowohl die Methoden der visuellen Auswertung als auch der semi- oder vollautomatischen Segmentierung kurz erläutert.

Schlussfolgerung Perivaskuläre Räume sind in quasi jeder kraniellen MRT-Untersuchung sichtbar, wenn man ihnen Beachtung schenkt. Ihr physiologischer oder pathologischer Wert ist weiterhin wissenschaftlicher Diskussionsgegenstand.

Kernaussagen

  • Perivaskuläre Räume sind in quasi jeder kraniellen MRT-Bildgebung sichtbar, wenn man ihnen Beachtung schenkt.

  • Für die visuelle Auswertung eignen sich insbesondere T2-gewichtete Sequenzen. Zusätzliche Sequenzen können helfen, um sie von ihren Differenzialdiagnosen abzugrenzen.

  • Es gibt vielversprechende Ansätze für die semi- oder vollautomatische Segmentierung perivaskulärer Räume mit der Möglichkeit, weitere quantitative Parameter zu erheben.

Zitierweise

  • Seehafer S, Larsen N, Aludin S et al. Perivascular spaces and where to find them – MRI imaging and evaluation methods. Fortschr Röntgenstr 2024; 196: 1029 – 1036


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Einleitung und historischer Kontext

Die Bedeutung der perivaskulären Räume (perivascular spaces = PVS) rückte erst in jüngerer Vergangenheit zunehmend in den Fokus des klinischen und wissenschaftlichen Interesses. Beschrieben wurden die PVS jedoch schon vor über 150 Jahren. Erstmals beobachtet und erwähnt wurden sie 1843 vom französischen Mediziner Durand-Fardel in seinem Werk „Traité du ramollissement du cerveau“. Hier beschrieb er in einem Autopsiebericht einen „état criblé“ bestehend aus siebartigen kleinen Löchern im Gehirn, vor allem in der Weißen Substanz und im Corpus striatum [1] ([Abb. 1]). Die erstmalige Benennung als Virchow-Robin-Räume ging auf die beiden Pathologen Virchow und Robin zurück. Der deutsche Pathologe Virchow beschrieb 1851 in seinem Artikel „Ueber die Erweiterung kleinerer Gefäße“ einen Raum in der Gefäßwand zwischen Tunica intima/media und der Tunica adventitia und nannte ihn „disseziierende Ektasie“ [2]. Der französische Anatom Robin beschrieb 1859 in seiner Arbeit „Recherches sur quelques particularités de la structure des capillaires de l’encéphale“ einen geschlossenen Raum innerhalb der Tunica adventitia [3]. In beiden Veröffentlichungen wurden diese als nicht pathologische Befunde beschrieben. Die heutige Definition von PVS ist der flüssigkeitsgefüllte Raum in Umgebung der kleinen penetrierenden zerebralen Gefäße.

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Abb. 1 „état criblé“: axiale T2w-Sequenz mit multiplen erweiterten perivaskulären Räumen auf Höhe der Basalkerne.

Insbesondere in Verbindung mit dem Modell der zerebralen clearance durch das glial-lymphatische („glymphatische“) System [4] rückten die PVS schließlich immer mehr in den Fokus der wissenschaftlichen Aufmerksamkeit. Es wird vermutet, dass sie ein zentraler Bestandteil des Drainageweges des Zentralnervensystems und damit am Abtransport metabolischer Abfallprodukte beteiligt sind, womit auch postuliert wird, dass sie als Biomarker für Hirngesundheit und -krankheit dienen könnten. Speziell ein Zusammenhang mit neurodegenerativen Erkrankungen wie beispielsweise M. Alzheimer oder M. Parkinson wird vermutet. Die Magnetresonanztomografie (MRT) als nicht-invasive Bildgebung ermöglicht es, Komponenten des glymphatischen Systems wie die PVS in-vivo detailliert darzustellen. Idee und Ziel dieser Arbeit ist es daher, einen Überblick zur MR-Bildgebung der PVS zu bieten und verschiedene Methoden der Auswertung zusammenzufassen, um für die klinische Routine relevante Punkte herauszuarbeiten.


