Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2024; 31(05): 225
DOI: 10.1055/a-2343-7165
Editorial

Die neue Ära der Raumfahrt

Oliver Ullrich
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Prof. Dr. Dr. Oliver Ullrich

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

mit dem Ende der Internationalen Raumstation im Jahr 2030 wird der erdnahe Orbit privatisiert. Hochinnovative Raumfahrtunternehmen wie SpaceX werden gemeinsam mit großen privaten Raumstationen die Nutzung des erdnahen Orbits in Zukunft vorantreiben – und das bei Transport- und Betriebskosten, die mit dem Starship um Größenordnungen niedriger sind als die der staatlichen Raumfahrtprogramme. Sobald die Transportkosten keine große Rolle mehr spielen, wird der erdnahe Orbit für die Produktion genutzt werden: Produkte, die in der Schwerelosigkeit einfacher, günstiger, besser und zuverlässiger hergestellt werden können als auf der Erde: Halbleiter, Glasfasern, neue Materialien, Medikamente, menschliches Gewebe für Transplantationen. Viele Ökonomen erwarten gegen Ende dieses Jahrzehnts eine neue industrielle Revolution im erdnahen Orbit.

Innerhalb von 20 Jahren hat es SpaceX geschafft, ein vollständig wiederverwendbares Raketensystem von Grund auf zu entwickeln und in den Routinebetrieb zu überführen. Das war eine Revolution. Und sie war dringend nötig. Niemand käme auf die Idee, ein Flugzeug nach dem ersten Flug wegzuwerfen. Elon Musk wurde vor 20 Jahren für sein Wiederverwendungskonzept belächelt, vor allem aus Europa.

Seit April dieses Jahres läuft im IMAX-Theater des Kennedy Space Center Visitor Complex ein Film mit dem Titel „Space: The New Frontier“. In dem IMAX-Film sehen die Zuschauer, wie die ISS in der Atmosphäre verglüht, während neue Raumstationen die Erde umkreisen: die Space Stations von Axiom Space, die Starlabs von Voyager Space und Airbus sowie Orbital Reef von Blue Origin. Der Film spricht von Produktion im Erdorbit und zeigt normale Bürger als Astronauten. In der Zusammenfassung des IMAX-Films heißt es: „A second golden age of space has quietly dawned on us, with new hope for humanity as a spacefaring species. In the quest to make human spaceflight accessible within in a decade, not a century, and ultimately affordable to ordinary citizens ...”.

„Der Weltraum erschwinglich für gewöhnliche Bürger“ und „Gewöhnliche Bürger als Astronauten“. Was für eine Revolution im Denken. Was für eine kraftvolle Aussage. In den USA bereits Realität. Was wir in Europa immer wieder erklären müssen – mit mäßigem Erfolg – wird in den USA in Filmen in Freizeitparks gezeigt und von genau diesen „gewöhnlichen“ Menschen verstanden. In den USA weiß man, dass ein gewaltiger Schritt der Befreiung und Demokratisierung bevorsteht, während in Europas politischer Sphäre Weltraum noch wie im letzten Jahrhundert gedacht wird: elitär, extraorbitant teuer, verstaatlicht und exklusiv nur den Regierungen zugänglich.

Mit der Privatisierung kommt die Chance, dass alle Länder, große wie kleine, reichere wie ärmere, vom Nutzen des Weltraums profitieren werden. Es werden Menschen sein und ihre Unternehmen, die das neue Zeitalter einläuten werden. Es beginnt eine neue Chance und eine neue Zeit. Die Zukunft wird kommen, und es ändert an der Zukunft nichts, ob wir sie verstehen oder nicht. Sie wird einfach zur Gegenwart.



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Article published online:
07 October 2024

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