Pneumologie 2024; 78(08): 547-549
DOI: 10.1055/a-2340-9941
Leserbrief

Schwieriges Asthma ist nicht schweres Asthma!

Norbert K. Mülleneisen
1   Asthma Allergiezentrum, Leverkusen
› Author Affiliations

Ich bin jetzt 40 Jahre in der Pneumologie und kenne noch die Patient*innen, die wir alle paar Wochen im Asthmaanfall auf der Intensivstation beatmen mussten. Die inhalativen Steroide kamen damals gerade auf den Markt und wir haben uns Mühe gegeben, die Patient*innen inhalieren zu lassen. Inhalationsphysik war wichtig und wir redeten über Impaktion und Sedimentation und die Deposition der verschiedenen Inhalationsdevices. Dann machten wir Asthmaschulungen im Rahmen des DMPs Asthma. Später kamen die Kombinationspräparate ICS/LABA und dann die SMART-Therapie. Plötzlich übernahm die Leitlinie das, was unsere Patient*innen eh schon immer machten, eine ICS/LABA-Kombination als Bedarfsmedikation. Es gab aber immer einige Patient*innen, die trotz aller Bemühungen nicht gut zu führen waren. In der Klinik waren das die Patient*innen, die nachts um 2.00–4.00 Uhr in die Notaufnahme kamen, Theophyllin und 250 mg Kortison i. v. erhielten, nach Hause gingen und nächste Woche wiederkamen. In der Niederlassung hatte man diese Notfallvorstellungen auch und suchte nach versteckten Ursachen und besseren Behandlungsstrategien im Verlauf. Diese Patient*innen hatten oft eine Vielzahl von Gründen, warum ihr Asthma aus dem Ruder lief. Ich will das an ein paar Beispielen erläutern.

  1. Diagnose überprüfen. So wie nicht jeder rauchende Asthmatiker eine COPD bekommt, hat nicht jeder mit einer schlechten Lungenfunktion oder Giemen sofort ein Asthma. Nehmen wir mal die Kinder unter 6 Jahren. Selbstverständlich wird ein Kinderarzt zurecht bei einem Kind, das er öfters mit Giemen in der Sprechstunde sieht, an Asthma denken. Aber das bedeutet nicht, dass dieses Kind für den Rest seines Lebens mit der Diagnose Asthma rumlaufen muss. Ich erinnere mich lebhaft an einen übergewichtigen Jungen aus Süddeutschland, der vom Kinderarzt auf Verdacht mit Antiasthmatika behandelt worden war und dann zum Pneumologen wechselte, der ihn bis zum 12. Lebensjahr mit ICS/LABA behandelte. Er brachte ca. 10 normale Lungenfunktionen mit, beklagte aber, dass die Inhalativa ihm nicht bei seiner Luftnot helfen würden. Im unspezifischen Provokationstest kein Nachweis einer Hyperreaktivität. Er war nur dick. Vielleicht hatte er mal im Kleinkindalter einen erhöhten Atemwegswiderstand gehabt. Das ist aber bei Übergewichtigen durch Dysanapsis leicht zu erklären und ist keineswegs Asthma. Also die Diagnose zu überprüfen, selbst wenn der vorbehandelnde Kollege eine bekannte Koryphäe ist, sollte Standard sein. Übrigens ist das durchaus zu schaffen, dass jeder Asthmatiker in Deutschland einmal im Leben im Metacholintest sein Asthma überprüft bekommt.

