CC BY-NC-ND 4.0 · Psychiatr Prax
DOI: 10.1055/a-2286-1557
Originalarbeit

DemStepCare: Risikostratifizierte Unterstützung der ambulanten Demenzversorgung – Bewertung aus hausärztlicher Perspektive

DemStepCare: Risk-stratified support for primary care-based dementia care – evaluation from general practitioner's view
Katharina Geschke+
1   Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz
2   Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA), Landeskrankenhaus (AöR), Mainz
,
Julian Wangler+
3   Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz
,
Fabian Klein
4   Stabsgruppe für Klinikentwicklung und Forschung, Psychiatrie – Psychotherapie – Psychosomatische Medizin/Neurologie – Innere Medizin, LWL-Klinikum Gütersloh
,
Alexandra Wuttke-Linnemann
2   Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA), Landeskrankenhaus (AöR), Mainz
5   Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Zentrum für psychische Gesundheit, Universitätsklinikum Würzburg
,
Erik Farin-Glattacker
6   Sektion für Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät, Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
,
Michael Löhr
7   LWL-Klinikum Gütersloh, Akademisches Lehrkrankenhaus für Pflege- und Gesundheitsfachberufe der Fachhochschule der Diakonie, Gütersloh
,
Michael Jansky#
3   Zentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie, Universitätsmedizin Mainz
,
Andreas Fellgiebel#
2   Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA), Landeskrankenhaus (AöR), Mainz
8   Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Agaplesion Elisabethenstift, Darmstadt
› Author Affiliations
Fördermittel Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt — http://dx.doi.org/10.13039/501100002946; 01NVF18027
 

Zusammenfassung

Ziel Das Innovationsfondsprojekt DemStepCare zielte darauf, die multiprofessionelle ambulante Versorgung durch Case Management, Risikostratifizierung und Krisenambulanz zu optimieren. Vorgestellt werden die Evaluationsergebnisse aus hausärztlicher Perspektive.

Methodik Zu drei Zeitpunkten erfolgte eine quantitative Befragung der Hausärzt*innen hinsichtlich Akzeptanz, Nutzenbewertung und Demenzsensibilität. Ergänzend wurden qualitative Interviews geführt.

Ergebnisse Es zeigte sich eine hohe Zufriedenheit mit dem Gesamtprojekt. Wahrgenommen wurden Mehrwerte und Entlastungsfaktoren und durch die Kooperation mit dem Case Management eine effektivere und stabilere Demenzversorgung. Die Hausärzt*innen gaben eine gestiegene subjektive Kompetenz bei Diagnostik und Krankheitsmanagement an.

Schlussfolgerung Die Befunde bestätigen aus hausärztlicher Sicht Nutzen und Effektivität von DemStepCare.


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Abstract

Objective The innovation fund project DemStepCare aimed to optimize multi-professional care through case management, risk stratification, and crisis outpatient clinic. Here, the evaluation results from the perspective of the general practitioners are presented.

Methods A quantitative survey was carried out at three time points regarding acceptance, benefit assessment and sensitivity to dementia of the general practitioners. In addition, qualitative interviews were conducted.

Results Satisfaction with the overall project was high. Added value and relief factors were perceived and more effective and stable dementia care was achieved through collaboration with case management. Physicians reported increased subjective competence in diagnostics and disease management.

Conclusions The results confirm the benefit and effectiveness of DemStepCare from general practitioner's perspective.


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Einleitung

In hausärztlichen Praxen werden nur rund die Hälfte der Patient*innen mit relevanten kognitiven Beeinträchtigungen und Demenzen erkannt [1] [2] [3]. Als Barrieren auf Seiten der Hausärzt*innen werden ein Mangel an Schulungen, Selbstsicherheit und Zeit sowie die Annahme, dass therapeutische Möglichkeiten und Unterstützungsangebote fehlen, diskutiert [4] [5] [6] [7]. Neben einer ausreichend frühen Diagnostik bedarf es bei chronischen Erkrankungen, v. a. bei Älteren und v. a. bei Demenz, einer angemessenen psychosozialen Versorgung: also Integration unterschiedlicher, sich ändernder Bedarfe, die erfasst und abgestimmt werden müssen (vernetzte Versorgung, koordinierte Kooperation, Multiprofessionalität). Ein Fehlen multiprofessioneller Strukturen zur ambulanten Krisenintervention bei Demenz, die ärztliche, pflegerische und weitere Akteure verzahnen, führt vermehrt zu krisenhaften Versorgungssituationen und komplikationsträchtigen Krankenhauseinweisungen und Institutionalisierung [8] [9].

