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DOI: 10.1055/a-2318-8994
Spontane intrakranielle Hypotension – eine spinale Erkrankung
Article in several languages: English | deutsch- Zusammenfassung
- Abkürzungsverzeichnis
- Einleitung
- Definition und Pathophysiologie
- Klinische Manifestation
- Therapeutisches Vorgehen
- Langzeitfolgen und Komplikationen in Diagnostik und Klinik
- Schlussfolgerungen
- References
Zusammenfassung
Hintergrund
Die spontane intrakranielle Hypotension (SIH) ist ein unterdiagnostiziertes Krankheitsbild, das jedoch aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse zunehmend Aufmerksamkeit erfährt. Die Diagnosestellung kann durch ein breites klinisches Erscheinungsbild und Fallstricke in der Bildgebung verzögert werden. Daraus resultiert eine hohe körperliche Beeinträchtigung für die Patienten, einschließlich sozialer und psychischer Folgen sowie Langzeitschäden bei prolongierter Diagnostik und Therapie.
Methode
Basierend auf einer selektiven Literaturrecherche auf PubMed mit Einschluss aller Arbeiten zwischen 1990 und 2023 sowie der klinischen Erfahrung aus der Arbeit der Autoren in einem CSF-Zentrum.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
SIH betrifft meist Frauen im mittleren Alter, Leitsymptom ist dabei der lageabhängige orthostatische Kopfschmerz. Daneben gibt es ein breites Spektrum weiterer möglicher Symptome, die sich mit anderen Krankheitsbildern überlappen können und dementsprechend die Diagnosestellung erschweren. Der ursächliche spinale Liquorverlust lässt sich in drei Haupttypen unterteilen: das ventrale (Typ 1) und laterale (Typ 2) Duraleck sowie die Liquor-Vene-Fistel (Typ 3). Die Diagnostik kann über eine zweistufige Aufarbeitung erfolgen. Im ersten Schritt liefert die nicht invasive MRT von Kopf und Wirbelsäule Hinweise auf das Vorliegen einer SIH. Der zweite Schritt mittels gezielter Myelografie kann den genauen Ort des Liquoraustritts identifizieren und eine gezielte Behandlung ermöglichen (operativ oder interventionell). Eine intrathekale Druckmessung oder die intrathekale Gabe von Gadolinium ist dabei zur Primärdiagnostik nicht mehr notwendig. Ernstzunehmende Komplikationen im Verlauf der Krankheit bestehen z.B. in raumfordernden Subduralhämatomen, der superfiziellen Siderose und Symptomen im Rahmen eines „brain sagging“, was zu Fehlinterpretationen führen kann. Die Therapie besteht im Verschluss des Duralecks bzw. der Liquorfistel. Auch nach erfolgreicher Therapie können Rezidive auftreten, was die Wichtigkeit einer klinischen Nachsorgeuntersuchung einschließlich Follow-Up-MRT betont und den chronischen Charakter der Krankheit unterstreicht. Diese Arbeit liefert eine Übersicht über den diagnostischen Work-Up von Patienten mit Verdacht auf SIH und neue Entwicklungen in Bildgebung und Therapie.
Kernaussagen
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Die SIH ist ein unterdiagnostiziertes Krankheitsbild mit einer großen Variationsbreite möglicher Symptome.
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Der erste Diagnostikschritt mittels MRT liefert Hinweise auf das Vorliegen einer SIH.
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Der zweite Diagnostikschritt mittels (dynamischer) Myelographie kann das Liquorleck identifizieren.
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Eine Zusammenarbeit mit einem CSF-Zentrum ist bei weiterführender Diagnostik und Therapie sinnvoll.
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Eine zeitnahe Erkennung und Behandlung der SIH verbessert das Outcome.
