CC BY-NC-ND 4.0 · Psychiatr Prax
DOI: 10.1055/a-2349-4764
Übersicht

Profile und Merkmale psychiatrischer Pflegefachpersonen in der gemeindenahen Gesundheitsversorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen – Integratives Review und thematische Framework Analyse

Profiles and Characteristics of Mental Health Nurses in Community-Based Health Care for People with Mental Illness – Integrative Review and Thematic Framework Analysis
1   Abteilung Public Mental Health, AG Psychiatrische Pflegeforschung, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
2   Deutsches Zentrum für Psychische Gesundheit, Standort Mannheim-Heidelberg-Ulm, Mannheim
3   Departement Gesundheit, Berner Fachhochschule, Bern, Schweiz
,
Anna Hegedüs
1   Abteilung Public Mental Health, AG Psychiatrische Pflegeforschung, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit, Mannheim
3   Departement Gesundheit, Berner Fachhochschule, Bern, Schweiz
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Ziel Exploration der spezifischen Tätigkeitsfelder von Community Mental Health Nurses (CMHNs) innerhalb verschiedener CMHN-Rollen und Versorgungskontexte.

Methoden Systematische Literaturrecherche in CINAHL, PubMed/Medline, Google und Google Scholar, ergänzt durch eine Suche in verschiedenen Verlagsdatenbanken. Die Analyse und Synthese der Daten erfolgte in Anlehnung an die Methode der Framework Analyse.

Ergebnisse Es wurden zwei Rollenprofile von CMHNs identifiziert, die unterschiedliche Funktionen in der ambulanten Versorgung von psychisch kranken Menschen beschreiben: (A) Primary Care CMHN und (B) Specialized Care CMHN. Für jedes Rollenprofil werden kontextuelle Faktoren und spezifische Rolleninhalte beschrieben und im Hinblick auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede analysiert.

Schlussfolgerungen Die beschriebenen Rollenprofile können als Vorlage für die Entwicklung von Curricula im Bereich CMHN dienen. Hier ist es wichtig, den nationalen Kontext sowie den vorherrschenden und zukünftigen psychosozialen Versorgungsbedarf zu berücksichtigen.


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Abstract

Objective To examine the specific scope of practice of community mental health nurses (CMHNs) across CMHN roles and care contexts.

Methods Systematic literature searches in CINAHL, PubMed/Medline, Google and Google Scholar, supplemented by a search of various publishersʼ databases. Data were analyzed and synthesized using the framework analysis method.

Results This paper identifies two role profiles in CMHN practice that describe distinct functions in the outpatient care of people with mental illness: (A) Primary Care CMHN and (B) Specialized Care CMHN. For each role profile, contextual factors and specific role content are described and analyzed for similarities and differences.

Conclusions The described role profiles can serve as a template for the development of curricula in the field of CMHN. It is important to consider the national context as well as the current and future need for psychosocial care.


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Einleitung

Die Dynamik der psychosozialen Landschaft hat sich in den letzten Jahrzehnten weltweit in beispielloser Weise verändert, da die traditionellen Modelle der Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen einen Paradigmenwechsel erfahren haben. Eine der wichtigsten Entwicklungen in diesem Zusammenhang war die zunehmende Verlagerung der psychiatrischen Versorgung von institutionellen Einrichtungen hin zu gemeindenahen und populationsbezogenen Ansätzen [1] [2] [3]. Die gemeindenahe und häusliche Versorgung von Menschen mit (zumeist schweren und andauernden) psychischen Störungen durch eine Reihe von gemeindenahen psychosozialen Diensten wird weltweit als wesentlicher und standardmäßiger Bestandteil einer angemessenen gemeindenahen psychosozialen Versorgung angesehen [2] [3] [4] [5].

In Anlehnung an Thornicroft und Kollegen wird gemeindenahe psychosoziale Versorgung als ein umfassender Ansatz beschrieben, bei dem der Schwerpunkt auf der Bereitstellung psychosozialer Dienste in der Gemeinde und nicht in institutionellen Einrichtungen liegt [2]. Gemeindepsychiatrische Versorgung umfasst auch eine Reihe von Diensten und Angeboten, die überwiegend teambasiert sind und direkt in der Lebenswelt der Menschen erbracht werden [2]. Beispiele hierfür sind integrierte und kooperative Versorgungsmodelle, wie sie bspw. in Primärversorgungszentren zu finden sind, sowie teambasierte und (hoch-)spezialisierte gemeindepsychiatrische Angebote wie Assertive Community Treatment (ACT), Home-based Treatment, Early Intervention Teams, Crisis Resolution/ Intervention Teams, Community Mental Health Teams (CMHT) oder Intensive Case Management (ICM). Diese sind häufig in Gemeindepsychiatrischen Zentren (Community Mental Health Centers) oder gemeindepsychiatrischen (ambulanten) Kliniken angesiedelt [2] [6].

An der gemeindenahen psychosozialen Versorgung sind in der Regel viele verschiedene Berufsgruppen beteiligt, z. B. Allgemeinärzt:innen, Psychiater:innen, Sozialarbeiter:innen, Psycholog:innen und (psychiatrische) Pflegefachpersonen, die Hand in Hand miteinander arbeiten. Community Mental Health Nurses (CMHNs) nehmen in den meisten Ländern der Welt eine zentrale Position innerhalb der multiprofessionellen Teams ein. Sie fungieren nicht nur als Leistungserbringer, sondern auch als Förderer von Integration, Prävention und Empowerment [7] [8]. CMHNs, die in diesen vielfältigen gemeindenahen Einrichtungen der psychischen Gesundheit tätig sind, betreuen ein breites Spektrum von Bevölkerungsgruppen und erfüllen viele verschiedene Aufgaben in einer Vielzahl von Rollen [9] [10]. In Deutschland ist die CMHN jedoch nicht so verankert, wie es beispielsweise von der Weltgesundheitsorganisation (WHO, vgl. [11]) gefordert wird. Auch wenn laut Koalitionsvertrag 2021–2025 davon gesprochen wird, ein neues Berufsfeld der „Community Health Nurse“ zu schaffen [12], werden lediglich wenige erste Modellprojekte umgesetzt (z. B. PORT [13] oder FAMOUS [14]), die jedoch die allgemeine pflegerische und nicht die psychosoziale gemeindenahe Versorgung fokussieren. Zudem fehlt es an Theorie zu Community Mental Health Nursing, die für die deutschsprachige Versorgungslandschaft zugänglich gemacht wird. Um die zukünftigen Rollen von CMHNs jedoch angemessen zu beschreiben und sie zukünftig von anderen professionellen Rollen innerhalb des multidisziplinären Teams abgrenzen zu können, ist es wichtig, den spezifischen Scope of Practice von CMHNs in verschiedenen Rollen und Versorgungskontexte zu untersuchen und zu beschreiben und so die CMHN-Theoriebildung für den deutschsprachigen Raum voranzutreiben.


