Einleitung
Die bauliche Umgebung stellt eine Schlüsselkomponente in der demenzspezifischen
Versorgung dar [1 ] . Unter dem Begriff
„Bauliche Umgebung“ können alle von Menschen geplanten und gebauten
Umwelten zusammengefasst werden. Dies bezieht sich sowohl auf Innenräume als auf
Außenbereiche, bei denen die bestehende natürliche Umgebung verändert wurde [2 ] . In der ambulanten Versorgung kann eine
an die Bedürfnisse der Person adaptierte Umgebung für Sicherheit sorgen und dazu
beitragen, dass das Leben zu Hause möglichst lang gewährleistet wird [3 ] . Doch auch für Menschen mit Demenz, die
in einer langzeitstationären Pflegeeinrichtung leben, kann eine an ihre Bedürfnisse
angepasste bauliche Umgebung sie darin fördern, selbstständig zu bleiben und damit
zu einer positiven Lebensqualität beitragen [4 ] .
In der Versorgungsforschung stellt die bauliche Umgebung einen wichtigen
Kontextfaktor dar, geht es etwa um die nachhaltige Implementierung von
Interventionen [5 ] oder das Verständnis
der Wirkmechanismen demenzspezifischer Wohnbereichskonzepte [6 ] . Welche Auswirkungen dabei eine
demenzsensible Umgebung auf das Gelingen von Interventionen haben kann, konnte in
deutschen Studien in langzeitstationären Pflegeeinrichtungen bislang nicht
systematisch einbezogen werden. Gründe hierfür sind die Komplexität des Konstrukts
und das Fehlen deutschsprachiger getesteter Instrumente. Erfasst wurden bislang
z. B. das Wohnbereichskonzeptes, die Gruppengröße in Wohnbereichen oder die
Bettenanzahl in langzeitstationären Pflegeeinrichtungen [7 ] .
Die Effekte baulicher Umweltelemente auf die Versorgung von Menschen mit Demenz
werden international bereits seit Jahrzehnten erforscht. Daraus sind verschiedene
Leitlinien zur demenzsensiblen Gestaltung von Gesundheits- und Pflegebauten [8 ]
[9 ] sowie Erhebungsinstrumente zur
Überprüfung der Umsetzung dieser entstanden [10 ] .
Um für den deutschsprachigen Raum ein entsprechendes Instrument verfügbar zu machen,
wurde die Anpassung eines bestehenden Instrumentes (Environmental Audit Tool – High
Care (EAT-HC)) am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. (DZNE
e.V.), Standort Witten durchgeführt. In den Adaptionsprozess wurden Expert*innen aus
Wissenschaft und praktischer Demenzversorgung einbezogen, um das Instrument
kultursensibel für langzeitstationäre Pflegeeinrichtungen in Deutschland anzupassen
[11 ] .
Das Originalinstrument wurde in Australien interdisziplinär entwickelt und erwies
sich in psychometrischen Tests als ausreichend valide und reliabel [12 ]
[13 ] . Die Dimensionen des Instruments
umfassen zehn demenzsensible Kerngestaltungsprinzipien
[14 ] , denen die Theorie zugrunde liegt,
dass die bauliche Umgebung bei zunehmender Abnahme der Alltagskompetenz einer Person
unterstützend wirken kann [15 ] . Diese
Kerngestaltungsprinzipien beinhalten Fragen zu evidenzbasierten
demenzsensiblen Umgebungselementen , die sich auf verschiedene
Räumlichkeiten innerhalb eines Wohnbereichs beziehen.
Im Anschluss an die deutschsprachige Adaption des EAT-HC zum German Environmental
Audit Tool (G-EAT) wurde das Instrument hinsichtlich Praktikabilität,
Interrater-Reliabilität und interner Konsistenz getestet [16 ] . G-EAT DZNE e.V. EAT-HC. Zur
berechtigten Nutzung und Weiterentwicklung des Originalinstrumentes liegt eine
schriftliche Genehmigung der Entwickler*innen vor.
In diesem Beitrag möchten wir erste Ergebnisse zur Ausprägung demenzsensibler
Gestaltung in langzeitstationären Pflegeeinrichtungen zeigen sowie potentielle
Nutzungsmöglichkeiten dieser diskutieren. Dies geschieht vor dem Hintergrund
folgender Forschungsfragen:
Wie demenzsensibel sind Wohnbereiche in deutschen langzeitstationären
Pflegeeinrichtungen in einer Gelegenheitsstichprobe gestaltet?