Um den skizzierten Versorgungslücken entgegen zu wirken und dafür zu sorgen, dass verfügbare Angebote bekannt sind und koordiniert in Anspruch genommen werden, wurden Ansätze im Sinne eines Care- und Case Managements mit Assessments der individuellen Bedürfnisse, Planung und Koordination individueller Maßnahmen sowie deren Evaluation untersucht. Diese Ansätze konnten zeigten, dass sie signifikante Effekte auf einen Anstieg der Verordnung von Antidementiva [10] [11] und die Verlängerung bis zur Heimeinweisung [12] haben. Die Ergebnisse bzgl. einer Reduktion der Belastung pflegender Angehörigen [10] [11] [12] [13] [14] [15] [16] und einer Reduktion psychischer und Verhaltenssymptome sind inkonsistent [10] [11] [12] [13] [15] [16]. Es bestehen zudem Hinweis darauf, dass ein Care- und Case Management bei Demenz die Häufigkeit von Krankenhauseinweisungen reduzieren könnte [11] [12] [17].

Um die hausärztliche Versorgung von Patient*innen mit Demenz multiprofessionell aufzustellen, wurde das Modell DemStepCare konzipiert und im Rahmen eines Innovationsfondsprojektes finanziert vom Gemeinsamen Bundesausschuss von 2019 bis 2022 erprobt. Die neue Versorgungsform entsprach einem stratified-stepped-care Ansatz [18] [19] und zielte darauf ab, durch bedarfsgerechte Involvierung eines ambulanten Case Managements und einer multiprofessionellen Krisenambulanz effektive Krisenprävention und -behandlung ohne Krankenhauseinweisungen zu ermöglichen [20] [21]. Primäre Ziele betrafen die Reduktion stationärer Behandlungstage und der Belastung pflegender Angehöriger sowie die Verbesserung der Lebensqualität der Patient*innen. Sekundäre Ziele waren die Verbesserung der leitliniengerechten Demenzversorgung und der Arzneimitteltherapiesicherheit, die Optimierung des Versorgungsnetzes und die Vernetzung mittels elektronischer Fallakte. Die Resultate im Hinblick auf die primären Endpunkte werden anderweitig publiziert. In der vorliegenden Arbeit steht die Frage im Mittelpunkt, welche Akzeptanz die neue Versorgungsform bei Hausärzt*innen erreicht. Dies stellt eine wichtige Voraussetzung der Integrierbarkeit in die Routineversorgung dar. Im Sinne einer Prozessevaluation werden explorativ Zufriedenheit und Nutzenbewertung der Versorgungsform durch Befragungen von Hausärzt*innen ermittelt sowie Indikatoren der Demenzsensibilität bestimmt.


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Methoden

Es nahmen 62 Hausärzt*innen in 40 Praxen teil (39 Hausärzt*innen bzw. 23 Praxen in der Interventionsgruppe [IG], 23 Hausärzt*innen bzw. 17 Praxen in der Kontrollgruppe [KG]). Zu Projektbeginn wurde ursprünglich der Einschluss von 120 Hausärzt*innen angestrebt. Die teilnehmenden Hausärzt*innen wurden über Qualitätszirkel, Hausarztnetze, Anschreiben und gezielte Ansprache rekrutiert. Einschlusskriterien waren eine hausärztliche Tätigkeit und ein Praxissitz im Projektgebiet um Alzey, Worms, Bad Kreuznach und Umgebung herum. Auf Basis der ermittelten Indikatoren zur Demenzsensibilität (s.u.) erfolgte eine allgemeine Stratifizierung der Ärzt*innen in drei Gruppen (hoch ausgeprägte, mittel ausgeprägte und gering ausgeprägte Demenzsensibilität). Es war geplant, diese Gruppen zu gleichen Teilen auf die IG und KG zu randomisieren. Dies war jedoch u. a. aufgrund von zeitversetzten Einschlüssen der Hausärzt*innen in drei Wellen und beispielsweise der häufigen Zugehörigkeit in Praxisgemeinschaften nicht konsequent machbar. So gab es einzelne Ärzt*innen, welche schon vor Einschluss ins Projekt wussten, in welche Gruppe sie kommen werden, da beispielsweise ihre Praxis bereits durch die Teilnahme von Praxiskolleg*innen zugeteilt war. Insgesamt ist daher strenggenommen von einer kontrollierten Studie, statt einer randomisiert-kontrollierten Studie auszugehen.

