Aktuelle Urol 2024; 55(04): 372-380
DOI: 10.1055/a-2257-1094
Operative Techniken

Thrombektomie bei Nierentumoren: Level-III-Thrombus

Axel Haferkamp
,
Igor Tsaur

Level-III-Thrombus

Steckbrief

Bei 4–10 % der Patienten mit einem Nierenzellkarzinom lässt sich eine intrakavale Ausbreitung im Sinne eines sog. Tumorthrombus nachweisen, der den Operateur je nach kranialer Extension vor eine Herausforderung stellt. Bis zu 2 % der Patienten zeigen eine Ausdehnung des Tumorthrombus bis in den Bereich des rechten Vorhofs. Die onkologische Rationale für ein chirurgisches Management liegt darin, dass effektive systemische medikamentöse Verfahren wie Chemo- oder Immunchemotherapie fehlen und dass tumorspezifische 5-Jahres-Überlebensraten von ca. 60 % bei kompletter Resektion erzielt werden können. Mit zunehmender Erfahrung und interdisziplinärer Kooperation auf dem Gebiet der Thorax-, Leber- und Herzchirurgie ist die Entfernung großer supradiaphragmaler oder intraatrialer Tumorthromben möglich.


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Synonyme

  • keine Angabe möglich


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Keywords

  • Nierenzellkarzinom

  • Nephrektomie

  • Level-III-Thrombus


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Definition

  • Nephrektomie mit Entfernung des Level-III-Thrombus


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Indikationen

  • Nierenzellkarzinom mit Level-III-Thrombus bei fehlender systemischer Metastasierung

  • Die radikale Tumornephrektomie stellt in Kombination mit einer Thrombektomie abhängig von der kranialen Extension des Thrombus einen Eingriff mit durchaus hoher operativer Morbidität und Mortalität dar. Notwendig sind die

    • onkologische Abklärung und

    • umfassende Abklärung

      • der kardiopulmonalen Komorbiditäten

      • des Allgemeinzustands des Patienten.

  • Bei geplantem thorakoabdominalem Vorgehen wegen eines Level-III-IV-Tumorthrombus ist mit einer signifikant erhöhten perioperativen Komplikations- und Mortalitätsrate zu rechnen, sodass die Indikation zu diesem Eingriff sehr kritisch gestellt werden muss.

    • Dies gilt bei

      • einer Herzinsuffizienz NYHA Grad III/IV,

      • Zustand nach apoplektischen Insult,

      • chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung oder

      • Angina pectoris.

Indikationen
  • Nierenzellkarzinom mit Level-III-Thrombus

  • fehlende systemische Metastasierung


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Kontraindikationen

Kontraindikationen
  • reduzierter Allgemeinzustand (ECOG 2 und höher [ECOG: Eastern Cooperative Oncology Group])

  • signifikante Begleiterkrankungen


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Anästhesie

  • Vollnarkose


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Aufklärung und spezielle Risiken

  • Verletzungen von Nachbarstrukturen wie

    • Kolon, Dünndarm, Leber, Pankreas und Milz

  • Nierenversagen/-insuffizienz

  • thromboembolisches Ereignis

  • kardiales Ereignis


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Präoperative/präinterventionelle Diagnostik

  • Routinelabor inkl. Gerinnungsparametern, Transaminasen

  • triphasisches Spiral-CT Abdomen/Becken

  • zum Metastasenausschluss:

    • CT Thorax

    • CT/MRT des Schädels

  • Skelettszintigrafie bei erhöhter alkalischer Phosphatase

  • MRT mit Kontrastmittel zur exakten Beurteilung der kranialen Thrombusextension und Kavawandinfiltration

  • ggf. transösophageale Echokardiografie zum Ausschluss intraatrialer Thrombusextension

  • kardiologische Funktionsdiagnostik

  • Wesentliche Grundlage einer effektiven und unter kurativer Intention indizierten Operation ist eine suffiziente bildgebende Diagnostik, die eindeutig die Fragen nach

    • der kranialen Extension des Tumorthrombus,

    • der Invasion oder Infiltration der Kavawand oder

    • der Präsenz von lokoregionären oder systemischen Metastasen beantwortet.

