CC BY-NC-ND 4.0 · Rehabilitation (Stuttg)
DOI: 10.1055/a-2374-2467
Originalarbeit

Berufliche Rehabilitation in Zeiten der Covid-19-Pandemie

Vocational Rehabilitation in Times of the Covid-19 Pandemic
Angela Rauch
1   Erwerbslosigkeit und Teilhabe, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg
,
Nancy Reims
1   Erwerbslosigkeit und Teilhabe, Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nürnberg
› Author Affiliations
 

Zusammenfassung

Ziel der Studie Die Covid-19-Pandemie hat die Akteure der beruflichen Rehabilitation vor neue Herausforderungen gestellt. In der vorliegenden Studie interessieren wir uns für die folgenden Fragen: Wie haben Akteure wie Leistungserbringer beruflicher Rehabilitation (LE) und die Bundesagentur für Arbeit (BA) als Reha-Kostenträger die Covid-19-Pandemie erlebt, welche Prozessänderungen und Verzögerungen sind eingetreten, und welche Auswirkungen hat dies möglicherweise auf die berufliche Rehabilitation der Zukunft?

MethodikIm Rahmen von leitfadengestützten Expert*inneninterviews haben wir zwischen Juli 2020 und Juli 2021 24 Interviews mit 29 Personen geführt (LE: n=16; BA-Kontext: n=8) und sie zu ihren Erfahrungen während der Covid-19-Pandemie befragt. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und in MAXQDA kodiert; die Analysen des transkribierten Materials basieren auf einem aus induktiven und deduktiven Kategorien entwickeltem System.

Ergebnisse Qualifizierungsmaßnahmen mussten aus der Ferne durchgeführt werden. Diese digitalen Möglichkeiten mussten erst geschaffen werden. Die Folge daraus ist, dass auch die berufliche Rehabilitation gezwungen wurde, sich technologisch weiterzuentwickeln, wodurch Chancen (der Maßnahmeerbringung) und Grenzen (z. B. Erwerb sozialer Kompetenzen oder Einschätzung des psychischen Zustands) deutlich wurden. Während der alternativen Maßnahmeerbringung war eine kontinuierliche zusätzliche Betreuung durch die LE unabdingbar, um psychische Krisen einzudämmen, das Verständnis für die Qualifizierungsinhalte zu gewährleisten und Abbrüche zu vermeiden. Ebenso wie Schulen waren auch die Arbeitsagenturen und Jobcenter lange Zeit geschlossen und es fanden weder Reha- noch allgemeine Berufsberatung noch die Beurteilungsverfahren zur Ermittlung des Reha-Bedarfs beim Ärztlichen Dienst/Berufspsychologischen Service statt. Ein Rückgang in den Zugängen zu beruflicher Rehabilitation zeichnet sich schon länger ab, er ist aber insbesondere für 2021/22 vermehrt zu beobachten. Personen aus SGB-II-Haushalten sind möglicherweise stärker betroffen, da es schwieriger für die Agenturen und Jobcenter ist, mit ihnen in Kontakt zu bleiben.

Schlussfolgerung Auch wenn die berufliche Rehabilitation einen großen digitalen Schub erfahren hat, haben die Erfahrungen aus der Pandemie gezeigt, dass vor allem für junge Menschen und Personen mit psychischen Behinderungen Maßnahmen in Präsenzformaten mit sozialen Kontakten wichtig sind. Dennoch muss die berufliche Rehabilitation sich mit der Arbeitswelt verändern, um zu verhindern, dass Menschen mit Behinderungen (weiter) abgehängt werden.


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Abstract

Purpose The Covid-19 pandemic has posed new challenges to actors in vocational rehabilitation (VR) for people with disabilities. In this study, we were interested in the following: How did actors like service providers and financers of VR (here: German Federal Employment Agency (FEA)) experience the Covid-19 pandemic, which process changes and delays have occurred, and what impact will this possibly have on the future of vocational rehabilitation for people with disabilities?

Methods Between July 2020 und July 2021, a total of 29 persons from service providers of VR programs (n=16) and representatives of the FEA (n=8) were asked about their experiences during the Covid-19 pandemic in the course of 24 guided expert interviews. The interviews were recorded, transcribed, coded in MAXQDA; the analyses of the transcribed material are based on a system developed from inductive and deductive categories.

Results VR programs had to be conducted remotely, digital possibilities had to be created. As a result, VR was also forced to evolve technologically, revealing opportunities (in the provision of programs) and limitations (e. g. acquisition of social skills or assessment of mental health). Thus, continuous additional support by the service providers was indispensable to contain psychological crises, to ensure the understanding of the program contents and to avoid dropouts. Just like schools, the employment agencies and job centers closed their doors for a long time and VR and general vocational counseling did not take place nor did assessment procedures carried out at the medical and psychological services of the FEA for determining VR needs. A decline in access to VR had been apparent for some time, but it became increasingly evident, particularly for 2021/22. Individuals from poor households were more likely to be affected because they were more difficult to keep in touch with.

Conclusion Even though VR has experienced a major digital boost, experience from the pandemic has shown that programs in face-to-face formats with social contact are particularly important for young people and people with mental disabilities. Nevertheless, VR must change with the working environment in order to prevent people with disabilities from being left behind even further.