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MR-Bildgebung und PVS-Eigenschaften in verschiedenen Sequenzen

PVS können, insbesondere aufgrund der sich stetig verbessernden räumlichen Auflösung, die mit modernen Scannern erzielt werden kann, quasi in jedem kraniellen MRT in den Routine-Sequenzen abgegrenzt werden [5].

Insbesondere T2-gewichtete (T2w) TSE-Sequenzen bieten für die Visualisierung von PVS ein hohes Kontrast-Rausch-Verhältnis (contrast-to-noise ratio, CNR) [6]. Zusätzliche Sequenzen können die Unterscheidung zwischen PVS und ihren Differenzialdiagnosen zudem weiter erleichtern ([Tab. 1]). Im Bereich der Basalganglien (BG) verlaufen PVS entlang der lentikulostriären Gefäße, wobei eine Kontinuität zu den basalen Zisternen beobachtet werden konnte. Im Centrum semiovale (CSO) beginnen sie bereits wenige Millimeter unterhalb des Kortex. [6] [7]. Die Traktografie mit Diffusion Tensor Imaging zeigt, dass die PVS und ihre zentralen Gefäße parallel zu den Axonen der Weißen Substanz verlaufen [8]. In T2w- und balanced steady-state free precession (bSSFP)-Sequenzen konnten in den periventrikulären PVS ependymale Öffnungen und damit direkte Verbindungen zum Ventrikelsystem nachgewiesen werden. Diese befinden sich zum Großteil in der basalen lateralen Wand des Seitenventrikelvorderhorns [9]. Im Mittelhirn zeigen sie sich stark in T2w-Bildern am pontomesenzephalen Übergang hauptsächlich zwischen den Pedunculi cerebri und der Substantia nigra. Am mesenzephalodienzephalen Übergang sind PVS hauptsächlich dorsal der Pedunculi cerebri lokalisiert und hier deutlich kleiner [10] ([Abb. 2a]). Innerhalb des Kortex konnten Studien bisher nur ex vivo an 7T-Geräten einige PVS verfolgen [11]. Möglicherweise sind sie in histologischen Präparaten im Rahmen der Fixierung dilatiert, und in vivo wesentlich kaliberschwächer als in der Weißen Substanz, sodass die räumliche Auflösung von MRTs oder die CNR zu gering sind.

Tab. 1

Eigenschaften perivaskulärer Räume in verschiedenen MRT-Sequenzen.

Sequenz

PVS-Eigenschaften

Bemerkung

T2w

Hyperintens, scharf umschrieben

Länglich, wenn Verlauf parallel zur Schicht/rundlich-oval, wenn Verlauf senkrecht zur Schicht

Standardsequenz für die visuelle Auswertung in axialer Schichtführung

T1w

Hypointens, scharf umschrieben

EPC

Hypointens

Abgrenzung zu Gefäßen ohne umgebende PVS; diese hier hyperintens

FLAIR

Hypointens, scharf umschrieben

Abgrenzung zu Differenzialdiagnosen (z. B. WMH, Gliosen und kleine Lakunen)

TOF, SWI/T2*

Kein Signal in der TOF-Sequenz

Keine SWI-Veränderungen

Bezug zu arteriellen und venösen Gefäßen

DWI

Keine Diffusionsrestriktionen

Berechnung DWI-ALPS-Index

DTI

Traktografie zur Korrelation zum Verlauf von PVS

Berechnung DTI-ALPS-Index

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Abb. 2a axiale T2w-Sequenz durch das Mittelhirn. Die Pfeile zeigen dortige perivaskuläre Räume beidseits. b koronare T2w-Sequenz durch die Basalkerne. Der Pfeil zeigt eine fokale Erweiterung eines perivaskulären Raums. c axiale T2w-Sequenz durch die Basalkerne. Der weiße Pfeil zeigt einen rundlich-ovalen Verlauf. Der schwarze Pfeil zeigt einen linearen Verlauf. Der weiße Pfeilkopf zeigt ein zentrales Gefäß innerhalb eines perivaskulären Raums.