Welche Räumlichkeiten umfasst die bauliche Umgebung in den Wohnbereichen?
Welche demenzsensiblen Kerngestaltungsprinzipien werden besser bzw.
schlechter erfüllt?
Welche demenzsensiblen Umgebungselemente sind in den meisten bzw. in
den wenigsten Wohnbereichen vorhanden?
Methodik
Studienaufbau
Im Rahmen einer deskriptiven Querschnittsstudie zur psychometrischen Testung des
G-EAT wurden qualitative und quantitative Daten erhoben, die für diesen Artikel
einer Sekundärdatenanalyse unterzogen wurden.
Rekrutierung und Stichprobe
Die Datenerhebung erfolgte anhand einer Gelegenheitsstichprobe von
langzeitstationären Pflegeeinrichtungen in Nordrhein-Westfalen (NRW). Grund für
die regionale Eingrenzung waren die auf Ebene der Bundesländer geregelten
Rahmenbedingungen (z. B. HeimMindBauV NRW, Wohn- und Teilhabegesetz NRW
), die unterschiedliche Möglichkeiten für die Gestaltung und Größe der baulichen
Umgebung bieten. Für die Rekrutierung wurden 170 Einrichtungen im Umkreis von
20 km um das Forschungsinstitut zunächst schriftlich und dann telefonisch für
die Studie angefragt. Um Clustereffekte durch mehrere Wohnbereiche einer
Einrichtung zu vermeiden, wurde aus den zustimmenden Einrichtungen jeweils ein
Wohnbereich ausgewählt.
Messinstrumente
Die bauliche Umgebung der Wohnbereiche wurde anhand des G-EAT erfasst. Das
Instrument umfasst in der hier verwendeten Version für nicht beschützende
Wohnbereiche 74 Items [11 ] , von denen
sich 72 Items (Umgebungselemente) neun Dimensionen
(Kerngestaltungsprinzipien) zuordnen lassen: Angemessene Lebensräume
schaffen; Risiken unauffällig reduzieren; Sehen und gesehen werden; Mit
(positiven/negativen) Reizen und Einflüssen umgehen; Bewegung und Teilhabe
fördern; Eine familiäre Umgebung schaffen; Alleine oder mit anderen (im
Wohnbereich/aus der Nachbarschaft) zusammen sein.
Das Kerngestaltungsprinzip „Umgebung als Teil des Pflegekonzepts“ enthält
zwei weitere Fragen, die der späteren praxisorientierten Interpretation der
Ergebnisse dienen. Die psychometrische Güte des Instruments wurde bereits am
Originalinstrument geprüft und im Rahmen der Teststudie auch für das adaptierte
deutschsprachige Instrument ermittelt. Die Interrater-Reliabilität, gemessen
anhand von Interrater-Korrelationskoeffizienten, variierte auf Subskalenebene
zwischen 0.662 und 0.869 . Auf Itemebene zeigten 42% der Items mindestens
substantielle Übereinstimmung zwischen zwei Anwender*innen (Cohen’s Kappa≥0.60)
[16 ] . Der Fragebogen besteht aus
überwiegend dichotom zu bewertenden Items und enthält zudem 14 Items mit
kategorialen Antwortmöglichkeiten. Strukturelle Merkmale der Wohnbereiche wurden
über einen Kontextfragebogen erhoben, der bereits in einem anderen Projekt
genutzt wurde [17 ] . Die
Wohnbereichsdefinitionen wurden durch Begehung der Einrichtung mit dem Personal
erstellt und umfassten folgende Merkmale: A) Benennung der zum Wohnbereich
gehörenden Räume, B) Benennung der wohnbereichsübergreifenden
Gemeinschaftsräume, C) Grenzen des Wohnbereiches.