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Zielsetzung und Forschungsfragen

Vor diesem Hintergrund ist es das Ziel dieses Artikels, die beruflichen Rollenprofile von psychiatrisch Pflegenden in gemeindenahen und häuslichen Versorgungssettings zu beschreiben und zu systematisieren. Damit soll ein Beitrag zur systematischen Konzeptualisierung von Community Mental Health Nursing im deutschsprachigen Raum und damit zur Theoriebildung in der psychiatrischen Pflege geleistet werden. Folgende Forschungsfragen sollen beantwortet werden: (1) Welche Rollenprofile von psychiatrischen Pflegefachpersonen werden im Bereich des öffentlichen bzw. kommunalen (psychiatrischen) Gesundheitswesens beschrieben? (2) Welche Kontextfaktoren werden für jedes Rollenprofil beschrieben? (3) Welche spezifischen Rolleninhalte werden für die identifizierten Rollenprofile beschrieben?


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Methoden

Es wurde eine systematische Übersicht der internationalen Literatur nach den Prinzipien des integrativen Reviews durchgeführt [15] [16]. Dies ermöglicht die Einbeziehung von nicht-experimenteller, experimenteller, theoretischer und empirischer Literatur, um eine umfassende Bewertung der Literatur im Bereich der gemeindenahen psychiatrischen Pflegepraxis zu ermöglichen. Ein Studienprotokoll wurde beim Open Science Framework (OSF) Registry unter der DOI 10.17605/OSF.IO/ZYVWG (https://osf.io/9xq8k/) eingereicht. Um eine transparente und systematische Berichterstattung zu gewährleisten, wurde das ENTREQ-Statement (Enhancing Transparency in Reporting the Synthesis of Qualitative Research) mit Checkliste [17] verwendet.

Suchstrategie

Die vorab geplante systematische Literaturrecherche wurde zwischen Januar und Mai 2023 am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit in Mannheim in den elektronischen Datenbanken PubMed und CINAHL durchgeführt. Die Suchbegriffe wurden nach dem PICo-Schema (Population – Phenomenon of Interest – Context) entwickelt und während des Suchprozesses von beiden Autor:innen überprüft und angepasst. Die so entwickelten operationalisierten Themenblöcke wurden mit Booleschen Operatoren (AND, OR, NOT) verknüpft und an die jeweilige Datenbank angepasst. ▶Online [Tab. 1] zeigt die inhaltlichen Bereiche der Recherche und die entsprechenden Suchbegriffe (sowohl Schlagworte als auch einfache Suchbegriffe). Die Suche in den oben beschriebenen Datenbanken wurde ergänzt durch Suchen in Google und Google Scholar, in verschiedenen Verlagsdatenbanken (Springer, Hogrefe, Wiley, Elsevier, etc.) und in spezifischen englisch- und deutschsprachigen Zeitschriften. Darüber hinaus wurde die Recherche durch das sogenannte Schneeballsystem ergänzt, indem die Literaturverzeichnisse der identifizierten Artikel auf weitere relevante Literatur hin durchsucht wurden.

Tab. 1 Thematischer Analyserahmen.

Rollenprofile/-kategorien

Kontextfaktoren

Rolleninhalte

Z.B. „CMHN, die in Einrichtungen der Primärversorgung arbeiten“

  • Versorgungskontext/-setting (z. B. allgemeine Praxis)

  • Versorgungsschwerpunkt/Zielgruppe (z. B. ältere Menschen mit Depression)

  • Rollenbezeichnung/-titel (z. B. Mental Health Nurse Practitioner)

Praxisdomäne (1)

  • Aufgaben/Tätigkeiten

  • Aufgaben/Tätigkeiten

Praxisdomäne (1+n)

  • Aufgaben/Tätigkeiten

  • Aufgaben/Tätigkeiten


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Ein- und Ausschlusskriterien

Berücksichtigt wurden Publikationen, die eine klar erkennbare Berufsrolle in der Pflege beschreiben oder wenn sich aus den Aufgaben und Tätigkeiten eine Rollenbeschreibung ableiten lässt. Die Berufsrollenprofile mussten einen klaren Bezug zu gemeindenahen, ambulanten und/oder komplementären Settings aufweisen. Darüber hinaus mussten die Berufsrollen einen klaren Bezug zu einem direkten oder indirekten psychischen Gesundheitsproblem aufweisen. Zudem sollte die Publikation einen Ist-Zustand beschreiben und keinen Soll-Zustand, wie dies bei nicht-empirischen Praxisempfehlungen der Fall wäre. Weiter musste ein klarer Bezug zum Setting oder Versorgungskontext bzw. -modell bestehen. Es wurden nur deutsch- und englischsprachige Quellen berücksichtigt. Quellen, die älter als 20 Jahre sind (Publikationen vor 2003), wurden nicht in die Analyse einbezogen. Alle Publikationsformate wurden berücksichtigt, wenn ein klarer Bezug zum fokussierten Themenschwerpunkt bestand. Wurden mehrere Versionen eines Artikels gefunden, wurde die aktuellste Version in die Analyse einbezogen.