In Abhängigkeit von der Ausrichtung zur Bildebene stellen sie sich entweder linear oder rundlich-oval dar, da sie dem Verlauf der penetrierenden Gefäße folgen [12], wobei sie fokale Erweiterungen und Kaliberschwankungen aufweisen können [6] [7] ([Abb. 2b]).

Es wurde berichtet, dass PVS meist einen räumlichen Bezug zu den perforierenden Arterien aufweisen. In Abhängigkeit vom Verhältnis zwischen Gefäßdurchmesser und Flüssigkeitsfüllung der PVS lassen sich die zentralen Gefäße innerhalb der PVS gelegentlich darstellen ([Abb. 2c]), wie beispielsweise in T1-gewichteten Bildern nach Kontrastmittel (KM)-Applikation [13] oder in TOF-Angiografien nach KM-Gabe [14]. Jedoch werden auch PVS ohne korrespondierende Arterie und Arterien ohne korrespondierende PVS gesehen [7]. Einige Studien mit zusätzlicher T2*- oder gradientecho-/suszeptibilitätsgewichteter (SWI) Sequenz zeigen zudem, dass sie räumlich nicht oder nur minimal mit dem Verlauf venöser Gefäße korrelieren [7] [15]. Ob dies an einer geringeren Größe oder anderem Aufbau der perivenösen PVS liegt, ist noch unklar. Denkbar ist auch, dass diese aufgrund der geringeren Druckverhältnisse kollabiert und somit üblicherweise nicht sichtbar sind. Ein gänzliches Fehlen perivenöser PVS ist allerdings auch denkbar. Andere Arbeiten mit koregistrierten T2w- und SWI-Sequenzen konnten jedoch zeigen, dass zumindest ein kleiner Teil der PVS perivenös lokalisiert ist [16].

Visuell ist das Signal von PVS isointens zu Liquor und wird daher in FLAIR-Sequenzen vollständig unterdrückt. Hier sind sie im Gegensatz zu Marklagerläsionen (White Matter Hyperintensities, WMH) hypointens und weisen keinen hyperintensen Saum auf, sofern sie nicht innerhalb einer solchen Läsion liegen [17]. Die gemessene Signalintensität von PVS zeigt jedoch eine geringe Hyperintensität gegenüber Liquor, was auf unterschiedliche Zusammensetzungen schließen lässt [18], die bis heute nicht hinreichend untersucht sind. Weitere Untersuchungen weisen darüber hinaus Signalunterschiede zwischen PVS verschiedener Regionen auf, was auch hier unterschiedliche Flüssigkeitskompositionen vermuten lässt [19].

Nach intravenöser Gabe von Gadolinium-haltigem KM zeigen PVS an den perforierenden Arterien und in den BG nach etwa drei bzw. vier Stunden ein signifikantes Enhancement in stark T2w FLAIR-Bildern [20] [21]. In den PVS der Weißen Substanz der subinsulären Region wurde hingegen kein vergleichbarer Effekt beobachtet [19]. Ein möglicher Grund hierfür könnten divergierende Abflusswege und -funktionen zwischen den PVS verschiedener Regionen sein.

Die Kombination von MR-Sequenzen mit verschiedenen Gewichtungen könnte die Sichtbarkeit von PVS künftig noch weiter erhöhen. Etabliert wurde hierfür der Enhanced-PVS-Contrast (EPC), eine Kombination aus T1w- und T2w-Sequenzen. Aufgrund des hier inversen Signalverhaltens von Flüssigkeiten führt eine Kombination dieser zu einem vergrößerten PVS-Gewebe-Kontrast. Ein weiterer Vorteil dieser Methode ist die Unterscheidung von Gefäßen mit und ohne umgebende PVS. Ohne PVS sind die Gefäße hypointens in der T2w-Sequenz und hyperintens in der EPC – mit umgebenden PVS sieht man in der T2w-Sequenz eine Hyperintensität bei einer Hypointensität in der EPC [22].

