Laryngorhinootologie 2024; 103(11): 770-771
DOI: 10.1055/a-2365-9643
Referiert und Diskutiert

Kommentar zu: Budesonid-Therapie bei chronischer Rhinosinusitis mit Nasenpolypen

Contributor(s):
Martin Laudien

***Die chronische Rhinosinusitis mit und ohne Polypen ist ein häufiges Krankheitsbild, welches die Patient*innen und das Gesundheitssystem vor erhebliche Herausforderungen stellt.

Neue Therapieformen haben die Aufmerksamkeit auf die Erkrankungen, das Denken über die Erkrankungen und die Therapie der Erkrankungen in den letzten Jahren beflügelt. Allerdings besteht ein erhebliches Ungleichgewicht in den Möglichkeiten der Beeinflussung der sogenannten Stakeholder. So scheint es ein Risiko, dass erfolgreiche Therapien in den Hintergrund geraten, weil die Vertreter*innen kein ausreichendes Gehör finden.

Gerade therapeutische Ansätze, die eine Immunmodulation via Kortikoid verfolgen, sind besonders gefährdet.

Der sinnvolle Trend zu Kortikoid-sparenden Therapien aus z.B. der Pulmologie oder auch der Rheumatologie darf jedoch nicht ohne differenzierte Betrachtung übernommen werden. Zu Bedenken sind hierbei jeweils immer die Applikationsform, die lokal und/oder systemischen Bioverfügbarkeiten, die Dosierungen und kumulativen (Lebens-)Dosen sowie auch die Komorbiditäten. Es gilt der Grundsatz des Paracelsus „die Dosis macht das Gift“, der allerdings kurz greift, da viele weitere Faktoren bei der Wirksamkeit und den Nebenwirkungen von Stoffen (hier Kortikoid) eine Rolle spielen.

Schwellenwerte für (relevante) Nebenwirkungen solch einer Medikation sind aber (bisher) meist nicht gut definiert. Noch schwieriger wird die Risiko-Nutzen-Bewertung bei vorbestehenden Komorbiditäten, die durch eine Kortisonmedikation verschlechtert werden können (peptische Ulzera, Hypertonus, Diabetes, Psychosen, Osteoporose etc.). Die Messung systemischer Effekte der Therapie in der kommentierten Arbeit spiegelt die differenzierte, über das Fach hinausgehende Betrachtung wider und ist zu begrüßen.

Die Arbeit nimmt den interessanten Gedanken auf, die fehlgeleitete (systemische) Entzündungsreaktion am Ort der Manifestation zu beeinflussen und in ein Gleichgewicht zu bringen.

Zumindest für Europa überwiegt bei der CRSwNP eine Typ-2-dominante Entzündungsreaktion.

Die pathophysiologischen Mechanismen sind nicht vollständig aufgeklärt, und es scheint, dass unterschiedliche Endotypen zu ähnlichen Phänotypen führen. Hierbei sind allerdings die Manifestationen an beispielsweise Haut, Lunge und Aerodigestivtrakt unterschiedlich ausgeprägt. Interessant ist hierbei auch, dass therapeutische Interventionen, z.B. mit Biologika, in den unterschiedlichen Indikationen bei jeweils zugrunde liegender T2-Immundysregulation unterschiedliche Nebenwirkungsprofile zeigen.

Inwieweit die Beeinflussung einer der Manifestationen (in diesem Fall der CRSwNP) Auswirkung auf die Systemerkrankung hat und inwieweit hiermit eine Kontrolle der (chronischen) Erkrankung mit Remission, im Idealfall Heilung, erreicht werden kann, bleibt offen. Eine solche über das Organ hinausgehende positive Wirkung ist seit Jahren bekannt und findet die Zusammenfassung beispielsweise in dem Konzept des „unified airway“.

Eine 3-monatige Nachbeobachtungszeit ist hingegen nicht ausreichend, um eine sinnvolle Beeinflussung der chronischen Erkrankung abzubilden. Als „proof of concept“ ist die Arbeit hilfreich.

Kritisch anzumerken bleibt, dass eine CT nach Intervention ohne therapiebeeinflussenden Effekt, wie in der vorliegenden Arbeit durchgeführt, aus strahlenhygienischer Sicht abzulehnen ist. Immer wieder zeigt sich, dass diese Bedenken weltweit nicht geteilt werden.

Der hier genutzte sogenannte „Total nasal polyp score“ wird in einer Version angewendet, die nicht dem breiten Konsens entspricht [1]. Eine Vergleichbarkeit der Betrachtungssysteme sollte aber in wissenschaftlichen Arbeiten angestrebt werden, insbesondere um spätere Metaanalysen zu ermöglichen.

Zusammenfassend erscheint es notwendig, (auch) bekannte Therapieansätze im Lichte der Wirkung auf die dysregulierten systemisch-entzündlichen Erkrankungen zu evaluieren und gerade hier Aspekte der ganzheitlichen Nutzen-Risiko-Analyse zu berücksichtigen.

Die Festlegung des Ziels der Behandlung ist hierbei entscheidend und sollte idealerweise ganz im Sinne der WHO definiert werden: „Health is a state of complete physical, mental and social well-being and not merely the absence of disease or infirmity.“ [2].

Inwieweit dieses Ziel (insbesondere auch unter den existierenden gesundheitspolitischen Bedingungen) erreicht werden kann, ist nur nachgeordnet eine Frage, die Mediziner*innen zu beantworten haben.



Publication History

Article published online:
04 November 2024

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