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Auswahl der Studien

Die Titel und Abstracts der identifizierten Quellen wurden in die Literatursoftware Citavi übertragen. Nach dem Aussortieren von Duplikaten und Quellen ohne Abstracts wurde jeder Artikel von zwei Forschenden unabhängig voneinander gesichtet. Zunächst wurden die Titel und Abstracts von 786 Artikeln gesichtet. 131 Artikel wurden in das Volltextscreening einbezogen. Davon wurden 109 Artikel ausgeschlossen, so dass 22 Artikel für die Analyse übrigblieben. Für die Bewertung des eingeschlossenen Materials wurden keine spezifischen Instrumente verwendet, da das Design des integrativen Reviews es erlaubt, jede Publikation zum Thema einzuschließen, sofern sie die Einschlusskriterien erfüllt. Unstimmigkeiten bezüglich der Eignung von Studien wurden durch Diskussionen zwischen den beiden Autoren:innen ausgeräumt. [Abb. 1] zeigt das Flussdiagramm der Ergebnisse der systematischen Literatursuche.

Zoom Image
Abb. 1 PRISMA-Flowchartdiagramm der systematischen Literaturrecherche.

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Datenanalyse und Datensynthese

Für die Analyse und Synthese der Daten wurde die von Ritchie und Lewis beschriebene Methode der Framework Analyse verwendet. Diese Methode der qualitativen Datenanalyse besteht aus den folgenden fünf Schritten [18]: (1) Einarbeitung in die Daten: Lesen der Artikel, um ein allgemeines Gefühl für ihren Inhalt zu bekommen; (2) Identifizierung eines thematischen Rahmens: Entwicklung eines thematischen Kodierungsschemas; (3) Indexierung: systematische Anwendung der Codes auf die extrahierten Textpassagen; (4) Kartierung („charting“): Neuordnung der Daten nach thematischem Inhalt, um eine vergleichende Analyse zu ermöglichen; und (5) Zuordnung („mapping“) und Interpretation: Definition von Schlüsselkonzepten, Abgrenzung des Spektrums und der Art der Phänomene, Erstellung von Typologien, Herstellung von Assoziationen, Bereitstellung von Erklärungen und Entwicklung von Strategien.

Die Literatur wurde zunächst mit der Absicht gelesen, allgemeine Themen im Zusammenhang mit Rollen oder Rollenprofilen, dem Fokus der Rolleninhaber und dem in diesem Zusammenhang beschriebenen Praxisdomänen bzw. den Rollen von psychiatrisch Pflegenden in der gemeindenahen (psychiatrischen) Gesundheitsversorgung zu identifizieren. Basierend auf den bereits gelesenen Quellen und dem übergeordneten Ziel dieses Reviews wurde ein thematischer Analyserahmen (Schritt 2 der Framework Analyse, siehe [Tab. 1]) entwickelt und als Kodierungsinstrument für die Analyse der eingeschlossenen Literatur verwendet. Die Kategorien wurden kontinuierlich mit dem Quellenmaterial abgeglichen. Um das Datenmanagement zu vereinfachen und übersichtlicher zu gestalten, wurden die aus der Literatur extrahierten Daten in einer Excel-Datei zusammengefasst, die entsprechend dem thematischen Analyserahmen strukturiert war. Diese Analysematrix wurde verwendet, um die aggregierten Daten, gruppiert nach den identifizierten Rollenprofilen, zu beschreiben, zu analysieren, zusammenzufassen und zu vergleichen. Die weitere Analyse konzentrierte sich auf die Merkmale jedes Rollenprofils („Kontextfaktoren“ wie Versorgungskontext, Zielpopulation und Rollenbezeichnung sowie „Rolleninhalte“ wie Praxisdomänen sowie Aufgaben und Tätigkeiten). Aus den Rolleninhalten wurden dann mögliche Rollen abgeleitet, welche die Pflegenden innerhalb ihres jeweiligen Rollenprofils ausüben. Die Rollenmerkmale und die ausgeübten Rollen wurden für jede Rollenkategorie narrativ zusammengefasst und miteinander verglichen. Mögliche Unstimmigkeiten in der Analyse wurden durch Diskussion innerhalb des Autorenteams geklärt. Die Analyse folgte einem überwiegend deduktiven Ansatz. Die Kategorisierung und Strukturierung wurde durch die theoretische Arbeit von Scheydt und Hegedüs [19] in Bezug auf den Umfang der Praxis und Huang et al. [10] und Kudless und White [9] in Bezug auf die abgeleiteten Rollen der Pflegenden unterstützt.


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Ergebnisse

Von den 22 in die Analyse einbezogenen Artikeln ([Tab. 2] [3]) stammen acht Publikationen aus Australien und Neuseeland [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27] und jeweils vier Publikationen aus den USA [7] [28] [29] [30] [31] und Großbritannien [1] [32] [33] [34]. Die restlichen Quellen stammen aus Kanada [35] [36], Taiwan [10], den Niederlanden [37] und der Schweiz [38]. Die meisten Quellen in der Literaturübersicht von Dreizler et al. [38] stammen jedoch aus den USA und Großbritannien. Die in die Analyse einbezogenen Quellen konnten in zwei spezifische Rollenkategorien eingeteilt werden: (1) CMHNs, die in Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung arbeiten (Primary Care CMHN) (n=9, ▶Online [Tab. 2]) und (2) CMHNs, die in spezialisierten gemeindepsychiatrischen Diensten (Specialized Care CMHNs) arbeiten (n=15, ▶Online [Tab. 3]). Im Folgenden werden die Kontextfaktoren, Rollenmerkmale und Rolleninhalte der einzelnen Rollenkategorien detailliert beschrieben und verglichen.

Tab. 2 Praxisbereiche, Tätigkeiten und davon abgeleitete Rollen von CHMHNs in der primären Gesundheitsversorgung (Primary Care CMHNs).