Zur Bestimmung der Aktivität des glymphatischen Systems haben Taoka et al. die „diffusion tensor image analysis along the perivascular space“ (DTI-ALPS) evaluiert. Der ALPS-Index setzt die Diffusivität entlang der PVS mit jener entlang der Projektions- und Assoziationsfasern einer Schicht ins Verhältnis [23].

Analog hierzu hat dieselbe Gruppe ihre Methode auf die einfache diffusionsgewichtete Bildgebung angewendet. Aus DWI-Sequenzen lassen sich die ADC-Karten in den oben beschriebenen Achsen generieren. In derselben Schicht lässt sich dann der DWI-ALPS-Index berechnen [24].


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PVS im Verlauf des Lebens und bei Gesundheit und Krankheit

Studien zeigen, dass mit zunehmendem Alter die Sichtbarkeit der PVS zunimmt [7]. Ob sich auch der Diameter verändert, wird derzeit noch diskutiert. Die zugrunde liegenden Mechanismen werden in der Literatur weiterhin erörtert. Studien belegen, dass es eine vererbbare Komponente gibt [25]. Es scheint, als hätten Männer eine höhere Anzahl an PVS [26]. In prospektiven Studien konnte belegt werden, dass PVS mit Alter, lakunären Infarkten und Läsionen in der Weißen Substanz assoziiert sind. Zunehmend werden sie also als weiterer Marker der zerebralen Kleingefäßerkrankung angesehen [27]. Auch im Rahmen der zerebralen autosomal-dominanten Arteriopathie mit subcortikalen Infarkten und Leukenzephalopathie (cerebral autosomal dominant arteriopathy with subcortical infarcts and leuokoencephalopathy = CADASIL) als monogenetische und früh einsetzende Form der zerebralen Kleingefäßerkrankung zeigt sich eine positive Korrelation zwischen der Anzahl an PVS und Läsionen der Weißen Substanz [28]. Es konnten verschiedene PVS-Muster bei spontanen intrazerebralen Blutungen detektiert werden. So scheint die Prävalenz von PVS in den Basalganglien mit hypertensiven Blutungen und das Vorhandensein von PVS im Centrum semiovale mit Blutungen im Rahmen einer zerebralen Amyloidangiopathie assoziiert zu sein [29]. Weitere genetische Erkrankungen, die mit einer Erweiterung der PVS einhergehen sind beispielsweise die Mukopolysaccharidosen, die als lysosomale Speichererkrankungen unter anderem mit Manifestationen im ZNS einhergehen. PVS zeigen sich hier vor allem in ungewöhnlichen Lokalisationen, wie beispielsweise entlang der Junktionszone zwischen Grauer und Weißer Substanz. Jedoch zeigt sich keine Korrelation zur kognitiven Leistung [30]. Auch wenn die Datenlage noch widersprüchlich ist, scheint die Last an PVS mit neurodegenerativen Erkrankungen wie Multiple Sklerose, M. Alzheimer oder M. Parkinson zu korrelieren. Die zugrunde liegenden Mechanismen sind hier weiterhin Gegenstand der Forschung. Der Zusammenhang zwischen PVS und kognitiver Leistung ist in der Literatur aktuell ebenfalls kontrovers.


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Visuelle Auswertung

In Bezug auf das visuelle Scoring von PVS gibt es eine mit zunehmender Anzahl an Veröffentlichungen äquivalent steigende Anzahl an Auswertungsmethoden.

Eine Klassifikation basierend auf der Verteilung der PVS unterscheidet drei charakteristische Lokalisationen: Typ I entlang der perforierenden lentikulostriären Arterien in den BG, Typ II entlang der perforierenden subkortikalen Marklagerarterien über der Konvexität und Typ III im Mittelhirn am pontomesenzephalen Übergang [31]. Neuerdings wird auch ein Typ IV vorgeschlagen für die subkortikale Weiße Substanz des anterioren superioren temporalen Gyrus [32]. Letztlich können PVS jedoch überall im Hirnparenchym auftreten.

