Dtsch Med Wochenschr 2024; 149(23): 1386-1387
DOI: 10.1055/a-2294-7285
Aktuell publiziert

Kommentar zu „Mikro- und Nanoplastik in Karotisplaque erhöht kardiovaskuläres Risiko“

Contributor(s):
Dennis Wolf

Eine stetig wachsende Anzahl an Studien zeigt, dass Mikroplastik einen wahrscheinlich bisher unterschätzten gesundheitlichen Risikofaktor darstellt. In der Studie von Marfella et al. kann nun ein Zusammenhang zwischen lokalem Mikro- und Nanoplastik in atherosklerotischen Plaques der A. carotis und einem erhöhten kardiovaskulären Risiko nachgewiesen werden.

Die Studie ist wegen mehrerer Aspekte erstaunlich: Erstens konnte erstmals Mikro- und Nanoplastik in atherosklerotischen Plaques in einer mittelgroßen Kohorte mit mehr als 300 Patienten nachgewiesen werden, was bisherige Studien deutlich übertrifft. Der Nachweis von Mikroplastik in Lunge und Blut hatte bereits im Vorfeld vermuten lassen, dass dieses möglicherweise unspezifisch in einer Vielzahl von Geweben angereichert wird [1]. Somit könnten – zweitens – neben der A. carotis auch andere Arterien betroffen sein [2]. Dies würde die erhöhte Rate an Herzinfarkten erklären (bei Patienten mit betroffenen Karotiden), die in der aktuellen Studie beobachtet wird. Diese ist plausibel nur durch eine Ablagerung von Plastikpartikeln in Koronargefäßen zu erklären. Drittens rückt durch die Studie eine zentrale Frage in den Mittelpunkt: Auf welche Weise könnten Rückstände von Mikroplastik zu komplizierten Plaques führen, die vermehrt Rupturen zeigen und hierdurch zu Schlaganfällen oder Herzinfarkten führen?

Üblicherweise gelten insbesondere atherosklerotischen Plaques als bedenklich, die viele Entzündungszellen erhalten und nur durch eine dünne fibrotische Kappe (zum Endothel hin) geschützt sind. Dünnt diese Kappe aus, beispielsweise durch ein hohes Maß an chronischen Entzündungsvorgängen in der Plaque, können diese aufbrechen, extrazelluläre Matrix freilegen und dadurch zu einem akuten thrombotischen Gefäßverschluss führen. Denkbar und gut vereinbar mit dem aktuell akzeptierten Krankheitskonzept der Atherosklerose wäre eine Zunahme chronischer Entzündungsvorgänge durch abgelagertes Mikroplastik und am Plastik anhaftende entzündungsfördernde Stoffe. Üblicherweise führen nicht physiologische Ablagerungen in Geweben zu einer chronischen Entzündung; hierbei stehen vor allem Phagozyten, so genannte Fresszellen wie Makrophagen, im Vordergrund. Diese können Fremdmaterial durch passive oder aktive Mechanismen aufnehmen. Beide Mechanismen könnten chronische Entzündungsvorgänge in der Plaque aktiv antreiben und zu einer Ausdünnung der fibrotischen Kappe und zu einer zunehmenden Instabilität der Plaque führen.

In der vorliegenden klinischen Studie konnte die Assoziation mit Zeichen einer chronischen Entzündung zwar plausibel gezeigt werden, weitergehende Untersuchungen des zu Grunde liegenden Pathomechanismus wurden jedoch nicht durchgeführt. Daher kann darüber nur spekuliert werden, ob Mikroplastik tatsächlich einen Kausalfaktor darstellt. Eine alternative Erklärung lautet, dass Mikroplastik im Gewebe keinen relevanten Auslöser einer Inflammation darstellt. Denkbar wäre, dass vor allem Plaques, die a priori ein vermehrtes Maß an Entzündung aufweisen, Mikroplastik aufnehmen können und dessen vermehrte Ablagerung daher nur eine indirekte Folge darstellt, ein Epi-Phänomen. Bekannt ist etwa, dass lokale Inflammation zu einer Störung der Barrierefunktion des Endothels in der Nachbarschaft atherosklerotischer Plaques führt, was auch die Aufnahme von Mikroplastik in den subintimalen Raum fördern könnte. Gleicherweise ist bekannt, dass Oberflächenrezeptoren auf Makrophagen unter dem Einfluss chronischer Inflammation besonders stark exprimiert werden, die für die Phagozytose von Fremdmaterial verantwortlich sind. Auch eine Aufnahme des Mikroplastik durch Monozyten, den Vorläuferzellen für Makrophagen – bereits in der Peripherie – muss als Möglichkeit in Betracht gezogen werden. In einem solchen Fall wären Entzündungsvorgänge nicht Folge, sondern Ursache der Ablagerung von Mikroplastik.

Auch mögliche methodische Unsicherheiten sollten nicht unerwähnt bleiben: So ist eine Kontamination mit externem Mikroplastik im Rahmen der Präparation und Analyse der Patientenproben denkbar [3]. Zweifel wurden auch im Hinblick auf eine iatrogene, endogene Kontamination mit Mikroplastik geäußert. So könnten im Vorfeld stattgefundene endovaskuläre Interventionen mit Polymer-Beschichtung im Rahmen medizinischer Behandlungen zu einer Anreicherung von Mikroplastik geführt haben [4].

Abseits der bislang noch unklaren Kausalität und möglicher anderer methodischer Limitationen, die in weiterführenden Studien zwingend adressiert werden müssen, liegt aufgrund der prinzipiell überzeugenden klinischen Assoziation der Verdacht nahe, dass eine Kontamination unserer Umwelt, etwa der Nahrungskette, mit Mikroplastik kardiovaskuläre Erkrankungen auf bisher ungeahnte Weise beeinflussen könnte. Sollte sich dieser Zusammenhang auch in größeren, besser charakterisierten Kollektiven mit höherer Ereignisrate bestätigen lassen, müsste Mikroplastik als relevanter Risikofaktor für die kardiovaskuläre Gesundheit aktiv in Betracht gezogen werden.



Publication History

Article published online:
06 November 2024

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  • Literatur

  • 1 H. Leslie. et al. Discovery and quantification of plastic particle pollution in human blood. Environment International 2022; 163
  • 2 Liu S, Wang C, Yang Y. et al. Microplastics in three types of human arteries detected by pyrolysis-gas chromatography/ mass spectrometry (Py-GC/MS). J Hazard Mater 2024; 469: 133855
  • 3 Yang Y, Xie E, Du Z. et al. Detection of various microplastics in patients undergoing cardiac surgery. Environ Sci Technol 2023; 57: 10911-8
  • 4 Grundeken MJ, Li X, Kurpershoek CE. et al. Distal emboliza- tion of hydrophilic-coating material from coronary guidewires after percutaneous coronary interventions. Circ Cardiovasc In- terv 2015; 8 (02) e001816