  2. Die Differenzialdiagnose und die Komorbiditäten sind zu überprüfen. Häufiges ist häufig, klar. Aber wer nicht an Zebras denkt, wird bei Hufgetrappel immer nur Pferde vor Augen haben. Wenn eine 59-jährige starke Raucherin mit Ruheluftnot und Sättigung 88 % in die Klinik kommt, denkt der Aufnahmearzt zurecht an COPD. Wenn die Patientin dann aber unter i. v. Kortison und Salbutamol besser wird, muss sie nicht mit COPD IV und Sauerstoff entlassen werden. Eine Woche später bei mir in der Praxis war sie nämlich in der Lungenfunktion normal. Das war ein Asthmaanfall, ausgelöst durch Stress bei finanziellen Schwierigkeiten als Selbstständige. Der Verdacht auf Emphysem im Rö-Thorax war ein volumen pulmonum auctum und die BGA zeigte eine Hyperventilation. Fazit, auch eine 59-jährige starke Raucherin kann ein Asthma haben. Und zweites Fazit, auch Psychosomatik gehört zur Asthmatherapie. Aber auch umgekehrt ist nicht alles, was pfeift, Asthma. Der Klassiker: chronische Rhinosinusitis mit Nasenpolypen. Wer die oberen Atemwege nicht mitbehandelt ist kein guter Pneumologe. Das Konzept der United Airways sollte nicht nur auf dem Papier stehen! Ich habe im 1. Quartal 2024 insgesamt 157-mal SABA und 68-mal Kortison-Nasensprays verordnet. Und bitte von jedem Patienten die Packungsjahre und die berufliche Belastung erfragen. Und achten sie auch auf Luftnot als Nebenwirkung von Medikamenten, z. B. Psychopharmaka.

  3. Stichwort adäquate Therapie. Mein Nachfolger in der Praxis, mit dem ich jetzt überlappend noch 3 Jahre zusammenarbeite, hatte neulich in Vertretung einen Asthmapatienten von mir gesehen, den ich seit 12 Jahren vermeintlich gut eingestellt hatte, der aber in der Lungenfunktion noch bei 70 % FEV1 lag. Er gab ihm Tiotropium zusätzlich zum ICS/LABA und siehe da, der Patient normalisierte sich und war glücklich. Ich war narzisstisch gekränkt, aber das ist der Vorteil, wenn ein zweiter Kollege mal die eigenen Fälle überprüft. Ich nenne das die Fallvergrauung. Der Patient war mir seit Jahren bekannt. Ach ja, der schon wieder, dachte ich, wenn er kam. Es geht ihm ja unter meiner Behandlung schon besser, ich mache ja alles richtig, dachte ich. Dass es ihm noch bessergehen konnte, hatte ich übersehen.

  4. Compliance. Wer glaubt schon, dass seine Patient*innen immer das tun, was man ihnen sagt? Wenn wir das überprüfen, stimmt die Inhalationstechnik oft nicht oder die Patientin hat Angst vor Kortison und inhaliert gar nicht. Wer Asthmaschulungen macht, kennt das Problem, und unsere MFA reden sich beim Broncholysetest einen Wolf, wenn sie die Inhalationstechnik überprüfen. Übrigens sind die Videos der Atemwegsliga zwar ganz hilfreich, es geht aber nichts über die direkte visuelle Überprüfung der Inhalationstechnik. Und dafür braucht es auch Originale der Devices zum Vorzeigen. „Inhalieren Sie mit diesem oder jenem Device?“, und wenn man dann nur graue Placebos hat, bekommt man oft die Antwort „keines von denen“. Patient*innen haben auch andere Wertvorstellungen und andere Ziele im Leben, als wir uns das vorstellen können, und wir haben letztlich die Autonomie der Lebensprozesse der Patient*innen zu beachten. Fragen Sie doch mal Ihre Patient*innen ganz frech: „Wie oft lassen Sie denn Ihre Medikamente mal weg?“ Sie werden vielleicht überrascht sein. Klinik-Pneumolog*innen sollte den Kurs NASA/COBRA machen, sie lernen was fürs Leben.

  5. Verstärkende Faktoren. Allergie und Umweltkontrolle und Allergenimmuntherapie bei gegebener Indikation, steht im Stufenschema der NVL-Asthma auf jeder Stufe. Und wer macht das? Es hilft mal, einen Hausbesuch bei den schwierigen Asthmatikern zu machen. Dann sieht man, dass der Patient zwar keine eigene Katze hat, aber Nachbarskatze ständig zu Besuch ist. Oder dass er selber nicht raucht, aber die Lebensgefährtin sehr wohl. Ca. 80 % der Asthmatiker sind Allergiker. Wer macht Allergenimmuntherapie (AIT) bei Asthma in nennenswertem Umfang? Die Real-World-Daten zur Asthmaprävention durch AIT werden immer überzeugender [1]. In den Lungenkliniken, selbst in denen mit Ambulanzen für schweres Asthma, werden meist keine Allergietests durchgeführt. Aber die Biologika-Firmen drängen mit Macht, über die Kliniken und die Meinungsbildner, zur Verordnung von Biologika bei schwerem Asthma. Allergisches und schwieriges Asthma ist aber viel häufiger als schweres Asthma, kostet nur mehr Zeit und Mühe. Übrigens ist Heuschnupfen die dritthäufigste Erkrankung bei niedergelassenen Pneumologen in Nordrhein. Das lernt man nicht in der Klinik und dann kann man es auch nicht, wenn man in der Klinikambulanz für schweres Asthma sitzt. Die Ausbildung zum Pneumologen in den Kliniken ist allergologisch unvollständig. Zur Phänotypisierung des Asthmas gehört aber nicht nur die Bestimmung der Eosinophilen und des FeNO, sondern auch ein Pricktest und ggfs. die EAST-Bestimmung.

