Einführung in das Thema
Primäre Knochentumoren des Kiefers stellen eine Seltenheit dar: Sie machen etwa nur
2% aller Knochentumoren des menschlichen Körpers aus [1]. Aufgrund dieser Seltenheit und wegen der fachlich „abseitigen“ Lage des gnathischen
Systems sind profunde Kenntnisse über derartige Tumoren, abgesehen von Fachkreisen,
die sich mit gnathischen Knochentumoren befassen, wenig verbreitet. Hinzu kommt die
Besonderheit, dass sich maxillomandibuläre Knochentumoren in vielerlei Hinsicht von
Knochentumoren des übrigen Körpers unterscheiden. Dazu wird weiter unten im folgenden
Kapitel eingegangen werden.
Das Besondere an der Betrachtung von Knochentumoren der maxillofazialen Region liegt
in der Tatsache begründet, dass hier zwei prinzipiell differente primäre Tumorentitäten
anatomisch-topografisch eng benachbart auftreten: zum einen die häufigeren odontogenen
Tumoren und Dysplasien, zum anderen die wesentlich selteneren nicht-odontogenen Tumoren
des Kiefers.
Embryologisch rekrutieren sich diese beiden Tumorgruppen aus jeweils unterschiedlichen
Keimblättern [2]: Während die odontogenen Tumoren wie auch die Zähne aus der ektodermalen Zahnleiste
hervorgehen, entstehen die nicht-odontogenen Knochentumoren des Kiefers aus dem Mesoderm,
wie im übrigen auch die primären Knochentumoren des „restlichen“ menschlichen Körpers.
Des Weiteren gibt es embryologische Sonderformen der Entstehung von Tumoren, wie z.B.
Knorpeltumoren aus dem Meckel-Knorpel, dem ersten Kiemenbogen, aus dem die Mandibula
hervorgeht [3].
Die beiden genannten, primären Tumorgruppen des Kiefers, die odontogenen Tumoren und
die nicht-odontogenen primären Knochentumoren, sollen also nachfolgend hier besprochen
werden; ergänzt durch einige typische odontogene Dysplasieformen und wichtige Differenzialdiagnosen
(z.B. Osteomyelitis). Einen zusammenfassenden Überblick gibt hierzu die [Tab. 1].
Tab. 1 Verkürzte Darstellung der neuen WHO-Klassifikation der odontogenen und maxillofazialen
Knochentumoren von 2022, wie sie hier im Folgenden besprochen werden soll. *aus der
aktuellen Klassifikation 2022 entfernt* (adaptiert und geändert nach [4]).
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Kategorie
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Unterkategorien
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Entitäten (Auswahl)
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Kieferzysten
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weitere Unterteilungen wurden in aktueller Klassifikation weggelassen
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radikuläre Zysten, follikuläre Zysten, odontogene Keratozysten; kalzifizierende odontogene
Zyste; fissurale Zysten
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odontogene Tumoren
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benigne epitheliale odontogene Tumoren
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Ameloblastom, kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor; odontogene Tumoren
(adematoid, squamös), Ameloblastom
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benigne gemischt epitheliale und mesenchymale odontogene Tumoren
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Odontom, ameloblastisches Fibrom
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benigne mesenchymale odontogene Tumoren
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(zemento-)ossifzierendes Fibrom, Zementoblastom, odontogenes Fibrom, odontogenes Myxom
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maligne odontogene Tumoren
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ameloblastisches Karzinom, sklerosierendes odontogenes Karzinom, odontogenes Schattenzell-
und Klarzellkarzinom,
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Riesenzellläsionen und Knochenzysten
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zentrales und peripheres Riesenzellgranulom, Cherubismus;
aneurysmatische und einfache Knochenzysten
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Knochen- und Knorpeltumoren
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fibro-ossäre Tumoren und Dysplasien
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(zemento-)ossifizierende Dysplasie, Fibröse Dysplasie;
Segmentale odontomaxilläre Dysplasie,
ossifizierende Fibrome (juvenil trabekulär und psammomatoid)
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benigne maxillofaziale Knochen- und Knorpeltumoren
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Osteom, Osteochondrom, Osteoblastom (Osteoidosteom entfernt!)
Chondroblastom, Chondromyxoidfibrom; desmoplast. Knochenfibrom
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maligne maxillofaziale Knochen- und Knorpeltumoren
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Osteosarkom des Kiefers, Chondrosarkom-Familie;
Rhabdomyosarkom mit TFCP2-Rearrangement
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*hämatolymphoide Tumoren,
solitäres Plasmozytom*
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*Lymphome (primäre Knochenlymphome, sekundäre Lymphombeteilig.)
leukämische Knochenbeteiligung; Plasmozytom/Multiples Myelom*
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Darüber hinaus gibt es aber auch noch eine Vielzahl weiterer Tumoren, die keiner der
beiden Gruppen zugehören, wie zum Beispiel die in der Mundhöhle zahlreich vorkommenden
Plattenepithelkarzinome oder die aus der Umgebung in den Kiefer einwachsenden Adenokarzinome,
selten aber auch Lymphome und das Multiple Myelom sowie sekundäre Tumoren (Metastasen).
Die meisten odontogenen Tumoren sind glücklicherweise gutartig und stellen überwiegend
hamartomatöse Fehlbildungen dar; odontogene Karzinome und Sarkome sind außerordentlich
selten – deren häufigster Vertreter stellt noch das ameloblastische Karzinom dar.
Allerdings muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass die Mehrzahl der malignen Tumoren,
die den Ober- und Unterkiefer involvieren, Karzinome sind, die aus der Umgebung den
Kiefer infiltrieren und diesen zerstören [5]. Die Rede ist von Plattenepithelkarzinomen der Mundhöhle (machen 90% aller Tumoren
dieser Region aus), von Plattenepithel- und Adenokarzinomen der Kieferhöhlen und der
Nasenhaupthöhle sowie den Adenokarzinomen der umgebenden Speicheldrüsen, welche destruktiv
in die benachbarten knöchernen Strukturen von Maxilla und Mandibula vordringen können
([Abb. 1]) [6]. Diese Tumoren wie auch sonstige Tumorentitäten (z.B. extraossäre Lymphome, Weichteilsarkome,
neurogene Tumoren, Hauttumoren etc.), die ihren Ursprung nicht im gnathischen System
haben, sind nicht Gegenstand der folgenden Besprechung. Eine Ausnahme bilden maxillomandibuläre
Knochenmetastasen, auf die am Ende des Beitrags kurz eingegangen werden wird.
Abb. 1 oro-naso-palato-pharyngeales Etagenkarzinom (Plattenepithelkarzinom) mit völliger
Destruktion des linksseitigen Oberkiefers. 55-jährige Patientin mit langjährigen Nikotin-
und Alkoholabusus. a OPG: neben einem desolaten Zahnstatus im OK und Restbezahnung im UK erkennt man ausgelöschte
knöcherne Strukturen im OK (Pfeil): Artefakt oder real? b+c KM-unterstützes Kopf-Hals-CT, sagittale und koronale MPR: ausgedehnte Tumordestruktion
fast des gesamten Oberkiefers mit erheblicher Ausdehnung über die anatomischen OK-Grenzen
hinaus (Doppelpfeile).
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Odontogene Tumoren sind selten und stellen zumeist benigne bzw. hamartomatöse Entitäten
dar.
-
Viel häufiger hingegen wird die Kieferregion allerdings von malignen Tumoren (Karzinomen)
aus der Umgebung infiltriert.