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Einleitung

Durch die COVID-19-Pandemie wurden die Vergabe und Umsetzung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (LTA) im Rahmen beruflicher Rehabilitation stark beeinträchtigt [1] [2]. Pandemiebedingte Beeinträchtigungen betrafen sowohl die Kostenträger, wie die Bundesagentur für Arbeit (BA)[1], als auch die Leistungserbringer beruflicher Rehabilitation (LE), die die Maßnahmen umsetzen und von den staatlich angeordneten Schließungen als Bildungseinrichtungen betroffen waren. Ein zentraler Punkt für die LE war die schnelle Umwandlung von LTA-Präsenzmaßnahmen hin zu Online-Angeboten [2]. Um eine Insolvenzwelle zu verhindern, setzte der Staat auf Kurzarbeitergeld (KUG) und das neu und kurzfristig in Kraft getretene Sozialdienstleister-Einsatzgesetz. Auch für die Auszahlung des KUG ist die BA verantwortlich, sodass ihre Mitarbeitenden einen Ansturm an Kurzarbeits- und Insolvenzgeld-Anträgen erlebten [3].

Der vorliegende Beitrag hat zum Ziel, pandemiebedingte Veränderungsprozesse bei der BA und den LE der beruflichen Rehabilitation darzustellen und daraus Annahmen zu formulieren, wie sich z. B. die Gefördertenstruktur dadurch zukünftig verändern könnte. Um diese Darstellung zu strukturieren, werden zunächst dafür relevante Akteure im Zugang zu LTA beschrieben und deren Rolle im Rehaprozess.

Die Agenturen für Arbeit (AA) mit ihren Reha-Beratungen bzw. -Vermittlungen stellen den Reha-Bedarf fest, planen den Maßnahmeverlauf und beraten in Förderschulen junge Personen mit sonderpädagogischem Förderbedarf und/oder Behinderungen über berufliche Rehabilitation. Die Berufsberatung informiert in Regelschulen zu allgemeinen Fördermaßnahmen und verweist bei Bedarf an die Reha-Abteilung. Im Kontext des Zugangs in die Rehabilitation spielen auch Jobcenter (JC) eine Rolle, die Wegbereiter zum Reha-Team der AA darstellen und bei SGB-II-Kund*innen die Vermittlung in den Arbeitsmarkt begleiten (SGB IX §6(3)).

Im Rahmen der Bedarfsfeststellung sind insbesondere der Berufspsychologische Service (BPS) und der Ärztliche Dienst (ÄD) relevant. Der ÄD fällt viele Entscheidungen über einen möglichen Reha-Bedarf auf Basis bereits vorliegender Gutachten; beim BPS werden psychologische Tests und intelligenztestende Verfahren insbesondere bei jungen Personen vor Ort durchgeführt. Nach der Anerkennung des Reha-Bedarfs folgt die Zuweisung in Maßnahmen in Kooperation mit den Geförderten und unter Berücksichtigung der Einschätzungen des BPS und/oder dem ÄD. Darüber hinaus ist der persönliche Kontakt zwischen der Reha-Beratung und den Geförderten zentral, z. B. für das Erkennen (zusätzlicher) sozialer und berufsspezifischer Unterstützungsbedarfe.

Das verfügbare Spektrum an LTA umfasst alle allgemeinen Maßnahmen der aktiven Arbeitsmarktpolitik, die die BA auch ihren Kund*innen ohne LTA-Bedarf anbietet sowie behinderungsspezifische Maßnahmen, von berufsvorbereitenden Maßnahmen für junge Personen in der Ersteingliederung (EE) über Ausbildungen bis hin zu Qualifizierungsmaßnahmen in Form von beruflichem Training, Weiterbildung und Umschulung für erwachsene Menschen in der beruflichen Wiedereingliederung (WE) sowie zu beschäftigungsschaffenden Zuschüssen.

Insbesondere Qualifizierungsleistungen werden zu großen Teilen durch die LE erbracht. Die LE-Landschaft ist heterogen und reicht von Einrichtungen, die hauptsächlich Rehabilitand*innen qualifizieren oder auf bestimmte Behinderungsarten spezialisiert sind, zu Einrichtungen, deren Klientel wesentlich breiter gefächert ist; von ausschließlich lokal agierenden LE bis hin zu überregionalen Einrichtungen. Auch die dort angebotenen LTA und ihre Umsetzungskonzepte sind vielfältig. Manche Qualifizierungen bzw. Teile davon werden dabei in Unternehmen durchgeführt (wie z. B. der praktische Teil kooperativer Ausbildungen oder Praktika), viele werden bei den LE vor Ort erbracht. Auch wenn es vor der Pandemie Vorstöße der LE gab, Maßnahmen mittels digitaler Formate durchzuführen [2] [4] [5] [6], war und ist die Durchführung in Präsenz beim LE vor Ort Standard.