  6. Nicht medikamentöse Verfahren. Lungensport, Atemphysiotherapie oder Reha sind sehr wirksame Methoden zur Verbesserung eines Asthmas. Auch Psychotherapie, wenn es nötig ist und das ist sehr oft erforderlich bei Asthmatikern. Nicht jede/r Patient*in nimmt die Erkrankung an, manche haben keine Krankheitseinsicht oder verstehen nicht den Einfluss von Stress, Ärger, Konflikten auf ihr Asthma. Ich erinnere mich an einen 55-jährigen Mann mit eigentlich leichtem Asthma, der aber ständig nachts Asthmaanfälle bekam und schon mal von seiner Frau, die Krankenschwester war, reanimiert werden musste. Er besserte sich erst nach Paartherapie und Jobwechsel. Jetzt ist er unter ICS/LABA bei Bedarf und mit normaler Lufu seit Jahren stabil. Wer noch nicht den Kurs „Psychosomatische Grundversorgung“ hatte, sollte das schleunigst nachholen.

Warum erzähle ich das alles? Weil es derzeit wieder eine Modewelle gibt, wie ich sie in der Vergangenheit auch schon selber mitgemacht habe. Ich denke an meine initiale Begeisterung, als Montelukast auf den Markt kam. Jetzt sind die Biologika der heiße Stoff und alle gehen steil, wenn ein neues Biologikum zugelassen wird. Nun soll Dupilumab sogar für COPD zugelassen werden. Natürlich nur bei COPD mit Typ-II-Entzündung. Jeder, der etwas Ahnung von Asthma hat, weiß, das sind Asthmatiker, die geraucht haben, also immer noch Asthmatiker! Aber die Dupilumab-Firma hat das Umsatzziel 17 Mrd./Jahr! Das sind natürlich Dinge, die den Ärzt*innen nicht erzählt werden. Hauptsache in der Fachinformation steht „auch zugelassen bei COPD“. Damit wird dann Werbung gemacht und der Zusatz nur bei COPD mit Typ-II-Entzündung, wird einfach vergessen. Damit kommt es zur Indikationsausweitung und wir landen wieder bei dem Begriff aus fröhlichen Urzeiten: der „chronisch asthmoiden Emphysembronchitis“. Oder platt gesagt Asthma oder COPD, ist doch alles egal: allen Biologika geben.

Ist das nur negatives Schwarzmalen? Die Fakten sprechen leider eine andere Sprache. Wir denken alle zu viel an Medikamente, weil das auch so schön einfach ist und alles andere mehr Mühe macht. Ian Pavord hat aus der britischen UK-Database Study Folgendes herausgelesen: „We found no evidence that a step-up to high-dose ICSs is effective in preventing future asthma exacerbations“ [2]. Na, das ist doch schon mal ein Weckruf. Selbst mit dem zentralen Eckpfeiler der Asthmatherapie den ICS kann man nicht alles regeln beim Asthma. Aber ist die Konsequenz wirklich mehr Biologika?