Die aktuelle WHO-Klassifikation der odontogenen und maxillofazialen Knochentumoren
von 2022
Die aktuelle WHO-Klassifikation der odontogenen und maxillofazialen Knochentumoren
von 2022
Nachdem die Novellierung der 3. Ausgabe der WHO-Klassifikation von Kiefertumoren aus
dem Jahre 2005 über ein Jahrzehnt Gültigkeit besaß, ehe sie im Jahre 2017 durch die
4. Ausgabe ersetzt wurde, folgte die „brandneue“ 5. Edition bereits fünf Jahre später,
und zwar Anfang 2022 [4]. Diese deutliche Beschleunigung der Revisionsabfolge ist Ausdruck eines exponentiellen
Wachstums molekularer und genetischer Erkenntnisse zur Entstehung von Knochentumoren
des Kiefers, welche vor dem Hintergrund eines potenziellen oder bereits erwiesenen
klinischen Nutzens rasch Eingang in eine angepasste Nomenklatur finden soll.
In diesem Beitrag wird allerdings auf die oft sehr delikaten und nur für Spezialisten
relevanten Neuerungen nicht eingegangen [7].
Die [Tab. 1] gibt daher eine bewusst verkürzte und selektionierte Übersicht über die aktuelle
Klassifikation wieder. Sie soll den Überblick über die Vielzahl diverser Tumorentitäten
geben, wobei in der weiteren Besprechung nur ein Teil derer ausführlicher besprochen
werden kann, dem auch eine gewisse praktische Relevanz zukommt.
Radiologische Diagnostik und Überblick zu den Kiefertumoren
Radiologische Diagnostik und Überblick zu den Kiefertumoren
Dieses wird aus Platzgründen kompilierend in summarischer und tabellarischer Form
dargestellt. Der sinnvolle und rationale Einsatz des radiologischen diagnostischen
Armamentariums wird in [Tab. 2] veranschaulicht, wobei die [Tab. 3] auf Vor- und Nachteile der genannten radiologischen (und nuklear-medizinischen)
bildgebenden Verfahren nochmals gesondert hinweist. Ein Befundungsalgorithmus für
Radiologen nach dem sog. „KISS-Prinzip“ für Kieferläsionen wird in der Infobox 1 vorgestellt.
Tab. 2 „Was mache ich wann?“ – Kompendium Einsatz bildgebender Diagnostik am Kiefer für Radiologen.
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Modalität
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Indikation/Darstellungsmöglichkeit/Grenzen
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OPG
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„working horse“: notwendige Übersichtsdarstellung; Bezug osteolytischer/radioopaquer
Läsionen zu den Zähnen; Matrixanalyse möglich; Lage der Läsion im Kiefer, aber keine
exakte topografische Zuordnung, störende Superprojektion, v.a. im Oberkiefer (limitierte
Destruktionsanalyse)
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DVT
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„working horse“: bei allen auffälligen bzw. unklaren Kieferläsionen notwendig, um
den Bezug zum Zahn und zum umgebenden Kieferknochen zu klären; exakte Destruktions-
und Matrixanalyse mögl.; lokale Ausbreitungsdiagnostik im Knochen (Nachbarstrukturen!),
aber: fehlender Weichteilkontrast, limitierte Ausdehnungsdiagnose!
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CT
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prinzipiell wie DVT, aber Möglichkeit zur Umfelddiagnostik (Staging) und Weichteilbeurteilung
dank Kontrastmittelapplikation (Differenzierung Zyste/Nekrose/Abszess/avides Gewebe);
starke Metallartefaktanfälligkeit!
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MRT
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am Kiefer wenig eingesetzt (keine Knochendarstellung, artefaktanfällig gegenüber Metall
und lufthaltigen Räumen); sinnvoll bei: akuter Osteomyelitisdiagnostik, Zystendiagnostik
(v.a. Abgrenzung Keratozyste und Ameloblastom; AKZ); Ausdehnungsdiagnostik hinsichtlich
permeativer Tumorinfiltrationen (Knochen, Weichteil)
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Sonographie
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Abszessdiagnostik!; in geübten Händen: Detektion kortikaler Destruktionen mit/ohne
Weichteiltumoranteilen; Periostbeurteilung bei Kindern; Lymphknotencharakterisierung
(entzündlich vs. maligne); keine Knochenbeurteilung
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Knochenszintigraphie
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sinnvoll bei (chronischer) Osteomyelitisdiagnostik mit/ohne Sequester; wegen geringer
Spezifität und Detailauflösung zur Tumordiagnostik wenig geeignet
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FDG-PET (CT)
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Haupteinsatz bei oronasopharyngealen und paranasalen malignen Tumoren (Karzinomen),
wegen oft nicht eindeutiger Aviditätsmuster seltener odontogener Tumoren meist nicht
zielführend, akute Osteomyelitis-diagnostik, wenn MRT nicht möglich
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Tab. 3 Gegenüberstellung gängiger bildgebender Untersuchungsmodalitäten bei der Beurteilung
von Kiefertumoren.
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Projektionsradiogrfhie (Röntgen, OPG)
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strahlenbasierte Schnittbildgebung (DVT, CT)
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MRT/Nuklearmedizin
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Vorteile
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Überblicksdarstellung: die Läsion kann topografisch gut zugeordnet werden
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Überlagerungsfreiheit, multiplanare Darstellung; ggfs. VRT, SSD, MIP etc.
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MRT: hoher Weichteilkontrast: exakte Tumorabgrenzung
(Knochenmarks-/Umgebungsinfiltration)
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evtl. sogar Vergleich mit Voraufnahmen möglich
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hohe Ortsauflösung mit großer Detailgenauigkeit (subtile Matrixanalyse möglich)
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MRT: Weichgewebscharakterisierung möglich: T1: Keratin, Methämoglobin; T2: Flüss.,
fluid-fluid-level; Fibrose, Siderose, Sklerose; DWI: Abszeß vs. Tumor vs. Keratozyste;
KM: Nekrose vs. Zyste; STIR/fatsat: Ödemnachweis etc.
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Läsion kann hinreichend charakterisiert werden (radioluzent/radioopaque)
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Dichtemessungen möglich (Differenzierung Fett – Flüssigkeit – solides Gewebe)
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Szinti/SPECT: robuste und artefaktunanfällige Darstellung von Knochenumbau (benigne
oder maligne)
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Tumormatrixanalyse möglich (fibrös, Hartsubstanzdiff., matrixlose Lyse)
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exakte Definition der Tumorlokalisation, des Destruktionsmusters und der Periostreaktion
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PET: artefaktfreie Darstellung avider Tumorherde im Kiefer
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Beurteilung der Tumorränder/Periost (Bestimmung biolog. Wachstumsverhaltens)
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nur CT: guter Weichteilkontrast und Vitalitätsbeurteilung (KM-Enhancement)
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wenig artefaktanfällig
(z.B. Zahnfüllungsmaterialen)
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nur DVT: relative Artefaktrobustheit
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Nachteile
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Oberkiefer in der Regel überlagerungsbedingt schlecht beurteilbar
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Strahlenbelastung (v.a. Kinder!)
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MRT: Artefaktanfälligkeit gegenüber metallischen Implantaten und lufthaltigen Räumen
(z.B. Kieferhöhlen)
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exakte Syntopie der Läsion in Bezug auf Zähne nicht beurteilbar
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diffuse Tumorinfiltration schlecht bestimmbar (v.a. Knochenmarkraum)
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MRT: keine Analyse der mineralisierten Matrix (einschl. der Zähne) sinnvoll möglich
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nicht-mineralisierter Inhalt der Läsion unbestimmbar (Zyste vs. solide Osteolyse)
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nur CT: Artefaktanfälligkeit gegenüber metallischen Materialien
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MRT: Zahnwurzelbezug oft unzureichend darstellbar
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Weichteilexpansion nicht beurteilbar
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nur DVT: eingeschränkter Weichteilkontrast, keine KM-Gabe möglich
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MRT: wenig Kenntnis über MR-Pathomorphologie von Kiefertumoren
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Bewegungs- und Einstellartefakte (OPG)
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Da es für den nicht oder nur wenig mit Kieferläsionen vertrauten Radiologen schwierig
sein dürfte, sich in der Vielzahl der Kieferläsionen zu orientieren, werden den einzelnen
Kapiteln jeweils zusammenfassende tabellarische Übersichten und grafische Skizzen
über typischerweise anzutreffende Entitäten beigefügt.