Zitierweise
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Zander C, Wolf K, El Rahal A et al. Spontaneous intracranial hypotension – a spinal disease. Fortschr Röntgenstr 2024; DOI 10.1055/a-2318-8994
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Abkürzungsverzeichnis
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Einleitung
Die spontane intrakranielle Hypotension (SIH), erstmals 1938 von einem deutschen Neurologen als „Hypoliquorrhoe“ beschrieben, hat in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante Entwicklung der Diagnostik und Therapie erfahren [1]. Trotz zunehmender Aufmerksamkeit für das Erkrankungsbild ist jedoch von einer hohen Rate an initialen Fehldiagnosen auszugehen [2] [3]. Untersuchungen zeigen, dass die SIH häufiger ist als ursprünglich angenommen – allerdings ist die Datenlage zur Inzidenz insgesamt gering [4]. Es werden Häufigkeiten von 5/100.000 Patienten pro Jahr beschrieben, was annähernd der globalen Inzidenz einer aneurysmalen Subarachnoidalblutung entspricht [5] [6] [7].
Ursache des Krankheitsbildes ist ein spinaler Liquorverlust, welcher durch einen Durariss oder durch eine direkte Verbindung des Liquorraums zu einer paravertebralen Vene (Liquor-Vene-Fistel) verursacht wird [8]. Ein Liquorleck an der Schädelbasis mit Rhino- oder Otoliquorrhoe hingegen ruft in der Regel keine SIH-Symptomatik hervor [9]. Betroffen sind meist Frauen (w:m ca. 3:2) im mittleren Alter [6]. Die daraus resultierende Klinik variiert stark und kann neben orthostatischen Kopfschmerzen, dem Leitsymptom, ein breites Spektrum an Symptomen bis hin zu komatösen Zuständen als schwerste Ausprägung hervorrufen [10]. Untersuchungen zeigen auch schwerwiegende Auswirkungen der Unterdruck-Symptomatik auf die Lebensqualität: Depression, Angstgefühle und Suizidgedanken sind in diesem Kollektiv häufig [11] [12]. Wird die Diagnose nicht korrekt gestellt, kann dies zudem zu einem fehlerhaften therapeutischen Work-Up führen – bis hin zu unnötigen operativen Eingriffen [3].
In den letzten Jahren zeigte sich eine rasante Entwicklung der diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten: Mittels hochauflösender Bildgebung lassen sich selbst Mikro-Pathologien darstellen und durch verschiedene interventionelle Therapien behandeln. Durch die Weiterentwicklung von Diagnostik und Therapie kann das Krankheitsbild zunehmend früher erkannt und adäquat behandelt und somit ernste Komplikationen vermieden werden. Infolge der steigenden Aufmerksamkeit ist mit einer zunehmenden Erkennung des Krankheitsbildes und damit auch steigenden Inzidenz zu rechnen. Diese Übersichtsarbeit liefert einen Leitfaden für den Umgang mit betroffenen Patienten.
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Definition und Pathophysiologie
In der aktuellen, dritten Auflage der Internationalen Klassifikation der Kopfschmerzsyndrome wird der Kopfschmerz im Rahmen einer SIH als orthostatischer Kopfschmerz beschrieben, der meist von Nackensteifigkeit und Hörstörungen begleitet wird [13]. Die Diagnosekriterien von Unterdruckkopfschmerzen sind in [Tab. 1] zusammengefasst. Aufgrund der unterschiedlichen Genese und Prognose sollte zwischen der spontanen Hypotension und anderen Unterdruck-Kopfschmerzen unterschieden werden. Zum einen ist hier der postpunktionelle Kopfschmerz zu nennen („postdural puncture headache“, PDPH), zum anderen Kopfschmerzen durch eine Liquorfistel nach vorangegangener Operation oder Trauma [13].