Die Studie wurde von der Ethikkommission der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz genehmigt (Referenznummer: 2019–14427) und beim Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS00023560). Alle Teilnehmenden (Patient*innen, Pflegefachkräfte, Hausärzt*innen, Case Manager*innen) gaben eine schriftliche Einwilligung nach Aufklärung, bevor Daten für die Studie erhoben wurden. Sämtliche Daten wurden pseudonymisiert.

Die neue Versorgungsform DemStepCare wird ausführlich an anderer Stelle dargestellt [20] [21] ([Abb. 1]). Zusammenfassend erhielten Hausärzt*innen bzw. Patient*innen der IG zum einen eine quartalsweise Medikationsanalyse durch klinische Pharmazeut*innen, zum anderen bestand die Intervention in der Einschaltung eines Case Managements, durch welches eine Klassifikation der Versorgungsbedarfe und des Versorgungsrisikos anhand eines Ampelsystems erfolgte. Bei einer als stabil klassifizierten Versorgungssituation erhielten Patient*innen und Angehörige eine einmalige Beratung über Hilfs- und Versorgungsoptionen. Wurde ein erhöhtes Versorgungsrisiko festgestellt, nahmen die Case Manager*innen Aufgaben bei der Organisation zusätzlicher Versorgungsangebote wahr. Sollten Versorgungskrisen drohen oder sich manifestieren, bestand für Hausärzt*innen und Case Manager*innen die Möglichkeit, die Dienste einer aufsuchenden multiprofessionellen Krisenambulanz zu nutzen. Die Patient*innen der KG erhielten eine einmalige Beratung über Hilfs- und Versorgungsoptionen sowie den zuständigen Pflegestützpunkt.

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Abb. 1 Aufbau des Projekts DemStepCare [Quelle: Landeskrankenhaus (AöR), Mainz].

Um die Erfahrungen und den Nutzen der Projektteilnahme auf Seiten der involvierten Hausärzt*innen zu eruieren, wurde eine Panelbefragung mit qualitativen Interviews kombiniert. Die quantitative Befragung fand auf schriftlich-postalischem Weg zu drei Projektzeitpunkten statt ([Tab. 1]). Die t0-Befragung erfolgte nach Einschreibung der Ärzt*innen, die t1- bzw. t2-Befragung 12 Monate nach Abschluss der zu Beginn erfolgten Schulungen der Ärzt*innen bzw. am Ende der Interventionsphase, welche insgesamt 39 Monate dauerte. Zu t1 waren zehn qualitative leitfadengestützte Interviews mit Ärzt*innen aus der IG geplant, jedoch aufgrund mangelnder Teilnahmebereitschaft nur bei vier Ärzt*innen möglich.

Tab. 1 Quantitative hausärztliche Befragung, Zeitpunkte und Komponenten.

Messzeitpunkt

Abschnitt im Projekt

Ermitteltes Konstrukt

t0

vor Beginn der Schulung der Ärzt*innen und vor der Intervention

Motivation und Gründe der Projektteilnahme; Demenzsensibilität (auch zwecks Stratifizierung in IG und KG)

t1

12 Monate nach Abschluss der Schulung der Ärzt*innen

Zufriedenheit und Nutzenbewertung bzgl. der Intervention sowie Projekterfahrung; Demenzsensibilität

t2

am Ende der Interventionsphase (nach 39 Monaten Intervention)

Zufriedenheit und Nutzenbewertung bzgl. der Intervention sowie Projekterfahrung; Demenzsensibilität

Erhebungsinstrumente

Die quantitative Befragung (s. Online-Anhang I a/b) setzte sich aus zwei Komponenten zusammen:

Prozessevaluation: Zu t1 und t2 wurden die Akzeptanz und Nutzenbewertung der Versorgungsform ermittelt. Dies umfasste die Zufriedenheit bzw. Bilanzierung in Bezug auf das Gesamtprojekt, die Erfassung positiver und negativer Erfahrungen im Studienkontext sowie die Zufriedenheit hinsichtlich der Zusammenarbeit mit den Case Manager*innen und erlebte Auswirkungen auf die Demenzversorgung.