Datenerhebung
Die Datenerhebung erfolgte von August bis Dezember 2019 gemeinsam mit mindestens
einem Mitarbeitenden der Einrichtung. Zunächst fand eine kurze Schulung zu den
Grundprinzipien der demenzsensiblen Gestaltung für die jeweiligen Mitarbeitenden
statt. Danach erfolgten die Begehung der Einrichtung und die gemeinsame
Definition des Wohnbereichs. Diese diente dazu Aufenthaltsorte von
Bewohner*innen festzulegen, unabhängig davon, ob sie sich mit dem dafür
geplanten Raum überschnitten oder die Bewohner*innen alternative Orte für
bestimmte Aktivitäten gewählt hatten (z. B. Nutzung von Fluren als
Aufenthaltsort). Die Grenzen des Wohnbereiches bezogen sich sowohl auf solche
innerhalb der Einrichtung als auch auf die dem Wohnbereich zugehörigen
Außenflächen wie etwa einen gemeinschaftlich genutzten Garten. Nach der
Definition dieser Grenzen wurde das G-EAT von einer Projektmitarbeiterin
ausgefüllt. Zur Beantwortung der Fragen des G-EAT wurden alle Gemeinschaftsräume
des Wohnbereichs begangen. Antworten zu den Items, die die Privatzimmer der
Bewohner*innen betreffen, basieren aus ethischen Gründen auf den Informationen
der Mitarbeitenden, da die Forschenden die Privatzimmer nicht ohne Aufforderung
der Bewohner*innen betraten.
Datenanalyse
Die quantitative Datenanalyse (G-EAT/Strukturfragebogen) wurde deskriptiv
in SPSS 25 durchgeführt [18 ] . Da die
Bezugsgrößen der Kerngestaltungsprinzipien von Dimension zu Dimension variieren,
wurde eine Berechnung des prozentualen Mittelwertes auf dieser Ebene
vorgenommen. Ein Vergleich der Wohnbereichsdefinitionen fand mittels
qualitativer Inhaltsanalyse nach Mayring in MAXQDA 2022 statt [19 ]
[20 ] .
Ergebnisse
Strukturmerkmale der Wohnbereiche
42 Wohnbereiche aus langzeitstationären Pflegeeinrichtungen in NRW wurden in die
Studie einbezogen. In [Tab. 1 ] sind
ihre Strukturmerkmale dargestellt. Der überwiegende Teil befand sich in
freigemeinnütziger Trägerschaft (61,9%) und war in Großstädten angesiedelt
(81,0%). Im Großteil der Wohnbereiche lebten Menschen mit und ohne Demenz
zusammen (integratives Wohnkonzept) (66,7%). Die Inbetriebnahme der
Einrichtungen verteilte sich zu etwa gleichen Teilen auf die Zeit vor (47,6%)
und nach der Einführung der Pflegeversicherung 1994 (52,4%) und den damit
verbundenen baulichen Anpassungserfordernissen. Die Gruppengröße variierte
zwischen neun und vierzig Bewohner*innen.
Tab. 1 Strukturmerkmale der eingeschlossenen Wohnbereiche.
Charakteristika ( N= 42)
Stichprobe
% (n)
Trägerschaft
öffentlich-rechtlich
11,9% (5)
frei-gemeinnützig
61,9% (26)
privat
26,2% (11)
Größe der Kommune, in der die Pflegeeinrichtung liegt
20.000–100.000 Einwohner*innen
19,0% (8)
100.000–1.000.000 Einwohner*innen
81,0% (34)
Wohnkonzept
integrativ
66,7% (28)
segregativ
34,3% (14)
Inbetriebnahme des Gebäudes
a
vor 1994
47,6% (20)
nach 1994
52,4% (22)
Gruppengröße des Wohnbereichs
b
≤10 Bewohner*innen
2,4% (1)
11–16 Bewohner*innen
40,5% (17)
17–29 Bewohner*innen
45,2% (19)
≥30 Bewohner*innen
11,9% (5)
a Gruppenbildung anhand der Einführung der gesetzlichen
Pflegeversicherung (SGB XI); Jahr der Inbetriebnahme, da Bauzeit
teilweise sich über mehrere Jahre erstreckte; b
klassifizierende Erhebung mittels G-EAT
Definition der Wohnbereiche
Hinsichtlich der dem Wohnbereich zugeordneten Räumlichkeiten wird mehrheitlich
ein Multifunktionsraum für Mahlzeiten und Aufenthalt genannt (61,9%). In vier
Wohnbereichen definieren die Mitarbeitenden Flure und Zwischenbereiche als
Hauptaufenthaltsorte der Bewohner*innen. 13 Wohnbereiche nutzen einen eigenen
Außenbereich (n=6 beschützter Garten, n=7 Balkon). Wohnbereichsübergreifend
werden vor allem die Cafeteria (61,9%), ein Raum für Feierlichkeiten (35,7%) und
diverse Gruppenräume von den Wohnbereichen genutzt. Letztere weisen teils
multifunktionale, teils spezifische Funktionen auf (z. B. Tante-Emma-Laden,
Fußballraum oder Kegelbahn). 71,4% der Wohnbereiche erstrecken sich über eine
Etage, acht davon liegen im Erdgeschoss und haben somit einen barrierefreien
Zugang zum Außenbereich ohne dass ein Aufzug genutzt werden muss.