Teilweise wird ein Grading der PVS anhand ihrer Größe verwendet. Auch hier gibt es bisher keine einheitliche Definition. In einer frühen Studie wurde Grad 1 für einen Diameter von < 2 mm definiert, Grad 2 für einen Diameter von 2–3 mm und Grad 3 für einen Diameter von > 3 mm [33]. Andere Arbeiten definieren einen unteren Grenzwert von 1 mm [34] oder 5 mm [31]. Es besteht jedoch weitestgehend Einigkeit darüber, dass PVS < 3 mm nicht als erweitert gelten. Bei größeren PVS müssen Differenzialdiagnosen wie insbesondere lakunäre Infarkte in Betracht gezogen werden [34] [35] [36]. In der Literatur gibt es zudem Fälle mit sogenannten giant tumefactive PVS mit Ausmaßen von über 1,5 cm [37] ([Abb. 3a, b]). Trotz ihrer Größe können sie jedoch symptomlos und ein Zufallsbefund sein [38]. Andererseits können sie auch mit vielfältigen Symptomen einhergehen und fokale Masseneffekte, bis hin zum obstruktiven Hydrocephalus, hervorrufen [37]. In seltenen Fällen können erweiterte PVS auch reversibel sein, entweder assoziiert mit der Resektion oder Regression zerebraler Läsionen, aber auch spontan [13].

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Abb. 3 „giant tumefactive perivascular spaces“ a axiale T2w-Sequenz. b sagittale T1w-Sequenz.

Aktuellere Arbeiten definieren eine Dilatation der PVS in der supratentoriellen Weißen Substanz nicht anhand des Durchmessers, sondern anhand der Form. Unterschieden wird lediglich der Grad „nicht dilatiert“, wenn sie einen ebenen und linearen Verlauf haben und „dilatiert“, wenn Irregularitäten oder fokale Ektasien im Verlauf erkennbar sind. Diese Einteilung soll laut Autorenschaft den Vorteil haben, dass sie einfacher anwendbar ist und die Größe nicht auf das individuelle Hirnvolumen normalisiert werden muss. Die Graduierung ist so unabhängiger von technischen Parametern [36].

Um die Quantität von erweiterten PVS zu beurteilen, können diese in den verschiedenen Regionen gezählt werden und so in ein Rating eingehen.

Die in Studien mit visueller Auswertung der PVS meist etablierte Skala für die BG und das CSO reicht von 0 bis 4 mit 0 = keine PVS, 1 = 1–10, 2 = 11–20, 3 = 21–40 und 4 = > 40. Dies wird für beide Hemisphären angewendet. Im Falle einer Asymmetrie wird der jeweils höhere Score verwendet ([Abb. 4]) [39]. Für das Mesencephalon wird eine Graduierung von 0 = nicht sichtbar und 1 = sichtbar vorgenommen [39].

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Abb. 4 Visueller Score für die Auswertung perivaskulärer Räumen auf Höhe der Basalganglien (obere Reihe) und auf Höhe des Centrum semiovale (untere Reihe) anhand axialer T2w-Sequenzen. Alle Bilder wurden an einem 3T-MRT (MAGNETOM Vida 3 T, Siemens Healthcare, Erlangen, Deutschland) akquiriert.

Die unübersichtliche Anzahl an Auswertungsmethoden führt zu einer eingeschränkten Vergleichbarkeit zwischen den bisherigen Studien. Ziel des „Uniform Neuro-Imaging of Virchow-Robin Spaces Enlargement“ (UNIVERSE)-Konsortiums ist es daher, die visuelle Beurteilung von PVS zu harmonisieren und auch zeiteffizienter zu gestalten. Es wurden vier relevante Hirnregionen festgelegt: das CSO, die BG, der Hippocampus und das Mesencephalon. Für die erstgenannten Regionen wird eine vordefinierte Schicht zur Zählung der PVS festgelegt, während in den beiden letztgenannten alle PVS gezählt werden [40].