Läsionsanalyse am Kiefer nach dem KISS-Prinzip („keep it simply and straight“). Beachte,
dass die aus der Deskription bzw. dem Abgleich mit vorhandenem Erfahrungswissen resultierende
Diagnose bis zur histopathologischen Sicherung eine Verdachtsdiagnose bleibt, welche
ja gerade am Kiefer aufgrund der Dualität Knochen – Zähne mit erheblichen Unsicherheiten
behaftet ist!
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Symptomatische Knochenläsion?
wegen allfälliger und häufiger „Zahnschmerzen“ im Unterschied zum übrigen Skelett
weniger verlässlich, kann dafür aber ernste Knochenläsionen maskieren!
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Patientenalter
odontogene Läsionen und Zysten bei Milchgebiss bzw. Wechselgebiss; höheres Patientenalter
mit Zunahme potenziell maligner Läsionen (Karzinome, Metastasen)
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Anamnese
bekannte genetische Anomalien, systemische Grunderkrankung mit assoziierten Risiken
für Zähne und den Kieferknochen, vorausgegangene operative Eingriffe
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Läsion in Bezug auf Lage im Kiefer
Wo befindet sich die Läsion? Oberkiefer anterior/posterior? Unterkiefer: Symphyse,
Corpus, retromolar, Angulus, Ramus, Condylus? Zentral oder peripher?
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Läsion in Bezug auf den Zahn
Besteht ein unmittelbarer Bezug zum Zahn bzw. zur Zahnwurzel? Retinierter Zahn? Resorbierte
Zahnanlage? Ist der Zahn kariös bzw. anderweitig beherdet?
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Läsion in Bezug auf Form und Größe
Form (einkammrig, lobuliert, septiert, mehrherdig); Größe (fokal ohne Knochendestruktion,
ausgedehnt mit Ballonierung, Resorption, Destruktion des ortständigen Knochens)
-
Läsionsgrenzen (in Anlehnung an die Lodwick-Klassifikation)
scharfe, reguläre Begrenzung („Läsion kann mit einem Bleistift nachgezeichnet werden“);
scharf, aber irregulär begrenzt (enge Transition); unscharfe Grenzen, aber geografisch;
noch geografisch, aber völlig unscharfe Grenzen (mottenfraßartig); permeatives Knochendestruktionsmuster
-
Läsionsverhalten in Bezug auf benachbarte Strukturen
verdrängend (Spreizung der Zahnwurzeln und der Zähne; expansive Neokortikalisbildung);
lokal destruierend (Wurzeldestruktion, Knochenresorption); infiltrierend (per continuitatem
aus dem Knochen in die Weichteile oder vice versa); Kompartimentüberschreitung
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Läsionsdichte
Osteolyse (CAVE: Zyste bezeichnet bereits eine Entität und ist keine Beschreibung
mehr!); Sklerose (CAVE: Im Kiefer gibt es mehrere Opazitäten (Knochen, Zement, Dentin,
Schmelz)); gemischt sklerotisch-lytische Läsionen
-
Läsionsstruktur
luft-/gashaltige Läsion; fetthaltige Läsion (Dichtemessung!); Weichgewebe (solide
Läsion) bzw. Flüssigkeit (Dichtemessung); Kontrastmittelenhancement (avide Läsion);
Differenzierung der Hartsubstanz: fibröse Matrix (Mattglas), Spongiosa, Kompakta (>1.000
HE), Zement < Dentin < Schmelz (mit aufsteigender Dichte); zahnärztliche Füllungsmaterialien
einschl. Keramiken (CAVE: radioluzente Kunststoffe!), metallisches Fremdmaterial vorhanden?
Kieferzysten
Kieferzysten stellen eine separat und herausgehoben zu besprechende Besonderheit des
gnathischen knöchernen Systems dar. ([Abb. 2]) Anders als im übrigen menschlichen Skelett handelt es sich hierbei keineswegs nur
um die bekannten juvenilen oder aneurysmatischen Knochenzysten, sondern um eine ganze
Reihe zystischer Läsionen, von denen die meisten sehr spezifisch mit den Zähnen bzw.
dem Zahnhalteapparat (Parodont) verknüpft sind (odontogene Zysten).
Abb. 2 Übersicht über die Kieferzysten. Diese Darstellung erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit
aller odontogenen Zysten. (in Anlehnung an einen Vortrag von Frau PD Monika Probst,
TU München, 2018, der freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde).
Zu den nicht-odontogenen Kieferzysten zählen die fissuralen Zysten (laterale und globulomaxilläre
Zysten; mediale oder nasopalatinale bzw. mediane palatinale Zysten; mediane Mandibularzyste),
die ihren embryologischen Ursprung von Resten der Epithelleiste nehmen, meist im vorderen
Oberkiefer lokalisiert sind und zu 75% Frauen betreffen [8]. Sie lassen sich meist anhand ihrer charakteristischen Lokalisation vermuten oder
identifizieren.
Die radikulären Zysten (apikale oder Radikularzysten; [Abb. 3]) sind prinzipiell entzündlichen Ursprungs ebenso wie die inflammatorischen Kollateralzysten
(laterale periodontale Zysten). Die radikulären Zysten machen etwa 50% aller Kieferzysten
aus [9]. Sie entwickeln sich infolge eines entzündlichen Reizes (z.B. fortgeleiteter Pulpitis
infolge Karies profunda) an der Wurzelspitze aus den sog. Malassez’schen Epithelzellresten.
Das sog. Wurzelgranulom hingegen stellt eine histologische Differenzialdiagnose dar,
bestehend aus einem chronisch-entzündlichen Konglomerat als Folge einer Periodontitis
apicalis ohne jegliche Epithelauskleidung.
Abb. 3 radikuläre Zyste. 27-jährige Frau. a OPG: große, schmal randständig absklerosierte Zyste (Doppelpfeil) im hinteren Mandibularbereich
links mit Kontakt zu den Wurzeln des überkronten und wurzelkanalbehandelten 37 (Pfeile),
geringer auch zu 38. b–c DVT: Darstellung der Relation der Wurzelspitzen von 37 (gelber Pfeil) und 38 (weißer
Pfeil) zur radikulären Zyste (b); ein weiter lateraler Schnitt zeigt den tatsächlichen Ausgang der radikulären Zyste
von den Wurzelspitzen von 37 (gelbe Pfeile in (c)).
Bei der radikulären Zyste handelt es sich radiologisch um runde, meist glatt berandete,
die Wurzelspitze umgreifende Osteolysen mit einer mehr oder wenig gut erkennbaren
Randsklerose. Je nach Dauer und Stärke der entzündlichen Einwirkung wird man auch
in der knöchernen Umgebung reaktive Sklerosen erkennen. Voraussetzung ist aber stets
ein geschädigter, in der Regel avitaler Zahn. Bei den selteneren lateralen inflammatorischen
Periodontalzysten nimmt der Entstehungsprozess meist seinen Ausgang von irregulär
lateral abzweigenden Pulpagängen oder marginalen Periodontitiden. Diese Zysten haben
radiologisch ein prinzipiell identisches Erscheinungsbild wie die radikulären Zysten,
nur befinden sie sich marginal entlang der Zahnwurzeln, dabei aber oft nahe der Wurzelspitze.