Ausprägung demenzsensibler Kerngestaltungsprinzipien
Hinsichtlich der demenzsensiblen Kerngestaltungsprinzipien zeigt sich,
dass die Dimension „Eine familiäre Umgebung schaffen“ mit 87,7% (Range
38–100%; SD±1,65) am stärksten ausgeprägt ist (siehe [Tab. 2 ] ). Die niedrigste Ausprägung
zeigt die Dimension „Sehen und gesehen werden“ (MW 37,3%, Range 6–88%; SD
3,39). [Abb. 1 ] stellt die
unterschiedlichen Ausprägungen der demenzsensiblen
Kerngestaltungsprinzipien im Vergleich zueinander dar.
Abb. 1 Kastendiagramm zur Demenzsensibilität der Wohnbereiche auf
Ebene der Dimensionen (Demenzsensible Kerngestaltungsprinzipien).
Tab. 2 Übersicht der Demenzsensibilität der
Wohnbereichsumgebung auf Ebene der Dimensionen (Demenzsensible
Kerngestaltungsprinzipien).
Demenzsensibles Kerngestaltungsprinzip (Dimension)
N Items
Max. Punktzahl
MW in% (Punktzahl)
Spannweite in% (Punktzahl)
Standard abweichung
Angemessene Lebensräume schaffen
2
4
54,8% (2,2)
0–75% (0–3)
±0,79
Risiken unauffällig reduzieren
13
16
60,4% (9,6)
38–88% (6–14)
±2,23
Sehen und gesehen werden
10
16
37,3% (6,0)
6–88% (1–14)
±3,39
Mit Reizen und Einflüssen umgehen
25
30
65,8% (19,7)
40–83% (12–25)
±3,2
Bewegung und Teilhabe fördern
9
9
77,4% (7,0)
33–100% (3–9)
±1,31
Eine familiäre Umgebung schaffen
4
8
87,7% (7,0)
38–100% (3–8)
±1,09
Alleine oder mit anderen Personen zusammen sein
9
13
83,4% (10,8)
54–100% (7–13)
±1,65
Ausprägung der demenzsensiblen Gestaltungselemente
Die einzelnen Items innerhalb eines Kerngestaltungsprinzips beziehen sich
auf verschiedene Merkmale der Umgebung. Aus diesem Grund ist auch eine
Betrachtung der Fragen auf Itemebene für die Interpretation der Ergebnisse
relevant (siehe [Tab. 3 ] und [4 ] ). Die drei
Umgebungselemente , die von den meisten Wohnbereichen erfüllt werden,
sind „WC-Transfer mit Hilfsmitteln in Umgebung möglich“ (100,0%),
„Gefälle im Innenbereich sind rollstuhlgeeignet“ (97,6%) und
„Flächen im Innenbereich sind rutschfest“ (92,9%). Die wenigsten
Wohnbereiche weisen die demenzsensiblen Umgebungselemente „Automatiktüren im
Wohnbereich schließen leise“ (2,4%), „Sonnenschutzvorhänge im
Innenbereich vorhanden“ (7,1%) und „Sicht auf Toilettensitz für
bettlägerige Bewohner*innen möglich“ (14,3%) auf.
Tab. 3 Ausprägung demenzsensibler Gestaltungselemente in den
Wohnbereichen (dichotome G-EAT-Items).