Modifizierte Diagnosekriterien der spontanen intrakraniellen Hypotension |
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A. |
Jeder Kopfschmerz, der Kriterium C erfüllt |
B |
Liquoreröffnungsdruck <6cm H2O und/oder Nachweis eines Liquorlecks in der Bildgebung |
C |
Kopfschmerz, der in zeitlichem Zusammenhang zu dem niedrigen Liquordruck oder Liquorleck auftritt oder zu dessen Entdeckung geführt hat |
D |
Nicht besser durch eine andere ICHD-3 Diagnose erklärt |
Wenn auch die SIH klassisch über einen erniedrigten Liquoreröffnungsdruck (<6cm H2O) definiert wurde, zeigen neuere Untersuchungen, dass der größte Anteil der Patienten einen normalen intrathekalen Druck aufweist [14]. Insofern ist der Terminus „spontane intrakranielle Hypotension“ im eigentlichen Sinne irreführend, da es sich wohl mehr um eine Hypovolämie als eine echte Hypotension handelt [15] [16]. Aufgrund dieser neueren Erkenntnisse und der hohen Sensitivität der MRT in der primären Diagnostik der SIH (s.u.) ist eine intrathekale Druckmessung als diagnostische Intervention nicht mehr notwendig [13].
Entsprechend der Monro-Kellie-Doktrin führt der Volumenverlust in einem Kompartiment eines abgeschlossenen Systems zur Volumenerhöhung eines anderen Kompartiments. Übertragen auf den Liquorverlust bei SIH kommt es in der Folge zu einer Erweiterung der venösen Blutleiter mit hierdurch charakteristischen bildmorphologischen Veränderungen [10] [17]. Dabei wird angenommen, dass durch ein Absinken („brain sagging“) des Gehirns und dadurch bedingte Traktion der Meningen der meist okzipital betonte Kopfschmerz resultiert [3].
Modifiziert nach Schievink et al. und Farb et al. haben sich in der klinischen Praxis die folgenden drei Haupttypen von Liquorlecks etabliert [8] [18]:
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Typ 1 (ca. 50% der Fälle) [18]: Ventraler Durariss, welcher meist durch einen Knochensporn, selten auch durch einen weichen Bandscheibenvorfall verursacht wird [19]. ⅔ der Typ-1-Leaks sind im oberen thorakalen Abschnitt lokalisiert [20].
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Typ 2 (ca. 20% der Fälle) [18]: Lateraler Durariss im Bereich der Nervenwurzeltasche, wobei die genaue Ursache für den Durariss bislang unklar ist. Diskutiert werden eine durale Schwachstelle oder Mikrotraumen [21]. Meist sind Typ-2-Leaks zwischen der mittleren BWS und oberen LWS vorzufinden.
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Typ 3 (ca. 25% der Fälle) [18]: die Liquor-Vene Fistel, also eine direkte Verbindung vom Liquorraum zum inneren oder äußeren spinalen Venenplexus. Möglicherweise sind in der Pathogenese Einrisse spinaler Pacchioni-Granulationen beteiligt [22]. Typ-3-Leaks haben eine rechtsseitige Prädilektion und sind überwiegend in der mittleren und unteren BWS lokalisiert [23].
Neben diesen drei Typen gibt es Hinweise auf eine vierte Gruppe in der sakralen Region (Vorkommen ca. 6%), wobei auffällt, dass diese fast ausschließlich bei Frauen gefunden wurden [24]. Weitere Erkenntnisse zu sakralen Leaks, wie auch zur Ätiologie, bleiben abzuwarten.
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Klinische Manifestation
Leitsymptom der SIH ist der lageabhängige, orthostatische Kopfschmerz mit Besserung der Symptome im Liegen [3]. Entsprechend berichten Patienten auch häufig von einem zunehmenden Kopfschmerz vor allem in der zweiten Tageshälfte (sog. „second half of the day headache“ [25]), während die Symptome beim Aufwachen nur milde bis gar nicht ausgeprägt sind [25] [26] [27]. Dabei können die Patienten nicht selten den genauen Beginn der Beschwerden benennen [3]. Typisches Symptom ist auch die mentale Beeinträchtigung („brain fog“) sowie ein Gefühl von Wasser in den Ohren („aural fullness“) [10] [26] [27] [28]. Darüber hinaus gibt es eine große Variabilität potenzieller Begleitsymptome ([Tab. 2]).