Praxisbereiche

Aufgaben und Tätigkeiten / abgeleitete Rollen

Assessment und Health Monitoring

Tätigkeiten: Durchführung von (umfassenden) Assessments von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen (z. B. Needs Assessment) [23] [30]; fortlaufendes Monitoring und kontinuierliche Beobachtung von Menschen mit spezifischen psychischen Gesundheitsproblemen [34] [38]. Rollen: Assessor, Mental Health Monitor, Gatekeeper.

Diagnostik und Versorgungsplanung

Tätigkeiten: Durchführung von erweiterter/fachspezifischer Diagnostik, z. B. im Zusammenhang mit Demenz oder kognitiven Störungen [34]; Erstellung eines (Pflege- und) Behandlungsplans in Zusammenarbeit mit Hausarzt/-ärztin [38]. Rollen: Diagnostiker:in, Versorgungsplaner:in.

Direkte Versorgungspraxis und Förderung der psychischen Gesundheit

Tätigkeiten: Durchführung klinischer Pflegemaßnahmen, wie z. B. spezielle Gruppenprogramme für Klient:innen und Angehörige [22]; Bereitstellung psychotherapeutischer Interventionen und/oder Techniken zur Verhaltensmodifikation wie z. B. therapeutische Lebensstil-Interventionen [22] [23] [24] [36] [38]; Durchführung von präventive Aufgaben im Bereich Public Mental Health [26], insbesondere durch kontinuierliches Monitoring und Screening der psychischen Gesundheit [23] [38] oder durch Gesundheitsedukation [24]. Rollen: Gesundheitsdienstleister:in, Mental Health Promoter:in, Gesundheitserzieher:in, Sozialtherapeut:in, Verhaltenstherapeut:in.

Medikamenten-management

Tätigkeiten: Verschreibung spezifischer Arzneimittel gemäß spezifischer evidenzbasierter Leitlinien [34] [38]; Überwachung der Medikamentenadhärenz; Besprechung von Änderungen der Medikation mit Hausarzt/-ärztin [38]. Rollen: Medikationsmanager:in, Medikationsmonitor, Verordner:in von Arzneimitteln.

Care und Case Management

Tätigkeiten: Management und Koordinierung der Versorgung/ Steuerung der Patientenprozesse in enger Zusammenarbeit mit Ärzt:innen der primären Gesundheitsverorgung [22] [23] [24] [38]; Erbringung von Nachsorgeleistungen für Patient:innen [36]; Überweisung von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen (insbesondere als „komplex“ eingestufte Patient:innen) an spezialisierte Dienste [22] [26]. Rollen: Case Manager:in, Versorgungskoordinator:in, Zuweiser:in, Kooperationspartner:in, Patientenvertreter:in.

Partnerschaft, Beratung und Klientenschulung

Tätigkeiten: Unterstützung und Aufklärung von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen und ihren Angehörigen [10] [24] [26]; Schulung für Patient:innen und Angehörige [10] [26] [30] [36], z. B. in Form von (familienorientierter) Psychoedukation [30]; Beratung von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen und ihren Angehörigen zu bestimmten Therapien und Verfahren oder zu bestimmten Medikamenten [38]; Aufbau einer therapeutischen Beziehung zu den Betroffenen und ihren Angehörigen [38]; Interessenvertretung für Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen und ihre Angehörigen [36]. Rollen: Partner:in, Patientenvertreter:in, Berater:in, Pädagog:in.

Zusammenarbeit, Schulung und Professional Support

Tätigkeiten: Zusammenarbeit und Kooperation mit sowie Supervision von Allgemein- bzw. Hausarzt/-ärztin und anderen Leistungserbringern (z. B. generalistisch tätige Pflegepersonen) [22] [24] [25] [38]; Liaisondienste zu anderen Gesundheitseinrichtungen an [23] [24]; Schulung von Mitarbeitenden [25] [38], z. B. in Bezug auf häufige psychische Erkrankungen [25]; Personalentwicklung [22]; Schulung und Coaching von häuslichem Pflegepersonal [38]. Rollen: Kolleg:in, Kooperationspartner:in, Berater:in, Ausbilder:in, Coach, Supervisor:in, Expert:in für psychische Gesundheit.

Tab. 3 Praxisbereiche, Tätigkeiten und davon abgeleitete Rollen von CMHNs in der spezialisierten gemeindepsychiatrischen Versorgung (Specialized Care CMHNs).

Praxisbereiche

Aufgaben und Tätigkeiten/ abgeleitete Rollen

Assessment und Health Monitoring

Tätigkeiten: Durchführung von initialen und kontinuierlichen (fachliche) Assessments [7] [10] [20] [21] [29] [33] inkl. Überwachung von Symptomen, Medikamenteneinnahme, möglichen unerwünschten Arzneimittelwirkungen oder Serumspiegeln [37]; Identifizierung von Personen mit psychosozialem Hilfe-/Unterstützungsbedarf in der Gemeinde [10]. Rollen: Assessor, Mental Health Monitor, Case Finder.

Diagnostik und Versorgungsplanung

Tätigkeiten: Durchführung fachspezifischer diagnostischer Verfahren [10] [32], einschließlich der Anordnung und Auswertung spezifischer diagnostischer Tests [10] [29]; Durchführung einer bedarfsgerechten Pflege- und Behandlungsplanung [7] [29] [33]. Rollen: Diagnostiker:in, Versorgungsplaner:in.

Direkte Versorgungspraxis und Förderung der psychischen Gesundheit

Tätigkeiten: Bereitstellung von Interventionen zur Krankheits- und Symptombewältigung [10] [20] [35]; Bereitstellung von spezifischen soziotherapeutischen (Pflege-) Interventionen, z. B. zur Verbesserung der Selbstpflegekompetenz der Klienten [10], zur Stärkung des Selbstwertgefühls oder der Eigenverantwortung [35], zur Unterstützung der Klienten bei der Strukturierung ihres Alltags, zur Lebensstilberatung [37] oder zur Unterstützung der Klienten bei der regelmäßigen Einnahme ihrer Medikamente [10]; Bereitstellung von Interventionen zur Krisenbewältigung [10]; Bereitstellung von psychotherapeutischen Interventionen wie kognitive Verhaltenstherapie [27] [37]; Bereitstellung von Interventionen zur Prävention und Gesundheitsförderung [20] [31] [37]. Rollen: Gesundheitsdienstleister:in, Soziotherapeut:in, Krisenmanager:in, Lifestyle Coach, Supporter:in, Mental Health Promoter:in, Verhaltenstherapeut:in.