Wie oben beschrieben besteht hierbei eine zunehmende Evidenz, dass sowohl PVS als auch WMH Biomarker für die zerebrale mikrovaskuläre Integrität sind und diese miteinander korrelieren [26]. Erste Ansätze betrachten beide Parameter gemeinsam mit einem kombinierten Score. Hier werden die Punktzahlen der Ratings für PVS der BG, des CSO und des Mittelhirns sowie der Fazekas-Score [41] addiert [42].

Auch wenn Studien von einer guten Inter-Observer-Reliabilität ihrer visuellen Scores berichten, ist die manuelle Auswertung insgesamt sehr zeitaufwändig und lässt eine Subjektivität der Betrachtenden nicht eliminieren. Oftmals sind die Scores schwer vergleichbar und damit ungeeignet für longitudinale Studien. Zu klären ist zudem, ob die sich stetig verbessernde Technik mit höheren Feldstärken und besserer Auflösung zu einer Veränderung der Detektierbarkeit von PVS führt. Damit stellt sich die Frage, ob die bisherigen visuellen Rating-Skalen ebenfalls angepasst werden müssen.


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Automatisierte Auswertung

Immer mehr Arbeiten befassen sich mit der semi- bzw. vollautomatischen Analyse von PVS. Auch hier gibt es mit steigender Anzahl an Studien eine zunehmende Zahl an Auswertungsmethoden. So gibt es mehrere Filter- und Segmentierungsmethoden, die sich potenziell auf PVS übertragen lassen. Erste Ansätze, explizit PVS automatisch zu segmentieren, kamen in den frühen 2000er Jahren auf, als Descombes et al. als erste einen mittels „Reversible Jump Markov Chain Monte Carlo Algorithm“ optimierten „Marked-Point-Process-Framework“ zur Detektion multipler kleiner Läsionen nutzten [43].

Grob lassen sich diese Methoden unterteilen in die Bildprozessierung zur Erhöhung der PVS-Sichtbarkeit sowie in Methoden mit künstlicher Intelligenz, hier deep-learning (DL)-Algorithmen, mit jedoch anteiligen Überschneidungen. Im Vorfeld erfolgt zumeist eine Präprozessierung, u. a. zur Erstellung einer Maske durch Segmentierung von Grauer und Weißer Substanz sowie von Liquor und ggf. subkortikalen Strukturen.

Für die Bildprozessierung lassen sich Untergruppen einteilen, wie intensitätsbasierte Filter-Methoden, die Voxel anhand der Intensitätsunterschiede den PVS zuordnen, und die Vesselness-Filter-Methoden, mit denen tubuläre Strukturen identifiziert werden.

Frühe Ansätze basierten auf einer semi-automatischen, intensitätsbasierten Segmentierung in einer vordefinierten Schicht durch die BG [44]. Folgende Arbeiten nutzten in verschiedenen Regionen [45] die Kantendetektion und Verarbeitung Voxel-spezifischer, hoher positiver räumlicher Gradienten durch das „imgradient“-Paket für MATLAB [8].

Eine weitere Studie entwickelte eine multimodale Autoidentifikation von PVS, die vollautomatisch und Voxel-basiert anhand normalisierter Signalintensitäten der Grauen und Weißen Substanz sowie des Ventrikelsystems in räumlich koregistrierten T1w-, FLAIR-, T2w- und PDw-Sequenzen eine automatische Analyse und Zuordnung der Voxel durchführt [46]. Eine hieran angelehnte Herangehensweise derselben Arbeitsgruppe bedient sich nur T1w- und FLAIR-Sequenzen, um die Akquisitionszeit zu reduzieren und den Einfluss von Bewegungen zwischen den koregistrierten Sequenzen zu minimieren [47].