Davon abgegrenzt werden, müssen zwei nicht-inflammatorische odontogene Zysten von
großer praktischer Relevanz, da sie bereits radiologisch erkannt bzw. vermutet werden
können: die follikuläre Zyste (engl.: dentigerous cyst) und die odontogene Keratozyste
[10].
Die follikuläre Zyste stellt eine typische dysontogenetische Zyste dar, die sich stets
durch Flüssigkeitseinlagerung zwischen dem reduzierten Schmelzepithel und der nicht-eruptierten
Zahnkrone ausbildet; dabei typischerweise vom 3. Molar („Weisheitszahn“) ausgeht,
aber auch von anderen Molaren und Prämolaren, mitunter sogar von Eckzähnen, ausgehen
kann, sofern diese verlagert und nicht durchgebrochen sind. Follikelzysten kommen
nahezu ausschließlich nur an bleibenden Zähnen vor; deswegen werden sie am kindlichen
Milchgebiss genauso wenig beobachtet wie sie eigentlich immer nur im Zusammenhang
mit retinierten, verlagerten Zähnen auftreten.
Die follikuläre Zyste ist nach der Radikularzyste die zweithäufigste odontogene Zyste.
Neben ihrem Ursprung von einem retinierten Zahn ([Abb. 4]), entwickeln sich diese Zysten entweder nur schmal um die retinierte Zahnkrone herum
(ab 3–4 mm Zystengröße besteht ein Verdacht auf eine Follikelzyste) oder aber der
gesamte retinierte Zahn wird in einer großvolumigen Zyste eingeschlossen, wobei drei
morphologische Varianten je nach Einschluss von Krone und Wurzel des retinierten Zahnes
beschrieben wurden [11]. Stets aber kann radiologisch der Zystenursprung an der Zahnhals-/Zahnkronengrenze
erkannt werden, was die Identifikation als follikuläre Zyste erleichtert. Eine Verwechslung
mit dem Ameloblastom ist zwar aufgrund der Lage im hinteren Mandibulabereich möglich,
jedoch spricht der Nachweis eines verlagerten Molar in der Zyste eher für eine Follikelzyste
(s. aber [Abb. 5]). Odontogene Keratozysten sowie eine Reihe von Systemerkrankungen (z.B. Cherubismus,
Mukopolysaccharidose Typ IV, Amelogenesis imperfecta, tuberöse Sklerose und cleidokraniale
Dysplasie) gehören in die differenzialdiagnostischen Betrachtungen [11].
Abb. 4 verschiedene follikuäre Zysten. a OPG: 48-jähriger Patient mit verlagertem überzähligen Eckzahn, an dessen Schmelz-Zement-Grenze
eine große Zyste ansetzt (Pfeil), die zur Verlagerung der angrenzenden distalen Wurzeln
führt (gelber Pfeil); b OPG: 41-jähriger Patient: um 180° rotierter 38 mit Zyste an der Schmelz-Zement-Grenze
(Pfeil) mit Bedrängung des Canalis mandibularis (gelber Pfeil); c DVT: zwei in Opposition gegenüberstehende 37 und 38 (Doppelpfeil), die eine gemeinsame
Zyste teilen: 20-jähriger Mann; d DVT: ausgedehnte Zyste, die sich von der regio 36 bis in den Unterkieferast erstreckt
(Doppelpfeil), ausgehend vom retinierten Zahn 38 (Pfeil), beachte die Kaudalverlagerung
des Mandibularkanals (gestrich. Pfeil); DD Keratozyste, Ameloblastom).
Abb. 5 Überraschungsbefund eines Ameloblastoms, was zunächst für eine follikuläre Zyste gehalten
wurde. 13-jähriger Junge mit stark expansiver Raumforderung im hinteren linken Unterkiefer.
DVT-Schnitte. a mesiales Ende der Osteolyse (*) mit verlagertem 37; b große Osteolyse (Doppelpfeil *), die scheinbar vom verlagerten 38 nahe der Schmelzgrenze
(gelbe Pfeile) auszugehen scheint; c+d riesige expansive Osteolyse (Doppelpfeile *) mit eierschalendünner Neokortikalis.
Auch die odontogene Keratozyste kommt typischerweise in der Region des 3. Molars,
des Angulus mandibulae und des aufsteigenden Unterkieferastes vor (65%–85%) ([Abb. 6]). Histologisch ist die Keratozyste mit einer keratinsierten Epithelzellschicht ausgekleidet,
kann dabei von zystisch bis solid auftreten und muss nicht zwingend eine (retinierte)
Zahnkrone aufweisen, da sie sich auch aus anderen odontogenen Epithelzellnestern ableiten
können [12]. Radiologisch gesehen sind es glatt berandete Osteolysen unterschiedlicher Größe
mit Neokortikalisbildung (Scalloping) bei großer Ausdehnung. Ein multiples Auftreten
von Keratozysten sollte an ein Gorlin-Goltz-Syndrom (Basalzellnaevus-Karzinom-Syndrom)
ebenso denken lassen wie an das Vorliegen eines Hyperparathyreoidismus (Ostitis fibrosa
cystica). Die MRT bietet spezifische Identifikationsmöglichkeiten für die Keratozyste:
Abb. 6 Keratozyste. 72-jähriger Patient mit tastbarem Tumor am linken aufsteigenden UK-Ast.
a OPG: große, randständig absklerosierte Osteolyse im linken Ramus mandibulae (Doppelpfeile);
b schattierte Oberflächendarstellung aus CT (VRT): ovalärer Lochdefekt (gelbe Doppelpfeile);
c1 und c2 jeweils native CT-Darstellung im Weichteilfenster: expansive zystische Knochenläsion
(*) mit Kortikalisresorptionen (weiße Pfeile); beachte die Verkalkungen (gelbe Pfeile);
d T2 TSE axial: stark signaintense Läsion (Zyste, (*)) mit Verdrängung des M. masseter
(Pfeil); e T1 Gd fs VIBE coronal: die zystische Läsion (*) zeigt keinerlei Enhancement.
-
hohes natives T1-Signal wegen des Keratingehaltes;
-
Diffusionsrestriktion in der DWI ebenfalls wegen des Keratins;
-
randständiges KM-Enhancement ohne noduläre Verdickungen (wie beim Ameloblastom)
Die äußerst seltene kalzifizierende odontogene Zyste (sog. Gorlin-Zyste, nicht zu
verwechseln mit dem Gorlin-Goltz-Syndrom) sei hier nur erwähnt, da sie wegen ihrer
irregulären Verkalkungen andere, v.a. maligne Tumoren imitieren können [13].
Weitere Zystenformen sind: Residual-, Primordial-, Eruptions- und Gingivalzysten sowie
laterale periodontale Zysten. Die globulomaxilläre Zyste weist eine typische Konfiguration
auf: Sie schiebt sich tropfenförmig zwischen 2. Inzisivus und Caninus, verdrängt dabei
beide und kann mit einer Nasopalatinalzyste verwechselt werden [14]. Allerdings weisen schweizer Kieferchirurgen darauf hin, dass es sich bei der globulomaxillären
Zyste gar nicht mehr um eine eigenständige Entität handelt, sondern lediglich für
ihre anatomische Lokalisation im Oberkiefer zwischen lateralem Schneidezahn und Eckzahn
noch so bezeichnet wird [15]. Auch die sog. Stafne-Kavität stellt keine Zyste dar, sondern eine anatomische Normvariante
an typischer Stelle (retromolar im Kieferwinkel lingulaseitig unterhalb des N. aleveolaris
inf.).