Symptome bei SIH |
Häufigkeit |
Kopfschmerzen
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94–99% [6] 87–96% [6] 4–13% [6] |
Übelkeit, Erbrechen |
46–62% [6] |
Nackensteifigkeit |
32–53% [6] |
Schwindel |
13–42% [6] |
Hörstörungen |
18–38% [6] |
Tinnitus |
14–26% [6] |
Lichtscheu |
5–16% [6] |
Doppelbilder |
3–10% [6] |
Andere visuelle Symptome |
7–21% [6] |
Bewusstseinsveränderungen |
8–22% [6] |
Kognitive Einschränkungen |
2–11% [6] |
Wichtige Differenzialdiagnosen der SIH sind beispielsweise das posturale Tachykardiesyndrom (POTS), Migräne oder der zervikogene Kopfschmerz [29] [30]. Aber auch gegenüber anderen Erkrankungen, wie der Chiari-Malformation oder der frontotemporalen Demenz, kann die Abgrenzung erschwert sein (s.u.).
Grundsätzlich können sich die Beschwerden der SIH im Krankheitsverlauf verändern, wobei der Kopfschmerz selbst oder die Lageabhängigkeit des Kopfschmerzes in den Hintergrund treten kann, während andere Symptome an Bedeutung gewinnen [3] [31].
Stufendiagnostik
Hinweise für das Vorliegen einer SIH (MRT und SIH-Score)
Der erste Schritt im diagnostischen Work-Up besteht in der Evaluation der Wahrscheinlichkeit eines vorliegenden Liquorverlustes, wofür die nicht-invasive MRT, sofern mit geeigneten Sequenzen durchgeführt, ausreichend ist [32].
MRT des Kopfes
Ein Standardprotokoll sollte mindestens eine sagittale T1w-Sequenz nach Kontrastmittel (KM), besser noch 3D-Sequenz (z.B. MPRage, „magnetization prepared rapid acquisition with gradient echoes“) und eine native FLAIR-Sequenz („fluid attenuated inversion recovery“) des Kopfes enthalten [30].
Auf Basis dieser Sequenzen erfolgt die Berechnung des sog. „Bern SIH-Score“, welcher sich zur Abschätzung eines vorhandenen CSF Leaks in der Literatur etabliert hat ([Abb. 1]) [17] [33]. In diesem Score werden verschiedene SIH-Zeichen unterschiedlich stark gewertet: So sind insbesondere das pachymeningeale Enhancement, die Erweiterung der venösen Sinus und der verringerte supraselläre Abstand sehr sensitive Zeichen für eine SIH und werden daher doppelt (jeweils 2 Punkte) gewertet [17]. Dabei ist das Wissen um die ubiquitäre pachymeningeale Kontrastmittel-Aufnahme bei SIH entscheidend für die Differenzierung gegenüber entzündlichen oder neoplastischen Zuständen (die meist leptomeningeal anreichern) [29]. Minorkriterien sind der verringerte präpontine und mamillopontine Abstand und das Vorliegen von Hygromen bzw. Subduralhämatomen (jeweils mit 1 Punkt bewertet) [17]. Durch Addition der Punkte ergibt sich eine Punkteskala zwischen 0 bis 9. Dabei hat ein Score von ≤2 eine niedrige, ein Score von 3–4 eine mittlere und ein Score von ≥5 eine hohe Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen eines Liquorverlustes und hilft somit bei der Entscheidung über das weitere Vorgehen [17].


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MRT der Wirbelsäule
Zu betonen ist die Bedeutung einer MRT-Untersuchung nicht nur vom Kopf sondern auch der Wirbelsäule. Mit fortschreitendem Krankheitsverlauf können die Zeichen im Kopf und damit der SIH-Score abnehmen und epidurale Flüssigkeitskollektionen entlang der Wirbelsäule das einzige SIH-Zeichen im MRT sein [18] [34] [35].