Die hier vorgestellte Studie beschäftigt sich mit pandemiebedingten Herausforderungen und Bewältigungsstrategien im Bereich der beruflichen Rehabilitation der BA. Dabei stehen folgende Fragen im Mittelpunkt: Wie haben die zentralen Akteure der beruflichen Rehabilitation die COVID-19-Pandemie erlebt und welche Entwicklungen haben sich während der Pandemie ergeben? Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf mögliche Auswirkungen, die diese Entwicklungen zukünftig auf das System der beruflichen Rehabilitation und die Integration von Menschen mit Behinderungen haben werden.


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Daten und Methodik

Das Studiendesign verfolgt einen Mixed-Methods Ansatz. Zunächst wurde eine qualitative Studie durchgeführt, aus deren Ergebnis u. a. besagte Annahmen formuliert werden, die dann in quantitativen Analysen anhand der administrativen Daten der BA (LTA-RehaPro [7]) ab dem Jahr 2024 weiter analysiert werden. Dieser Artikel bezieht sich ausschließlich auf die Ergebnisse der qualitativen Studie. Bei dieser wurden leitfadengestützte Expert*innenbefragungen bei LE und im BA-Kontext (u. a. AA / JC) durchgeführt. In einem Vorgängerprojekt „Perspektive der Leistungserbringer“ wurde ein Sample von 32 LE befragt, die Maßnahmen im Auftrag der BA durchführten. Das Sample bildete die Breite der LE ab hinsichtlich verschiedenster Merkmale wie Art der LE, Größe, Maßnahmeangebot oder Region [8]. 21 LE dieses Samples wurden erneut um ein Interview gebeten, bei 13 LE konnte eine wiederholte Befragung realisiert werden.

Die resultierende Auswahl ist analog der bereits erwähnten Merkmale kontrastiv und umfasst Freie Träger, Vergleichbare Einrichtungen nach §51 SGB IX, Berufsbildungswerke (BBW), Berufsförderungswerke (BFW), Phase-II-Einrichtungen, Rehabilitation psychisch Kranker (RPK) sowie Berufliche Trainingszentren (BTZ). Für einen generellen Überblick wurden zusätzlich zwei Interviews mit Verbänden geführt. Werkstätten für Menschen mit Behinderungen waren weder Teil des Vorgängerprojekts noch der Nachbefragung. Im Hinblick auf die Fragestellung der Bewältigungsstrategien während der COVID-19-Pandemie wurden vier neue LE angeschrieben, die bestimmte Spezialisierungen aufwiesen, hier konnte aber nur ein Interview realisiert werden. Nach diesen 14 Interviews wurden keine weiteren neuen Erkenntnisaspekte sichtbar. Die befragten Expert*innen, die bei den LE befragt wurden, waren bis auf zwei Interviewte durchweg in Leitungspositionen tätig.

Insgesamt wurden zwischen Juli 2020 und Juli 2021 24 Interviews mit 29 Personen geführt. Der größte Teil der LE-Interviews wurde im Jahr 2020 geführt (n=14). Zu Beginn des Jahres 2021 wurden erste (zusammengefasste) Erkenntnisse aus diesen Befragungen an die Akteure bei der BA zurückgespielt und ihre Sicht dazu eingeholt (n=8). Im Sommer 2021 wurden noch zwei weitere LE befragt, um Anpassungen der LE im Pandemieverlauf abzubilden.

Alle Interviews wurden entweder telefonisch oder via Videotelefonie geführt, der Ton wurde aufgezeichnet und der gesprochene Text transkribiert. Die Interviews dauerten zwischen 0,5 und 1,5 Stunden. Der Leitfaden wurde im Laufe der Interviews leicht angepasst und beinhaltete u. a. Fragen zu Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Organisationen und die Maßnahmedurchführungen (z. B. Betriebsbeschränkungen während der Pandemie, Art und Weise der Weiterführung von Qualifizierungen, Kooperation mit unterschiedlichen Akteuren, Auswirkungen auf Prozesse und Umsetzungen in der beruflichen Rehabilitation) sowie zu den Konsequenzen für die Geförderten z. B. hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktteilhabe.

Das transkribierte Material wurde mittels eines kombinierten Verfahrens ausgewertet [9] [10]. Basierend auf unseren Erkenntnissen aus der vorhergehenden Studie und theoretischen Überlegungen, die sich im Leitfaden wiederfinden, haben wir deduktive Kategorien entwickelt. Im nächsten Schritt erfolgte die Herausarbeitung induktiver Kategorien basierend auf Textpassagen der Interviews. Die endgültigen Analysen basieren auf einem daraufhin entwickelten Kategoriensystem, das eine Synthese aus deduktiven und induktiven Kategorien darstellt. Die ersten Auswertungen erfolgten zunächst in einem Vier-Personen-Team, im weiteren Verlauf nur noch durch die beiden Autorinnen. Als Software wurde MAXQDA genutzt.


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Ergebnisse

Pandemiebedingte Einschränkungen beim Kostenträger BA

Zu Beginn der COVID-19-Pandemie schlossen sowohl AA als auch JC ihre Türen für den persönlichen Kontakt. Da die BA vom Antragsansturm auf KUG überrannt wurde, wurden die einzelnen Dienststellen aufgefordert, eine substantielle Zahl an Personal für die Bearbeitung von KUG-Anträgen abzustellen – so auch Reha-Beratung und -Vermittlung sowie die Berufsberatung. Die Verständigung mit den Kund*innen wurde zunächst per Email oder Telefon durchgeführt, im weiteren Pandemieverlauf dann auch vereinzelt in geschützter Umgebung. Die Reha-Abteilungen waren eine der ersten, die Ende 2020 die Videoberatung nutzten, die sehr gut – vor allem von jungen Geförderten – angenommen wurde.