Medikations-management

Tätigkeiten: Verschreibung spezifischer Arzneimittel nach spezifischen evidenzbasierten Leitlinien [29]; Verabreichung spezifischer Arzneimittel, wie z. B. Injektion langwirksamer Psychopharmaka [35]; Beratung anderer Gesundheitsberufe bei Änderugnen der Medikation [37]; Erstellung von Medikationsprofilen [20]; Überwachung der Medikamenteneinnahme, unerwünschter Arzneimittelwirkungen und Serumspiegel [37]. Rollen: Verordner:in von Arzneimitteln; Medikationsmanager:in; Supervisor:in, Beobachter:in.

Care und Case Management

Tätigkeiten: Management einer bestimmten Anzahl von (komplexen) Fällen [10] [29] [31] [33] [35]; Koordination und Management der (evidenzbasierten) Versorgung und der damit verbundenen patientenbezogenen Versorgungsprozesse [7] [31]; Erbringung von Nachsorgeleistungen [32]; Überweisung komplexer Fälle an spezialisierte Einrichtungen und Dienste [7] [10] [31] [33]. Rollen: Case Manager:in, Versorgungskoordinator:in, Zuweiser:in, Nachbehandler:in, Gatekeeper.

Partnerschaft, Beratung und Klientenschulung

Tätigkeiten: Aufbau und Aufrechterhaltung einer (therapeutischen) Beziehung [20] [27] [28] [35] [38]; Beratung von Menschen mit psychischen Gesundheitsproblemen und ihren Angehörigen [10] [37]; frühzeitige unterstützende Beratung von häuslichen Pflege- und Betreuungspersonen [10]; Bereitstellung von Informationen über Ressourcen für Menschen mit psychischen Erkrankungen und ihren Angehörigen [10]; Durchführung von Familienunterstützung, z. B. die Organisation von Familientreffen oder die Verbesserung der Interaktion zwischen Patient:innen und Familie [10] [35]; Präsenz und Erreichbarkeit für Patient:innen und ihre Angehörigen [28] [35] [37]. Rollen: Partner:in, Patientenvertreter:in, Konfliktmanager:in, Berater:in, Supporter:in, Lotse im Gesundheitssystem, Expert:in für psychische Gesundheit, Gatekeeper.

Zusammenarbeit, Schulung und Professional Support

Tätigkeiten: Kooperative Zusammenarbeit mit anderen Fachkräften und Einrichtungen der psychosozialen Gesundheitsversorgung [10] [31] [32] [38]; Erbringung von Konsultations- und Liaisondiensten [10] [29] [32] [38]; Supervision und Ausbildung von generalistischen Pflegepersonen sowie Ärzt:innen für Allgemeinmedizin [7] [31]. Rollen: Supervisor:in, Kolleg:in, Berater:in, Ausbilder:in, Coach, Expert:in für psychische Gesundheit.

CMHN in der primären Gesundheitsversorgung

Die im Rahmen dieser Kategorie beschriebenen Primary Care CMHN arbeiten hauptsächlich in allgemein- bzw. hausärztlichen Praxen [22] [23] [24] [25] [34] [38] – hier im Rahmen des kollaborativen Versorgungsmodells (engl. „collaborative care model“, vgl. [38]) oder als Teil des Mental Health Nurse Incentive Program (MHNIP; [22] [24] [25]) – aber auch in Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung bzw. kommunalen Gesundheitszentren [26] [30] [36]. Der größte Teil der Versorgung findet in den oben beschriebenen nicht aufsuchenden Settings statt, aber einige Pflegende arbeiten hauptsächlich aufsuchend [26] [36]. Für die in verschiedenen Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung arbeitenden Primary Care CMHNs werden unterschiedliche Rollenbezeichnungen verwendet: Psychiatric/ Mental Health Nurse [24] [25] [30], Community Psychiatric Nurse [22] [34], Primary Mental Health Nurse/Primary Mental Health Coordinator [23], Mental Health Liaison Nurse [36], Depression Care Manager [38] sowie Mental Health Nurse Practitioner [26]. Pflegende in dieser Kategorie scheinen in erster Linie Personen mit leichten bis mittelschweren psychischen Gesundheitsproblemen über die gesamte Lebensspanne zu betreuen. Nur Meehan und Robertson [25] sowie Olasoji und Maude [22] beschreiben einen Schwerpunkt auf der Versorgung und Pflege von Menschen mit schweren und anhaltenden psychischen Erkrankungen. Eine klare Rolle in der fortgeschrittenen oder erweiterten Praxis (im Sinne von Advanced Nursing Practice) lässt sich nur bei Barraclough et al. [26] ableiten. Die Praxisbereiche, Tätigkeiten und davon abgeleitete Rollen von CMHNs in der primären Gesundheitsversorgung sind in [Tab. 2] zusammengefasst.