Um diese epidurale Flüssigkeit (als Ausdruck eines Durarisses) mit einer hohen Sensitivität zu detektieren oder auszuschließen, eignen sich stark T2w (sog. heavily-T2w) 3D-Sequenzen der Wirbelsäule, bspw. eine T2 SPACE („sampling perfection with application optimized contrast using different flip angle evolution“) mit Fettsättigung ([Abb. 2] C–F) [30] [36]. Dabei sollte auf die vollständige Miterfassung des Sakrums geachtet werden [30]. Die Fettsättigung in den T2w-Sequenzen ist zur Differenzierung zwischen epiduralem Fett und epiduraler Flüssigkeit maßgeblich. Andere T2w 3D-Sequenzen, wie die fettgesättigte T2 TSE („turbo spin echo“) oder eine T2 CISS („constructive interference in steady state“) sind ebenfalls möglich, können aber gelegentlich störende Flussartefakte aufweisen [30] [37]. Mindestens sollten isotrope Schichten akquiriert werden (Schichtdicke von ≤ 1,0 mm; Dauer ca. 5 min pro Untersuchungsblock), um eine achsenkorrigierte, dreidimensionale Darstellung des Spinalkanals zu ermöglichen [30] [36]. Auch koronare 2D T2w HASTE („half acquisition single-shot turbo spin echo“) -Übersichtsmyelogramme sind schnell akquiriert (ca. 20 s pro Untersuchungsblock) und hilfreich, um epidurale Flüssigkeit oder auffällige Wurzeltaschenzysten sichtbar zu machen ([Abb. 2] A, B) [24].


Die Bedeutung von Wurzeltaschenzysten ist ein häufiger Diskussionspunkt, was nicht zuletzt daran liegt, dass diese auch bei Gesunden regelmäßig vorzufinden sind. Zudem ist die Datenlage zu deren Bedeutung bei Liquorunterdruck gering. Aktuell kann lediglich festgehalten werden, dass Liquor-Vene-Fisteln in ca. 80% von Wurzeltaschenzysten entspringen [38] [39] (welche erfahrungsgemäß häufig prominent sind; s. [Abb. 2]A). Typ-2-Leaks scheinen häufiger mit breitbasig-duraständigen Wurzeltaschenzysten assoziiert zu sein (als Ausdruck einer arachnoidalen Herniation durch den lateralen Durariss) [40]. Das alleinige Vorliegen von Wurzeltaschenzysten stellt jedoch keinen Anhalt für eine SIH dar [41].
Sequenzen der Wirbelsäule nach i.v. KM-Gabe sind nicht nötig und bringen keine zusätzlichen Informationen [30] [36]. Auch die intrathekale Gabe von Gadolinium ist der nativen, stark T2-gewichteten MRT der Wirbelsäule hinsichtlich der Detektion epiduraler Flüssigkeit nicht überlegen – gleiches gilt für die herkömmliche CT-Myelografie mit intrathekalem iodhaltigem Kontrastmittel in Rückenlage [32] [36] [42].
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Identifikation des Leaks
Bei Entscheidung zu einer gezielten Behandlung besteht der zweite Schritt im diagnostischen Work-Up in der genauen Identifikation und Lokalisation des Liquorlecks.
Für die digitale Subtraktionsmyelografie (DSM) wird eine spezielle Myelografie- oder eine Angiografieanlage (am besten mit kippbarem Tisch) benötigt, für die CT-Myelografie (CTM) ist jedes herkömmliche CT-Gerät grundsätzlich ausreichend, wobei gewisses Equipment für eine gute Patientenpositionierung hilfreich ist. Hierzu wird in unserer Klinik ein speziell angefertigter, auf der CT-Liege aufgesetzter kippbarer Tisch verwendet, um eine Kopftieflage zu erzeugen (was aber grundsätzlich auch durch die Lagerung mit Kissen unter Bauch oder Becken möglich ist). Durch Akquise mehrerer, unmittelbar aufeinanderfolgender Spiralen in dem verdächtigen Wirbelsäulenabschnitt kann eine dynamische Untersuchung erzeugt werden (notwendig bei Typ 1 oder Typ 2).
Untersuchung in Bauchlage
Die richtige Lagerung ist für eine suffiziente Diagnostik entscheidend: Besteht anhand der MRT-Bilder der Verdacht auf ein ventrales Leak (Typ 1), sollten die Patienten in Bauchlage und ausreichender (ca. 10–20°) Kopftieflagerung positioniert werden.