Demenzsensibilität: Die zu allen Zeitpunkten durchgeführte Erfassung der Demenzsensibilität bündelt Einstellungs- und Kompetenzindikatoren zur Demenzdiagnostik bzw. -versorgung. Aufbauend auf Vorstudien im hausärztlichen Kontext und unter Zuhilfenahme weiterer Studien wurde Demenzsensibilität als Konstrukt operationalisiert, bei dem Schwerpunkte u. a. auf der Erfassung von Einstellungen zum Krankheitsbild Demenz, hausärztlichen Selbstwirksamkeitsannahmen, Indikatoren zu Diagnostik, Management und Leitlinienadhärenz, Versorgungsbereitschaft sowie wahrgenommenen Herausforderungen lagen [5] [6] [7] [10] [22] [23].

Die qualitative Evaluation baut auf einem leitfragengestützten Instrument auf (s. Online-Anhang II), das die Versorgungssituationen, die Kooperation mit den Case Manager*innen sowie eine Beurteilung der Intervention ermittelte.


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Datenanalyse

Die Daten wurden mittels SPSS 23.0 ausgewertet. Aufgrund begrenzter Fallzahl lag der Schwerpunkt der Auswertung auf einer deskriptiven Analyse. In den Tab.n werden Mittelwert (X̄) und Median (̴x) abgebildet. Die Spalte t0.K weist nur diejenigen Ärzt*innen aus, die auch zu t1 den Fragebogen ausgefüllt haben. Analog gilt dies bei t0.K IG für die IG.

Zur Feststellung von signifikanten Unterschieden zwischen IG und KG wurde zu den jeweiligen Zeitpunkten ein t-Test für unabhängige Stichproben durchgeführt (Mittelwert-Differenz auf dem Niveau p<0,01).

Die Auswertung der aufgezeichneten und transkribierten Interviews erfolgte mittels qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring [24]. Die Interviews wurden durch zwei wissenschaftliche Mitarbeitende analysiert und die Aussagen der Hausärzt*innen in Oberkategorien zusammengefasst. Folgende Oberkategorien wurden gebildet: Schwierige Versorgungssituationen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen; Veränderung der Versorgungssituation durch DemStepCare; Zusammenarbeit mit den Case Manager*innen; Entlastungen durch das Projekt DemStepCare; Belastungen durch das Projekt DemStepCare; Kritikpunkte; Verbesserungswünsche. Da es sich lediglich um vier Interviews handelte, werden Aussagen aus den Interviews nur beispielhaft präsentiert.


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Ergebnisse

Die 62 zu t0 befragten Hausärzt*innen waren zu 47% weiblich, im Mittel 53 Jahre alt, arbeiteten zu 40% in Orten mit<5.000 Einwohnenden und zu 53% in Gemeinschaftspraxen. Obwohl die Befragungsteilnahme als fester Bestandteil an der Studie konzipiert worden war, hatten zum Zeitpunkt t1 bzw. t2 jeweils nur 34 Ärzt*innen den quantitativen Fragebogen zurückgesendet (vgl. Online-Anhang III, [Tab. 1]).

Zufriedenheit und Nutzenbewertung

In der quantitativen Befragung waren die Ärzt*innen der IG zu t1 bzw. t2 zu 94% bzw. 85% (sehr) zufrieden mit der Projektteilnahme; in der KG betrug dieser Wert 44% (t1) bzw. 36% (t2).

83% (t1) bzw. 75% (t2) der Befragten der IG befanden, die Kooperation mit den Case Manager*innen als (sehr) gut erlebt zu haben. 72% (t1) bzw. 70% (t2) der IG waren der Auffassung, dass sich die praxisinterne Demenzversorgung aufgrund der Teilnahme an DemStepCare (deutlich) verbessert habe. In der KG sprachen 38% (t1) bzw. 21% (t2) von einer (deutlichen) Verbesserung.

39% (t1) bzw. 65% (t2) der Befragten der IG brachten die Projektteilnahme mit einer (deutlichen) Entlastung bei der Demenzversorgung in Verbindung. In der KG lag dieser Wert bei 31% (t1) bzw. 21% (t2).