Der ÄD sowie der BPS trafen Entscheidungen für den Reha-Bedarf vermehrt auf Aktenlage oder verschoben die Gutachtenerstellung. Die Vor-Ort-Begutachtungen durch den BPS konnten sehr lange nicht oder nur in alternativer Form (z. B. Parkgespräche) stattfinden. Aber auch als es wieder möglich war, psychologische Testungen und Assessments vor Ort durchzuführen, war dies aufgrund der Hygienevorschriften nicht in der gewohnten Form und im gleichen Umfang möglich. Da die Schulen geschlossen waren, fand auch keine Berufs- und Rehaberatung in den Regel- und Förderschulen statt.

Entscheidungen über den Reha-Bedarf wurden dennoch weiterhin getätigt. Zwar gehen die Reha-Abteilungen vor allem für die Förderbeschulten von einer relativ flächendeckenden – rein statistischen - Erfassung der Personen mit Reha-Bedarf aus, da die Förderschulen entsprechende Listen zulieferten. Allerdings war es nicht oder nur sehr schwer möglich, die Abschlussklassen 2021 (auch der Förderschulen) im Jahr 2020 über Reha-Möglichkeiten zu informieren bzw. einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Aber auch für die Abschlussklassen 2020 war die Versorgung mit LTA nur sehr schwierig und oft in letzter Minute umzusetzen. Zudem wurden die Weiterleitungen aus den JC sowie die Zugänge aus den Regelschulen als eher unvollständig eingeschätzt, wie ein AA-Teamleitung berichtet:

[…], im letzten Jahr [2021] sind da sicher ganz viele verloren gegangen, weil wir bei Weitem nicht die Zusteuerungen gekriegt haben von dem Team, von der Berufsberatung, die wir sonst haben hier. Wir hatten nur Einzelfälle, ich hab ungefähr 20 Prozent weniger Zugänge gehabt an Reha letztes Jahr im Bereich EE, und die resultieren in der Hauptsache aus den fehlenden Zugängen von der Berufsberatung und von den JC. Ganz klar. [AA_1]


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Leistungserbringer: Betretungsverbote und Finanzierungsfragen

Zu Beginn der Pandemie wurden bei den LE Betretungsverbote wirksam, die etwa sechs Wochen anhielten (zu den gesetzlichen Regelungen der Bundesländer siehe: [11]). Damit waren bspw. Internatsunterbringungen nicht mehr (ohne Weiteres) möglich. Gleichzeitig musste die Weiterfinanzierung der Maßnahmen in Zusammenarbeit mit den Kostenträgern sichergestellt werden. Dabei erhielten die LE einerseits sehr schnell einigermaßen unkomplizierte Weiterfinanzierungszusagen (oft von Unfall- und Rentenversicherung sowie Jugendhilfe), in Teilen waren diese zunächst zeitlich begrenzt (z. B. von der BA, um Rechtssicherheit zu gewährleisten). Diese Zeit bezeichneten LE als „Zitterpartie“ (LE_12) oder als ein „in der Luft hängen“ (LE_6). Die LE mussten (teils kurzfristig) Konzepte für die alternative Weiterführung der Maßnahmen erstellen sowie Teilnehmendenlisten für die einzelnen Maßnahmen differenziert nach Kostenträgerschaft. Dies bedeutete vor allem für große Einrichtungen mit überregionalem oder bundesweitem Einzugsgebiet einen erheblichen Mehraufwand, der zuweilen als „Sand im Getriebe“ (LE_3) bezeichnet wurde. Die Kommunikation mit der BA bspw. wurde von einigen LE teils als wohlwollend, teils als wenig vertrauensvoll empfunden.

Im Endeffekt wurden fast alle Maßnahmen weiterfinanziert, aber auch bspw. Internatsunterbringungen. Insbesondere für Assessment-Maßnahmen zur Feststellung der Belastbarkeit und der Arbeitsfähigkeit (z. B. Diagnose zur Arbeitsmarktfähigkeit (DIA-AM)) sowie für das Jobcoaching im Rahmen der Unterstützten Beschäftigung war allerdings keine alternative Maßnahmeerbringung möglich, da nur in Präsenz Verhalten, Stärken und Schwächen der Teilnehmenden vollumfänglich eingeschätzt werden können.

Eine der Hauptherausforderungen war es, die Durchführung der Maßnahmen in kürzester Zeit so umzustellen, dass eine Anwesenheit der Teilnehmenden in den Einrichtungen nicht mehr zwingend erforderlich war.