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CMHNs in der spezialisierten gemeindepsychiatrischen Versorgung

Die in dieser Kategorie beschriebenen Specialized Care CMHN arbeiteten überwiegend in interdisziplinären und hochgradig kooperativen Kontexten, z. B. in Community Mental Health Teams [7] [20] [29] [33] [37] [38], in Beratungs- und Liaisondiensten [10] [21] [32], in ambulanten oder aufsuchenden Diensten [10] [27] [37], in Home Treatment Teams [1] oder als Teil von Assertive Community Treatment Teams [28] [35]. Die verschiedenen Arten von Angeboten waren in erster Linie an kommunale Krankenhäuser angegliedert [21] [29] [32] [35] oder in kommunalen Gesundheitszentren angesiedelt [7] [31] [38]. Insgesamt wurden drei von Pflegefachpersonen geleitete Dienste beschrieben [10] [27] [32]. Auch hier wurden analog zu den unterschiedlichen Länderkontexten und spezifischen Versorgungssettings sehr unterschiedliche Rollenbezeichnungen für die Specialized Care CMHNs verwendet: Mental Health Nurse [20] [38], Clinical Nurse Consultant oder Consultant Nurse [27] [32], Consultation-Liaison Nurse [21], Mental Health Nurse Practitioner [21] [27] [29] [31] und Advanced Practice Psychiatric Nurse [28]. Für jede Rolle wurden unterschiedliche pflegerische Schwerpunkte beschrieben. Die in dieser Kategorie zusammengefassten Pflegerollen haben jedoch eines gemeinsam: Sie sind entweder lebensphasen- oder diagnosebezogen spezialisiert [10] [20] [29] [32] [33] [37] [38] oder sie versorgen Menschen mit akuten und/oder schweren psychischen Problemen [1] [7] [28] [31]. In insgesamt fünf Publikationen konnte eindeutig eine fortgeschrittene (advanced) oder zumindest erweiterte (expanded) Rolle abgeleitet werden [21] [27] [28] [29] [31]. Die Praxisbereiche, Tätigkeiten und davon abgeleitete Rollen von CMHNs in spezialisierten gemeindepsychiatrischen Diensten sind in [Tab. 3] zusammengefasst.


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Diskussion

In diesem Beitrag werden zwei Rollenprofile in der Praxis der gemeindenahen psychosozialen Pflege identifiziert, die unterschiedliche Funktionen in der ambulanten Versorgung von Menschen mit psychischen Erkrankungen über die gesamte Lebensspanne beschreiben: (A) Community Mental Health Nurses in Einrichtungen der primären Gesundheitsversorgung (im Folgenden „Primary Care CMHN“) und (B) Community Mental Health Nurses in spezialisierten gemeindepsychiatrischen Diensten (im Folgenden „Specialized Care CMHN“). Es gibt viele Ähnlichkeiten zwischen den beiden Rollen, aber auch viele Unterschiede. Beispielsweise werden beide Rollen als hochgradig „kollaborativ“ beschrieben. Dementsprechend können Zusammenarbeit und Kooperation als wichtige Bestandteile der Arbeit beider Rollenprofile beschrieben werden. Die Zusammenarbeit findet jedoch auf unterschiedlichen Ebenen statt. Von den „Primary Care CMHNs“ wird erwartet, dass sie das Leistungsspektrum der hausärztlichen Praxis oder des kommunalen Gesundheitszentrums um spezifische Aspekte der psychischen Gesundheit ergänzen. Sie arbeiten sehr eng und partnerschaftlich mit den Hausärzt:innen zusammen. Die Arbeit der „Specialized Care CMHN“ findet in einem hochspezialisierten multiprofessionellen Umfeld statt. Sie arbeiten mit vielen verschiedenen Fachkräften (z. B. Allgemein- oder Hausärzt:innen, Psychiater:innen, Psycholog:innen, Sozialarbeiter:innen oder Vertretenden lokaler Behörden) in verschiedenen hochspezialisierten psychosozialen Diensten (z. B. Home Treatment oder Assertive Community Treatment Teams) zusammen.

Darüber hinaus arbeiten „Primary Care CMHNs“ in erster Linie in einem nicht aufsuchenden Setting in den Räumlichkeiten von Hausärzt:innen oder in kommunalen Gesundheitszentren, während „Specialized Care CMHNs“ in erster Linie in einem aufsuchenden Setting im Lebensumfeld von Einzelpersonen und ihren Familien tätig sind. Dementsprechend arbeiten „Primary Care CMHNs“ hauptsächlich auf Einzelfallbasis, während „Specialized Care CMHNs“ auch das Familiensystem der betroffenen Person im Blick haben. Dies zeigt sich z. B. in der breiten Palette familienorientierter Interventionen, die von den „Specialized Care CMHNs“ angeboten werden. Ein weiterer Unterschied zwischen den beiden Rollenprofilen besteht in der Komplexität der betreuten Fälle. „Specialized Care CMHNs“ betreuen hochkomplexe Fälle, insbesondere Personen mit schweren und anhaltenden psychischen Problemen, die sich in der Regel in einer akuten Krise befinden. „Primary Care CMHNs“ hingegen betreuen Menschen mit leichten bis mittelschweren, meist „gewöhnlichen“ psychischen Problemen (z. B. Depressionen, Angstzustände etc.) im Rahmen der Primärversorgung.

Die Unterschiede zwischen den beiden Rollenprofilen sind vor allem darin zu sehen, dass die „Specialized Care CMHNs“ etwas spezialisiertere Aufgaben (z. B. in den Bereichen Krisenmanagement, Krankheits- und Symptommanagement oder Medikamentenmanagement) in einem lebenswelt- und familiensystemorientierten Setting übernehmen als die überwiegend einzelfallorientierten und primär nicht aufsuchenden „Primary Care CMHNs“. Auffällig war auch, dass Aspekte der Forschung und Praxisentwicklung in der gesichteten Literatur kaum oder gar nicht erwähnt wurden.

Bei der Analyse der beschriebenen Funktionen fällt zudem auf, dass beide Rollenprofile eher defizitorientiert sind und weniger auf die Ressourcen der Betroffenen einzugehen scheinen. Mit anderen Worten: die beschriebenen Funktionen fokussieren primär auf den Krankheitsprozess und sehr wenig auf Aspekte der Prävention und insbesondere der Gesundheitsförderung. Dies deutet darauf hin, dass sie in der Arbeit eine geringere Bedeutung haben als z. B. die direkte Versorgung oder das Case- und Care-Management.

