Schlüsselwörter
Prävention und Gesundheitsförderung - Evidenzbasierung - Evidenzregister - Maßnahmen - Psychische Gesundheit
Key words
Prevention and health promotion - evidence-based - evidence register - measures - mental health
Einleitung
Prävention und Gesundheitsförderung (PGF) soll Gesundheitsrisiken vermeiden bzw.
vermindern sowie die Resilienz und Ressourcen stärken [1]. In Deutschland existiert hierzu
eine Vielzahl evaluierter Programme insbesondere zur Förderung der psychosozialen
Gesundheit und Vorbeugung von Problemverhaltensweisen [2]. Dies ist besonders für Kinder und
Jugendliche relevant, da die Heranwachsenden vielfältige entwicklungsspezifische
Herausforderungen bewältigen müssen, welche für die Gesundheit, die persönliche
Entwicklung und das weitere Leben prägend sind [1].
Dennoch werden viele Maßnahmen neu entwickelt, ohne bestehende evaluierte
Interventionen zu berücksichtigen. Dies führt zu einer Vielzahl an Programmen
unklarer Güte; zudem ist für Akteur*innen eine Übersicht über wirksame Programme
erschwert [3]. Dabei liegen zahlreiche
Erkenntnisse zur Wirksamkeit von Programmen vor, um die Anwendung wirkungsloser oder
gar schädlicher Maßnahmen vermeiden zu können [4].
Der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen sowie die
Nationale Präventionskonferenz fordern seit langem den Einsatz wirksamer Maßnahmen
[5] bzw. die Anwendung
„evidenzbasierter Programme oder qualitätsgesicherter Ansätze“ [6, S. 14]. Jedoch
besteht eine Lücke zwischen der Forderung nach Evidenz und der Realität [7]. In der Praxis werden Entscheidungen
aufgrund vielfältiger Kriterien getroffen wie Zugänglichkeit,
Informationsaufbereitung, Übertragbarkeit, Akzeptanz, Bereitschaft zur
Evidenzrecherche, Befürchtungen von unerwünschten (Neben-)Wirkungen, technische und
finanzielle Umsetzbarkeit im beruflichen Alltag [8]. Hinzu kommen persönliche
Motivationen und Interessen, die im Entscheidungsprozess in Einklang gebracht und
offengelegt werden müssen [9]. Um
evidenzbasierte Entscheidungen zu erleichtern, ist es notwendig, wissenschaftliche
Wirksamkeitsnachweise von Präventionsprogrammen praxis- und politikfreundlich
aufzubereiten [3]
[8].
Online-Evidenzregister bieten eine Möglichkeit für Akteur*innen sowie Interessierte,
sich über nachweislich wirksame PGF-Maßnahmen zu informieren und die für ihren
Bedarf und Kontext passenden auszuwählen [10]
[11]
[12]. Solche Register können den Einzug
evidenzbasierter Interventionen in die PGF-Praxis erleichtern [13]. Denn angesichts knapper Ressourcen
stehen die Akteur*innen vor der Herausforderung, die Suche nach passenden Programmen
für ihren jeweiligen Anwendungskontext besonders effizient gestalten zu müssen [3]
[14]. Dabei sollte eine sinnvolle
Ressourcensteuerung in der Praxis jedoch immer das Kriterium der nachgewiesenen
Evidenz auf Wirksamkeitsebene einschließen [3]
[14], um nicht nur
praktikable, sondern auch wirksame Maßnahmen zu etablieren.
Das öffentlich zugängliche, kostenfreie Evidenzregister Grüne Liste Prävention
(www.grüne-liste-prävention.de) ermöglicht es, evaluierte und effektive
Präventionsprogramme zielgerichtet zu identifizieren. Andere deutsche
Online-Datenbanken haben Evidenz nicht als wichtigstes Aufnahmekriterium. Das
Memorandum zur Evidenzbasierten Prävention und Gesundheitsförderung der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung stuft die Grüne Liste
Prävention als „best evidence“-Datenbank ein [9, S. 34].