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Online-Lernen als kurzfristig neuer Standard

Somit musste das Online-Lernen– zumindest für kurze Zeit – zum Standard werden. Probleme machten laut aller Befragten insbesondere fehlende IT-Ausstattungen, Fragen und Probleme beim Datenschutz sowie die Qualifikation LE-Mitarbeitender zur Nutzung der IT. Auswertungen einer umfassenden Online-Befragung von LE des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in 2017 weisen darauf hin, dass nur vier Prozent der Einrichtungen virtuelle Maßnahmen vor der Pandemie nutzten [12]. In der vorliegenden Studie zeigte sich, dass auch diejenigen LE, die bereits vor der Pandemie Erfahrung mit digitaler Maßnahmeerbringung hatten, berichteten, dass ihre Ressourcen nicht dafür ausgelegt waren, alle Maßnahmen in so kurzer Zeit und vor allem für alle Teilnehmenden vollständig online durchzuführen.

Die meisten Einrichtungen behalfen sich zunächst mit dem Verfassen von Arbeitsblättern, die meist über Email oder per Post zugeschickt wurden. Des Weiteren wurden Lehrvideos gedreht, später wurden oft Cloudsysteme zum Download von Lehrmaterial eingerichtet. Um die digitalen Angebote zu gewährleisten, waren größere Anschaffungen für fast alle befragten LE notwendig. Vor allem kleinen Einrichtungen fehlte die technische Ausstattung, von der Hardware (z. B. Headsets, PCs) bis zum W-Lan. Aber auch das nötige Know-How zur Nutzung von Hard- und Software war oft nicht ausreichend bzw. nur selektiv bei den Mitarbeitenden vorhanden, dies galt allerdings auch für Teilnehmende. Zusätzlich waren Letztere oft technisch schlecht oder gar nicht ausgestattet. Gerade bei Jüngeren (aus armutsnahen Haushalten) fehlte es an der Hardware und am Internetanschluss, sodass sie nur über ihr Handy und ein begrenztes, schnell verbrauchtes Datenvolumen an den Kursen teilnehmen konnten. Größere Einrichtungen hatten in diesen Fällen die Möglichkeit, Hardware zu stellen.

Die Schwierigkeiten waren aber nicht nur technischer Natur. So mussten Geförderte selbst Betreuungspflichten wahrnehmen und/oder die gesamte Familie war in häufig beengten Wohnverhältnissen gleichzeitig zuhause, oder es war nur ein Endgerät für die ganze Familie vorhanden. Konzentration auf Qualifizierungsinhalte war in diesen Fällen schwer möglich. Dies war besonders für Personen relevant, die in SGB-II-Haushalten lebten und deren Anteil in der beruflichen Rehabilitation sehr hoch ist (23% EE, 43% WE; [13]). Zudem fiel es vielen Teilnehmenden schwer, zuhause zu lernen – ohne Struktur und direkten Kontakt.

Um Maßnahmeabbrüche zu vermeiden, suchten die LE häufig Kontakt zu den Teilnehmenden. Diese sollten sich bspw. täglich melden oder wurden telefonisch oder via Messenger kontaktiert oder in regelmäßigen Abständen besucht. Auch die psychologischen Fachdienste stellten auf telefonische Betreuung um. Zudem wurden Fenstergespräche und Spaziergänge angeboten, um in kritischen Phasen eine Beratung in Präsenz zu gewährleisten.

Alle Befragten betonten mehrfach, dass die Qualifikation in der beruflichen Rehabilitation mehr ist als nur Wissensvermittlung. Es müssen auch weiche Faktoren wie Sozialkompetenz vermittelt werden und/oder eine psychische Stabilisierung bzw. Eindämmung psychischer Krisen muss gewährleistet sein. So war eine Qualifizierung z. B. bei jungen Personen mit Lernschwierigkeiten weitaus schwieriger aus der Ferne umsetzbar, als dies bei Erwachsenen, z. B. mit körperlichen Erkrankungen der Fall war. Die LE verwiesen auf ein größeres Potential von Ablenkung und geringere Konzentrationsfähigkeit mit der Konsequenz einer schlechteren Verarbeitung von Lerninhalten. Ähnliche Probleme gab es auch bei Menschen mit psychischen Erkrankungen, wie ein LE für komplex Erkrankte berichtet:

„Ja, das, was man in einer Gruppe auffangen kann, ja, das kann man eben zu Hause nicht unbedingt auffangen. […] Und bei den psychischen Erkrankten war das am schlimmsten. […] Also gerade bei chronischen Depressionen ist das eigentlich kontraindiziert, zu Hause zu hocken. Ja, und das dann über Wochen, das war nicht einfach. Also da haben wir noch massiv Mehraufwand gehabt, auch von der Betreuung […]. (LE_7)

Die erste Zeit der Pandemie war demnach geprägt von einer Übergangsphase, in der weniger die Lerninhalte als die Stabilisierung und das „Halten“ der Teilnehmenden im Vordergrund standen. Gleichzeitig waren die Mitarbeitenden stark belastet, sei es durch den Aufwuchs an Bürokratie, um die Weiterfinanzierung der Maßnahmen zu gewährleisten, die Umstellung auf digitale Lehre, die zusätzliche und häufig individuelle Nachbetreuung oder die Sicherstellung der psychischen Stabilität. Gleichzeitig hatte knapp die Hälfte der befragten LE Kurzarbeit angemeldet, zumeist aber nur in einzelnen Arbeitsbereichen, z. B. für das Assessment oder die Arbeitserprobung/Eignungsabklärung, oft in „reha-fremden“ Arbeitsbereichen und immer nur für kurze Zeit.