Bei der Frage, wie viel die bisherige Teilnahme an DemStepCare gebracht habe, gaben die Ärzt*innen der IG zu t1 und t2 signifikant höhere Werte an als die Ärzt*innen der KG bei den Antwortmöglichkeiten „Erhöhung der Versorgungsstabilität“, „Vermeidung stationärer Aufnahmen“, „Verbesserung der Lebensqualität von Demenzpatient*innen“ und „Reduktion der Belastung pflegender Angehöriger“ und zu t2 höhere Werte bei „verstärkte Nutzung ambulanter Unterstützungsangebote“ ([Tab. 2]).

Tab. 2 Durch Hausärzt*innen angegebener Nutzen durch Projektteilnahme nach Anwendungsbereichen.

Frage: Wie viel hat Ihnen die bisherige Teilnahme an DemStepCare gebracht in Bezug auf…(0=„Nichts gebracht“ bis 10=„Sehr viel gebracht“); dargestellte Ergebnisse: Mittelwert (Median)

Zeitpunkt Anzahl Probanden (n)

t1 IG (n=18)

t1 KG (n=16)

t2 IG (n=20)

t2 KG (n=14)

Erhöhung der Versorgungsstabilität

7,5 (8,0)*

3,5 (3,0)*

6,9 (8,0)*

3,3 (2,5)*

Vermeidung stationärer Aufnahmen

6,8 (8,0)*

2,2 (1,0)*

6,5 (8,0)*

3,0 (3,0)*

Verbesserung der Lebensqualität von Demenzpatient*innen

6,8 (8,0)*

2,9 (3,0)*

7,2 (8,0)*

3,4 (2,5)*

Reduktion der Belastung pflegender Angehöriger

7,1 (8,0)*

3,2 (3,0)*

6,9 (8,0)*

3,8 (4,0)*

Verbesserung der Kenntnis der S3-Leitlinie

5,6 (5,0)

3,5 (5,0)

5,7 (7,0)

3,1 (1,5)

Verstärkte Orientierung entlang der S3-Leitlinie

5,6 (6,0)

3,7 (5,0)

5,5 (6,0)

3,3 (2,0)

Verstärkte Nutzung ambulanter Unterstützungsangebote

6,0 (6,0)

3,7 (4,0)

7,3 (7,0)*

3,9 (3,5)*

t1=12 Monate nach Abschluss der Schulung der Ärzt*innen; t2=am Ende der Interventionsphase nach 39 Monaten; IG=Interventionsgruppe; KG=Kontrollgruppe;*signifikanter Unterschied zwischen IG und KG zum jeweiligen Zeitpunkt (p<0,01)

Auf die Fragen „Was beurteilen Sie an DemStepCare positiv?“ und „In welcher Hinsicht fühlen Sie sich entlastet?“ (vgl. Online-Anhang III, [Tab. 2]) wurde sowohl zu t1 als auch zu t2 v. a. eine verbesserte Betreuung, Begleitung und Entlastung der Patient*innen, effektive Krisenintervention sowie eine gelingende Stabilisierung häuslicher Pflegesituationen genannt. Ebenfalls verbreitet genannt wurde eine verbesserte Begleitung bzw. Entlastung der pflegenden Angehörigen. Weiter führten die Ärzt*innen Kompetenzgewinne u. a. bei Diagnosestellung, Management und Gesprächsführung an. Ein Teil der Hausärzt*innen nahm eine Entlastung aufgrund der interprofessionellen Unterstützung (Mitbetreuung von Patient*innen und Angehörigen durch Case Manager*innen) wahr.

Auf die Fragen „Was beurteilen Sie an DemStepCare weniger gut bzw. sollte verbessert werden?“, „Gab es spezielle Situationen oder Abläufe im Kontext Ihrer Teilnahme an DemStepCare, die Sie als problematisch erlebt haben?“ und „In welcher Hinsicht fühlen Sie sich belastet?“ wurden v. a. negative Erfahrungen bezüglich eines hohen Dokumentationsaufwands, einer aufwendigen Bedienung der elektronischen Fallakte, die Kommunikation im Projekt (Zeit, Zuwendung) und Pandemie-bedingte Schwierigkeiten genannt (vgl. Online-Anhang III, [Tab. 3]).