Die Grüne Liste Prävention wurde 2011 von dem Landespräventionsrat
Niedersachsen initiiert und nach den Vorbildern des US-amerikanischen
Evidenzregisters Blueprints for Healthy Youth Development
(www.blueprintsprograms.org) und der niederländischen Databank Effectieve
Jeugdinterventies (www.nji.nl/interventies) aufgebaut. Seit 2016 wird sie in
Kooperation mit der Medizinischen Hochschule Hannover gepflegt und weiterentwickelt.
Der Aufbau des Evidenzregisters erfolgte im Rahmen des kommunalen Präventionssystems
Communities That Care (CTC). Ziel von CTC ist die Förderung einer
gesunden Entwicklung von Heranwachsenden sowie die Reduktion von Problemverhalten
[15]. CTC unterstützt Kommunen bei
der Auswahl bedarfsorientierter evidenzbasierter Programme sowie bei der
Implementation, Qualitätsentwicklung und Netzwerkbildung [15]
[16]
[17]. Einer US-amerikanische Studie nach
reduziert CTC das Problemverhalten; diese Effekte sind auf den verstärkten Einsatz
wirkungsüberprüfter Programme zurückzuführen [18]. Ob dies im deutschen Kontext
gleichermaßen gilt, wird derzeit in einem kontrollierten Studiendesign mit 42
Kommunen untersucht [17]. Die Grüne
Liste Prävention wird inzwischen nicht nur auf kommunaler Ebene, sondern
auch auf Landes- und Bundesebene sowie im Kontext der Forschung genutzt [19].
Die Grüne Liste Prävention bietet einen Überblick zu den aktuell verfügbaren,
wirksamkeitsgeprüften PGF-Maßnahmen mit einem Fokus auf der psychosozialen
Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Dabei handelt es sich um eine systematische
Zusammenstellung der evidenzbasierten Programme in Deutschland. Diese werden
hinsichtlich ihrer Konzept-, Umsetzungs- und Evaluationsqualität begutachtet und nur
gelistet, wenn sie einer von drei Evidenzstufen zugeordnet werden können: (1)
Effektivität theoretisch gut begründet, (2) Effektivität wahrscheinlich und (3)
Effektivität nachgewiesen [20]. Die
Aufnahme- und Bewertungskriterien sind auf der Webseite veröffentlicht. In den
Registereinträgen werden Informationen z. B. zu Evaluation, Ziel, Risiko- und
Schutzfaktoren, Zielgruppe, Methode und Ansprechpersonen gegeben. Diese Inhalte
werden kontinuierlich überarbeitet und ergänzt. Es gibt zwei Zugangswege, um in den
Aufnahmeprozess zu gelangen: anhand der frei zugänglichen Vorschlagsfunktion auf der
Webseite oder durch Eigenrecherchen des Projektteams.
Ziel dieses Beitrags ist die Analyse der im Register enthaltenen
wirksamkeitsgeprüften Programme, um (a) die Charakteristika der in diesem Register
erfassten Grundgesamtheit von deutschlandweit verfügbaren und evaluierten Programme
zur psychosozialen Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu analysieren, (b) neben
den Schwerpunkten der Grünen Liste Prävention (z. B. Settings und Themen)
besonders etwaige unterrepräsentierte Bereiche zu identifizieren, um anhand dieser
„Angebotslücken“ Hinweise geben zu können, in welchen Bereichen wirkungsevaluierte
Programme fehlen und (c) anhand der erfassten, charakteristischen Programmmerkmale
die Suchfunktionen des Registers zu erweitern und damit den Akteur*innen der PGF
eine noch passgenauere, effizientere Programmauswahl zu ermöglichen
Methodik
Zur Analyse der Registerinhalte erfolgte im Februar 2024 eine systematische
Charakterisierung der gelisteten Programme. Zuvor wurden zur Erweiterung der
Suchfunktionen und zur Abbildung der Registerinhalte die zentralen Programmmerkmale
(z. B. Zielgruppe, Handlungsfeld) aller gelisteten Programme erfasst. Die
Kategorienbildung erfolgte durch zwei Personen (RB, KB); die Ergebnisse wurden mit
zwei weiteren Personen (FGR, UW) diskutiert.
In einem iterativen Verfahren wurden die vorhandenen Oberkategorien der
Registereinträge induktiv in Unterkategorien ausdifferenziert, z. B. die Kategorie
„Zielgruppe“ in „primäre“ und „sekundäre Zielgruppe“, da etliche Programme primär
die Zielgruppe Kinder- und Jugendliche adressieren, diese aber über sekundäre
Einflusspersonen erreichen. Zudem wurden in einem deduktiven Verfahren Kategorien zu
Inhalt, Methodik und umsetzungsrelevanten Aspekten ergänzt. Eine Kategorisierung der
Methoden erfolgte z. B. anhand des Behaviour Change Wheel
[21], dessen Dimension „Intervention
Functions“ verschiedene wirksame Interventionsmethoden zur Verhaltensänderung beim
Individuum aufführt. Begriffe wie z. B. Setting wurden anhand der Definition der
World Health Organization
[22] ausdifferenziert.
Die Kategorienbildung der umsetzungsrelevanten Aspekte richtete sich nach den in der
Forschung ermittelten zentralen Implementationskomponenten. Fixen et al. [23] ermittelten in ihrer
Übersichtsarbeit als Komponenten die Auswahl des Personals, Schulung vor und während
der Programmdurchführung, laufende Beratung und Betreuung durch den Anbietenden,
Personal- und Programmevaluierung, unterstützende administrative Hilfe und
Systeminterventionen. Die in der Implementationsforschung als Kernelement
erfolgreicher Programmumsetzung geltende Qualifizierung des durchführenden Personals
[23]
[24]
[25]
[26] wurde z. B. in Form von
Multiplikator*innenausbildung als Merkmal aufgenommen. Darüber hinaus ist als
besonders seit der Corona-Pandemie relevante, aktuelle Entwicklung die digitale
Programmumsetzung und -durchführung einbezogen worden [27]. Ebenso wurde die Förderfähigkeit
der Programme durch die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) als Kategorie
aufgenommen und anhand deren Leitfaden Prävention
[28] zugeordnet, um Akteur*innen
Hinweise dazu geben zu können.
Die gebildeten Ober- und Unterkategorien wurden mit Merkmalsausprägungen weiter
ausdifferenziert, z. B. die Kategorie „Dauer des Gesamtprogramms“ mit den
Ausprägungen „bis 1 Std“, „bis 1 Tag“, „bis 1 Woche“, „mehrere Wochen“, „mehrere
Monate“ und „mehrere Jahre“. Im nächsten Schritt wurden zur Analyse der
Registerinhalte die Kategorien tabellarisch in einem Erhebungsbogen (siehe
Supplement) zusammengestellt. Eine standardisierte Erfassung der Programmeinträge
(sog. „Charakterisierung“) fand durch eine Person (RB) statt, eine zweite Person
(KB) kontrollierte die Ergebnisse unabhängig davon, bei Differenzen erfolgte eine
Konsensbildung. Sämtliche Charakterisierungen erfolgten in Microsoft Access. Alle
Kategorien samt ihrer Merkmalsausprägungen wurden deskriptiv mit SPSS Statistics 27
ausgewertet und die relativen Häufigkeiten angegeben.
Ergebnisse
Insgesamt wurden 14 Ober- und 33 Unterkategorien mit 230 Merkmalsausprägungen als
Basis für die Analyse herausgearbeitet. [Tab. 1] gibt eine Übersicht über die erfassten Merkmale.