Aber auch im weiteren Pandemieverlauf konnten die Maßnahmen nicht so umgesetzt werden wie zuvor. Die Teilnehmenden wurden stufenweise zurückgeholt: Zuerst kamen diejenigen, bei denen die Fernbetreuung nicht oder nur schwer umsetzbar war, aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen oder intensiver Qualifizierungsbedarfe , Teilnehmende von Assessment-Maßnahmen sowie die Abschlussklassen der Aus- und Weiterbildungsgänge. Nach und nach wurden die Qualifizierungen für alle geöffnet, allerdings zumeist in hybrider Form, d. h. Wechselmodelle von digital zugeschalteten Personen und Personen, die in Präsenz vor Ort waren. Um dies zu ermöglichen, erweiterten manche LE ihre Räumlichkeiten, andere reduzierten die Lerninhalte. Generell spricht ein LE von einem „Lerngap“ bei vor allem jüngeren Teilnehmenden; ein weiterer LE, der ein Jahr später befragt wurde, verzeichnete bereits deutlich schlechtere Prüfungsergebnisse bei den Auszubildenden als in den Vorjahren. Positiv stellten alle Befragten heraus, dass die allermeisten Geförderten es sehr begrüßten, dass sie wieder in Präsenz an den Unterrichtseinheiten teilnehmen konnten. Das galt insbesondere für Personen, die zuvor eher weniger motiviert waren.


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Positives aus dem Digitalisierungszwang

Trotz aller Schwierigkeiten in der Anfangsphase der Pandemie hat die Digitalisierung in der beruflichen Rehabilitation eine erhebliche Beschleunigung erfahren. Es besteht mittlerweile größere Offenheit gegenüber der Nutzung digitaler Kanäle. Für bestimmte Personengruppen weist die Digitalisierung positive Möglichkeiten auf, z. B. assistive Techniken für Sprachbeeinträchtige und Hörgeschädigte. Auch ermöglicht sie einen hohen Grad an Flexibilität. So müssen Teilnehmende mit Mobilitätseinschränkungen oder Betreuungsverpflichtungen nicht fünf Tage die Woche weite Wege in Kauf nehmen, sondern können bestimmte Maßnahmeteile online nutzen. Dies gilt auch für Teilnehmende aus dem ländlichen Raum, insofern die Internetverbindung gut ausgebaut ist. Sie bietet zudem Möglichkeiten der flexibleren Rehabilitation für Personen mit krankheitsbedingten Ausfällen oder Personen in Teilzeitmaßnahmen, z. B. durch die Funktion, Lehrinhalte zeitflexibel aufzunehmen, und vermag so auch Maßnahmeabbrüche teils zu verhindern.

Sie kann weite Fahrwege im fachlichen Austausch ersetzen und spart somit Zeit und Geld. Einrichtungen mit überregionalem oder bundesweitem Einzugsgebiet und wohnortnahem Konzept berichten bspw., dass ihnen die digitale Kommunikation via Videotelefonie auch die Kommunikation mit weit entfernten Betrieben und den dort in betrieblicher Phase Geförderten erleichtert und sie sich so intensiver kümmern können. Außerdem erwähnt eine Einrichtung, dass sie ihr Portfolio bereits erweitert haben und nun mit psychisch Erkrankten das Home-Office und die Online-Bewerbung einüben. Generell hat der Digitalisierungsschub nach Aussage der Expert*innen zu mehr digitalen Kompetenzen sowohl bei den Teilnehmenden als auch bei den Mitarbeitenden geführt.


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Befürchtungen für die zukünftige Maßnahmeerbringung und Bedarfsermittlung durch Digitalisierung

Auch wenn die LE die Vorteile der Digitalisierung durchaus schätzen, warnen viele vor möglichen Veränderungen hin zu umfassenden digitalen Angeboten in der Maßnahmeerbringung, um Kosten einzusparen. Denn sie sehen nicht, dass bei vielen Teilnehmenden (z. B. Menschen mit psychischen Beeinträchtigungen, Jugendliche) der direkte physische Kontakt ersetzt werden kann. Die oft geäußerte Skepsis gegenüber dem Einsatz von Online-Unterricht und -Kommunikation bedeutet aber keine völlige Ablehnung der neuen Technologien, sondern betont die Notwendigkeit einer sorgfältigen Planung, einer kritischen Analyse der Erfahrungen und der Ermittlung der Grenzen bei der Einführung neuer Technologien, die zudem abhängig von der Art der Maßnahme und den Teilnehmenden sein muss.