Andere Arbeiten bedienten sich Vesselness-Filter-Methoden wie dem Frangi-Filter [48]. Da das Ziel dieser Methode die Darstellung von tubulären Strukturen ist, lässt sie sich gut auf die Darstellung von PVS anwenden. PVS wurden hierbei als tubuläre Strukturen mit einer Länge von 3 bis 50 mm definiert [49]. Im Verlauf kamen weitere Arbeiten mit Verwendung des Frangi-Filters unter geringen Veränderungen dazu [6]. Er lässt sich auf T1w-, T2w- und EPC-Bilder anwenden, wofür die Grenzwerte an das jeweils einzuspeisende Bild angepasst werden und sie dieselbe Auflösung besitzen müssen. Anschließend lassen sich die PVS an der ergebenden Maske auszählen [22].

Neben dem Frangi-Filter existieren weitere wie der Jerman-Filter und der RORPO-Filter, die auf morphologischen Pfadoperatoren basieren. Welcher Filter beispielsweise im Rahmen von Studien verwendet werden sollte, hängt davon ab, ob eine hohe Sensitivität oder Spezifität bzw. ein hoher positiver oder negativer prädiktiver Wert angestrebt wird [50].

Auch eine Kombination aus beiden oben genannten Methoden ist möglich. So konnten in einer Arbeit in T2w-Bildern Vesselness-Filter angewendet werden, um alle gefäßähnlichen Strukturen hervorzuheben. Um die PVS in einer vordefinierten Schicht automatisch zu detektieren, wurden Wahrscheinlichkeitskarten basierend auf einer binären kNN-Klassifizierung (k-Nearest-Neighbour) verwendet [51].

Mit Weiterentwicklung der Künstlichen Intelligenz wurden auch DL-Algorithmen für die Segmentierung von PVS entwickelt, welche in der Regel jedoch eine hohe Zahl an manuell annotierten Datensätzen benötigen. Die oben beschriebenen visuellen PVS-Scores werden letztlich meist als ground-truth verwendet, bei denen es aber ebenfalls einer gewissen Menge an Datensätzen für Training und Validierung bedarf. Für derartige Ansätze wurden beispielsweise „random forest“ Modelle [52] [53] oder „convolutional neural networks“ (CNN) [11] [54] [55] [56] als Grundlage verwendet.

Da, wie oben beschrieben, die 4 Hauptregionen das Mittelhirn, der Hippocampus, die BG und das CSO sind, hat sich eine Arbeit auf diese fokussiert und für diese eine automatische Quantifizierung entworfen. Der Ansatz dieser Methode basiert auf der CNN-Regression, die für die Detektion kleiner Objekte innerhalb einer „Region of Interest“ entworfen wurde. Aufgrund der potenziell unterschiedlichen Formen und Differenzialdiagnosen der PVS in diesen Arealen, wurde das CNN für diese Regionen spezifisch trainiert [57].

Auch die DL-Methoden lassen sich kombinieren, wie beispielsweise mit Frangi-Filter und CNN-basierter Klassifikation mittels 3D-deep-CNN [25].

Automatisierte Methoden sind in der Lage, eine hohe Anzahl auch sehr kleiner PVS zu detektieren und somit tiefergehende Analysen zu verwirklichen. So lassen sich quantitative Parameter wie eine exakte Zählung oder Durchmesser von PVS erheben [6]. Weiterhin lassen sich die Länge und das individuelle PVS-Volumen berechnen, was wiederum als Volumenfraktion auf das gesamte Hirnvolumen korrigiert werden kann [8] [45]. Auch können morphologische Unterschiede wie Linearität [46] und Form zwischen den Regionen potenziell objektiver untersucht werden.