Tab. 1 Übersicht der erfassten Charakteristika der Grünen
Liste Prävention (eigene Darstellung)
Oberkategorie
|
Unterkategorie
|
Merkmalsausprägung (Beispiele)
|
Präventionsansatz
|
Präventionsansatz (Krankheitsverlauf)
|
Primärprävention, Sekundärprävention, Tertiärprävention
|
Präventionsansatz (Zielgruppe)
|
Universelle Programme, Selektive Programme, Indizierte
Programme
|
Präventionsansatz (Verhalten/ Verhältnis)
|
ausschließlich verhaltensbezogen, verhaltensbezogen mit
verhältnisbezogenem Anteil, ausschließlich verhältnisbezogen
|
Interventionsebene
|
Zielebene der Intervention
|
Mikroebene (Individuum), Mesoebene (Institution), Makroebene
(Gemeinde)
|
Setting/Lebensumfeld
|
z. B. Krippe, Kita, Schule
|
Risiko- und Schutzfaktoren (Ziel)
|
Kinder & Jugendliche
|
Risikofaktoren: z. B. Entfremdung und Auflehnung, Früher
Beginn von antisozialem Verhalten, Früher Beginn von
Substanzkonsum. Schutzfaktoren: z. B. Moralische
Überzeugungen und klare Normen, Soziale Kompetenzen,
Religion
|
Familie
|
Risikofaktoren: z. B. Geschichte des Problemverhaltens in
der Familie, Probleme mit dem Familienmanagement, Konflikte in
der Familie. Schutzfaktoren: Bindung zur Familie,
Familiäre Gelegenheiten zur prosozialen Mitwirkung, Familiäre
Anerkennung für prosoziale Mitwirkung
|
Kita/Schule
|
Risikofaktoren: Lernrückstände/schlechte Schulleistungen,
Fehlende Bindung zur Schule, Frühes und anhaltendes unsoziales
Verhalten. Schutzfaktoren: Schulische Gelegenheiten zur
prosozialen Mitwirkung, Schulische Anerkennung für prosoziale
Mitwirkung
|
Nachbarschaft/ Wohngegend
|
Risikofaktoren: z. B. Soziale Desorganisation, wenig
Bindung zur Nachbarschaft, Fluktuation und Mobilität/häufiges
Umziehen. Schutzfaktoren: Gelegenheiten zur prosozialen
Mitwirkung, Anerkennung für prosoziale Mitwirkung
|
keine Zuordnung von Risiko- und Schutzfaktoren möglich
|
Zielgruppen
|
Primäre Zielgruppe
|
z. B. Kinder/Jugendliche, Migrationshintergrund, sozial
Benachteiligte
|
Alter der Zielgruppe: 0-18 Jahre
|
Geschlecht: weiblich, männlich, trans/divers, alle
Geschlechter
|
Zentrale Einflusspersonen (sekundäre Zielgruppe)
|
z. B. (werdende) Eltern/ Erziehungsberechtigte, Peers,
Lehrkräfte
|
Themenbereich
|
Handlungsfelder
|
z. B. psychische Gesundheit, Sucht, Gewalt inkl. Mobbing
|
Problembereiche
|
z. B. Depression, Rauchen, Alkohol oder Drogen,
Internetabhängigkeit
|
Programmtyp
|
Programmform
|
z. B. Sozial- und/oder Lebenskompetenztraining, Training für
Erziehungsberechtigte, Training für pädagogische Fachkräfte
|
Umsetzungsmethode
|
z. B. Wissensvermittlung, Individuelle Beratung, Einüben
|
Programmstruktur
|
Modulanzahl und -reihenfolge
|
vorgegebene Modulreihenfolge und -anzahl, auswählbare
Modulreihenfolge und/oder -anzahl, individuelle
Ausgestaltung
|
Gesamtprogrammdauer (für Teilnehmende)
|
z. B. bis 1 Std., bis 1 Tag, bis 1 Woche
|
Durchführungsintervall
|
einmalig, wiederkehrend, kontinuierlich
|
Durchführungs-modalitäten
|
Durchführendes Personal
|
z. B. externes Personal, internes Personal (extern geschult),
internes Personal (intern geschult)
|
Train-the-Trainer-Qualifizierung (Multiplikator*innen)
|
ja, nein
|
Digitale Schulung des Personals
|
z. B. ja, teilweise, nein
|
Digitale Programmdurchführung
|
z. B. ja, das komplette Programm, teilweise, nur bestimmte
Module
|
Durchführungs-voraussetzungen
|
Schulung des Personals
|