Kerngestaltungsprinzipien und zugehörige
Umgebungselemente
Wohnbereiche, die Element erfüllen in% (n) a
Angemessene Lebensräume schaffen
Angemessene Größe der Gemeinschaftsräume
85,7% (36)
Risiken unauffällig reduzieren
Flächen im Außenbereich sind barrierefrei erreichbar
71,4% (30)
Flächen im Außenbereich sind rutschfest
76,2% (32)
Wege im Außenbereich sind eben
50,0% (21)
Wege im Außenbereich sind frei von Hindernissen
90,5% (38)
Wege im Außenbereich sind mindestens 1,80 m breit
35,7% (15)
Gefälle im Außenbereich sind rollstuhlgeeignet
78,6% (33)
Flächen im Innenbereich sind rutschfest
92,9% (39)
Bodenoberflächen im Innenbereich sind kontrastarm
71,4% (30)
Gefälle im Innenbereich sind rollstuhlgeeignet
97,6% (41)
WC-Transfer mit Hilfsmitteln in Umgebung möglich
100,0% (42)
Sehen und gesehen werden
Einsicht Ausgang zum Außenbereich vom Aufenthalts-/Speiseraum
möglich
35,7% (15)
Einsicht Speiseraum vom Aufenthaltsraum möglich
81,0% (34)
Einsicht Toilette vom Aufenthaltsraum möglich
31,0% (13)
Einsicht Toilette vom Speiseraum möglich
23,8% (10)
Einsicht Pflegestützpunkt in den Aufenthaltsraum
90,5% (38)
Einsicht Pflegestützpunkt in den Speiseraum
85,7% (36)
Einsicht Pflegestützpunkt zum Ausgang Außenbereich
38,1% (16)
Mit Reizen und Einflüssen umgehen
Türen zur Pflegearbeitsräumen u. Ä. sind unauffällig
gestaltet
66,7% (28)
Kleiderschrank der Bewohner*innen sind übersichtlich
geordnet
21,4% (9)
Personalrufsystem kann geräusch- und signalarm genutzt
werden
81,0% (34)
Automatiktüren im Wohnbereich schließen leise
2,4% (1)
Im Wohnbereich herrscht optische Ruhe
26,2% (11)
Vorhänge zum Sonnenschutz im Innenbereich sind vorhanden
7,1% (3)
Jeder Raum hat eine eigene Atmosphäre
90,5% (38)
Speiseraum ist von außen erkennbar
83,3% (35)
Aufenthaltsraum ist von außen erkennbar
71,4% (30)
Flure können voneinander unterschieden werden
57,1% (24)
Tür der Bewohner*innenzimmer sind individuell gestaltet
73,8% (31)
Gemeinschaftsbäder sind ausgeschildert oder anderweitig
erkennbar
50,0% (21)
Sicht auf Toilettensitz für bettlägrige Bewohner*innen
möglich
14,3% (6)
Farblicher Unterschied zwischen Toilettensitz und Umgebung
vorhanden
47,6% (20)
Nutzung kontrastierender Materialien im Innenbereich
88,1% (37)
Nutzung olfaktorischer Reize im Innenbereich
50,0% (21)
Nutzung taktiler Reize im Innenbereich
90,5% (38)
Nutzung akustischer Reize im Innenbereich
31,0% (13)
Nutzung kontrastierender Materialien im Außenbereich
92,9% (39)
Nutzung verschiedener Materialien im Außenbereich
95,2% (40)
Nutzung olfaktorischer Reize im Außenbereich
97,6% (41)
Nutzung akustischer Reize im Außenbereich
66,7% (28)
Sicht nach draußen für liegende Bewohner*innen vom
Aufenthalts- oder Speiseraum möglich
81,0% (34)
Bewegung und Teilhabe fördern
Wegführung zum Außenbereich ohne Passage von Sackgassen
möglich
23,8% (10)
Weg im Außenbereich lädt zur Teilnahme an Aktivitäten ein
76,2% (32)
Außenbereich hält Auswahl von Aktivitäten für Bewohner*innen
vor
64,3% (27)
Außenbereich beinhaltet Sitzmöglichkeiten in kurzem Abstand
zueinander
90,5% (38)
Außenbereich beinhaltet sonnige und schattige Bereiche
85,7% (36)
Weg im Außenbereich lädt zu passiven Aktivitäten ein
97,6% (41)
Terrassen in unmittelbarer Gebäudenähe vorhanden
100,0% (42)
Weg im Innenbereich lädt zur Teilnahme an Aktivitäten ein
78,6% (33)
Innenbereich beinhaltet Sitzmöglichkeiten in kurzem Abstand
zueinander
78,6% (33)
Alleine oder mit anderen Personen zusammen sein
Speiseraum bietet Möglichkeit alleine zu essen
81,0% (34)
Ort für persönliches Gespräch außerhalb des
Bewohner*innenzimmers ist vorhanden
66,7% (28)
Ort für persönliches Gespräch im Außenbereich ist
vorhanden
100,0% (42)
Zugang zu Interaktionsplätzen mit dem Quartier/Nachbarschaft
ist vorhanden
97,6% (41)
Räumlichkeit für Familienfeste in der Einrichtung ist
vorhanden
100,0% (42)
Ruheraum für Angehörige ist vorhanden
88,1% (37)
a N=42 Wohnbereiche.