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Kieferzysten sind häufig: Radikuläre Zysten setzen einen infizierten (avitalen) Zahn
voraus, follikuläre Zysten sind an retinierte Zähne gebunden.
-
Verwechslungen v.a. von Kerato- und follikulären Zysten mit dem Ameloblastom, aber
auch malignen Tumoren ist projektions-radiografisch möglich.
-
Fokale Sklerosierungen, irreguläre Berandungen und der Nachweis solider Anteile in
der MRT verlangen eine histologische Sicherung.
Eine kompendienhafte Zusammenstellung typischer Kieferzysten bieten [Tab. 4] und [Abb. 7].
Tab. 4 Übersicht über odontogene und nicht-odontogene Zysten (Auswahl); Merke: Radikular-,
Follikel- und Keratozysten: >80% aller Kieferzysten.
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Zystenart
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klinisch-radiologische Charakteristika
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1: hierunter fallen auch die lateralen periodontalen Zysten und die inflammatorischen
Kollateralzysten; 2: Der wissenschaftliche Streit über Existenz bzw. Nichtexistenz
der globulomaxillären Zyste als eigenständige Entität ist den Autoren bekannt, soll
aber hier explizit unberücksichtigt bleiben.
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radikuläre Zyste1
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periapikale Osteolyse an der Wurzelspitze (seltener lateral entlang der Wurzel) mit
Randsklerose;
setzt stets einen beherdeten bzw. zahnärztlich behandelten Zahn oder Wurzelkanal voraus
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Follikelzyste
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perikoronale Osteolyse stets um einen retinierten/verlagerten Zahn herum (oft Weisheitszahn);
die zart randsklerosierte Zyste schließt am Kronen-/Halsübergang des Zahnes ab
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Keratozyste
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keratingefüllte Zyste, zumeist im hinteren Bereich des Unterkiefers; wichtige DD zum
Ameloblastom;
lobulierte Osteolyse mit Randsklerose; MRT bietet Differenzierungmöglichkeit; CAVE!
Rezidive häufig
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Primordialzyste
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Degenerationszustand eines Zahnfollikels, daher fehlt der Zahn zur Zyste!
Zyste selbst mit zarter Randsklerose; meist im dorsalen Unterkiefer gelegen
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Residualzyste
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entstehen aus den Resten vorbestehender Follikel- oder Radikularzysten nach Zahnextraktion und können weiterwachsen; interessanterweise häufiger im Oberkiefer anzutreffen!
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Eruptionszyste
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sog. Dentitionszyste des Kindes: Zahnsäckchen über dem noch nicht durchgebrochenen Zahn;
relevant nur bei Entzündung bzw. Infektion der Zyste
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globulomaxilläre Zyste2
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heute lediglich als Ausdruck einer anatomischen Zystenlokalisation zwischen 2. Inzisivus
und Caninus im Oberkiefer gebraucht; stellt nach aktueller Auffassung keine eigenständige Entität mehr dar
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Nasopalatinalzyste (Ductus-incisivus-Zyste)
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häufigste nicht-odontogene Zyste: Entsteht aus proliferierenden Epithelresten des Ductus nasopalatinus und befindet sich daher exakt median im vorderen harten Gaumendach; glatt berandete,
symm. Osteolyse
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postoperative Flimmer-epithelzyste
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wurde 2022 neu in die Klassifikation eingeführt: Entsteht durch artifizielle Verschleppung von Flimmer-epithel aus der Nasenhaupt-/-nebenhöhle in den Oberkieferknochen: meist asymptomat. Osteolyse
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solitäre Knochenzyste
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einkammrige Zyste im Corpus mandibulae ohne direkten Zahnbezug; radiologisch und histologisch identisch zu den juvenilen Knochenzysten langer Röhrenknochen;
traumatische Genese möglich
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aneurysmatische Knochenzyste (AKZ)
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exzentrische, lobulierte Osteolyse mit zuweilen hauchdünner Neokortikalis: MRT dank
intraläsionalen Spiegelnachweises (fluid-fluid-levels) diagnostisch; CAVE: sekundäre AKZ bei primären Tumoren
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kalzifiz. odontogen Zyste
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Schattenzellhaltiger Tumor, dessen ghost cells verkalken (irreguläre Verkalkungen):
sehr selten und eigentlich radiologisch nicht zu diagnostizieren
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Abb. 7 Typische Zysten des Unterkiefers. 1 – Keratozyste, Primordialzyste; 2 – Residualzyste (z.B. nach Zahnextraktion); 3 – Stafne-Kavität; 4 – retinierter und verlagerter Zahn; 5 – Follikelzyste (dentigerous cyst); 6 – einfache Knochenzyste, DD eosinophiles Granulom, Keratozyste, Ameloblastom u.a.);
7 – laterale Periodontalzyste (DD inflammatorische periodontale Zyste); 8a – Caries profunda mit Pulpitis; 8b – radikuläre Zyste; 9 – Wurzelgranulom.
Odontogene Tumoren
Benigne epitheliale odontogene Tumoren
Diese Gruppe schließt zwar u.a. den adenomatoiden odontogenen Tumor, den squamösen
odontogenen Tumor und kalzifizierenden epithelialen odontogenen Tumor (Pindborg-Tumor)
ein, worauf aufgrund ihrer Seltenheit aber nicht eingegangen wird; wesentlicher bedeutsamer
hingegen – auch für den Radiologen – ist das Ameloblastom, welches gleich in fünf
Subgruppen aufgelistet wird: konventionell, unizystisch, extraossär, adenoid und –
metastasierend!
Das Ameloblastom ist der häufigste Tumor epithelialen odontogenen Ursprungs ([Abb. 8]). Es entsteht aus Resten der Zahnleiste bzw. des Schmelzorgans. Die sehr seltenen
extraossären Ameloblastome entstehen aus den sog. Serres-Resten, also in der Gingiva
verbliebenen Reste der Zahnleiste (ca. 1%) [16].
Abb. 8 Ameloblastom. 15-jähriger Junge. a–c ausgedehnte, zystisch imponierende Osteolyse im gesamten rechten Corpus mandibulae
mit Ausbreitung bis zur Symphyse (Doppelpfeil). Eierschalenartig prominente Neokortikalis
vestibulumseitig (weiße Pfeile). Wurzelresorptionen eines Molars (gelber Pfeil) sowie
Zahnverlagerungen (gestrich. Pfeile); teilweise Kortikalisresorptionen erkennbar (gestrich.
gelber Pfeil). Ameloblastom, 3 Monate nach Kürettage: d–f verringerte Expansion der Osteolyse mit deutlicher zirkulärer Remineralisation der
Läsion (gelbe Doppelpfeile).
Röntgenologisch charakteristisch ist das multizystische, lobulierte Erscheinungsbild
(sog. soap-bubble-appearance) des konventionellen Ameloblastoms, vorzugsweise im Unterkiefer
(80%). Dabei kann der Tumor sehr expansiv erscheinen, was zu einer ausgedehnten Neokortikalisbildung
führen kann (etwas ungenau als „Knochenauftreibung“ bezeichnet). Zahnwurzelresorptionen
sind für das Ameloblastom typisch, was wiederum auch an ein Malignom denken lässt.