Aber nicht nur die LE warnen davor, dauerhaft und umfänglich auf digitale Angebote zu setzen. Auch die Reha-Beratungen sehen eine umfangreiche Umstellung als nicht machbar an. Dies gilt aber nicht nur für die durchgeführten Maßnahmen. Auch in ihrer Arbeit sehen sie keinen ausschließlichen Einsatz digitaler Verfahren in der Beratung sowie in der Bedarfsermittlung:

„Also alle drei Sachen, Telefon, Videokommunikation, persönlich, hat uns sehr geholfen. Alles war wichtig. Aber die Beratung, die persönliche Beratung, die darf um Gottes Willen nicht entfallen. Erstens haben wir behinderungsbedingt Personengruppen, da geht das Telefonieren gar nicht, und wir haben natürlich aber auch gerade die psychisch Kranken. Da muss man ein Bild davon haben. Also Videokommunikation ja gut, aber ein persönlicher Eindruck, ein persönliches Gespräch ist noch mal ganz was anderes. Die öffnen sich noch mal ganz anders.“ [AA_1]


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Durchführung betrieblicher Phasen in der Qualifizierung stark abhängig vom Wirtschaftszweig

Betriebliche Phasen sind äußerst wichtig für die Arbeitsmarktintegration. Auch wenn (Kooperations-)Betriebe selbst nicht befragt wurden, gaben die LE darüber Auskunft, wie die Betriebe zu Beginn der Pandemie, z. B. mit Praktikumsstellen umgegangen sind. In vielen Fällen wurden Praktika nur während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 pausiert. Einige LE gaben an, Praktika von Einrichtungsseite aus abgebrochen zu haben (z. B., wenn die Sicherheit der Geförderten gefährdet schien). In einigen Fällen wurde das Praktikum von betrieblicher Seite abgebrochen (z. B. wegen zu geringer Auftragslage). Vor allem im späteren Pandemieverlauf Ende 2020/21 war es schwieriger, (neue) Praktika zu organisieren, insbesondere Schnupperpraktika.

In systemrelevanten Berufen (z. B. Gartenbau, Einzelhandel) konnten Auszubildende oder Praktikant*innen im Betrieb verbleiben. Oft wurde die theoretische Ausbildung nach hinten verschoben, ein LE verlängerte die Praktikumsphase sogar auf die Jahresobergrenze von 12 Wochen, in wenigen Fällen wurden Praktika im Home Office durchgeführt.


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Ausblick

Sowohl die BA als auch die LE haben durch die Pandemie Herausforderungen gemeistert und Anpassungsprozesse durchlaufen. Zwar hat bspw. der „Konsultationsprozess“ der DVfR konstatiert, dass während der Pandemie „strukturelle Defizite in Verwaltung, Gesundheitssystem und Teilhabeförderung sichtbar [wurden], die schon vor Corona erkennbar waren“ [1: S. 13]. Aber vieles, was zuvor nicht möglich erschien, konnte – wenn auch mit Anlaufschwierigkeiten – erfolgreich umgesetzt werden, sodass der Zugang zu und die Teilnahme an LTA aus der Ferne möglich wurden. Ziel der hier vorgestellten Studie war eine möglichst umfassende Darstellung der Entwicklungen und Anpassungsprozesse in der beruflichen Rehabilitation, die in Kostenträgerschaft der BA durchgeführt wurden. Im Folgenden sollen erste Annahmen über die weitere Entwicklung von LTA und ihrer Förderstruktur formuliert werden.

Die Zugänge in die berufliche Rehabilitation sind seit Jahren rückläufig, dies gilt insbesondere für die EE [14]. Die neueste Entwicklung zeigt zudem einen stärkeren Rückgang in den Reha-Zugängen für die Jahre 2021/22. Während die Entwicklung der Zugangszahlen vor 2020 nach Einschätzung von Expert*innen der LE vor allem demografischen Veränderungen und einer positiven Entwicklung am Arbeitsmarkt geschuldet war [12], dürften für die aktuellen Entwicklungen der Jahre 2021/22 die pandemiebedingten Einschränkungen in der Verwaltung verantwortlich sein: So sind die Verfahren zur Begutachtung nur zögerlich und in geringerem Umfang wieder gestartet, aber auch der Mangel an Berufs- und Rehaberatung an den Schulen hat zu geringeren Zugängen geführt. Da es insbesondere Assessment-Maßnahmen waren, bei denen eine digitale Umsetzung schwierig umsetzbar war, haben sich zusätzlich Reha-Verfahren und Übergänge in Qualifizierungen bei den Personen verzögert, deren beruflicher Weg noch nicht letztlich geklärt ist. Es ist auch denkbar, dass Personen „verschwunden“ sind und nicht mehr kontaktiert werden konnten. Die Wahrscheinlichkeit ist vor allem für junge Personen aus dem SGB-II-Bereich erhöht, da sie schon vor der Pandemie ein höheres Risiko aufwiesen, keine Ausbildung aufzunehmen und das Reha-Verfahren vorzeitig zu beenden [15] [16]. Ob diese Personen in den folgenden Jahren noch den Weg in die berufliche Rehabilitation finden, bleibt abzuwarten.

Einschränkungen durch fehlende Praktika haben sich hingegen weniger gezeigt, in systemrelevanten Berufen erfolgten sie bspw. weiterhin in Präsenz. Diese Ergebnisse spiegeln auch die Handlungspraktiken von Betrieben wider, die „reguläre“ Ausbildung anbieten: in erster Linie nutzten Unternehmen im Öffentlichen Dienst, Industrie und Handel das Home-Office, um die Ausbildung weiterzuführen, das Handwerk führte die Ausbildung zumeist in Präsenz weiter [17].