Tab. 4 Ausprägung demenzsensibler Gestaltungselemente in den
Wohnbereichen (kategoriale G-EAT-Items).
Demenzsensibles Gestaltungselement
Wohnbereiche, die Element erfüllen in% (n)
Risiken unauffällig reduzieren
nein
ja
ja, unauffällig
Zugang zur Küche kann verschlossen werden
69,1% (29)
21,4% (9)
9,5% (4)
Haushaltsgeräte in der Küche können eingeschlossen werden
50,0% (21)
21,4% (9)
28,6% (12)
Strom in den Steckdosen der Küchen kann ausgeschaltet
werden
64,3% (27)
7,1% (3)
28,6% (12)
Sehen und gesehen werden
0–25%
26–50%
51–75%
76–100%
Anteil Bewohner*innen mit Sichtachse zwischen
Zimmertür/Aufenthaltsraum
57,1% (24)
11,9% (5)
9,5% (4)
21,4% (9)
Anteil Bewohner*innen mit Sichtachse zwischen
Aufenthaltsraum/Zimmertür
64,3% (27)
31,0% (13)
2,4% (1)
2,4% (1)
Anteil Bewohner*innen mit Sichtachse Zimmertür/Speiseraum
64,3% (27)
14,3% (6)
7,1% (3)
14,3% (6)
Mit Reizen und Einflüssen umgehen
Anteil Bewohner*innen mit gekennzeichnetem Weg
Zimmer/Speiseraum
52,4% (22)
19,0% (8)
11,9% (5)
16,7% (7)
Anteil Bewohner*innen mit ansprechender Außensicht aus
Fenster im Zimmer
2,4% (1)
9,5% (4)
16,7% (7)
71,4% (30)
Eine familiäre Umgebung schaffen
viele
wenige
keine
Ausmaß Möbel im Aufenthaltsraum in vertrautem Design der
meisten Bewohner*innen
71,4% (30)
28,6% (12)
0% (0)
Ausmaß Möbel im Bewohner*innenzimmer in vertrautem Design der
meisten Bewohner*innen
69,0% (29)
28,6% (12)
2,4% (1)
Anteil Bewohner:innen mit individuell gestaltetem Zimmer
95,2% (40)
4,8% (2)
0% (0)
Anteil Bewohner*innen mit eigenen Möbeln im Zimmer
66,7% (28)
33,3% (14)
0% (0)
Alleine oder mit anderen Personen zusammen sein
0
1
2 oder mehr
Anzahl Orte im Wohnbereich für Treffen von kleinen
Gruppen
0% (0)
9,5% (4)
90,5% (38)
nein
1
2
3 oder mehr
Anzahl Orte im Wohnbereich für privates Gespräch
0% (0)
11,9% (5)
31,0% (13)
57,1% (24)
1
2 oder 3
4 oder mehr
Anzahl von Räumen, die für Bewohner*innen zugänglich sind
14,3% (6)
57,1% (24)
28,6% (12)
Mit Blick auf das am geringsten ausgeprägte Kerngestaltungsprinzip „Sehen und
gesehen werden“ zeigt sich, dass in mehr als 50% der Wohnbereiche
weniger als 25% der Bewohner*innen Sichtachsen zwischen verschiedenen Räumen
nutzen können. Die Umgebungselemente in der Dimension „Eine familiäre
Umgebung schaffen“ zeigen, dass nur in einem Fall nicht vertraute Möbel
verwendet werden. Für die Beantwortung der Fragen wurden im Vorfeld Möbel und
Gegenstände definiert, die nicht vertraut erscheinen, aber aus funktionalen
und/oder arbeitsschutzrechtlichen Gründen vorhanden sein müssen (z. B.
höhenverstellbares Pflegebett).
Diskussion
Zusammenfassung der Ergebnisse
Es zeigt sich, dass die Wohnbereiche heterogene Ausprägungen hinsichtlich der
Ausstattung und der räumlichen Zusammensetzung aufweisen. Umgebungselemente, die
auf die Schaffung von Vertrautheit abzielen, sind in fast allen Wohnbereichen
vorhanden, während die Möglichkeit von Sichtachsen zwischen den Räumen sowie die
Vermeidung negativer akustischer und visueller Reize Verbesserungspotential
aufweisen.