  • Abhängig von der kranialen Ausdehnung des Thrombus ist der operative Zugangsweg zu wählen und ggf. ein interdisziplinäres operatives Vorgehen zu planen.

  • Die kraniale Thrombusextension wird in aller Regel in 4 anatomische Höhen differenziert ([Abb. 1]).

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Abb. 1 Anatomische Höhen der kranialen Thrombusextension nach Strähler. (Quelle: Haferkamp A, Tsaur I, Bachmann A, Stief CG. Thrombektomie bei Nierentumoren. In: Albers P, Heidenreich A, Hrsg. Standardoperationen in der Urologie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014)

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Material

  • spezielles Instrumentarium

    • selbsthaltende Retraktoren (z. B. Omnitract-Sperrer, Finocetto-Sperrer)

    • Gefäßclips unterschiedlicher Größe

    • Bändchen aus Polyethylenterephthalat (z. B. Mersilene) und Tourniquets

    • Satinsky-Klemmen unterschiedlicher Größe

    • gerade Gefäßklemmen

  • Nahtmaterial

    • monofile Fäden 4–0 zum Verschluss der V. cava inferior


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Durchführung

Vor Beginn des Eingriffs

  • Überprüfung der

    • Seitenrichtigkeit

    • Patientenzuordnung

    • Aufklärung

    • Labor- und Gerinnungsparameter

  • CT am Röntgenschirm

  • Single-Shot-Antibiose mit z.B. Cephalosporin der 3. Generation


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Chirurgische Anatomie

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Abb. 2 Im Foramen Winslow wird die V. portae aufgesucht und mit einer Gefäß- oder Bulldog-Klemme okkludiert. (Quelle: Haferkamp A, Tsaur I, Bachmann A, Stief CG. Thrombektomie bei Nierentumoren. In: Albers P, Heidenreich A, Hrsg. Standardoperationen in der Urologie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014)
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Abb. 3 Extraktion des Thrombus und En-bloc-Entfernung mit der tumortragenden Niere. (Quelle: Haferkamp A, Tsaur I, Bachmann A, Stief CG. Thrombektomie bei Nierentumoren. In: Albers P, Heidenreich A, Hrsg. Standardoperationen in der Urologie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014)

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Zugangswege

  • thorakoabdominal


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Lagerung

  • 30° rechtslaterale Position (aufgedrehte linke Flanke) oder linkslaterale Position

  • Ein Keilkissen unter dem Thorax in Rückenlage stellt eine ausreichende Seitenlagerung im Bereich der Schnittführung dar ([Abb. 4]).

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Abb. 4 Seitenlagerung, 30° rechtslaterale Position. (Quelle: Haferkamp A, Tsaur I, Bachmann A, Stief CG. Thrombektomie bei Nierentumoren. In: Albers P, Heidenreich A, Hrsg. Standardoperationen in der Urologie. 2. Aufl. Stuttgart: Thieme; 2014)

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Schnittführung

  • gemäß dem Zugang


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Operationsschritte

Zugang und Präparation der V. cava inferior

  • Zugang über eine thorakoabdominale Inzision zur sauberen Darstellung der gesamten V. cava inferior bis zum diaphragmalen Durchtritt.

  • Zugang und Präparation inkl. der Lebermobilisation


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Mobilisation der Niere, Durchtrennen der A. renalis und des Ureters

  • Anschlingen der kaudalen V. cava inferior, der kontralateralen Nierenvene, komplette Mobilisation der Niere, Darstellen der A. renalis und Durchtrennen derselben zwischen 2 Overholt-Klemmen, doppelte Ligatur aortenwärts und einfache Ligatur organwärts. Aufsuchen des Ureters und Durchtrennen in der Fossa iliaca.