Tab. 3 Subjektive Kompetenzeinschätzung bei diagnostischem und therapeutischem Vorgehen; Antwortmöglichkeiten: 0=„Gar nicht gut“ bis 10=„Sehr gut“; dargestellte Ergebnisse: Mittelwert (Median).

Erhebungszeitpunkt

t0

t0.K

t0.K IG

t1 IG

t1 KG

t2 IG

t2 KG

Stichprobengröße (n)

62

34

18

18

16

20

14

Wie würden Sie Ihr Wissen bzw. Ihre Kompetenz bezüglich des diagnostischen Vorgehens bei Demenzerkrankungen grundsätzlich beurteilen?

5,5 (6,0)

5,3 (6,0)

6,7 (7,0)

7,7 (8,0)*

5,2 (5,0)*

7,0 (7,0)

5,9 (6,0)

Wie würden Sie Ihr Wissen bzw. Ihre Kompetenz bezüglich des therapeutischen Vorgehens und dem Management von Demenzerkrankungen grundsätzlich beurteilen?

5,3 (5,0)

5,1 (6,00)

6,3 (6,5)

7,2 (8,0)*

4,6 (4,0)*

6,6 (7,0)

6,3 (6,5)

Was würden Sie sagen: Wie gut sind Sie mit der S3-Leitlinie zur Demenzdiagnostik und -therapie vertraut?

4,1 (4,0)

4,2 (4,0)

5,3 (5,0)

6,2 (6,5)

4,4 (5,0)

4,9 (5,0)

5,3 (5,0)

Wie sicher fühlen Sie sich, wenn es darum geht, eine leitliniengerechte Demenzdiagnose zu stellen? (Gemeint ist die S3-Leitlinie.)

3,9 (4,0)

3,9 (4,0)

5,1 (5,0)

6,2 (6,5)*

3,9 (3,5)*

5,7 (6,0)

4,0 (4,0)

Wie sicher fühlen Sie sich, wenn es darum geht, eine Demenzerkrankung leitliniengerecht zu managen, also mit therapeutischen und medikamentösen Maßnahmen zu begleiten? (Gemeint ist die S3-Leitlinie.)

4,2 (4,0)

4,3 (4,5)

5,3 (6,0)

6,1 (6,0)

4,3 (4,0)

5,5 (6,0)

4,0 (4,0)

t0=vor Schulung der Ärzt*innen bzw. Intervention; t1=12 Monate nach Abschluss der Schulung der Ärzt*innen; t2=am Ende der Interventionsphase nach 39 Monaten; IG=Interventionsgruppe; KG=Kontrollgruppe; t0.K weist nur diejenigen Ärzt*innen aus, die auch zum Zeitpunkt t1 den Fragebogen ausgefüllt haben.*signifikanter Unterschied zwischen IG und KG zum jeweiligen Zeitpunkt (p<0,01)

In den qualitativen Befunden der Interviews wurden positive Effekte wie z. B. das „Schließen einer Versorgungslücke“ und „erleichterte Kommunikation mit Patient*innen, da man direkt auch Unterstützungsangebote nennen kann“ (H1). Auch in den Interviews wurde die Zusammenarbeit mit den Case Manager*innen positiv bewertet. „Wenn die Diagnose im Raum steht, entsteht so eine Sprachlosigkeit. […] DemStepCare ist für uns eine große Entlastung, weil wir es gezielt weiterleiten können“ (H1).

Kritische Einlassungen in den Interviews betrafen den erhöhten Aufwand in Bezug auf die Einschreibung (H1, H2), Dokumentation (H4) und elektronische Fallakte (Herausforderungen durch digitale Elemente bei weniger affinen Ärzt*innen; H3) oder Schwierigkeiten bei der auf gute Abstimmung angewiesenen Kommunikation mit einzelnen Case Manager*innen (H3).


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Indikatoren zur Demenzsensibilität

Ein Block des quantitativen Fragebogens befasste sich mit der subjektiven Kompetenzeinschätzung der teilnehmenden Ärzt*innen ([Tab. 3]). Es zeigte sich, dass das subjektive Wissen bzw. die eigene Kompetenz in der IG gegenüber der KG zu t1 signifikant höher war bezüglich des diagnostischen Vorgehens bei Demenzerkrankungen, des therapeutischen Vorgehens und dem Management von Demenzerkrankungen sowie der Sicherheit, wenn es darum ging, eine leitliniengerechte Demenzdiagnose zu stellen.

