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DOI: 10.1055/a-2421-3590
E-Zigaretten – Gefahr der Nikotinabhängigkeit
Kommentar zu „E-Zigaretten: Leichtere Abstinenz vom Tabakkonsum“Kürzlich wurde im NEJM (New England Journal of Medicine) eine kontrollierte Studie zur Tabakentwöhnung mit der E-Zigarette publiziert, die bezüglich der Beobachtung von Nebenwirkungen und des langfristigen Rauchverhaltens sorgfältiger konzipiert wurde als viele ältere Studien. Dies hilft, die wissenschaftliche Diskussion zur E-Zigarette, die durch vereinfachende Narrative und Einflussnahme der Industrie erschwert ist, zu versachlichen.
Die E-Zigarettennutzer waren nach 6 Monaten häufiger rauch- (59,6%), aber seltener nikotinfrei (20,1%) im Vergleich zur Kontrollgruppe (38,5% bzw. 33,7%), (siehe Abbildung Balkengruppe 1 und 4) ([Abb. 1]). Nebenwirkungen (überwiegend in Form von respiratorischen und gastrointestinalen Symptomen) traten signifikant häufiger in der Interventionsgruppe auf (44% vs. 37%, p=0,01) [1]. Bei schweren Nebenwirkungen gab es keinen Unterschied, was bei insgesamt 60 Ereignissen und der Gruppengröße auch nicht zu erwarten war.
Die Autoren nennen selbst relevante Limitationen. Die Studie war nicht verblindet und daher offen für den Einfluss spezifischer Effekt-Erwartungen. Da die Study Nurses sowohl die E-Zigaretten ausgaben, als auch die psychosoziale Beratung sowie die Follow-up-Befragungen durchführten, war die Unabhängigkeit von Intervention und Evaluation nicht gewahrt. Ein unabhängiges, verblindetes Follow-up ist jedoch der Standard pharmakologischer Interventionsstudien. Die höhere Dropout-Quote in der Kontrollgruppe, die bei der konservativen Auswertung (Intention to treat) mit einer geringeren Erfolgsrate in der Kontrollgruppe einherging, lässt zwar die Akzeptanz der Intervention in die Betrachtung einfließen, schränkt aber die Interpretation bzgl. der spezifischen Effektivität von Nikotin-Ersatztherapien (NET) und E-Zigaretten ein.
Weitere Aspekte der Studie begünstigen die Interventionsgruppe: Der Einsatz von E-Zigaretten wurde nicht mit einer NET verglichen, sondern mit der Möglichkeit, eine NET mittels eines Gutscheins erwerben zu können. Das haben nur 63,6% der Kontrollgruppe getan. Außerdem wurde nicht die in der S3-Leitlinie [2] empfohlene duale NET (Pflaster plus kurzwirksame NET) genutzt, die deutlich wirksamer ist. Die finanzielle Vergütung war hierfür auch nicht ausreichend. Nicht problematisiert wurde zudem, dass bereits 33,8% zuvor schon Erfahrungen mit der NET gesammelt hatten, aber nur 16,3% mit der E-Zigarette. Es ist davon auszugehen, dass ehemalige Therapieversuche mit NET oder E-Zigaretten Personen mit negativen Erfolgsaussichten selektieren.
Eine biochemische Validation mittels Urin zur Bestimmung der Abstinenz konnte oft nicht gewährleistet werden. Stattdessen wurde ein CO-Wert (<9 ppm) als „rauchfrei“ gewertet. Das exhalierte Kohlenmonoxid ist in E-Zigaretten methodisch bedingt allerdings viel niedriger als bei konventionellen Zigaretten. Mithin wurde der E-Zigaretten-Konsum systematisch unterschätzt. Die Studie ist in der Schweiz durchgeführt worden. Die Schweiz ist das Land mit dem höchsten Conflict of Interest hinsichtlich der Tabakindustrie.
Im Vergleich zu anderen Tabak-Entwöhnungsstudien ist zu bedenken, dass die eingeschlossenen Teilnehmer*innen relativ jung waren (38 Jahre), spät mit dem Rauchen begonnen hatten (ca. mit 16 Jahren) und mit einem Fagerström-Wert von 4,3 nicht stark abhängig waren. Die Schulbildung war überdurchschnittlich gut. Die Ergebnisse lassen sich hinsichtlich der Erfolgsquoten daher kaum auf eine deutsche Raucherpopulation übertragen.
Eindeutig positiv ist die prospektive Erfassung des Rauchverhaltens und unerwünschter Wirkungen. Insbesondere wurden das fortgesetzte E-Zigarettenrauchen und der dual use systematisch erfasst. Ein fortgeführtes Follow-up bis zu 60 Monaten ist geplant und wird wichtige weitere Informationen liefern.
Fast zeitgleich zu der Studie von Auer und Kollegen wurde im NEJM eine große und aufwendige Metaanalyse zu den Nebenwirkungen von E-Zigaretten publiziert [3]. Es fand sich für das Risiko, z.B. für kardiovaskuläre Erkrankungen, kein signifikanter Unterschied zwischen E-Zigaretten und konventionellen Tabak-Zigaretten. Für dual use zeigten E-Zigaretten im Vergleich zu Tabak-Zigaretten sogar ein signifikant erhöhtes Risiko. Dies ergänzt gut die in der hier vorgestellten Studie erhobenen Ergebnisse.
Die Studie weist neben den positiven methodischen Aspekten der langzeitlichen Erfassung verschiedener Konsummuster (Tabak, E-Zigaretten und NET) erhebliche Schwächen auf, die eine Aussage bzgl. der Wertigkeit von E-Zigaretten im Vergleich zu NET in der Tabakentwöhnung erschweren.
Zu bedenken ist auch: Die leitlinienbasierte Tabakentwöhnung mit NET ist wirksam, gut untersucht, sicher und bei bestehender Zulassung ohne haftungsrechtliche Probleme bei Empfehlung durch Therapeuten. Der Einsatz von E-Zigaretten bleibt mit Risiken und Unsicherheiten verbunden [2] [4].
Publication History
Article published online:
08 November 2024
© 2024. Thieme. All rights reserved.
Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany
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Literatur
- 1 Auer R, Schoeni A, Humair JP. et al. Electronic Nicotine-Delivery Systems for Smoking Cessation. N Engl J Med 2024; 390: 601-610
- 2 AWMF. Rauchen und Tabakabhängigkeit: Screening, Diagnostik und Behandlung. 2021 Accessed March 29, 2024 at: https://register.awmf.org/assets/guidelines/076-006l_S3_Rauchen-_Tabakabhaengigkeit-Screening-Diagnostik-Behandlung_2021-03.pdf
- 3 Stanton AG, Nguyen N, da Silva ALO. Population-Based Disease Odds for E-Cigarettes and Dual Use versus Cigarettes. NEJM Evid 2024; 3 (03) EVIDoa2300229
- 4 Deutsche Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin (DGP) in Zusammenarbeit mit medizinischen Fachgesellschaften und Organisationen: Empfehlungen zum Umgang mit der elektronischen Zigarette (E-Zigarette). Pneumologie 2022; 76: 473-478