Die automatisierte PVS-Auswertung steht letztlich noch am Anfang und ist zwischen den verschiedenen Ansätzen aufgrund verschiedener Sequenzen und Geräte mit unterschiedlichen Feldstärken schwer zu vergleichen. Um die Forschung in diesem Feld aktiv voranzutreiben, wurde 2021 durch die Medical Image Computing and Computer-Assisted Interventions Association(MICCAI) die Vascular Lesions Detection (VALDO)-Challenge ins Leben gerufen. Eine Unterkategorie ist auch die Detektion von PVS: Man erhofft sich hier die bessere Vergleichbarkeit, da Vorschläge anhand derselben Richtlinien und Datensätzen beurteilt werden. (https://valdo.grand-challenge.org/).


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Zusammenfassung

PVS sind in praktisch jeder kraniellen MRT-Untersuchung auch mit klinischen Routine-Sequenzen sichtbar. Diese stellen einen Normalbefund bei Menschen ohne neurologische Auffälligkeiten dar. Ihre klinische Relevanz ist jedoch noch nicht vollständig verstanden. Bisher gibt es nur wenige Daten von hirngesunden Personen, um einen Cut-off zwischen physiologisch und pathologisch zu ziehen. Für die visuelle Auswertung existieren zahlreiche Scoring-Systeme, wobei die automatisierte Segmentierung ein vielversprechender Ansatz ist, Befunde zu vereinheitlichen und Arbeiten vergleichbarer zu machen.


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Conflict of Interest

The authors declare that they have no conflict of interest.


Correspondence

Svea Seehafer
Klinik für Radiologie und Neuroradiologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein
Arnold-Heller-Straße 3
24105 Kiel
Germany   
Phone: +49/4 31/50 06 12 02   

Publication History

Received: 06 November 2023

Accepted: 20 December 2023

Article published online:
26 February 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany


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Fig. 1 “état criblé”: axial T2-weighted sequence with multiple enlarged perivascular spaces at the level of the basal ganglia.
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Fig. 2a axial T2-weighted sequence at the level of the midbrain. The arrows indicate perivascular spaces on both sides. b coronal T2-weighted sequence at the level of the basal ganglia. The arrow indicates focal dilatation of a perivascular space. c axial T2-weighted sequence at the level of the basal ganglia. The white arrow shows a round-ovoid course. The black arrow shows a linear course. The white arrowhead indicates a central vessel in a perivascular space.
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Fig. 3 giant tumefactive perivascular spaces a axial T2-weighted sequence. b sagittal T1-weigted sequence.
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Fig. 4 Visual score for rating of perivascular spaces at the level of the basal ganglia (upper row) and at the level of the centrum semiovale (bottom row) on axial T2-weighted images. All images were acquired with a 3T-MRI scanner (MAGNETOM Vida 3 T, Siemens Healthcare, Erlangen, Germany).
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Abb. 1 „état criblé“: axiale T2w-Sequenz mit multiplen erweiterten perivaskulären Räumen auf Höhe der Basalkerne.
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Abb. 2a axiale T2w-Sequenz durch das Mittelhirn. Die Pfeile zeigen dortige perivaskuläre Räume beidseits. b koronare T2w-Sequenz durch die Basalkerne. Der Pfeil zeigt eine fokale Erweiterung eines perivaskulären Raums. c axiale T2w-Sequenz durch die Basalkerne. Der weiße Pfeil zeigt einen rundlich-ovalen Verlauf. Der schwarze Pfeil zeigt einen linearen Verlauf. Der weiße Pfeilkopf zeigt ein zentrales Gefäß innerhalb eines perivaskulären Raums.
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Abb. 3 „giant tumefactive perivascular spaces“ a axiale T2w-Sequenz. b sagittale T1w-Sequenz.
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Abb. 4 Visueller Score für die Auswertung perivaskulärer Räumen auf Höhe der Basalganglien (obere Reihe) und auf Höhe des Centrum semiovale (untere Reihe) anhand axialer T2w-Sequenzen. Alle Bilder wurden an einem 3T-MRT (MAGNETOM Vida 3 T, Siemens Healthcare, Erlangen, Deutschland) akquiriert.