Rahmenbedingungen für die Erfüllung demenzsensibler
Umgebungsgestaltung
Bei einem Abgleich des Erfüllungsgrads der einzelnen Fragen mit bestehenden
Regelwerken, die den Bau von stationären Pflegeeinrichtungen in Deutschland
beeinflussen, zeigt sich, dass einige Umgebungselemente, die von der Mehrzahl
der Wohnbereiche erfüllt werden, auch in rechtlich verbindlichen Regelwerken wie
der DIN 18040–1 „Barrierefreie Bauen“ niedergelegt sind [21 ] . Damit einhergehend ist auch der
Aufwand zur Erfüllung der einzelnen demenzsensiblen Gestaltungselemente zu
berücksichtigen. So können fehlende Sichtachsen nur mit großem Aufwand und unter
Einbeziehung von Architekt*innen korrigiert werden, während Umgebungselemente
zur Förderung positiver akustischer, olfaktorischer oder taktiler Reize im
Rahmen der Wohnumfeldgestaltung durch das multiprofessionelle Team in der
Einrichtung implementiert werden können.
Herausforderungen bei der Erfassung demenzsensibler baulicher
Umgebung
Die Herausforderung die Komplexität der baulichen Umgebung mit einem
systematischen Instrument zu erfassen, zeigte sich auch in dieser ersten Studie.
So stellt sich zum einen die Frage, ob und wenn ja welche Bezugsgrößen einigen
Items zugrunde gelegt werden können, z. B. wenn die Anzahl vertrauter Möbel in
Gemeinschaftsräumen ermittelt werden soll. Zum anderen zeigen die Fragen auf
inhaltlicher Ebene die Notwendigkeit einer vertieften Auseinandersetzung mit dem
zugrundeliegenden Umgebungselement, z. B. der Benennung der Reizquellen, die im
Innen- bzw. Außenbereich vorgehalten werden. Um diese zu adressieren, wurde die
getestete Version des G-EAT um weitere Items ergänzt und um qualitativ
auswertbare Freitextfelder erweitert [16 ] .
Darüber hinaus verdeutlichte die gemeinsame Begehung des Wohnbereichs mit den
Mitarbeitenden, dass die Ergebnisse im Zusammenhang mit den von ihnen genannten
Zielen des jeweiligen Wohnbereichs, der Organisationskultur und dem sozialen
Umfeld (z. B. Öffnung der Einrichtung ins Quartier) zu reflektieren sind. Dies
entspricht zum einen der Intention der des Originalinstrumentes eine Reflexion
im Team zu initiieren [14 ] . Zum
anderen deckt es sich mit den Ergebnissen niederländischer Kolleg*innen zur
Wechselbeziehung zwischen baulichen, sozialen und organisatorischen
Umgebungsaspekten in langzeitstationären Pflegesettings [22 ] .
Möglichkeiten für die Kontexterfassung in Implementierungsstudien
Die Redundanz einiger Items des G-EAT, die mit den Regelwerken für den Bau von
Pflegeeinrichtungen einhergeht sowie der praktische Nutzen einer umfassenden
Beschäftigung mit demenzsensiblen Umgebungselementen scheinen im Widerspruch
zueinander zu stehen. Dennoch bietet die an evidenzbasierten Prinzipien
orientierte Erfassung die Möglichkeit, das Konstrukt „Bauliche Umgebung“
vertieft zu betrachten. So könnten in Implementierungsstudien, z. B. durch die
Erfassung von Kontextmerkmalen im Rahmen von Prozessevaluationen, die Faktoren
„Ziel der Umgebung für das Pflegekonzept“ sowie die Heterogenität der
Räumlichkeiten des Wohnbereichs stärker berücksichtigt werden. In der
Implementierungsforschung eingesetzte Rahmenmodelle wie z. B. das Consolidated
Framework for Implementation Research (CFIR) umfassen bereits bestimmte
umweltbezogene Merkmale und können als Beispiel für die Berücksichtigung des
Kontextfaktors Umwelt in Implementierungsstudien dienen [23 ] . Auch die Erfassung der baulichen
Umgebung im Rahmen von Qualitätsverbesserungsprojekten in Pflegeeinrichtungen
könnte dazu beitragen, dass eine nachhaltige Implementierung der Intervention
fokussiert werden kann [24 ] .