Auch mit Blick auf digitale Qualifizierung konstatieren Evans-Lacko et al. [18: S. 100], dass „mit der Nutzung digitaler Technik oftmals die Hoffnung verknüpft [ist], […] Teilhabe zu erhöhen und Versorgungs- und Betreuungsqualitäten zu verbessern. Kritiker befürchten, dass die digitale Transformation im Feld personenzentrierter und interaktiver Arbeit des Gesundheits- und Sozialwesens lediglich dazu beiträgt, bestehende Bürokratisierungs-, Standardisierungs- und Rationalisierungslogiken weiter zu befördern“. So zeigten sich auch bei den Interviews Befürchtungen aufseiten der LE sowie der AA/JC, dass Maßnahmen verstärkt in Zukunft digital erbracht werden, u. a. um Kosten einzusparen. Dies wäre aber nicht für alle Geförderten von Vorteil, insbesondere da neben der Qualifizierung oft die Vermittlung von Sozialkompetenz oder eine psychische Stabilisierung nötig sind.

Aber auch die Übergänge aus der beruflichen Rehabilitation in den Arbeitsmarkt könnten durch die Pandemie Veränderungen erfahren haben. So kann es durch einen Lerngap während der Maßnahmeerbringung womöglich zu schlechteren Prüfungsergebnissen bzw. Ausbildungsabschlüssen oder zu verlängerten Verfahren kommen. Ein besonderes Augenmerk muss zudem auf Menschen mit psychischen Erkrankungen und Lernbehinderungen liegen, die laut der Expert*innen oft größere Schwierigkeiten während der Pandemie hatten. Erfahrungen aus vergangenen Arbeitsmarktkrisen, wie z. B. der großen Finanzkrise 2007/2008 haben sowohl für die USA als auch für Europa gezeigt, dass diese sich negativ auf die Arbeitsmarktchancen von Menschen mit (psychischer) Behinderungen ausgewirkt haben [18] [19]. Dies wird nicht zuletzt auf den technologischen Wandel, der mit den Krisen einherging, zurückgeführt [20]. Es impliziert, dass gesellschaftliche oder technische Entwicklungen wie die Digitalisierung gut im Blick behalten werden müssen und vor allem zeitnah darauf reagiert werden muss [12]. Denn sie bergen, wie der Einsatz digitaler Technologien, nicht nur Risiken, sondern auch Chancen für Personen mit Behinderungen. Ob und wie die Folgen der Pandemie die Beschäftigungschancen für Menschen mit Behinderungen beeinflussen, werden zukünftige Analysen zeigen.

Limitationen

Die individuelle Sicht der Rehabilitand*innen ist im Rahmen dieser Teilstudie nur durch die Fremdeinschätzung durch BA und LE dargestellt worden. Es ließen sich nur zwei Interviews mit Maßnahmeteilnehmenden realisieren. Da diese die Heterogenität der Population nicht annähernd abbilden, wird hier auf die Darstellung der Ergebnisse verzichtet.

Darüber hinaus bildet dieser Teil der Studie vor allem die Pandemiejahre 2020 und 2021 ab; ob sich bspw. die Digitalisierung (in größeren Teilen) durchgesetzt hat, lässt sich nicht beantworten. Allerdings werden im zweiten Teil der Studie die Übergänge in LTA und in den Arbeitsmarkt mittels quantitativer Daten des LTA-RehaPro [7] analysiert, um Veränderungen in den Arbeitsmarkt- und Teilhabechancen von Menschen mit Behinderungen zu beurteilen.


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Kernbotschaft

Insgesamt hat sich der Einsatz digitaler Technologien in der Arbeitswelt durch die Pandemie stark beschleunigt, so wurde auch die berufliche Rehabilitation gezwungen, sich technologisch weiterzuentwickeln. Dadurch wurden Chancen (der Maßnahmeerbringung) und Grenzen (z. B. Erwerb sozialer Kompetenzen oder Einschätzung des psychischen Zustands) deutlich. Generell gilt, dass ein Zurück zur Normalität nicht mehr möglich ist, sondern die berufliche Rehabilitation nun unbedingt Schritthalten und sich mit der Arbeitswelt verändern muss, um zu verhindern, dass Menschen mit Behinderungen (weiter) abgehängt werden.


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Einverständnis der Befragten

Alle Interviewten haben eine Einverständniserklärung erteilt, ihre Daten zu nutzen. Ihnen wurde darüber hinaus die Anonymität ihrer Person und Einrichtung versichert.


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Interessenkonflikt

Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Danksagung

Wir danken vor allem den Interviewten für Ihre Bereitschaft zur Teilnahme an der Studie, Elke Dony und Dr. Anton Nivorozhkin für die Unterstützung bei der Durchführung der Untersuchung sowie den beiden anonymen Gutachter*innen für ihre wertvollen Hinweise.

1 Dieser Beitrag fokussiert auf LTA im Auftrag der BA.



Korrespondenzadresse

Dr. Nancy Reims
Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
Erwerbslosigkeit und Teilhabe
Regensburger Str. 100
90478 Nürnberg
Deutschland   

Publication History

Article published online:
28 August 2024

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