In der Verlaufsbetrachtung zeigt tendenziell sich in der IG für bestimmte Indikatoren zur Demenzsensibilität eine positive Entwicklung (vgl. Anhang III, Tab. 4). So wird in der IG tendenziell häufiger angegeben, dass grundsätzlich ein Demenztest durchgeführt werde, wenn ein Verdacht auf eine Demenz bestehe, dass eine gute Kenntnis über Hilfs- und Unterstützungsangebote für Demenzpatient*innen und Angehörige bestehe und man gut weiterhelfen könne, „wenn pflegende Angehörige von Demenzpatient*innen mit Fragen zur Organisation der Pflege“ kommen und dass es einfach sei, „einzuschätzen, welche therapeutischen Maßnahmen bei Demenzpatient*innen angemessen sind“.

Eine Abfrage zu allen Zeitpunkten betraf auch die Erhebung von erlebten Herausforderungen (vgl. Anhang III, Tab. 5). In der Verlaufsbetrachtung zeigte sich, dass sich solche subjektiv erfahrenen Problematiken aus Sicht der Ärzt*innen in der IG tendenziell verringerten. Die Hausärzt*innen gaben tendenziell weniger Herausforderungen an bei den Themen Anwendung der Demenz-Leitlinie (S3), Schritte hin zum Demenzverdacht und weiteres Vorgehen, Sicherstellung der Akzeptanz und Kooperation des Patient*innen bei der Durchführung von Demenztests, Aufklärung des Patient*innen über die Diagnose und Sicherstellung der Compliance, erfolgreiche therapeutische Begleitung von Demenzerkrankten, Gesprächsführung mit Demenzerkrankten, Kommunikation mit pflegenden Angehörigen und Beratung von Demenzpatienten und Angehörigen zu Hilfs- und Unterstützungsangeboten.

Auch in den qualitativen Interviews ergaben sich hierfür Hinweise: „Ich habe gelernt, dass es Patienten gibt, die am Anfang oder in der Mitte der Erkrankung stehen, wo einfach noch anderes Fachwissen […] nötig ist. Für diese Fälle ist es großartig, dass es das Projekt gibt“ (H3).


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Diskussion

Zusammenfassung und Befunde anderer Studien

Der Beitrag stellt die quantitativ und qualitativ erfassten Erfahrungen, Eindrücke und Nutzenbewertungen der im Innovationsfondsprojekt DemStepCare eingeschriebenen Hausärzt*innen vor.

Zusammenfassend bekundeten die Hausärzt*innen v. a. in der IG ein hohes Maß an Zufriedenheit mit DemStepCare. Dabei werden Mehrwerte und Entlastungsfaktoren genannt. Die Befragten konstatierten eine Verbesserung und Entlastung bei der Demenzversorgung. Ärzt*innen in der IG nahmen aufgrund der Projektteilnahme ein höheres Maß an Versorgungsstabilität wahr. Es fiel ihnen leichter, Versorgungsbedarfe abzuschätzen und Hilfsangebote aufzuzeigen. Nicht zuletzt ist eine gestiegene subjektive Kompetenz bei Diagnostik und Krankheitsmanagement anzuführen. Somit kann angenommen werden, dass DemStepCare Hausärzt*innen Orientierungs- und Sicherheitsgewinne verschafft hat. Dennoch bestanden auch Schwierigkeiten aufgrund des empfundenen Mehraufwands, insbesondere mit Blick auf die Einschreibung, Dokumentationserfordernisse und den Umgang mit der elektronischen Fallakte. Die Projektkommunikation wurde gelegentlich kritisiert.

Unsere Ergebnisse stimmen mit denen anderer Studien überein. So zeigten auch andere Studien, dass Case Management bei Demenz von Hausärzt*innen sehr geschätzt wurde und als machbar angesehen wurde [25] und dass Ärzt*innen, die mit der S3-Leitlinie vertraut sind und interprofessionell arbeiten, die Demenzdiagnostik konsequenter einsetzen [2] [7] [28].