Die beiden Rollenprofile und ihre Inhalte müssen jedoch auch vor dem Hintergrund der zu erwartenden zukünftigen Entwicklungen der Bevölkerungsstruktur und der Veränderungen des psychosozialen Bedarfs und der psychosozialen Versorgungsangebote betrachtet und diskutiert werden. Beispielsweise sind Menschen mit leichten bis mittelschweren psychischen Gesundheitsproblemen überversorgt, während Menschen mit schweren und meist anhaltenden psychischen Störungen unterversorgt sind [2] [5]. In ländlichen Gebieten besteht zum Teil ein massiver Mangel an ambulanten intensiven Versorgungsangeboten [39]. In vielen Ländern, auch den deutschsprachigen, besteht ein gravierender Mangel an Fach- und Hausärzt:innen [40]. Insbesondere im Bereich der psychotherapeutischen Versorgung sind Wartezeiten von mehreren Monaten zumindest in Deutschland keine Seltenheit mehr [41]. Sowohl die primärärztliche als auch die fachärztliche psychiatrische und psychotherapeutische Versorgung, insbesondere von Menschen mit schweren und chronischen psychischen Erkrankungen, ist daher vor allem in ländlichen und strukturschwachen Regionen stark eingeschränkt.

In diesem Zusammenhang wird die psychiatrische Grundversorgung sowie die psychiatrische Gesundheits- und Krankenpflege in Zukunft von großer Bedeutung sein, um dem Mangel an Fachärzt:innen und Allgemeinmediziner:innen zu begegnen und eine angemessene Versorgung aufrechtzuerhalten. Diese Versorgung wird höchstwahrscheinlich in integrierten oder abgestuften Versorgungsmodellen erfolgen [42], was gute Kenntnisse über unterschiedliche Versorgungsmodelle und nicht nur psychiatrische, sondern auch somatische Gesundheitskompetenz voraussetzt. In diesem Zusammenhang wird der Aspekt der Versorgungskoordination und des Case Managements eine der Kernaufgaben von CMHNs bleiben und sicherlich auch im deutschsprachigen Raum an Bedeutung gewinnen. Aber auch die Bereitstellung niedrigschwelliger und kurzfristiger psychotherapeutischer Angebote durch gemeindenah tätige psychiatrische Pflegefachpersonen unterschiedlicher Kompetenzniveaus wird an Bedeutung gewinnen, um die Versorgungslücke zwischen dem Erkennen einer psychischen Störung und der Einleitung einer (in der Regel psychotherapeutischen) Behandlung zu schließen.

Es ist auch wichtig zu berücksichtigen, dass sich die Merkmale der Patient:innen, die psychosoziale Unterstützung in Anspruch nehmen, in Zukunft verändern werden. Dies wiederum wird einen großen Einfluss auf die zukünftigen Bedürfnisse und Anforderungen dieser Klientel haben [42] [43]. Der demographische Wandel führt zu einer alternden Gesellschaft und damit zu spezifischen Gesundheitsproblemen, nicht nur somatischer Art. Depressionen im Alter aufgrund von Einsamkeit und sozialer Isolation oder Demenz werden die psychiatrische Versorgung in Zukunft vor neue Herausforderungen stellen [43] [44]. Neben der enormen Beschleunigung der Gesellschaft führt die zunehmende technologische Entwicklung und Digitalisierung dazu, dass Patient:innen durch das enorme Informationsangebot im Internet immer besser über psychosoziale Gesundheitsaspekte informiert sind. Dies hat nicht nur Vorteile, z. B. im Hinblick auf die Patient:innenbeteiligung, sondern birgt auch die Gefahr von Fehlinformationen, die zu verschiedenen Problemen in der Zusammenarbeit zwischen Patient:innenen und professionellen Leistungserbringern führen können [43]. Darüber hinaus nimmt die Zahl der Migranten aufgrund der angespannten Weltsituation und Umweltkatastrophen in verschiedenen Ländern seit Jahren zu [43] [44]. Neben dem positiven Aspekt der kulturellen Erweiterung bringt diese Entwicklung auch potenzielle Probleme mit sich, mit denen psychosoziale Versorgungseinrichtungen in Zukunft konfrontiert sein werden: Viele unterschiedliche kulturelle Hintergründe bedeuten auch unterschiedliche Sichtweisen auf psychische Erkrankungen und psychische Gesundheit bzw. auf die Inanspruchnahme psychosozialer Hilfsangebote. Darüber hinaus wird man zunehmend mit Menschen konfrontiert sein, die in ihrem Leben extreme Traumatisierungen erfahren haben [44].

Vor diesem Hintergrund werden Konzepte wie der Diversity-Ansatz oder die traumainformierte Versorgung in Zukunft wichtige Konzepte für CMHNs sein [5]. Ebenso wird der populationsbezogene Versorgungsansatz auch im deutschsprachigen Raum weiter an Bedeutung gewinnen. Unterversorgte und in der psychosozialen Versorgung oft vernachlässigte Bevölkerungsgruppen (Wohnungslose, Kinder psychisch kranker Eltern, Jugendliche und junge Erwachsene, Eltern in der perinatalen Phase, Menschen mit schweren und andauernden psychischen Erkrankungen etc.) werden in den Mittelpunkt der Spezialisierung rücken müssen. Zudem wird der beschriebene Praxisbereich „Partnerschaft, Beratung und Klientenschulung“ an Bedeutung gewinnen, um Fehlinformationen der Betroffenen und ihrer Angehörigen zu vermeiden oder zu korrigieren. Dies wird sich auf die Adhärenz und Compliance auswirken. CMHNs könnten auch eine wichtige Rolle als Wegweiser oder Lotsen durch den Dschungel der digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) oder im Sinne eines Blended-Therapy-Ansatzes bei der Nutzung von DiGAs oder beim Einüben neuer Verhaltensweisen in Alltagssituationen spielen. Auch bei der Nutzung niedrigschwelliger digitaler und webbasierter Selbsthilfeansätze könnten Pflegende bei der Auswahl der richtigen Anwendungen helfen.