Die MRT bietet eine gute Möglichkeit, solide Tumoranteile zu identifizieren und damit
ein konventionelles Ameloblastom von einer Zyste abzugrenzen. Der unizystische Typ
des Ameloblastoms hingegen stellt eine Differenzialdiagnose zur einkammrigen Zyste
dar; bei gleichzeitiger Anwesenheit eines retinierten Zahns, aber auch zur follikulären
Zyste; zu ihr besteht eine positive Koinzidenz [16]
[17] ([Abb. 5]). Lang bestehende, große Ameloblastome können maligne transformieren, wobei dieses
radiologisch nicht am Lokalbefund selbst, sondern am Auftreten von Metastasen diagnostiziert
werden kann [18]!
Ein Problem stellt die Therapie des Ameloblastoms dar, da es bei simpler Kürettage
in 60–80% der Fälle rezidiviert, weshalb eine marginale oder segmentale Resektion
empfohlen wird. Unizystische Ameloblastome können enukleiert werden, sofern es sich
um die sog. luminale Variante handelt. Beim muralen Typ muss wegen der lokalen Wandinfiltration
weit (nach)resesziert werden (persönl. Kommunikation Prof. Baumhoer, Basel). Spätrezidive
kommen vor und werden in der Literatur als schwierige Behandlungsfälle beschrieben
[19]
[20].
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Ameloblastome sind vielgestaltig auftretende, zystisch imponierende, meist aber solide
Osteolysen.
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Es gibt keine eindeutigen projektionsradiologischen Bildcharakteristika, die ein Ameloblastom
beweisen würden (dran denken!). Die MRT kann aber helfen, die soliden Tumoranteile
zu identifizieren.
Benigne, gemischt epithelial-mesenchymale odontogene Tumoren
Hierzu werden nach der aktuellen Klassifikation neben dem Odontom der primordiale
odontogene Tumor, das ameloblastische Fibrom und der dentinogene Schattenzell-(ghost
cell-)Tumor [19] gezählt. Besprochen werden soll hier aber nur das Odontom.
Das Odontom ist die neben dem Ameloblastom häufigste odontogene Tumor, möglicherweise
sogar der häufigste, da viele Odontome unerkannt bzw. unerwähnt bleiben. Odontome
sind Hamartome, die aus Zahnhartsubstanz und einem weichteiligen Gewebeanteil bestehen
und meist wenige Millimeter bis 2 cm groß sind, durchaus aber auch bis zu 6 cm groß
werden können. Man unterschied sog. zusammengesetzte (compound) Odontome von komplexen
Odontomen (Nomenklatur aus 2017), mittlerweile wird nur noch vom Compound-Odontom
gesprochen. ([Abb. 9]) Während erstere im vorderen Oberkiefer vorkommen, werden letztere bevorzugt im
hinteren Unterkiefer angetroffen. Ihre klinische Bedeutung liegt v.a. darin, dass
sie den noch nicht durchgebrochenen Zähnen den Durchbruchsweg versperren, was zu Zahnfehlstellungen
und damit assoziierten weiteren gnathischen Problemen führt [21].
Abb. 9 komplexes bzw. Compound-Odontom. DVT in multiplanarer Ausspielung. Oberhalb des Zahnes
37 befindet sich eine große, aus unterschiedlichen Hartsubstanzanteilen (Dentin, Schmelz)
bestehende, lobuliert bis gyriert (gelbe Pfeile in a) erscheinende Hartsubstanzformation
(* in a–c) mit umgebendem, weichteildichtem Osteolysesaum und kortikaler Ballonierung (Neokortikalisbildung;
weiße Pfeile in c). Sie behindert den 37 am Durchbruch (schwarze Doppelpfeile in a, c). Beachte den sichtbaren, zusätzlichen Schmelznachweis (orange Pfeile in a, b). Eine radiologische Differenzierung zwischen Komplex- und Compound-Odontom ist nicht
möglich; ersteres wurde in der neuen Nomenklatur (2022) auch weggelassen.
Radiologisch bilden reife, große Odontome gut erkennbare zahnähnliche Gebilde, die
meist zwischen den Wurzeln bereits eruptierter Zähne oder aber in der Nähe eines vor
dem Durchbruch stehenden Zahnes liegen. Sie besitzen die gleiche Röntgendichte wie
normale Zähne und können mit einem unterschiedlich breiten, oft aber nur schmalen
Osteolysesaum umgeben sein. In frühen Stadien und bei nur wenig kalzifizierter Matrix
können Odontome jedoch differenzialdiagnostische Probleme bereiten hinsichtlich der
Abgrenzung gegen die kalzifizierende odontogene Zyste und das ameloblastisches Fibro-Odontom.
Der extrem seltene Fall eines ameloblastischen Fibrodentinoms bei einem Kind, das
ebenfalls zur Zahndurchbruchsbehinderung führte, wurde erst jüngst publiziert [22]. Weitere Differenzialdiagnosen sind das Osteom und auch supernummerische Zähne.
Der allgemeinradiologisch tätige Kollege sollte beim Auftreten multipler Odontome
an das multiple Auftreten von Osteomen erinnert werden: Auch hier ist eine Assoziation
mit dem Gardner-Syndrom (familiäre kolorektale Polyposis) beschrieben ebenso wie für
das otodentale Syndrom (abnorme Zahnkronen, Megalodontie und sensoneuraler Hörverlust)
[23].
Benigne mesenchymale odontogene Tumoren
Zu dieser Gruppe gehören das zemento-ossifizierende und das odontogene Fibrom sowie
das Zementoblastom und das odontogene Myxom.
Das zemento-ossifizierenden Fibrom (oder auch nur ossifizierendes Fibrom genannt)
hat man nunmehr als eine völlig eigenständige Entität definiert. Frauen sind deutlich
häufiger betroffen als Männer (Verhältnis etwa 5:1). Die Neoplasie geht bei der häufigsten
sporadischen Form von Progenitorzellen der periodontalen Membran aus, die sich in
unterschiedlicher Ausprägung in Fibro-, Osteo- und Zementoblasten differenzieren können,
wodurch ein sowohl histologisch als auch radiologisch „buntes“ Bild entsteht. Es sind
solitäre, meist große Läsionen in der Mandibula (90%), viel seltener in der Maxilla,
die expansiv wachsen und je nach Alter bzw. Reifungsstadium infolge Mineralisation
zunehmend röntgendicht werden ([Abb. 10]) [24]. Supragnathische Formen des ossifizierenden Knochenfibroms können auch den oberen
Gesichtsschädel befallen. Aufgrund ihres langsamen, aber stetigen Wachstums sollten
ossifizierende Fibrom reseziert werden [25].
Abb. 10 ossifizierendes Fibrom. DVT. a Große subapikal gelegene, randständig sklerosierte Osteolysein der regio 45–47 (Doppelpfeil)
mit inhomogener Knochenneubildung (schwarze Pfeile) in einer fibrösen Matrix (unmineralisierter
Anteil). b–c milde Expansivität der Läsion nach lingual (Pfeile) mit Neokortikalisbildung, aber
ohne Destruktion. Buccalverlagerung des Mandibularkanals (gelber Pfeil).
Das odontogene Myxom stellt den dritthäufigsten odontogenen Tumor (nach Ameloblastom
und Odontom) dar und findet sich zu zwei Dritteln in der Mandibula. Er besitzt eine
myxoide extrazelluläre Matrix und ist kollagenfaserreich, daher erscheint er als mineralisationslose
Osteolyse, welche den Unterkieferknochen multilobulär „auftreibt“, was radiologisch
als typisches Seifenblasen- oder Honigwabenmuster imponiert (soap-bubble, honeycomb
appearance) [26].