Diese deutliche Kippung in Bauchlage ist notwendig, damit das KM die natürliche Kyphose der Wirbelsäule überwinden kann und sich bis zur Schädelbasis gleichmäßig verteilt [20]. Nach unserer Erfahrung weisen ventrale Leaks meist eine hohe Flussrate auf, sodass eine dynamische DSM mit sehr hoher zeitlicher Auflösung unerlässlich ist. Da der Kontrastmittel-Austritt hier nicht selten schon innerhalb von Sekunden zu sehen ist, kann der Austrittsort des Liquorlecks bei späterer Darstellung leicht verpasst werden. Alternativ kann eine dynamische CT-Myelografie durchgeführt werden.
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Untersuchung in Seitenlage
Bei Verdacht auf ein laterales Leak (Typ 2) oder eine Liquor-Vene-Fistel (Typ 3) ist eine Seitenlage-Untersuchung (DSM oder CTM) notwendig, in welcher schon eine geringe (ca. 6–7°) Kopftieflage meist ausreicht, um das Kontrastmittel entlang der Wirbelsäule und insbesondere entlang der Wurzeltaschen zu verteilen. Für das laterale Leak ist dabei analog zum ventralen Leak eine dynamische Untersuchung notwendig (DSM oder CTM).
Die Darstellung der Liquor-Vene-Fistel (Typ 3) ist häufig herausfordernd. Grundsätzlich eignen sich hierzu beide Modalitäten; in einer aktuellen Studie hat sich die CTM gegenüber der DSM hierfür jedoch als sensitiver erwiesen [43]. Eine dynamische Untersuchung ist dabei nicht erforderlich, allerdings sollte der Scan unmittelbar nach intrathekaler KM-Gabe erfolgen.
Beispiele für die Darstellung eines Typ-1, -2 und -3-Liquorlecks mittels DSM, CTM und Cone-Beam CT finden sich in den [Abb. 3], [Abb. 4], [Abb. 5].






DSM und CTM weisen verschiedene Vor- und Nachteile auf ([Tab. 3]), die je nach Verdacht auf Grundlage des MRT-Befundes einerseits, sowie je nach Erfahrung und Möglichkeiten vor Ort (verfügbare Untersuchungsgeräte) andererseits auf die unterschiedlichen Leak-Typen angepasst werden sollten. Während insbesondere bei der dynamischen CT (mehrere aufeinanderfolgende Scans) teilweise hohe Dosen entstehen können [20], besteht ein Vorteil der DSM generell in der geringeren Strahlenbelastung [44]. Neuere Entwicklungen beziehen in der Durchleuchtungsanlage auch das Cone-Beam CT ein (durch Rotation einer Röhre), um fragliche Befunde zu überprüfen oder ggf. sehr hochaufgelöste 3D-Bilder anzufertigen ([Abb. 5] C, D) [22] [45] [46].
Zur Veranschaulichung des diagnostischen Vorgehens dient das Flussdiagramm in [Abb. 6]. Im wissenschaftlichen und klinischen Diskurs hat sich ein gewisser Terminus durchgesetzt, mithilfe dessen sich der Workflow gut beschreiben lässt. Dabei werden Patienten mit epiduraler Flüssigkeit im MRT als SLEC + (abgleitet vom englischen „spinal longitudinal extradural CSF collection“) bezeichnet, wobei diese Flüssigkeit Hinweis auf einen Durariss gibt (Typ 1 und 2 oder sakral); andererseits weisen ein hoher Bern Score (kurz Head +) mit SLEC neg. Wirbelsäule auf den Typ 3, die Liquor-Vene-Fistel, hin [18] [26].


