PSYCH up2date 2024; 18(05): 359-360
DOI: 10.1055/a-2364-3565
Editorial

Cannabis goes Big Business. Die Kommerzialisierung ist auf dem Weg

Falk Kiefer

Der deutsche Ansatz zur Cannabislegalisierung ist für die EU ein wichtiger politischer Präzedenzfall und bietet die wertvolle Gelegenheit, die Auswirkungen eines Cannabis-Legalisierungsrahmens auf die öffentliche Gesundheit zu bewerten. Hierbei stehen die nicht gewinnorientierten und gesundheitsorientierten Modelle im Gegensatz zu Kommerzialisierungsbestrebungen einer inzwischen milliardenschweren Industrie, welche die Chance sieht, dass Deutschland ein Europäischer Leitmarkt für THC-haltige Produkte wird. Big Tobacco war gestern, Big Cannabis kommt.

Deutschland hat am 01. April eine Legalisierungspolitik für Cannabis auf den Weg gebracht. Die „erste Säule“ des Cannabis-Gesetzes (CanG) ermöglicht den legalen Cannabiskonsum und Besitz für Erwachsene ab 18 Jahren. Demnach darf Cannabis legal aus zwei Quellen bezogen werden: aus dem „Eigenanbau“ (maximal drei Pflanzen pro Erwachsenem) oder aus regulierten und lizenzierten „Cannabisclubs“, die als lokale, nicht gewinnorientierte Produktionsgemeinschaften definiert sind. In den Cannabisclubs können registrierte Mitglieder bis zu 50g Cannabis/Monat für den Eigenbedarf erwerben, während für junge Erwachsene (18–21 Jahre) eine Beschränkung auf 30g/Monat und auf Cannabisprodukte mit einem THC-Gehalt von höchstens 10% gilt.

Klar ist, dass es bei den genannten Abgabemengen nicht mehr um die Ermöglichung des „Gelegenheitskonsums“ von Cannabis geht, der im Koalitionsvertrag für das CanG vereinbart worden war. Die oben genannten Obergrenzen entsprechen je nach Dosierung einem Konsum von 3–5 Joints/Tag. In der Anhörung der Expertenkommission im Bundestag wurde deutlich: die Abgabemengen sollen auch abhängigen Konsumenten die Möglichkeit geben, sich legal mit Cannabis zu versorgen. Außerhalb des Protokolls durfte ich hören: natürlich müsse man davon ausgehen, dass Cannabis auch innerhalb der Peergroup weitergegeben werde, auch an Minderjährige. Aber, „wenn diese sowieso kiffen“ würden, „dann doch lieber sauberes Gras, als Dealerware“ (eine sehr pragmatische Sicht, allerdings nur, wenn man davon ausgeht, dass Menschen mit Lust zum Kiffen zur Welt kommen und nicht davon, dass Menschen zu Cannabiskonsumenten werden, wenn ihre Community es ihnen anbietet und vormacht).

Die sogenannte „zweite Säule“ des CanG soll die kommerzielle Cannabisproduktion und den Vertrieb in „Modellregionen“ ermöglichen. Diese Bestimmung stand ursprünglich im Widerspruch zu europäischem Recht und wurde auf Eis gelegt; jüngste Nachrichten besagen aber, dass die deutsche Bundesregierung Regulierungsprozesse vorangetrieben hat, welche kommerzielle Angebote, einschließlich risikoreicherer Cannabisprodukte, ermöglichen sollen.

Inzwischen hat sich übrigens ein neuer Vertriebsweg als eine informelle „dritte Säule“ etabliert, der nicht im CanG steht: die kommerzielle Abgabe von Cannabis („Medizinalhanf“) auf Grundlage internetbasierter ärztliche Verordnung und Online-Apothekenverkauf. Mit der von den medizinischen Fachgesellschaften unerwarteten Zustimmung des Bundesrats wurde THC aus dem Betäubungsmittelgesetz gestrichen, mit der Folge, das THC-haltige Substanzen, inkl. „Medizinalhanf“ nun nicht mehr über BtM Rezepte verordnet werden müssen, sondern einfache Kassen- und Privatrezepte ausreichen. Inzwischen gibt es mehrere, umfangreich auch in sozialen Medien beworbene Internetportale, die ein Gesamtpaket mit Selbstscreening, Onlineverordnung und Onlineversand anbieten. Da der Gesetzgeber das Indikationsfenster für Cannabis maximal breit definiert hat und der Apothekenpreis stark gesunken ist, ist zu erwarten, dass dieser Vertriebsweg weiter anwachsen wird. Das ist eine interessante Entwicklung, denn einerseits muss ein Verordnungsmissbrauch befürchtet werden, andererseits ist der Apothekenverkauf von Cannabis der Vertriebsweg, den die meisten medizinischen Fachgesellschaften gegenüber dem Vertrieb in „Cannabisshops“ präferiert haben. Gründe hierfür: Apotheken dürfen nicht für den Verkauf verschreibungspflichtiger Substanzen werben und Apotheken werden auch zukünftig keine „Edibles“ anbieten, also Haschkekse oder THC-haltige Gummibärchen und Schokolade. Letzteres ist bei Cannabisshops natürlich zu erwarten, weil im Sinne des Umsatzes – sobald die Regulierung hierfür Freiräume bietet.

Aber ist es belegbar, dass es einen Unterschied macht, ob Cannabis kommerziell oder nicht-kommerziell angeboten wird? Oder ist es nicht doch so, dass „sowieso konsumiert wird“, egal ob Geld damit verdient wird?

Die empirische Realität und die Erfahrung mit kommerzialisierten Legalisierungssystemen – insbesondere in Nordamerika – gibt Hinweise hierauf. Und die Erfahrungen mit der Tabak- und Alkoholindustrie auch. Wer ein abhängigkeitserzeugendes Produkt mit Gewinnerwartung verkauft, ist daran interessiert, dass möglichst viele Menschen neu in den Konsum einsteigen. Wenn sie erst einmal abhängig sind, werden sie Kunden bleiben. Entsprechend zielt nachvollziehbar jedes Marketing für Suchtmittel auf die Menschen, bei denen ein Neueinstieg in den Substanzkonsum am Wahrscheinlichsten ist: auf Adoleszente und Jungerwachsene.

Die entsprechenden Daten aus Nordamerika zeigen beispielsweise einen Anstieg der Prävalenz des regelmäßigen Cannabiskonsums, der Krankenhausaufenthalte wegen cannabisbedingter psychischer Probleme und cannabisbedingter Verkehrsunfälle zwischen 2015–2021. Analysen deuten darauf hin, dass viele dieser Veränderungen in den Zeiträumen am stärksten ausgeprägt waren, die sich durch die Kommerzialisierung von Cannabis auszeichnen. Auch die Analyse von 32 internationalen Studien zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen dem Zugang zu Cannabis-Einzelhandelsgeschäften und der Zunahme von cannabisbedingten Konsumfolgen. Trotz eines allgemeinen Verbots von kommerzieller Cannabiswerbung sind Verstöße üblich und große Teile der Bevölkerung (z.B. zwei Drittel der Jugendlichen) berichten über eine Exposition mit Werbung, insbesondere über soziale Netzwerke, Influencer und Foren, die kaum zu kontrollieren oder zu unterbinden ist.

Diese Ergebnisse stehen im Einklang mit früheren Warnungen, dass die Legalisierung von Cannabis als politische Reform im Interesse der öffentlichen Gesundheit nur dann erfolgreich sein kann, wenn sie die Lehren aus den negativen Auswirkungen der Kommerzialisierung von Tabak und Alkohol berücksichtigt. Und diese Auswirkungen sind in Deutschland bereits riesengroß.

Wichtig ist also, dass die derzeitige Legalisierungspolitik in Deutschland auf eine nicht gewinnorientierte Abgabe von Cannabis setzt und das Hauptaugenmerk der politisch Verantwortlichen auf dem Schutz der Gesundheit der Bevölkerung liegt. In Anbetracht der Erfahrungen in anderen Ländern, die die kommerzielle Cannabisproduktion und den Verkauf legalisiert haben, sollten die weitergehenden Kommerzialisierungspläne der „zweite Säule“ bis auf weiteres zurückgestellt werden.



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Article published online:
09 September 2024

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