Das Zementoblastom stellt einen seltenen benignen Tumor dar (etwa 0,7–8% aller odontogenen
Tumoren), der typischerweise in der Wurzelregion des 1. Molars des Unterkiefers vorkommt
[27]. Er entsteht aus der Zement- oder zementähnlichen Schicht der molaren Wurzelscheide,
besteht also aus röntgendichter Hartsubstanz, welche an ihrer Peripherie einen schmalen
Osteolysesaum aufweist ([Abb. 11]). Der Tumor umscheidet die Wurzelspitze; die Wurzel selbst ist dann nicht mehr abgrenzbar.
Insofern gibt es differenzialdiagnostische Abgrenzungsschwierigkeiten zur periapikalen
zementalen Dysplasie und zur Hyperzementose, seltener zum Odontom oder zur chronischen
periapikalen Osteitis [28].
Abb. 11 Zementoblastom. a+b DVT: periapikale Zahnhartsubstanz am Zahn 35 mit erhaltener Abgrenzbarkeit der apikalen
Zementschicht (schwarze Pfeile); schmale periläsionale Osteolyse (weiße Pfeile). Beachte:
Der Prozeß ist homogen zement- bzw. dentindicht (*) und geht ohne abgrenzbaren Parodontalspalt
großflächig aus der perizementalen Zahnwurzeloberfläche hervor.
Das odontogene Fibrom stellt insofern eine Besonderheit dar, als dass hier der periphere
Typ, also die extraossäre Manifestation in der Gingiva, häufiger anzutreffen ist als
die zentrale, im Kieferknochen selbst gelegene Form des odontogenen Fibroms [29].
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Hartsubstanz- bzw. matrixausbildende Tumoren lassen sich radiologisch besser zuordnen;
das gilt für Odontome gleichermaßen wie für ossifizierende Fibrome.
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Das Entscheidende ist die radiologische Identifizierung benigner Hartsubstanzläsionen;
ihre schlussendliche Subklassifizierung ist von eher untergeordneter Bedeutung.
Eine Zusammenstellung typischer mandibulärer Knochenläsionen zeigen [Tab. 5], [Tab. 6] und [Abb. 12].
Tab. 5 Überblick über Lage und Häufigkeit von knöchernen Läsionen des Unterkiefers (Auswahl).
In Anlehnung an: Dunfee BL, Sakai O, Pistey R, Gohel A: Radiologic and pathologic
characteristics of benign and malignant lesions of the mandible. RadioGraphics 2006;
26: 1751–1768 (doi 10.1148/rg.266055189) [30].
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Einordnung nach …
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Unterteilung nach …
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Entitäten
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Lokalisation
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anteriore Mandibula
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zemento-ossäre Dysplasie, Riesenzellgranulom (zentral), Odontom,
seltener: ademantoider odontogener Tumor
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posteriore Mandibula
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follikuläre Zyste, odontogene Keratozyste, solitäre Knochenzyste,
Ameloblastom, Amelofibrom, ossifizierendes Fibrom, Zementoblastom,
odontogenes Myxom, Pindborg-Tumor
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unspezifisch
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radikuläre Zyste; metabolische Erkrankungen (z.B. Hyperparathyreoidismus, renale Osteodystrophie)
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Häufigkeit: Zysten
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sehr häufig
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radikuläre Zysten, follikuläre Zysten
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ziemlich häufig
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odontogene Keratozyste, solitäre Knochenzyste (traumatisch, hämorrhag. einfach); Stafne-Kavität
(keine eigentliche Zyste!)
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selten
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Kalzifizierende odontogene Zyste (enthält auch solide Anteile),
aneurysmatische Knochenzyste (primär/sekundär)
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Häufigkeit: benigne Tumoren
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sehr häufig
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Odontom
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ziemlich häufig
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Ameloblastom, zementoossäre Dysplasie, ossifizierendes Fibrom
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weniger häufig
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Kalzifizierender epithelialer odontogener Tumor (Pindborg-Tumor), ameloblastisches
Fibrom, odontogenes Myxom, Zementoblastom
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selten
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Klarzell-, squamöser und adematoider odontogener Tumor, kalzifizierender odontogener
Tumor (Pindborg-Tumor)
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Häufigkeit: maligne Tumoren
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sehr häufig
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Plattenepithelakrzinome aus der benachbarten Schleimhaut
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ziemlich häufig
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Metastasen, Plasmozytom/Multiples Myelom, Lymphom, Leukämie; adenoid-zystische und
mukoepidermoidale Karzinome aus der Umgebung
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selten
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odontogene Karzinome, odontogene Sarkome, odontogene Karzinosarkome; nicht-odontogene
Sarkome (z.B. Osteosarkom)
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Tab. 6 Überblick über Lage und Häufigkeit von Tumoren, Zysten und Läsionen im Unterkiefer.
Es handelt sich um eine kompilierende Darstellung der wichtigsten, typischen und häufigen
Läsionen im Unterkiefer.
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Entität
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Topografie
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Vorkommen
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Follikelzyste
(dentigerous cyst)
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am häufigsten: 3. UK-Molar
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zu 75% im Unterkiefer
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Keratozyste
(keratocystic odontogenic tumour)
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am häufigsten im Corpus et Ramus mandibulae
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zu 70% im Unterkiefer
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solitäre Knochenzyste
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typisch im Corpus zwischen Caninus und 3. Molar, seltener an der Symphyse (Kinn),
Ramus und Kondylus
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>90% im Unterkiefer
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Stafne-Kavität
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Nähe zum Angulus mandibulae unter dem Canalis mandibulae
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nur im Unterkiefer
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Ameloblastom
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retromolar im Angulus/Ramus mandibulae
(Assoziation mit Follikelzyste und retiniertem Zahn möglich)
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zu 80% im Unterkiefer
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ossifizierendes Fibrom
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zahntragender Teil des Unterkiefers
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zu 90% im Unterkiefer
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Pindborg-Tumor
(kalzifiz. epithelialer odontogener Tumor)
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in der Prä- und Molarregion des Unterkiefers
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> als 2/3 im Unterkiefer
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Osteom
(bone islands, idiopathische Osteosklerose, periapikale Osteopetrose)
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meist in der Nähe des 1. Molars:
periapikal oder distant zur Zahnwurzel
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zu 90% im Unterkiefer
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Abb. 12 Typische matrixbildende Tumoren bzw. tumorähnliche Läsionen des Unterkiefers. 1 – Ameloblastom; 2 – Odontom, hier als Durchbruchshindernis (beachte Lysesaum); 3 – retinierter Zahn; 4 – zemento-ossäre Dysplasie; 5 – ossifizierendes Fibrom; 6 – Zementoblastom (beachte Lysesaum); 7 – periapikale Hyperzementose; 8 – Osteom (beachte Pseudopodien; kein Lysesaum).
Riesenzellhaltige Läsionen und nicht-odontogene Knochenzysten
Riesenzellhaltige Läsionen und nicht-odontogene Knochenzysten
6.1 Zentrales und peripheres Riesenzellgranulom
Die Unterscheidung zwischen zentralem und peripherem Riesenzellgranulom bezieht sich
– wie stets am Kiefer – lediglich auf ihren Sitz: Die zentralen Riesenzellgranulome
befinden sich primär intraossär im Ober- oder Unterkiefer, während die peripheren
Riesenzellgranulome reaktive gingivale oder alveoläre Läsionen darstellen, die vom
Periodont ausgehen und erst sekundär den Kieferknochen erodieren oder Zahnwurzeln
verdrängen (sog. Riesenzellepulis) [4].
Zunächst eine Erläuterung zur Begriffsbildung: Die synonyme Bezeichnung des reparativen
Riesenzellgranuloms beinhaltete eine kausale Erklärung insofern, dass nämlich diese
Läsionen häufig im Zusammenhang mit einem Trauma (und konsekutiver Einblutung), seltener
Entzündung, oder aber infolge Fremdkörperinokulation, auch nach zahnärztlichen Manipulationen,
auftreten. Sie sind mit 1–7% aller benignen Kieferläsionen gar nicht so selten und
kommen bevorzugt im kindlichen bis frühen Erwachsenenalter vor [31].