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Mobilisation der Leber

  • Komplette Mobilisation der Leber, suprahilär in die V. cava einmündende Lumbalvenen und Lebervenenäste können zwischen Clips durchtrennt werden.

  • Darstellen des intrathorakalen Anteils der V. cava inferior und Anzügeln desselben.

Praxistipp

Um stärkere Blutungen aus den verbleibenden Lebervenen bei supradiaphragmalem Tumorthrombus zu vermeiden, sollte ein Pringle-Manöver zur temporären, maximal 30-minütigen Okklusion der V. portae ausgeführt werden. Hierzu wird im Foramen Winslow die V. portae aufgesucht ([Abb. 1]) und mit einer Gefäß- oder Bulldog-Klemme okkludiert.


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Okklusion der Gefäße

  • Nach kompletter Mobilisation der Niere und Präparation aller wichtigen Gefäßstrukturen werden die folgenden Gefäße sequenziell okkludiert:

    • intrathorakaler oder oberhalb der Thrombusspitze gelegener Anteil der V. cava inferior

    • distale V. cava

    • V. portae (max. 30 Minuten)

    • kontralaterale Nierenvene ([Abb. 1])


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Thrombusextraktion und En-bloc-Entfernung mit der Niere

  • Scharfes Eröffnen der V. cava inferior mit dem 11er-Skalpell in Höhe der einmündenden V. renalis und kraniale Extension der Inzision mit der Pott-Schere.

  • Extraktion des Thrombus und En-bloc-Entfernung mit der tumortragenden Niere ([Abb. 3]).

  • Falls der Thrombus nach kranial über die Inzision hinausreicht, wird ein 20-Charr.-Dauerkatheter in das Gefäßlumen eingeführt, geblockt und unter manueller Kompression langsam retrograd mit dem Thrombus retrahiert.

Praxistipp

Sollte der Thrombus adhärent sein und nicht mit dem Katheter extrahiert werden können, kann mit dem Zeigefinger in das Gefäßlumen eingegangen werden, um den Thrombus zu lösen.


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Öffnen der Gefäßklemmen und Verschluss der Kavawand

  • Nach Entfernung der tumortragenden Niere und des Thrombus erfolgt die fortlaufende Naht der Kavawand mit monofilem Faden der Stärke 4–0.

  • Um die Evakuierung von Luft aus dem Gefäßlumen zu ermöglichen, werden die Gefäßklemmen kurz vor dem definitiven Verschluss der Kavawand in der folgenden Reihenfolge geöffnet:

    • kontralaterale Nierenvene

    • V. portae

    • distale V. cava

    • kraniale V. cava


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Wundverschluss

  • Einlage einer Robinson-Drainage (21 mm)

  • schichtweiser Wundverschluss

  • Hautklammern

  • steriler Verband


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Mögliche Komplikationen

Intraoperative Komplikationen

  • Splenektomie bei linksseitigem Thrombus in bis zu 15 %

  • Kavathrombose in bis zu 5 %

  • Myokardinfarkt in ca. 1 %

  • Lungenembolie, Pneumothorax


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Postoperative Komplikationen

  • zerebrovaskuläre Ischämie

  • apoplektischer Insult in bis zu 8 %

  • transiente Enzephalopathie

  • akutes Nierenversagen mit der Notwendigkeit einer passageren Hämodialyse

  • perioperative Mortalität in Abhängigkeit von der Thrombushöhe in bis zu 4 %

  • systemische Rezidive


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OP-Bericht

  • intraoperativer Befund

  • makroskopisch komplette Resektion

  • intraoperative Verletzungen

  • ggf. Erweiterung des Eingriffs

  • postoperative Verfahrensanweisung


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Postoperatives Management

  • mindestens 24-stündige Überwachung

  • frühzeitige Mobilisation

  • frühzeitige Entrealisierung


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Publication History

Article published online:
24 July 2024

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