z. B. Teilnahme, Teilnahme mit Zertifikat, keine Schulung
erforderlich
|
Zeitrahmen der Personalschulung
|
z. B. bis 1 Std., bis 1 Tag, bis 3 Tage
|
(Qualifikations-)Voraussetzungen
|
ja, welche:…, nein, keine Vorgabe
|
Anforderungen an Ressourcen
|
z. B. personelle Anforderungen, räumliche Anforderungen,
finanzielle Anforderungen
|
Fortführung/ Nachhaltigkeit
|
Begleitung/Support nach dem Training
|
ja, nein, keine Angabe
|
Angebot von Boostersessions für durchführendes Personal
|
ja, in Regelstruktur enthalten; ja, auf Nachfrage; nein; keine
Angabe
|
Angebot von Boostersessions für Teilnehmende
|
ja, in Regelstruktur enthalten; ja, auf Nachfrage; nein; keine
Angabe
|
Rahmenbedingungen
|
Gesetzlicher Arbeitsauftrag
|
z. B. Frühe Hilfen (BKiSchG – KKG, §1), Jugendarbeit
(SGB VIII, §11), Erzieherischer Kinder- und
Jugendschutz (SGB VIII, §14)
|
Förderfähigkeit (nach GKV-Förderkriterien)
|
Zuordnung zu Förderkriterien möglich, keine Zuordnung zu
Förderkriterien möglich
|
Evaluation
|
Durchführungsinstitution der Evaluation
|
durch den Anbietenden; durch andere Institutionen; keine
|
Publikationen
|
keine, eine, mehrere
|
national, international
|
Evidenzstufe
|
(nach GLP)
|
noch nicht bewertet, Stufe 1, Stufe 2, Stufe 3
|
Verbreitung
|
(Verfügbarkeit)
|
Region, Bundesland, Deutschland, International
|
In der Grünen Liste Prävention sind 102 Programme gelistet (Stand 2/2024), 33
in Evidenzstufe 1, 40 in Evidenzstufe 2 und 29 in Evidenzstufe 3. Die meisten
Interventionen sind primärpräventiv (82,4%).
Die Programme lassen sich weitgehend den GKV-Förderkriterien zuordnen, lediglich bei
11,8% war dies nicht möglich. Es handelt sich dabei um Maßnahmen gegen sexuellen
Missbrauch, Programme für straffällige Jugendliche sowie zur Prävention von
Amokläufen.
Ausschließlich verhaltensbezogen ausgerichtet sind 91,2% der Programme, 7,8% weisen
einen verhaltensbezogenen Schwerpunkt mit verhältnisbezogenem Anteil auf, und ein
Eintrag umfasst ausschließlich verhältnispräventive Maßnahmen.
Das Altersspektrum der primären Zielgruppe reicht vom Säugling bis zur späten
Adoleszenz, wobei sich die meisten Programme an Jugendliche (59,8%) richten und die
wenigsten an Säuglinge und Kleinkinder (24,5%) ([Abb. 1]).
Abb. 1 Zielgruppen der Programme (n=102) nach Altersklassen,
Mehrfachnennungen möglich.
Sekundäre Zielgruppen sind vorrangig Lehrkräfte (51,0%), während
Entscheidungsträger*innen in der Kommune kaum adressiert werden (1,0%) ([Abb. 2]).
Abb. 2 Von den Programmen (n=102) adressierte zentrale
Einflusspersonen als sekundäre Zielgruppe, Mehrfachnennungen möglich.
Die meisten Programme in der Grünen Liste Prävention sind in der Lebenswelt
Schule angesiedelt (58,8%), die wenigstens im Ausbildungsbetrieb (2,9%). ([Abb. 3]).
Abb. 3 Von den Programmen (n=102) adressierte Lebenswelten,
Mehrfachnennungen möglich.
Häufige präventive Handlungsfelder bilden Gewalt und Mobbing (63,7%), Sucht (46,1%)
und/oder psychische Gesundheit (35,3%); hingegen sind Ernährung (2,9%) und/oder
Bewegung (2,0%) erwartungsgemäß kaum aufgeführt.
Die Förderung sozio-emotionaler Fähigkeiten erfolgt vor allem über Sozial- und/oder
Lebenskompetenztrainings (60,8%). Verhältnispräventive Ansätze wie umfeldbezogene
Interventionen (3,9%) und/oder politische Maßnahmen (1,0%) sind in diesem
Evidenzregister kaum enthalten ([Abb.
4]).
Abb. 4 Programmformen der Präventionsprogramme (n=102),
Mehrfachnennungen möglich.
Die Analyse berücksichtigt fünf Aspekte der Implementationsforschung. Die Ausbildung
von eigenen Multiplikator*innen vor Ort sehen etwa ein Viertel der Programme vor
(24,5%), die übrigen machen hierzu keine Angaben. Bei 33,3% der Programme gibt es
eine weiterführende Begleitung durch den Anbietenden. Boostersessions für die
Durchführenden bzw. für die Teilnehmenden bieten nur wenige Programme in der
Regelstruktur (14,7% bzw. 5,9%) oder auf Nachfrage (9,8% bzw. 2,9%) an.
Qualifikationsvoraussetzungen für Durchführende in den Einrichtungen nennen etwa ein
Fünftel (22,5%); dazu zählen eine spezifische Ausbildung (11,8%), ein Studium
(5,9%), Berufserfahrung (3,9%), die Arbeit als Fachkraft (2,9%) und verschiedene
andere Qualifikationen (5,9%).
Schulungen für das durchführende Personal in digitaler Form erfolgen bei 17,6% der
Programme. Die Möglichkeit zur digitalen Programmdurchführung z. B. mittels
Online-Kurs oder -Plattform besteht bei 10,8% der Maßnahmen.
Diskussion
Der Fokus der Grünen Liste Prävention liegt auf der Prävention von
Substanzkonsum, Gewalt, Mobbing und delinquentem Verhalten. Dies ist bedingt durch
die bisherige Förderung von Institutionen der Kriminalprävention und die Einbettung
in das Präventionssystem Communities That Care. Die Risiko- und
Schutzfaktoren dieser Problemverhaltensweisen decken sich weitgehend mit der
psychischen Gesundheit. Die Programme werden sowohl im gesundheitsbezogenen als auch
im kriminalpräventiven Bereich eingesetzt. Entsprechend besteht eine
Anschlussfähigkeit an die Förderkriterien der GKV, denn 88,2% der gelisteten
Programme können diesen Kriterien zugeordnet werden, was hinsichtlich der
Finanzierung besonders bedeutsam für Akteur*innen sein kann.
Sozial- und Lebenskompetenztrainings für Kinder und Jugendliche, Elterntrainings,
familienorientierte Frühinterventionen und schulbezogene Maßnahmen sind wirksame
Ansätze mit guten Effekten [2]
[4]. Diese Ergebnisse spiegeln sich auch
in der Analyse der Grünen Liste Prävention wider; so sind vor allem diese
Präventionsansätze vertreten. Nach wissenschaftlichen Befunden aus verschiedenen
PGF-Bereichen ist eine Kombination aus Verhaltens- und Verhältnisprävention
besonders wirksam [29]
[30]
[31]
[32]. Die Grüne Liste Prävention
sollte deshalb Programme mit einem verhältnisbezogenen Anteil deutlicher
kennzeichnen. Denkbar wäre hier die Verwendung von Rosenbrocks Differenzierung in
„verhältnisbezogene Verhaltensprävention“ [33]. Zudem sind generell vermehrt Evidenzen zu verhältnispräventiven
Maßnahmen aufzulisten, um Akteur*innen Empfehlungen zu wirksamen Veränderungen der
Umweltbedingungen und Strukturen zu geben. Einen ersten Schritt in diese Richtung
stellt der Registereintrag zu verhältnispräventiven Maßnahmen zur Reduzierung der
Verfügbarkeit von Alkohol im kommunalen Setting dar.
Der Einbezug spezifischer Implementationsaspekte ist für eine nachhaltige
Programmumsetzung relevant [23]
[24]
[25]
[26]
[34]
[35]
[36]. Dazu gehören u. a. zentrale
Aspekte des Transfers in andere Kontexte, Programmtreue und kultursensible anstelle
von pragmatischen Anpassungen [37]
[38]. Die vorliegende
Analyse konnte zeigen, dass einige der hier betrachteten zentralen
Implementationskomponenten noch wenig umgesetzt bzw. beschrieben werden. Dies sollte
den Programmanbietenden aus z. B. der Kriminalprävention, Gesundheit und Bildung
widergespiegelt und im Diskurs erörtert werden. Ein derartiger settingbezogener und
sektorenübergreifender Austausch dient der von Walter geforderten
Qualitätsentwicklung in der PGF [39].
