Transfusionsmedizin 2024; 14(02): 61-62
DOI: 10.1055/a-2283-7474
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Kommentar

Die hier behandelte MINT-Studie, "Restrictive or Liberal Transfusion Strategy in Myocardial Infarction and Anemia", stellt einen wichtigen Beitrag zur Debatte über Transfusionsstrategien bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt und Anämie dar. Bei der Arbeit handelt es sich um die zurzeit größte Studie in diesem Patientenkollektiv. Somit liefert diese wertvolle Erkenntnisse bezüglich Auswirkungen restriktiver und liberaler Transfusionsstrategien bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt und Anämie für die klinische Praxis.

Die MINT-Studie wurde sehr gut durchgeführt und liefert hochwertige und wichtige Erkenntnisse. Leider war die Studie jedoch nicht so eindeutig, wie man gehofft hatte. Einige Leser könnten nun die Studie so interpretieren, dass sie eine Unterstützung für eine liberale Transfusionsstrategie bei Patienten mit Anämie und Myokardinfarkt (MI) bietet.

Grundsätzlich sind wir als Ärzt*innen geneigt zu glauben, dass Risikopatienten, insbesondere kardiale Risikopatienten von einer liberaleren Transfusionsstrategie profitieren, um das Sauerstoffangebot hochzuhalten und ischämische Komplikationen zu verhindern. Insbesondere bei Patienten mit myokardialer Ischämie scheint pathophysiologisch ein derartiges Vorgehen sinnvoll und das Gegenteil – eine restriktive Transfusionsstrategie – mit einem hohen Risiko von unerwünschten Ereignissen behaftet. Die Studie liefert jedoch keinen eindeutigen Beweis dafür, dass eine liberale Transfusionsstrategie das Risiko von Reinfarkt oder Tod bei Patienten mit akutem Myokardinfarkt und Anämie signifikant reduziert.

Dies steht übrigens im Einklang mit der TRICS III-Studie, der mit 5243 herzchirurgischen Risikopatient*innen größten Studie in diesem operativen Setting [1]. Die TRICS III-Studie bestätigt frühere Beobachtungen bei Patienten mit niedrigerem Risiko, dass Bluttransfusionen bis zu einem höheren Trigger nicht immer vorteilhaft und mit potenziellen Schäden verbunden sein können. Eine liberale Strategie schien hier insbesondere bei älteren Patienten mit einer erhöhten Sterblichkeit verbunden zu sein. Für die Praxis bedeutet dies, dass eine restriktive Transfusionsstrategie bei ähnlichen Patientengruppen angemessen sein könnte, sofern keine spezifischen klinischen Bedingungen vorliegen, die eine liberalere Transfusion rechtfertigen würden.

Die MINT-Studie hebt auch die Bedeutung der Berücksichtigung individueller Patientencharakteristika und klinischer Kontexte bei der Festlegung von Transfusionsstrategien hervor. Inwieweit bei einem Typ 1 Infarkt eine liberale Transfusion vorteilhaft wäre, ein Ergebnis einer Subgruppenanalyse der MINT-Studie, müsste durch eine Studie geklärt werden, die diese Fragestellung als primäres Ziel hätte. Das Ergebnis der Subgruppenanalyse ist insbesondere deshalb spannend, da pathophysiologisch eher zu erwarten gewesen wäre, dass Patienten mit einem Typ 2 Infarkt von einer liberalen Transfusion profitiert hätten. Ein Kommentar im NEJM hebt hervor, dass nur eine geringe Änderung in den Daten (z. B. nur zwei zusätzliche Ereignisse in einer Gruppe) ausgereicht hätte, um statistisch signifikante Ergebnisse zu erzielen [2]. Dies unterstreicht die Fragilität der Ergebnisse und die Notwendigkeit, klinische Entscheidungen nicht ausschließlich auf statistische Signifikanz zu stützen sowie die Notwendigkeit einer größeren Studie in diesem Patientenkollektiv.

Es besteht also Bedarf an weiterer Forschung, insbesondere im Hinblick auf die Identifizierung spezifischer Patientensubgruppen, die von einer bestimmten Transfusionsstrategie am meisten profitieren könnten.

Die “Red Blood Cell Transfusion 2023 AABB International Guidelines”, von Carson et al. (veröffentlicht am 12. Oktober in JAMA) empfehlen bisher eine restriktive Strategie bei hämodynamisch stabilen Patienten [3].

Die MINT-Studie hätte möglicherweise statistische Signifikanz erreicht, wenn sie mit einer größeren Teilnehmerzahl und einer höheren statistischen Aussagekraft geplant worden wäre, um Unterschiede zwischen den Gruppen beim primären Endpunkt zu erkennen.

Möglicherweise liegt auch ein optimaler Hämoglobinwert zwischen den in der Studie untersuchten hohen und niedrigen Schwellenwerten. Dies kann jedoch erst durch weitere Arbeiten geklärt werden. Bis dahin kann auch für das Risikokollektiv, welches in der MINT-Studie untersucht wurde, nicht grundsätzlich ein liberaler Transfusionstrigger empfohlen werden.



Publication History

Article published online:
08 May 2024

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