Durch Fallstricke in der richtigen Lagerung und im zeitlichen Ablauf der KM-Gabe stellen beide Modalitäten, DSM und CTM, eine technisch herausfordernde Untersuchung dar und bedürfen für ein qualitativ hochwertiges Ergebnis einer gewissen Routine. Andernfalls besteht die Gefahr, den Patienten wiederholten Untersuchungen und damit einer unnötigen Strahlenbelastung auszusetzen.
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Ausblick
Technische Fortschritte, wie die Entwicklung des Photon Counting CT und der Einsatz von Hybridgeräten (Angiographieanlage + CT), werden zukünftig potenziell von Bedeutung sein: Die hohe räumliche Auflösung beim Photon Counting CT mit relativ weniger Strahlendosis und spektraler Analyse kann helfen, die Diagnosefindung zu verbessern und die Strahlenbelastung zu reduzieren [47] [48]. Hybridgeräte bieten den Vorteil, die beiden Modalitäten DSM und CTM örtlich direkt zu koppeln [49].
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Therapeutisches Vorgehen
Konservative Maßnahmen und Blutpatch
In der frühen Phase der SIH können grundsätzlich konservative Therapieverfahren, wie Bettruhe, Hydratation und Coffein (auch ohne vorangegangene Lokalisation des Leaks) eine vorrübergehende Verringerung der Symptomlast bewirken [4] [35]. Diese Maßnahmen besitzen jedoch nur wenig Evidenz für eine nachhaltige Behandlung – spätestens nach zwei Wochen ohne signifikante Besserung sollte ein ungezielter epiduraler Blutpatch (EBP) angeboten werden [30]. Die Wirkweise des Patches begründet sich zum einen auf eine Erhöhung des epiduralen Widerstands und damit auf einen kurzfristigen Ausgleich des Liquorverlustes (sofortiger Effekt), ein potenzieller Verschluss des Defekts durch Granulationsvorgänge wird diskutiert [50] [51]. Der dauerhafte Effekt des EBP ist aufgrund der heterogenen Datenlage unklar [52], kleinere Studien konnten Verschlussraten von ca. ⅓ der Patienten nachweisen [53] [54]. Dabei scheint ein Volumen von etwa 20ml einen guten Effekt zu haben [55].
10–14d nach erfolgtem EBP sollte ein Follow-Up erfolgen, um den subjektiven klinischen Status zu evaluieren [30]. Bestehen die Symptome weiter, kann ein zweiter EBP angeboten oder direkt mit der weiterführenden Diagnostik (Stufe 2, s.o.) zum Ziel der Therapieeskalation begonnen werden [30]. Dieser Ansatz ist insbesondere zur Vermeidung von Chronifizierung und Langzeitschäden von Bedeutung für die Patienten [31] [56].
Auch bei schwerwiegender Klinik und komplizierten Verläufen (bspw. Nachweis von Subduralhämatomen in der Bildgebung) ist eine zeitnahe Einleitung von Stufe zwei zur Leak-Identifikation zu empfehlen [30]. In diesem Fall kann eine frühe Überweisung an ein CSF-Zentrum sinnvoll sein [30].
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Definitive Therapieverfahren
Voraussetzung für eine definitive Therapie (chirurgisch oder interventionell) ist die genaue myelografische Lokalisation des Liquorlecks.
Beim gezielten Blut- oder Fibrinpatch wird eine Punktionsnadel CT-gesteuert möglichst nah an die exakte Stelle des Liquorverlustes herangeführt, um Blut oder Fibrin (etwa 2–4ml) zu injizieren [57] [58] [59]. Dieses Verfahren zeigt auch bei den Patienten gute Ergebnisse, die nicht von einem ungezielten EBP profitiert haben [60]. Der Effekt wurde insbesondere für Typ 1 und Typ 3 bereits in größeren Untersuchungen belegt [58] [59].
