Nervenheilkunde 2024; 43(12): 737
DOI: 10.1055/a-2357-5349
Gesellschaftsnachrichten
Kopfschmerz News der DMKG

Migräne und strukturelle Hirnveränderungen bei älteren Menschen – Die Rotterdam-Studie

 

*** Acarsoy C, Ikram MK, Ikram MA, et al. Migraine and brain structure in the elderly: The Rotterdam Study. Cephalalgia 2024; 44(9): 1–9. DOI: 10.1177/03331024241266951

Hintergrund

Es wird auf Grundlage von einzelnen Studien vermutet, dass Migräne potenziell zu langfristigen strukturellen Veränderungen im Gehirn führen kann. Frühere Studien ergaben insbesondere Hinweise, dass Migränepatienten ein erhöhtes Risiko für zerebrale Kleingefäßerkrankungen (CSVD) und Hirnatrophie haben. Diese Studie untersucht den Zusammenhang zwischen Migräne und strukturellen Hirnveränderungen bei älteren Menschen.


#

Zusammenfassung

Die Rotterdam-Studie umfasste 4920 Teilnehmer im mittleren bis hohen Alter, von denen 752 (15,3 %) eine Migräneanamnese aufwiesen. Im Rahmen der Studie wurden MRT-Untersuchungen durchgeführt, um strukturelle Veränderungen des Hirnparenchyms zu analysieren, insbesondere in Bezug auf das Gesamtvolumen von grauer und weißer Substanz sowie auf Hinweise für CVSD, darunter das Volumen der weißen Substanzläsionen (White Matter Hyperintensities, WMH), das Vorhandensein von Lakunen und zerebralen Mikroblutungen. Nach Adjustierung für Alter, Geschlecht und kardiovaskuläre Risikofaktoren zeigte die Analyse keinen signifikanten Unterschied zwischen den Migränepatienten und denjenigen ohne Migräne hinsichtlich des Gesamtvolumens des Gehirns oder der spezifischen segmentierten Bestandteile (graue und weiße Substanz). Ebenso gab es keine statistisch signifikanten Unterschiede von Markern einer CSVD. Somit wiesen Migränepatienten im mittleren und hohen Alter nicht häufiger strukturelle Hirnveränderungen auf als Personen ohne Migräne.

Besondere Aufmerksamkeit wurde auch auf mögliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen sowie Migräneformen mit und ohne Aura gelegt. Auch hier konnten keine signifikanten Effekte festgestellt werden, die auf einen Zusammenhang zwischen Migräne und diesen Hirnveränderungen hindeuten. Allerdings zeigte sich eine mögliche geschlechtsspezifische Variation im Auftreten zerebraler Mikroblutungen: Frauen mit Migräne hatten möglicherweise ein leicht erhöhtes Risiko für Mikroblutungen, während Männer mit Migräne ein geringeres Risiko aufwiesen. Diese Unterschiede waren jedoch nur in den Sensitivitätsanalysen sichtbar und bedürfen weiterer Forschung.


#

Kommentar

Die Ergebnisse stellen die Annahme in Frage, dass Migräne mit negativen langfristigen Auswirkungen auf die Hirnstruktur verbunden ist. Im Gegensatz zu früheren klinischen Studien, die ein höheres Risiko für Hirnanomalien bei Migränepatienten nahelegten, fand diese große bevölkerungsbasierte Studie keinen solchen Zusammenhang. Die Autoren führen dies auf die größere, bevölkerungsbasierte Stichprobe ihrer Untersuchung sowie auf methodische Unterschiede bei der Bildgebungsanalyse zurück. Sie betonen zudem, dass frühere Studien oft kleinere, klinisch ausgewählte Populationen mit schwereren Migränefällen untersuchten. Weitere Forschung ist notwendig, um mögliche Effekte in bestimmten Untergruppen zu untersuchen oder Langzeitdaten zu analysieren, die Veränderungen im Verlauf der Zeit aufzeigen könnten.

Robert Fleischmann, Greifswald

INFORMATION

*****

Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

****

Gute experimentelle oder klinische Studie

***

Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

**

Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

*

Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).

Ansprechpartner ist Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald, Tel. 03834/86-6815, robert.fleischmann@uni-greifswald.de

Die Besprechungen und Bewertungen der Artikel stellen die Einschätzung des jeweiligen Autors dar, nicht eine offizielle Bewertung durch die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft.


#
#

Publication History

Article published online:
02 December 2024

© 2024. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Rüdigerstraße 14, 70469 Stuttgart, Germany