Riesenzellgranulome sind dabei für den Kiefer einzigartig und kommen in ähnlicher
Weise nur noch an den Phalangen vor. Sie sind prinzipiell gutartig, jedoch verlangen
sowohl ihr radiologisches als auch histopathologisches Erscheinungsbild profunde Kenntnisse
zu diesem Läsionstyp, um nicht einer Fehlinterpretation – möglicherweise sogar einer
malignen Deutung des Befundes – zu unterliegen ([Abb. 13]).
Abb. 13 reparatives Riesenzellgranulom. 10-jähriger Junge mit asymmetrischer Oberkieferschwellung
links. a schattierte Oberflächendarstellung aus VRT-CT: ausgedehnte Vorwölbung und Destruktion
des infranasalen Proc. alveolaris maxillae (Pfeile) mit Zahndeviation (Doppelpfeil);
b axiales natives CT: massive Knochenexpansion (Doppelpfeil) mit Neokortikalisbildung
und Matrixverkalkung; c MRT: T1 nach KM-Gabe: der Tumor mit avidem KM-Enhancement (gelber Pfeil) im Vgl.
zur nativen T1-Darstellung (kleines Insert-Bild); d T2 fatsat coronar: expansiver Tumor mit septenartiger Struktur (gelber Pfeil).
Das bestimmende histologische Merkmal, die osteoklastäre Riesenzellkomponente des
Tumors, führt zur Knochenresorption, welche typischerweise als gekammerte Osteolyse
in Erscheinung tritt, dabei aber durchaus kortikale Destruktionen verursachen kann,
wodurch er sich radiologisch als eine aggressive Läsion äußert. Es gibt Fallberichte,
die eine ausgedehnte Zerstörung der vorderen Maxilla (häufigster Manifestationsort)
durch Riesenzellgranulome zeigen [32]. Die Läsionen können von ihren Rändern her durch osteoblastäre Aktivierung sklerosieren.
Wegen des koinzidentiellen Zusammentreffens von intraläsionalem Blut bzw. dessen Abbauprodukten
und der osteoklastären Riesenzellen besteht – bei alleiniger histopathologischer Betrachtung
der Läsion – ein differenzialdiagnostischer Pitfall hinsichtlich der Abgrenzung gegenüber
aneurysmatischen Knochenzysten, Braunen Tumoren (Osteoklastome) beim Hyperparathyreoidismus
und dem Cherubismus [33]
[34].
Nicht-odotongene Knochenzysten
Hierbei handelt es sich um die aneurysmatische und die einfache Knochenzyste des Kiefers,
die keinen fissuralen oder odontogenen Bezug haben. Es handelt sich somit um dieselben
nicht-epithelialen Knochenzysten, wie sie auch sonst an anderen Lokalisationen des
menschlichen Skeletts angetroffen werden.
Die aneurysmatische Knochenzyste (AKZ) des Kiefers besteht ebenfalls aus Riesenzellen
wie das zentrale Riesenzellgranulom, welche aber im Unterschied zu diesen große, mehrkammerige,
blutgefüllte sinusoidale Hohlräume auskleiden. Im Unterschied zu den bisher besprochenen
Kieferpathologien und deren röntgen- oder CT-morphologischen Erscheinungsbildern,
gewinnt nun die MRT stark an Bedeutung, da sie die charakteristischen fluid-fluid-levels
innerhalb der blutgefüllten Hohlräume der multipel septierten Knochenzysten in den
zumeist aufgetriebenen Kieferknochen nachweisen kann [35]. Gelingt der Nachweis dieser MR-tomografischen Zeichen, so gilt die Diagnose bereits
bildgebend als weitgehend gesichert, insbesondere bei jungen Patienten. Allerdings
muss darauf geachtet werden, dass es sich – wie auch an anderen Stellen des menschlichen
Skeletts – nicht etwa um eine sekundäre AKZ handelt, insbesondere in Verbindung mit
Riesenzelltumoren, Osteo- und Chondroblastomen, aber auch des Osteosarkoms des Kiefers.
Daher ist es zwingend, die AKZ nach möglichen soliden Tumoranteilen in der kontrastmittelunterstützten
MRT abzusuchen und – auch im Zweifelsfall – zu biopsieren. Hilfreich ist hier der
molekulargenetische Nachweis des USP6-Rearrangements, welcher eine primäre AKZ beweist;
der fehlende Nachweis allerdings nicht automatisch für eine sekundäre AKZ spricht
[36].
An dieser Stelle sei eine kurze Bemerkung zur sog. soliden AKZ eingefügt: Freyschmidt
sagte bereits 2009, dass „der Begriff des reparativen Riesenzellgranuloms der Extremitätenknochen
synonym mit dem der soliden AKZ gebraucht (wird)“ und führt weiter aus, dass dies
in Analogie natürlich auch für das reparative Riesenzellgranulom des Kiefers gilt
[37]. Wichtig zu wissen ist, dass diese riesenzellhaltigen Läsionen nicht-neoplastischer
Natur sind und histologisch prinzipiell nicht von sog. Braunen Tumoren bei Hyperparathyreoidismus
zu unterscheiden sind. Allerdings – und darauf verweist Freyschmidt ebenfalls – muss
z.B. die osteoklastenreiche Form eines Osteosarkoms sorgfältig ausgeschlossen werden
[37].
Die solitäre Knochenzyste des Kiefers stellt gewissermaßen das gnathische Pendant
zur juvenilen Knochenzyste der langen Röhrenknochen dar. Auch hier sind junge Patienten
betroffen, oft mit einem vorausgegangenem Kiefertrauma. Es sind solitäre, mitunter
große einkammrige Zysten im Kinn- oder Corpusbereich des Unterkiefers. ([Abb. 14]) Die größte Herausforderung für den Radiologen besteht darin, diese gutartigen Knochenzysten
von all den anderen, bereits genannten und sehr zahlreichen Zysten oder zystenartig
imponierenden Tumoren des Kiefers abzugrenzen, insbesondere aber vom Ameloblastom
und der Keratozyste als den beiden häufigsten zystenartigen osteolytischen Tumoren
des Kiefers [38].
Abb. 14 solitäre (juvenile) Knochenzyste. Biplanare DVT: Jugendlicher Patient mit einer ausgedehnten,
gut begrenzten, aber kaum randsklerosierten Osteolyse im linken Corpus mandibulae
(Doppelpfeil in a), den Canalis mandibularis verlagernd (weißer Pfeil in a). Die Wurzelspitzen der Zähne 35–37 scheinen in der Zyste zu stehen; beachte die
fingerförmigen Ausbuchtungen der Zyste nach interdental und interradikulär (gelbe
Pfeile in a). Die axiale Schicht zeigt eindrucksvoll die druckbedingte Neokortikalisbildung an
der lingualen Seite (Pfeile in b) ohne Perforation. Differenzialdiagnose: Langerhans-Zell-Histiozytose („floating
teeth“).
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Nicht-odontogene Zysten des Kiefers unterscheiden sind zwar prinzipiell nicht von
ihren identischen Vertretern am übrigen Skelett, stellen aber aufgrund des odontogenen
und fissuralen „Zystenreichtums“ am Kiefer eine differenzialdiagnostische Herausforderung
dar.
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Reparative Riesenzellgranulome sind eine kiefertypische Eigenheit, die aufgrund ihres
radiologischen Destruktionsmusters gegen maligne Tumoren abgegrenzt werden müssen.