Alternativ besteht für alle beschriebenen Leak-Typen die Option eines operativen Verschlusses. Hierfür eignet sich ein mikrochirurgischer Ansatz, welcher – sofern in einem Zentrum mit hoher Expertise durchgeführt – eine hohe Erfolgs- und sehr niedrige Komplikationsrate aufweist (neurologische Komplikationen bei <2%) [61]. Die Erfolgsrate nach chirurgischem Leak-Verschluss ist mit über 90% sehr hoch, dabei muss bei Patienten mit länger bestehendem Liquorleck (>3 Monate) in vielen Fällen mit einer Dauer von ca. 3–6 Monaten bis zur vollständigen Genesung gerechnet werden [28]. Auch bei nachweislich erfolgreichem operativen Verschluss können residuelle Symptome bei ca. ¼ der Patienten persistieren, was den chronischen Charakter der Krankheit deutlich macht [28].
Zur Therapie der Liquor-Vene-Fistel steht neben einer OP auch die endovaskuläre Option zur Verfügung, welche erstmals 2021 beschrieben wurde: Durch transvenöse Sondierung in die drainierende, paraspinale Vene kann die Fistel dauerhaft mittels Flüssigembolisat (Onyx) verschlossen werden [62]. Auch dieses Verfahren bietet bei hoher Erfolgsrate eine sichere und wenig invasive Alternative [63]. Ein Beispiel für den MRT-Verlauf vor und nach transvenöser Embolisation zeigt [Abb. 7].


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Langzeitfolgen und Komplikationen in Diagnostik und Klinik
Komplikationen sind ein wichtiger und nicht zu unterschätzender Aspekt der SIH ([Abb. 8]) [10] [64]. Insbesondere assoziierte Subduralhämatome ([Abb. 8]A) treten dabei relativ häufig auf – gerade bei jüngeren Patienten mit chronischem Subduralhämatom scheinen Liquorlecks einen relevanten Anteil auszumachen [64]. Durch einen Kleinhirntonsillentiefstand, welcher bildmorphologisch eine Chiari-Malformation nachahmt ([Abb. 8]B), kann es zur Entwicklung einer Syringomyelie kommen [3] [65]. Seltener sind Sinusvenenthrombosen oder ein der frontotemporalen Demenz (FTLD) ähnliches klinisches Bild („brain sagging dementia“) mit SIH assoziiert, im Unterschied zur „echten“ FTLD können sich die Symptome hier, insofern das Leak gefunden wurde, nach Behandlung vollständig zurückbilden [10] [66]. Bei langjährig persistierendem Durariss können irreversible Langzeitschäden, wie Paresen und Muskelatrophie bei der bibrachialen Amyotrophie oder Gangataxie und Hörverlust im Rahmen der infratentoriellen superfiziellen Siderose ([Abb. 8]C) entstehen [67] [68]. Zur Darstellung dieser Hämosiderin-Ablagerungen, die vermutlich im Rahmen der chronischen Duraverletzung auftreten, kann das cMRT durch eine T2*- oder SWI-Sequenz („susceptibility weighted imaging“) ergänzt werden [30] [67].


Eine bekannte Komplikation nach definitiver Versorgung des Leaks ist die sogenannte „Rebound-Hypertension“ bei bis zu ¼ der Patienten [69]. Diese tritt mit Kopfschmerzen im Liegen (und Besserung im Stehen) in Erscheinung und lässt sich durch Acetazolamid-Gabe (senkt die Liquorproduktion) meist gut behandeln [28] [70].
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Schlussfolgerungen
Die spontane intrakranielle Hypotension ist ein schwerwiegendes, unterdiagnostiziertes Krankheitsbild mit einem großen Symptomspektrum, das über Kopfschmerzen weit hinaus geht. Das Wissen um die rasche (<14d) und stufenweise Diagnostik und Therapie ist für die Patienten von großer Bedeutung, um den langfristigen Therapieerfolg zu verbessern und Langzeitschäden sowie Komplikationen zu vermeiden. Aufgrund der komplexen und potenziell strahlenbelastenden Diagnostik ist die Zusammenarbeit mit einem Zentrum mit hoher Expertise sinnvoll, um eine zielgerichtete und erfolgreiche Therapie (operativ oder interventionell) zu gewährleisten.
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Correspondence
Publication History
Received: 05 February 2024
Accepted after revision: 19 April 2024
Article published online:
05 July 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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