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DOI: 10.1055/a-2401-5150
Neue S3-Leitlinie: Abklärung der Mikrohämaturie bei Kindern und jungen Erwachsenen zur Früherkennung von Nierenerkrankungen – Qualifizierter Ultraschall als Schlüssel zur Verhinderung von Nierenschäden bei Kindern
Die neue S3-Leitlinie zur Abklärung der Mikrohämaturie bei Kindern und jungen Erwachsenen stellt einen bedeutenden Fortschritt in der Früherkennung und Behandlung von Nierenerkrankungen dar. Professor Dr. med. Markus Meier, niedergelassener Nephrologe im Nierenzentrum Reinbek und DEGUM-Beauftragter, erläutert im Interview, welche Maßnahmen die Leitlinie vorsieht, welche Rolle der Ultraschall dabei spielt und warum die Qualifikation der Fachärzte für die Durchführung dieser Untersuchungen entscheidend ist.
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Herr Professor Meier, erklären Sie uns vielleicht zu Beginn, was eine Mikrohämaturie ist und wann sie gefährlich werden kann?
Wenn sich im Urin eines Kindes ständig winzige Mengen Blut befinden, die mit bloßem Auge nicht erkennbar sind, spricht man von einer persistierenden asymptomatischen Mikrohämaturie. Erst durch eine Zusatzuntersuchung, den sogenannten Streifentest, können wir dieses nicht sichtbare Blut nachweisen. Beschwerden haben die Kinder keine, die Ursachen für das Blut im Urin können vielfältig und auch ganz harmlos sein, wie etwa Harnwegsinfektionen, Nierensteine, Fehlbildungen der Harnwegsorgane. Aber es kann sich eben auch um eine Nierenerkrankung, wie zum Beispiel das Alport-Syndrom, handeln. Unbehandelt werden Kinder mit Alport-Syndrom im Durchschnitt mit 22 Jahren dialysepflichtig und haben eine mittlere Lebenserwartung von nur 55 Jahren. Jährlich trifft diese Diagnose in Deutschland 800 bis 1000 Kinder.
Was bedeutet die neue Leitlinie für Kinder und Jugendliche mit Mikrohämaturie?
Diese Leitlinie soll die zielgerichtete Abklärung einer Mikrohämaturie bei Kindern und Jugendlichen ermöglichen, um die Entwicklung einer chronischen Niereninsuffizienz zu verzögern. Es besteht sogar die Chance, bei diesen Patienten durch eine frühe medikamentöse Therapie eine Dialysepflichtigkeit im Laufe des Lebens ganz zu verhindern und damit die Lebenserwartung und Lebensqualität der betroffenen Patienten signifikant zu verbessern. In der Leitlinie kommt ein diagnostischer Algorithmus zur Anwendung, der die behandlungsbedürftigen Patienten mit möglichst geringem Aufwand identifizieren soll.
Wie sehen diese frühzeitigen Maßnahmen konkret aus, zu welchem Zeitpunkt werden sie durchgeführt und welche Rolle spielt dabei der Ultraschall?
Zur Kinder-Vorsorgeuntersuchung U8 im Alter von 4 Jahren und bei der J1, das ist in der Regel zwischen 12 und 14 Jahren, gehört seit jeher ein Urintest. Gemeinsam mit Vertretern der DGfN und der GPN haben wir nun einen diagnostischen Algorithmus entwickelt, der mit geringem Aufwand bereits bei der U8 behandlungsbedürftige Patientinnen und Patienten identifiziert. Dieser diagnostische Workflow beginnt mit einer Mikroskopie des Urins und leitet den Untersucher dann über eine exakte Familienanamnese zu weiteren diagnostischen Maßnahmen, darunter einer Nierenbiopsie. Schon bei geringstem Verdacht auf eine glomeruläre Nierenerkrankung sollte eine Sonografie erfolgen. In Abhängigkeit der Befunde innerhalb des Behandlungspfades erfolgt dann am Ende gegebenenfalls eine medikamentöse Therapieempfehlung. Wir wissen aus zahlreichen Publikationen, dass eine möglichst frühe Erkennung einer Nierenschädigung die beste Langzeitprognose für Betroffene hat. Der Vorteil der Sonografie sei zudem, dass sie nicht invasiv und in Deutschland flächendeckend sowohl bei Kinderärzten als auch bei Nephrologen verfügbar ist. Bei der entsprechenden Leitliniensitzung war unstrittig, dass die Sonografie der Nieren als diagnostisches Verfahren der ersten Wahl bei der bildgebenden Diagnostik eingesetzt werden muss. Die Sonografie soll möglichst frühzeitig in der Diagnostik durchgeführt werden, da dieses Verfahren nicht invasiv und flächendeckend in Deutschland sowohl bei Pädiatern als auch bei Nephrologen verfügbar ist. Entscheidend für dieses Vorgehen ist dabei die wissenschaftliche Evidenz, dass eine möglichst frühzeitige Detektion der Nierenschädigung die beste Prognose für die jungen Patienten mit sich bringt.
Wurde der Ultraschall bisher bei Kindern mit auffälligem Urinbefund nicht standardmäßig durchgeführt?
Diese Kinder wurden einer weiteren Diagnostik zugeführt. Die meisten Kinder wurden sonografiert, der Ultraschall war aber nicht zwingend vorgeschrieben. Es war also nicht einheitlich und es gab eine große Freiheit der Nephrologen, die zweifelsohne irgendwann einen Ultraschall durchgeführt haben, aber an verschiedener Stelle im Handlungsablauf. In der Leitlinie haben wir mit dem Algorithmus nun ganz exakt festgesetzt, den Ultraschall möglichst frühzeitig einzusetzen.
Das bedeutet aber, dass der Ultraschall künftig mit entsprechender Qualität durchgeführt werden muss. Sind die entsprechenden Fachärzte gut genug im Schallen der Niere ausgebildet, um die Untersuchung entsprechend durchführen zu können? Wie ist da Ihre Einschätzung?
Richtig, die Sonografie muss mit hoher Qualität durchgeführt werden, um Fehldiagnosen zu minimieren und die oft überflüssige „zweite Bildgebung“ – im Sinne eines MRT oder CT – zu vermeiden. Hierfür ist eine entsprechende hohe Qualifikation des Untersuchers notwendig.
Ziel der DEGUM im Rahmen dieser Leitlinie ist es, den qualifizierten Ultraschall bei den entsprechenden Fachärzten, in diesem Fall Pädiatern und Nephrologen, zu verbessern und die Anzahl der qualifizierten Ärzte zu erhöhen. Durch die entsprechenden Fortbildungs- und Zertifizierungsprogramme der verschiedenen Sektionen sind die Möglichkeiten zur Qualifizierung gegeben und eine hochwertige standardisierte Ultraschalluntersuchung in Deutschland sichergestellt.
Wir haben in der Leitlinienkommission beschlossen, dass wir für die Durchführung des Ultraschalls eine Qualifikation empfehlen, die mindestens der DEGUM-Stufe I entspricht. Wir wissen eigentlich gar nicht ganz genau, wie gut unsere Kolleginnen und Kollegen schallen. Wir gehen davon aus, dass in den jeweiligen Facharztausbildungen der Ultraschall ausreichend gut gelehrt wird, aber wir können das nicht kontrollieren. Die meisten werden das bestimmt sehr hochwertig machen, aber eben nicht zertifiziert und standardisiert.
Die große praktische Herausforderung im Rahmen dieser Leitlinie wird sein, dass sowohl niedergelassene Ärzte als auch Klinikärzte an den entsprechenden Zertifizierungsprogrammen der DEGUM teilnehmen. Und auch was die Ausbildung des medizinischen Nachwuchses anbetrifft, möchten wir einen großen einheitlichen Standard erreichen. Das soll Ziel der Leitlinie sein und deswegen weisen wir auch explizit auf den hochwertigen Ultraschall hin.
Das bedeutet aber, dass die DEGUM hier unter Umständen mehr Zertifizierungskurse für Kolleginnen und Kollegen aus der Nephrologie und Pädiatrie anbieten muss.
Was wir im Prinzip nicht wissen, ist, wie viele Nephrologen und Pädiater eigentlich DEGUM-zertifiziert sind. Das ist also eine Aufgabe für die Fachgesellschaften, dass wir das herausbekommen, und auch, was die Gründe dafür sind, dass sich manche gegen dieses Zertifikat entscheiden. Müssen wir etwas an unseren Konzepten ändern, um das den Kollegen noch mehr in der Breite zu vermitteln, warum das wichtig ist? An diesem Punkt möchte ich gerne weiterarbeiten, da brauchen wir, glaube ich, noch mehr Daten.
Hier geht es zur Leitlinie: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/166–005
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Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
10. Oktober 2024
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