Es gibt inzwischen gute Daten über die Effektivität der AIT bei Asthma [1] [3] [4]. Das kann zu einer anhaltenden Remission der Asthmaerkrankung führen. Und zwar zu Remission „off treatment“! Biologika hingegen müssen dauerhaft gegeben werden, und das ist sehr teuer. Das wäre dann Remission „on treatment“. Aber als Kassenärzte sollen wir nach § 12 SGB-V wirtschaftlich verordnen. AIT ist deutlich wirtschaftlicher als dauerhaft Biologika zu verordnen. Die allergenspezifische Immuntherapie ist die einzige ursächliche Therapie einer allergischen Erkrankung und „disease modifiying“. Wer glaubt ernsthaft, er könne einem Katzenallergiker sagen, dass er Katzen meiden soll? Niemand kann Katzen meiden, auch dazu gibt es gute Daten. Aber man kann erfolgreich gegen Katzen hyposensibilisieren, das habe ich schon bei 55 Patienten gemacht und nicht einer davon hat nicht profitiert. Jetzt steht in allen Leitlinien, man soll die AIT bei gegebener Indikation prüfen. Marek Lommatzsch zeigt bei seinen Vorträgen gerne diese Folie ([ Abb. 1 ]).

Zoom Image
Abb. 1 Modell nach M. Lommatzsch: Paradigmenwechsel in der Asthmatherapie: neue Begriffe für ein Neues Denken. Pneumologe 2023; 20: 81–87.

Ich halte dagegen und sage, das ist kein gleichberechtigtes Dreieck! Die Reihenfolge muss so aussehen ([ Abb. 2 ])

Zoom Image
Abb. 2 Paradigmenwechsel in der Asthmatherapie. Neuer Vorschlag nach Mülleneisen.

In unserer Praxis haben 0,2 % unserer Patienten ein Biologikum und 1,3 % der Patienten eine Allergenimmuntherapie. Das Verhältnis ist also 1:10. Bei schwierigem Asthma hilft unter Umständen eine AIT. Biologika wirken auf allen Stufen des Asthmas nicht nur auf Stufe 5. Ist das der Grund für die Werbewelle der Firmen? Sollen wir demnächst unser Gehirn ausschalten und jedem Biologika geben? Das ist natürlich bequem und ich muss mir keine Mühe mehr geben.

Nein, erst wer nach erfolgreicher Asthmaschulung im DMP-Asthma, nach Reha und Lungensport und ggf. AIT immer noch schweres Asthma hat, qualifiziert sich für Biologika. Aber nicht alle niedergelassenen Pneumologen machen Asthmaschulungen. Warum eigentlich? Man verdient im DMP extrabudgetäres Geld damit! Zur Schulung gehören auch Infoblätter zu Allergien, Schwerbehindertenausweis, Reha, Tabakentwöhnung etc. weiter zu geben.

In 2023 haben 4661 Ärzte in Nordrhein am DMP-Asthma teilgenommen und diese haben 756 Asthmaschulungen dokumentiert, in 2022 waren es 759 Schulungen [5].

In 2023 haben die Pneumologen in Nordrhein 11 960 Verordnungen von Biologika vorgenommen. Also Benralizumab, Dupilumab, Mepolizumab, Omalizumab und Tezepelumab. Reslizumab wurde nicht verordnet. Das entspricht 1 % aller Verordnungen der Pneumologen in Nordrhein, macht aber 21 % der von Pneumologen verordneten Medikamentenkosten aus (36 888 109,50€) [6]. Bei einer unterstellten Dauertherapie von 12 Verordnungen pro Patient/Jahr, also bei vorsichtiger Schätzung, entspricht das 996 Patienten mit Biologika. Vermutlich liegt die Zahl der Patienten jedoch höher.

Ich fordere die Krankenkassen hiermit auf, Biologika erst nach Asthmaschulung oder Reha und ggf. nach AIT zu genehmigen. Das wäre auch leitliniengerecht.

Norbert Mülleneisen

Abkürzungen

AIT: Allergen Immuntherapie
DMP: Disease Management Programm
FeNO: fraktioniertes exhaliertes Stickstoffmonoxid
ICS: inhalatives Kortikosteroid
LABA: langwirksames Betamimetikum
MFA: medizinische Fachangestellte
NASA: Nationales Ambulantes Schulungsprogramm für erwachsene Asthmatiker
NVL: Nationale Versorgungsleitlinie
SABA: Short acting Betaagonist
SMART: Single Inhaler Maintenance and Reliver Therapy



Publication History

Article published online:
19 August 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany