Aktuelle Dermatologie 2024; 50(06): 253-254
DOI: 10.1055/a-2312-8035
Editorial

Ein Leben ohne Mastzelle?

Life without mast cells?
Christiane Bayerl
1   Klinik für Dermatologie und Allergologie, Helios Dr. Horst Schmidt Kliniken Wiesbaden, Hauttumorzentrum Wiesbaden, Wiesbaden, Deutschland
› Author Affiliations

Die chronisch spontane Urtikaria (CSU) mit oder ohne Angioödem assoziieren wir mit der Mastzelle. Die Leitlinie [1] hat eine enorme Erleichterung in der Abklärung dieses Krankheitsbilds gebracht und das „Fokus Hokuspokus“ beendet. Im Vergleich zur akuten Urtikaria mit einer Lebenszeitprävalenz von 20% liegt die Lebenszeitprävalenz der CSU bei 0,5–2%. Zu den Ursachen zählen eine Autoallergie als Typ-I-Autoimmunität mit IgE oder Autoallergenen (TPO, dsDNA) gegen den hochaffinen FcεRI-Rezeptor, gegen KIT oder Siglec 8 – allesamt Rezeptoren auf der Mastzelloberfläche. Weitere Ursachen sind die seltene und therapieresistente Typ-IIb-Autoimmunität mit Mastzell-aktivierenden IgG- oder IGM-anti-FcεRI-Rezeptor-Antikörpern [2] [3] oder noch unbekannte Mechanismen. Die chronisch induzierbare Urtikaria (CindU) lässt sich auslösen und trägt daher den Namen der auslösenden Qualität, z.B. Urtikaria factitia = symptomatischer Dermographismus, Kälteurtikaria, Lichturtikaria, Wärmeurtikaria, Vibrationsurtikaria, cholinergische Urtikaria, Kontakturtikaria, aquagene Urtikaria [1].

Die Routinediagnostik umfasst bei allen Typen der CSU nur noch eine begrenzte Anzahl von Tests: Differenzialblutbild, BSG und/oder CRP, IgG-Anti-TPO, Gesamt-IgE und Differenzialblutbild. Ein erweitertes Vorgehen richtet sich allein nach der Anamnese und dient dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen, aber nur, wenn nach Anamnese indiziert. Das könnte ein Ausschluss von Infektionskrankheiten sein, Ausschluss schwerer Systemerkrankungen (z.B. Tryptasewert im Serum bei Mastozytoseverdacht), Probebiopsie bei Verdacht auf Urtikariavaskulitis oder auf bullöses Pemphigoid. Das bullöse Pemphigoid, eine autoimmune blasenbildende Hauterkrankung, weist in seiner Frühform (prämonitorische Form) Quaddeln auf. Bei immer wieder begleitendem Fieber sind die seltenen Cryopyrin-assoziierten periodischen Syndrome (z.B. Schnitzler-Syndrom u.a.) auszuschließen. Treten keine Quaddeln, aber Angioödeme auf, sind die Angiotensin-Converting-Enzym-induzierten Angioödeme und das hereditäre Angioödem als Differenzialdiagnose in Betracht zu ziehen [4]. Die Logik sollte sein: große Anamnese – kleines Basislabor!

Die neue Leitlinie sieht ein Stufenschema vor und Step-up-, Step-down-Empfehlungen nach dem Urtikaria-Kontroll-Score. Die Standardtherapie besteht in der Gabe der doppelten Dosis eines nicht-sedierenden Antihistaminikums morgens und abends und kann auf die vierfache Dosis gesteigert werden; Cave: QT-Zeit-Verlängerung. Mit dieser Therapie werden 75% der Patienten symptomfrei. Wenn nicht, wird gemäß der Leitlinie weiter eskaliert, bis der Patient völlig beschwerdefrei ist. Sonst wird zusätzlich auf das Anti-IgE-Präparat Omalizumab 300 mg alle 4 Wochen eskaliert [1].

Aufgrund der mittlerweile bekannten Mastzell-Oberflächenmarker werden weitere Therapien entwickelt [5]. Darunter sind auch Therapien, die die Mastzellen im menschlichen Organismus vollkommen depletieren. Bei der CSU wurde die Wirksamkeit des Anti-KIT-Antikörpers Barzolvolimab untersucht. Die Aktivierung des KIT-Rezeptors durch den Stammzellfaktor, der verschiedene Signalwege kontrolliert, ist für die Differenzierung, die Chemotaxis und das Überleben von Mastzellen entscheidend. Die Blockade des Rezeptors durch Barzolvolimab führt zur vollkommenen temporären Mastzelldepletion. Als temporäre Nebenwirkungen unter dieser Therapie werden ein Weißwerden der Haare und ein Geschmacksverlust angegeben [6]. Bei Kälteurtikaria und Urticaria factitia wurde der KIT-Antikörper untersucht und zeigte eine sehr gute Wirkung. Die Depletion der Mastzellen als Therapie wird weiter untersucht. Erstaunlich ist, dass man wohl ohne Mastzellen leben kann, zumindest kurzfristig; Langzeitdaten fehlen noch.

Ihre
Christiane Bayerl



Publication History

Article published online:
14 June 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany