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DOI: 10.1055/a-2406-0982
Europäischer Tag der Sprachen – Bedeutung für die Radiologie in Deutschland
Der Europäische Tag der Sprachen, der jährlich am 26. September gefeiert wird, hebt die Bedeutung der sprachlichen Vielfalt hervor. Diese Vielfalt ist nicht nur eine kulturelle Bereicherung, sondern spielt auch in der medizinischen Welt, insbesondere in der Radiologie, eine wichtige Rolle. Deutschland als internationaler Knotenpunkt im Gesundheitswesen und als Begegnungsraum für zahlreiche internationale Patient:innen und Fachkräfte, sieht sich einer mehrsprachigen Herausforderung gegenüber, die weit über die klinische Kommunikation hinausgeht. Über dieses Thema haben wir mit PD Dr. med. Saif Afat vom Universitätsklinikum Tübingen gesprochen. Er ist dort als Oberarzt in der Abteilung für diagnostische und interventionelle Radiologie tätig.
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Herr Dr. Afat, wie beeinflusst sprachliche Vielfalt die Radiologie?
Mit über sieben Milliarden Menschen auf unserem Planeten, die zwischen 6000 und 7000 verschiedene Sprachen sprechen, ist die Bedeutung einer effizienten Kommunikation in der Medizin nicht zu unterschätzen. In der Radiologie sind präzise Informationen zwischen Patient:innen und Fachkräften unerlässlich. Diese können leicht missverstanden werden, wenn sprachliche Barrieren bestehen. Besonders in Deutschland, wo Radiologie als hochspezialisierter Fachbereich der Medizin stark international vernetzt ist, begegnen Radiolog:innen häufig Patient:innen mit verschiedenen sprachlichen Hintergründen. Deshalb ist es in unserem Beruf sehr wichtig, sensibel für dieses Thema zu sein, Fremdsprachenkenntnisse zu pflegen oder zu erlangen und sprachliche Herausforderungen anzunehmen.
Welche Vorteile bieten bilinguale und plurilinguale Kompetenzen?
Radiolog:innen in Deutschland sind zunehmend in einem mehrsprachigen Umfeld tätig. Studien zeigen, dass etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Weltbevölkerung bilingual oder plurilingual ist. Diese Fähigkeit, mehrere Sprachen zu beherrschen, bietet klare Vorteile in der Radiologie. So kann ein Radiologe, der mehrere Sprachen spricht, nicht nur die Patient:innenzufriedenheit verbessern sondern auch besser mit internationalen Kollegen zusammenarbeiten, indem er sprachliche Missverständnisse vermeidet und kulturelle Unterschiede sensibel berücksichtigt.
Warum ist die medizinische Terminologie so komplex?
Sprachen unterscheiden sich in ihrer Komplexität, und dies spiegelt sich auch in der medizinischen Terminologie wider. Die Fachsprache der Radiologie umfasst, wie alle Bereiche der Medizin, eine Vielzahl spezifischer Begriffe, deren korrekte Verwendung für die Diagnose und Behandlung entscheidend ist. Eine besondere Herausforderung in Deutschland besteht darin, dass viele radiologische Fachbegriffe aus dem Englischen entlehnt wurden, was zu einer Hybridisierung der Fachsprache führt. Radiolog:innen müssen daher nicht nur über eine hohe fachliche Kompetenz verfügen, sondern auch sprachlich flexibel sein, um international auf dem neuesten Stand zu bleiben. Eine Herausforderung, die ich sehe, ist, den Patient:innen medizinische Sachverhalte in einfacher Sprache zu erklären – und noch schwieriger wird es, wenn es in einer Fremdsprache sein muss. Da ich in Deutschland studiert habe, musste ich mir die Fachbegriffe auf Arabisch selbst aneignen, da ich viele der entsprechenden Begriffe in meiner Muttersprache gar nicht kannte.
Wie wirken sich sprachlicher Wandel und technologische Entwicklungen auf die Radiologie aus?
Wie alle lebenden Sprachen ist auch die medizinische Fachsprache einem ständigen Wandel unterworfen. Neue Technologien, medizinische Verfahren oder künstliche Intelligenz, fördern den Austausch und die Entwicklung neuer Begriffe in der Radiologie. Dabei spielt Englisch eine dominierende Rolle, was die fortlaufende Integration von Anglizismen in die deutsche radiologische Fachsprache zur Folge hat. Mit der Integration von KI, insbesondere durch Tools wie ChatGPT, wird es in Zukunft möglich sein, Befunde in mehreren Sprachen zu versenden und diese zudem in einer vereinfachten Form darzustellen. Radiolog:innen, die mehrere Sprachen beherrschen, können diesen Wandel besser nachvollziehen und nutzen.
Welche Vorteile bietet Mehrsprachigkeit in der Radiologie?
Bilingualismus bringt zahlreiche kognitive und praktische Vorteile mit sich. Studien deuten darauf hin, dass mehrsprachige Personen schneller Fortschritte in bestimmten Bereichen der kognitiven Entwicklung machen und kreativer mit Sprache umgehen können. Für Radiolog:innen bedeutet dies, dass Mehrsprachigkeit die Fähigkeit verbessert, sich auf unterschiedliche sprachliche und kulturelle Bedürfnisse ihrer Patient:innen einzustellen, was letztlich zu einer besseren Versorgung führt.
Welche Rolle spielt Deutschland in der europäischen Sprachenlandschaft?
Deutschland ist ein multilinguales Land, in dem neben der deutschen Sprache viele weitere Sprachen gesprochen werden. Insbesondere in großen Städten gibt es eine Vielzahl von internationalen Patient:innen und medizinischen Fachkräften. Die Radiologie profitiert erheblich von Fachkräften, die mehrere Sprachen beherrschen. Dies fördert nicht nur eine vielfältige und inklusive Arbeitsumgebung, sondern ermöglicht es uns auch, Patient:innen in ihrer Muttersprache besser zu betreuen und so eine individuellere und effektivere Behandlung anzubieten. Das unterstreicht die Bedeutung einer sprachlich offenen und vielfältigen Radiologie.
Fazit: Warum ist Mehrsprachigkeit der Schlüssel zur modernen Radiologie?
In der deutschen Radiologie ist Mehrsprachigkeit kein Luxus, sondern eine Notwendigkeit. Der Europäische Tag der Sprachen erinnert uns daran, dass Sprachvielfalt ein wertvolles Gut ist – nicht nur in kultureller Hinsicht, sondern auch in der Medizin. Bi- oder Multilinguale Radiolog:innen sind besser in der Lage, auf die Bedürfnisse ihrer Patient:innen einzugehen, mit internationalen Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten und globale Fachliteratur zu verstehen. Damit wird die sprachliche Vielfalt zu einem entscheidenden Faktor für die Zukunft der Radiologie in Deutschland.
Sehr geehrter Herr Dr. Afat, haben Sie Dank für das Gespräch.
Zur Person:
PD Dr. med. Saif Afat stammt aus dem Irak und entschied sich früh, sein Studium im Ausland zu absolvieren. Nach seinem Sprach- und Medizinstudium in Bonn spezialisierte er sich in Tübingen im Team von Prof. Dr. med. Konstantin Nikolaou auf die Radiologie, wo er seinen Facharzt und seine Habilitation abschloss. Hier arbeitet er noch heute.
In der DRG ist Afat neben Dr. med. Elif Can und PD Dr. med. Daniel Pinto dos Santos Initiator der Fokusgruppe Migrationsgeschichte. Zudem wird er neben Frau Prof. Dr. med. Bettina Baeßler und Herrn PD Dr. med. Daniel Pinto dos Santos im Jahr 2026 Präsident des 107. Deutschen Röntgenkongresses sein, der unter dem Motto „Radiologie grenzenlos“ stattfindet.
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Publication History
Article published online:
25 October 2024
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