Je präziser die Kernkomponenten eines Programmes oder einer Maßnahme bekannt sind
und definiert werden, desto erfolgreicher kann eine Intervention umgesetzt werden
[23].
Die Digitalisierung hat den Bereich der PGF verändert und erweitert das Spektrum der
Interventionen grundlegend [40].
Gerade während der Corona-Pandemie zeigte sich die große Relevanz von digitalen
Angeboten, ebenso ihre Chancen und Herausforderungen. Die Auswertung verdeutlicht,
dass Potenziale der digitalen Programmumsetzung bestehen. Allerdings ist für manche
Programme, wie für Hausbesuchsprogramme oder frühkindliche Interventionen, eine
persönliche Teilnahme mit einer Betreuung vor Ort ein konzeptionell elementarer
Bestandteil und kann in engem Zusammenhang mit der Wirksamkeit der Maßnahme stehen.
Die Wirksamkeitsnachweise für digital gestützte Angebote sind gegenwärtig eher rar.
So existieren z. B. noch keine standardisierten Evaluationsmethoden für digitale
Interventionen [41].
Die Analyse zeigt Potentiale der Grünen Liste Prävention hinsichtlich
Erweiterungen um andere Themenbereiche (z. B. Ernährung, Bewegung, Klimagesundheit)
und Zielgruppen (z. B. junge Erwachsene, ältere Menschen). Prinzipiell können
Inhalte aus verschiedenen Bereichen der PGF in einem Evidenzregister gebündelt und
Akteur*innen ein umfassender Überblick über das evidenzbasierte Präventionsfeld
ermöglicht werden. Aktuell erfolgt durch eine Förderung des Verbands der privaten
Krankenversicherung eine Erweiterung des Evidenzregisters um die Handlungsfelder
Ernährung und Bewegung sowie um verhältnispräventive Maßnahmen und Settingansätze
[42]. Anhand der hier
identifizierten Kategorien sollen nun die erweiterten Suchfunktionen in das
Evidenzregister eingefügt werden, um eine ressourcenschonende, zielgenaue Anwendung
zu fördern.
Die Ausarbeitung gibt zum ersten Mal einen Überblick über die gelisteten Programme
und deren Inhalte wie Zielgruppen, Präventionsthemen, Programmformen,
Umsetzungsmethoden und Implementationsaspekte. Zugleich lassen die Analyseergebnisse
Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit von Programmen zur psychosozialen Gesundheit
von Kindern und Jugendlichen zu, die positive Ergebnisse in wissenschaftlichen
Evaluationsstudien mit ausreichender Qualität haben und aktuell deutschlandweit für
die Umsetzung verfügbar sind. Durch die zwei Zugangswege zum Register
(kontinuierliche Recherche des Projektteams und Vorschlagfunktion auf der Webseite
seit nunmehr 13 Jahren) sind die derzeit behandelten Themenbereiche im Register
nahezu vollumfänglich erfasst.
Die Limitationen der Merkmalsbildung bestehen zum einen darin, dass neue Erkenntnisse
der Forschung und aktuelle Entwicklungen (z. B. digitale Umsetzungsformen) eine
Erweiterung erfordern. Zum anderen basiert die Methodik der Kategorienbildung
lediglich auf den aktuellen Registereinträgen und wurde um einzelne
literaturbasierte Aspekte ergänzt. Eine systematische Literaturrecherche zu
wesentlichen Programmmerkmalen hätte möglicherweise weitere Erkenntnisse liefern
können. Hinsichtlich des Nutzungsverhaltens der Akteur*innen und der Wirksamkeit des
Registers besteht aktuell eine Forschungslücke. Quantitative und qualitative
Erhebungen könnten wichtige Erkenntnisse zur Anwendung des Evidenzregisters
generieren. Dies ist besonders bedeutsam, da Akteur*innen der Praxis der Relevanz
von Evidenzbasierung mitunter skeptisch gegenüberstehen [8].