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Stärken und Schwächen

Insgesamt gestaltete sich die Gewinnung von Hausärzt*innen als herausfordernd [6] [21]. Ursächlich kann neben Zeitknappheit eine teils nicht immer reibungslose Vereinbarkeit der Intervention mit Praxisroutinen sein [26] [27] [29]. Besagte Rekrutierungsproblematiken spiegeln sich im Rücklauf der quantitativen Befragungswellen und der Bereitschaft zum Führen qualitativer Interviews wider. Zu den Zeitpunkten t1 und t2 gab es gegenüber der t0-Erhebung einen merklichen Dropout trotz Erinnerungen per E-Mail, Telefon und persönlich in der Praxis. Dieser Dropout ging nicht auf einen nennenswerten Ausstieg von Ärzt*innen aus dem Projekt zurück (n=1), sondern hatte nach Beobachtung der Projektverantwortlichen seine Gründe v. a. im eng getakteten Praxisalltag der Ärzt*innen. Auch bei anderen Studien hat sich gezeigt, dass die Rekrutierung einer ausreichenden Zahl von Hausärzt*innen für (cluster-)randomisierte Studien mit Schwierigkeiten verbunden ist [26]. Künftige Studien, die hausarztbasierte Interventionen im Bereich der Demenzversorgung erproben, sollten verstärkte Anstrengungen unternehmen, die von Hausärzt*innen wahrgenommenen Hürden bei der Projektteilnahme einzuebnen.

Über die Rekrutierungs- bzw. Dropout-Problematik hinaus ist anzumerken, dass DemStepCare vorrangig jene Hausärzt*innen angesprochen haben dürfte, die ein ohnehin ausgeprägteres Interesse an der Demenzversorgung hatten.


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Schlussfolgerung

Die Intervention von DemStepCare mittels Case Management, Versorgungsbedarfsanalyse und Krisenambulanz wurde von den eingeschriebenen Allgemeinmediziner*innen als effektiver Beitrag erlebt, um die hausarztbasierte Demenzversorgung zu verbessern und unnötige Krankenhauseinweisungen zu vermeiden. Somit lässt sich ableiten, dass die hausärztliche Versorgung von einer Einbettung in multiprofessionelle Strukturen profitiert.


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Konsequenzen für Klinik und Praxis

  • In Deutschland bedarf es in der hausarztbasierten Demenzversorgung angemessener bedarfsgerechter multiprofessioneller und koordinierter Strukturen. Um diese Problematik zu adressieren, wurde das Projekt DemStepCare konzipiert. Mittels Verzahnung von Hausärzt*innen und pflegerischem Case Management in einem stratified-stepped-care Ansatz sollten Versorgungskrisen antizipiert und Hospitalisierungen abgewendet werden.

  • Die Hausärzt*innen zeigten ein hohes Maß an Zufriedenheit mit dem Gesamtprojekt. Sie nahmen Mehrwerte und Entlastungsfaktoren der Intervention wahr. Die Kooperation mit den Case Manager*innen wurde als Beitrag zu einer effektiveren Demenzversorgung erlebt. Ärzt*innen in der Interventionsgruppe nahmen ein höheres Maß an Versorgungsstabilität wahr. Es fiel ihnen leichter, Versorgungsbedarfe abzuschätzen und Hilfsangebote aufzuzeigen. Zudem ist eine merklich gestiegene subjektive Kompetenz bei Diagnostik und Krankheitsmanagement anzuführen.

  • Die Befunde bestätigen demnach aus hausärztlicher Sicht Nutzen und Effektivität des multiprofessionellen Interventionsansatzes von DemStepCare.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

+ geteilte Erstautorenschaft


# geteilte Letztautorenschaft


Zusätzliches Material


Korrespondenzadresse

Dr. Julian Wangler
Universitätsmedizin MainzZentrum für Allgemeinmedizin und Geriatrie
55131 Mainz
Deutschland   

Publication History

Received: 24 July 2023
Received: 16 February 2024

Accepted: 16 February 2024

Article published online:
12 April 2024

© 2024. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution-NonDerivative-NonCommercial-License, permitting copying and reproduction so long as the original work is given appropriate credit. Contents may not be used for commercial purposes, or adapted, remixed, transformed or built upon. (https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/).

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Abb. 1 Aufbau des Projekts DemStepCare [Quelle: Landeskrankenhaus (AöR), Mainz].