Limitationen

Die vorliegende Analyse konzentrierte sich ausschließlich auf die psychosozialen Rollen und Funktionen der verschiedenen Rollenprofile im Bereich Community Mental Health Nursing. Körperliche oder somatische Interventionen wurden nicht oder nur am Rande berücksichtigt. Erweiterte Rollen (z. B. generalistische Pflegefachpersonen mit erweiterten Aufgaben im Bereich der psychischen Gesundheit, Public Health Nurses mit Aufgaben im Bereich der psychischen Gesundheit, wie z. B. die Schulkrankenpflege) oder spezialisierte (psychiatrische) Pflegefachpersonen mit einem klaren Schwerpunkt im Bereich des Public (Mental) Health wurden nicht berücksichtigt, werden aber Gegenstand weiterer Untersuchungen sein. Darüber hinaus wurden die Rollen und Funktionen länderübergreifend zusammengefasst. Länderspezifische Unterschiede, z. B. hinsichtlich der Bezeichnung der Rolle, des Inhalts der Rolle oder der Anforderungen an die Ausübung der Rolle, wurden nicht berücksichtigt. Diese müssen jedoch an die spezifischen Bedürfnisse, Versorgungsmodelle etc. angepasst werden, bevor die Inhalte des Reviews auf einzelne Kontexte übertragen werden können. Schließlich war es aufgrund des zugrundeliegenden Studiendesigns der einbezogenen Studien nicht möglich, eine valide Aussage über die tatsächliche Verteilung der in den Rollenprofilen beschriebenen Funktionen zu treffen, die durch empirische Beobachtungsstudien ergänzt werden müsste. Aufgrund der Tatsache, dass keine spezifischen Instrumente zur Bewertung der einbezogenen Arbeiten verwendet wurden, ist es möglich – wenn auch aufgrund der ausführlichen Diskussion der Methodik der Studien innerhalb des Autor:innen-Teams sehr unwahrscheinlich – dass Arbeiten von schlechter Qualität in die Analyse eingeflossen sind.


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Schlussfolgerungen

Durch die differenzierte Ausarbeitung der beiden Rollenprofile und ihrer Merkmale konnte eine Grundorientierung für die Entwicklung neuer Rollen im Bereich Community Mental Health Nursing für den deutschsprachigen Raum entwickelt werden. Die hier beschriebenen Rollenprofile können auch als Vorlage für die (Weiter-)Entwicklung von Hochschulstudiengängen im Bereich der gemeindenahen psychosozialen Pflege bzw. des Community Mental Health Nursing dienen. In beiden Fällen ist es wichtig, dass bei der (curricularen) Entwicklung von CMHN-Rollen der Kontext des Landes und der dort vorherrschende psychosoziale Versorgungs- und Unterstützungsbedarf, das vorherrschende Versorgungssystem, die zu erwarteten zukünftigen Veränderungen in der psychosozialen Versorgung (wie in der Literatur beschrieben) oder die geltende Gesetzgebung berücksichtigt werden.

Es wäre auch wichtig, die Aufgaben und Tätigkeiten und insbesondere die Unterschiede zwischen grundlegender (basic), spezialisierter (spezialized) und fortgeschrittener (advanced) psychiatrischer Pflegepraxis in gemeindenahen, kommunalen bzw. nicht stationären Versorgungssettings hervorzuheben, um spezifische Kompetenzniveaus für die Aus- und Weiterbildung zu definieren. Um die Aspekte des Public (Mental) Health zu berücksichtigen, sollte das vorliegende Review um eben diese Aspekte erweitert werden. Darauf aufbauend sollte dann untersucht werden, über welche Kompetenzen die Rolleninhaber:innen vor dem Hintergrund des jeweiligen Versorgungskontextes, des jeweiligen Hilfe- und Versorgungsbedarfs, der jeweiligen Gesetzgebung etc. verfügen sollten. In diesem Zusammenhang wäre eine ergänzende Analyse der dem Public bzw. Community Mental Health Nursing zugrundeliegenden Konzepte und Modelle wichtig, die in die Entwicklung neuer und innovativer Inhalte für die (hochschulische) Aus-, Fort- und Weiterbildung einfließen sollten. Schließlich ist es wichtig, jede Rollenentwicklung in einem interprofessionellen Rahmen durchzuführen und die Wirksamkeit der Rollen vor dem Hintergrund des interdisziplinären Behandlungsprozesses und der jeweiligen Rollen der verschiedenen Berufsgruppen zu evaluieren. Auf diese Weise kann belastbare Evidenz für die Wirksamkeit solcher (weitgehend „erweiterter“) Rollen generiert werden. Dies ist insbesondere für den deutschsprachigen Raum wichtig, der der internationalen Entwicklung deutlich hinterherhinkt.


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Konsequenzen für Klinik und Praxis

  • Die Ergebnisse liefern eine inspirierende Vorlage für die Entwicklung innovativer Rollen im Bereich der gemeindenahen psychiatrischen Pflege in Deutschland

  • Die Synthese der internationalen CMHN-Rollenprofile kann als Leitfaden für die Gestaltung von Lehrplänen für die (hochschulische) Aus- und Weiterbildung dienen.

  • Die Ergebnisse tragen erheblich zum Verständnis der vielfältigen Rollen dieser Pflegenden in verschiedenen Kontexten bei und erleichtern eine zukünftige Abgrenzung zu anderen Berufsgruppen in der psychosozialen Versorgung im deutschsprachigen Raum.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Wir danken Sophie Petri und Kristina Domonell für ihre wertvolle Unterstützung während des Screening-Prozesses.

Zusätzliches Material


Korrespondenzadresse

Dr. Stefan Scheydt
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit
Abteilung Public Mental Health, AG Psychiatrische Pflegeforschung
Forschungs- und Verwaltungsgebäude, J5
68159 Mannheim
Deutschland   

Publication History

Received: 17 April 2024

Accepted: 16 May 2024

Article published online:
16 July 2024

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