Die Forderung nach Evidenzbasierung befindet sich teilweise in einem wahrgenommenen
Spannungsverhältnis mit den Leitprinzipien der Ottawa-Charta (Partizipation,
Empowerment, Vernetzung und Kapazitätsentwicklung) [8]. Oft werden die Forschungsevidenzen
nicht als unmittelbar handlungsleitend angesehen und somit seltener umgesetzt, die
Handlungsentscheidungen richten sich vielmehr nach Interessenlage, Umsetzbarkeit und
verfügbaren Ressourcen [8]. Dies kann
dazu führen, dass Maßnahmen ohne Wirksamkeitsevaluation lediglich aufgrund von
Machbarkeitsaspekten implementiert werden.
Um Evidenz und Praxisherausforderungen zu verbinden, wird eine frühzeitige
Zusammenarbeit von Praxis und Wissenschaft empfohlen [9]. Beispiele hierfür sind die
kommunale Präventionsstrategie Communities That Care
(www.communities-that-care.de) sowie die Schulentwicklungsmethode Schools That
Care (www.finder-akademie.de/schools-that-care) bzw. Weitblick
(www.weitblick.schule), bei denen Akteur*innen qualifiziert und
befähigt werden Evidenz bei der Entscheidungsfindung vermehrt zu berücksichtigen.
Insbesondere im Kontext solcher Präventionsstrategien kann die Grüne Liste
Prävention als Evidenzregister einen wichtigen Beitrag zur Evidenzbasierung
leisten.
Fazit
Durch die systematische Analyse der Registerinhalte und die Erfassung der
wesentlichen Programmmerkmale wurden (a) die Charakteristika der in Deutschland
verfügbaren und evaluierten Programme zur psychosozialen Gesundheit von Kindern und
Jugendlichen verdeutlicht. Dieses ist besonders relevant, da die Grüne Liste
Prävention in diesem Bereich nahezu die Grundgesamtheit dieser Programme
erfasst. Somit bietet das Evidenzregister vertiefte Einblicke in das Spektrum der
Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung. Es wurden (b) die Schwerpunkte
der Grünen Liste Prävention sowie wenig repräsentierte Bereiche
(„Angebotslücken“) ermittelt. Dies bietet Akteur*innen einen Überblick über die
Ausrichtung des Registers und kann programmanbietenden und -entwickelnden Personen
Entwicklungspotenziale aufzeigen. Außerdem wurde (c) eine Basis für die
Ausdifferenzierung der Suchfunktionen der Grünen Liste Prävention geschaffen.
In Hinblick auf die Erweiterung des Evidenzregisters um die Handlungsfelder
Ernährung und Bewegung sowie um verhältnispräventive Maßnahmen sind effiziente
Suchfunktionen von besonderer Relevanz.
Diese Ausarbeitung verdeutlicht, dass die Grüne Liste Prävention eine Vielzahl
von unterschiedlichen Maßnahmen bündelt. Sie kann somit einen Beitrag zur
evidenzbasierten Programmauswahl leisten und stellt mit den transparenten
Bewertungskriterien selbst eine Art Prüfsiegel zur Qualitätssicherung von Maßnahmen
dar. Die anwendungsfreundliche Aufbereitung des Wissens über Wirksamkeit von
Maßnahmen und der leichte Zugang über dieses Evidenzregister ist angesichts der
Vielzahl von Interventionen, einer umfangreicheren Studienlage und begrenzter
Fachkräfteressourcen wichtiger denn je. Obwohl aktuell noch quantitativ messbare
Informationen zum Nutzungsumfang und –verhalten des Registers fehlen, kann anhand
von zahlreichen Rückmeldungen aus verschiedenen Anwendungskontexten davon
ausgegangen werden, dass die Grüne Liste Prävention dazu beiträgt, die Lücke
zwischen der theoretischen Forderung nach Evidenzbasierung und deren Anwendung in
der PGF-Praxis weiter zu schließen. Es bleibt erforderlich, Evidenzbasierung als
Prinzip in der PGF weiter zu stärken, gesundheitspolitisch zu fordern und gezielt zu
fördern. Die Grüne Liste Prävention stellt hierfür einen wichtigen Baustein
dar, um zur wirksamen Verbesserung gesundheitsförderlicher Lebensstile bei Kindern
und Jugendlichen beizutragen.