Limitationen und Stärken
Die hier dargestellten Ergebnisse unterliegen einigen Einschränkungen. Zunächst
handelt es sich um eine Sekundärdatenanalyse von Daten einer auf
Nordrhein-Westfalen begrenzten Gelegenheitsstichprobe, in der kleinere
Städte/Orte nicht einbezogen werden konnten, wenngleich sich auch Einrichtungen
mit Zugehörigkeit zu einer mittelgroßen oder Großstadt in ländlicheren
gelegeneren Gebieten befanden. Weiter ist anzumerken, dass das G-EAT erst mit
dieser Erhebung hinsichtlich seiner Interrater-Reliabilität getestet wurde und
danach weitere Fragen hinzugefügt wurden, die für diese Studie nicht
berücksichtigt werden konnten [16 ] .
Ebenfalls muss die Einschränkung, ausgewogene Informationen über alle zum
Wohnbereich gehörenden Räume zu erhalten, angemerkt werden. So stellt die
vereinzelte Erfassung von Fragen zu den Privaträumen der Bewohner*innen eine
ethische Herausforderung in der Datenerhebung dar.
Positiv hervorzuheben ist, dass durch die systematische Erfassung und Auswertung
der Wohnbereichsdefinitionen die Heterogenität des Settings sichtbar gemacht
werden konnte. Dies kann zu einem Diskurs über die Interpretations- und
Vergleichsmöglichkeiten von Wohnbereichsformen und ihren Auswirkungen als
Implementierungsorte von Interventionen beitragen.
Fazit
Mit dem G-EAT kann eine systematische Auseinandersetzung mit der baulichen
Umgebung als Schlüsselelement einer demenzspezifischen Versorgung in der
Praxis angestoßen werden. Die Ergebnisse zur Erfüllung der demenzsensiblen
Kerngestaltungsprinzipien und -elemente können multiprofessionelle Teams bei
der Priorisierung verschiedener Umbau- oder Umgestaltungsmaßnahmen
unterstützen. Um die Implementierung demenzsensibler Veränderungen während
der alltäglichen Versorgung der Bewohner*innen umzusetzen, bedarf es nun
einer wissenschaftlich begleiteten Implementierung des G-EAT als initiales
Assessmentinstrument sowie der Prozessbegleitung von baulichen Veränderungen
in den Pflegeeinrichtungen.
Ausblick auf die weitere Nutzung des G-EAT
Ausblick auf die weitere Nutzung des G-EAT
Die hier vorgestellten Ergebnisse bilden die Grundlage für eine deutschlandweite
systematische Erfassung der Demenzsensibilität von Wohnbereichen in
langzeitstationären Pflegeeinrichtungen. Darüber hinaus kann das G-EAT in der Praxis
und in Projekten der Versorgungsforschung zur vertiefenden Beschreibung des
Kontextfaktors „Bauliche Umwelt“ genutzt werden. Hierzu ist es notwendig neben der
systematischen Erfassung mit einem Assessmentinstrument auch die direkte Perspektive
der Bewohner*innen in den Fokus zu nehmen. Möglichkeiten, wie dies erfolgen kann,
werden derzeit in einer qualitativen Interviewstudie mit Bewohner:innen mit Demenz
ermittelt.
Ethikvotum
Alle beschriebenen Inhalte der Studie wurden mit Zustimmung der Ethikkommission der
Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft e.V. (Antragsnummer: 18–005)
durchgeführt. Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.
Verfügbarkeit von Daten und Materialien
Verfügbarkeit von Daten und Materialien
Die im Rahmen dieser Studie erzeugten und/oder analysierten Daten sind auf Anfrage
bei der korrespondierenden Autorin erhältlich. Das German Environmental Audit Tool
wurde durch das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e.V. auf
Grundlage des Australien Environmental Audit Tool übersetzt und getestet. Zur
berechtigten Nutzung und Weiterentwicklung des Originalinstrumentes liegt eine
schriftliche Genehmigung der Entwickler*innen vor.
Beiträge der Autorinnen/Autoren
Beiträge der Autorinnen/Autoren
Studiendesign: AF, BH; Rekrutierung und Durchführung der Datenerhebung: AF, KS;
Datenanalyse: AF; Interpretation der Daten: AF, KS, HV, RP, BH; Manuskriptschreiben:
AF; Manuskriptdurchsicht: KS, HV, RP, BH. Die korrespondierende Autorin versichert,
dass alle Autor*innen das finale Manuskript gelesen sowie genehmigt haben und die
ICMJE-Kriterien für die Autorenschaft erfüllen.