Schlüsselwörter
Mammakarzinom - Sentinellymphknoten - Indocyaningrün - Fluoreszenz - Sentinellymphknotenexzision
Einleitung
In Deutschland werden pro Jahr mehr als 70000 Mammakarzinome neu diagnostiziert [1]. Zum Diagnosezeitpunkt haben 76% der Betroffenen keine axillären Lymphknotenmetastasen [2]. Der axilläre Lymphknotenstatus gilt beim frühen Mammakarzinom als wichtiger klassischer Prognosefaktor [3]. Beim klinisch nodal negativen invasiven Mammakarzinom und bei Durchführung einer Mastektomie beim duktalen Carcinoma in situ (DCIS) wird die axilläre Sentinellymphknotenexzision (SLNE) zur Bestimmung des Nodalstatus empfohlen [4]. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts wurde diese zum Standard, da bei gleicher onkologischer Sicherheit [5] im Vergleich zur
kompletten axillären Lymphonodektomie (ALND) weniger postoperative Morbidität (Lymphödem, Einschränkung der Lebensqualität, Taubheit/Schmerzen im Arm) resultiert [6]. Abhängig vom Markierungsverfahren werden verschiedene Tracer in die Mamma injiziert. Nach deren Transport über die Lymphbahnen ermöglichen sie die gezielte Detektion des Sentinellymphknotens (SLN). Als Standard wird in Deutschland die Technetiumkolloidmarkierung (99mTc) des SLN empfohlen [7]. Bereits 2006 konnte für die 99mTc-Markierung in einer Metaanalyse von mehr als 8000 Patient*innen eine Detektionsrate (DR) für den SLN von 96,0% und eine Falsch-negativ-Rate (FNR) von 7,0% nachgewiesen werden, wobei in diese Metaanalyse auch Studien mit einer dualen SLN-Markierung (99mTc und Blaufarbstoff) eingeschlossen waren [8]. Die Radionuklidmarkierung macht eine Zusammenarbeit mit der Nuklearmedizin für die Injektion des Tracers, gegebenenfalls verbunden mit dem Transport der Patient*innen zu diesem, und eine exakte Planung des Operationszeitpunktes bei begrenzter Halbwertszeit des 99mTc notwendig. Eine Alternative, die von der Arbeitsgemeinschaft Gynäkologische Onkologie (AGO) mit einem + bewertet wird [7] und mit welcher sich diese logistischen Herausforderungen umgehen lassen, ist die SLN-Markierung mit Indocyaningrün (ICG). Es handelt sich hierbei um einen wasserlöslichen, stoffwechselneutralen Tricarbocyaninfarbstoff, der im Nah-Infrarotlicht fluoresziert. Die Injektion des ICG erfolgt unmittelbar präoperativ durch den Operateur. Eine Metaanalyse mit 10 eingeschlossenen Studien zeigte nach ICG-Markierung eine vergleichbar hohe DR des SLN wie nach
Radionuklidmarkierung [9]. Allerdings wurde in den meisten bis dato publizierten Studien die ICG-Markierung zusätzlich zu einer konventionellen Markierung (Radionuklid oder Blaufarbstoff) und nicht allein durchgeführt. Außerdem wurden unterschiedliche Dosierungen des ICG und verschiedene Kamerasysteme verwendet [10].
Ziel der aktuellen Studie sollte sein, die DR axillärer SLN nach alleiniger ICG-Markierung bei Patient*innen mit Malignom der Mamma im Rahmen eines standardisierten Applikationsschemas unter Verwendung eines am Zentrum vorhandenen ICG-tauglichen Laparoskopiesystems zu ermitteln. Als sekundäre Studienziele sollten die Rate an ICG-assoziierten Komplikationen bestimmt werden und ein Kostenvergleich zwischen ICG- und 99mTc-Markierung erfolgen.
Material und Methoden
Patient*innenkollektiv
In die unizentrische, prospektive Kohortenstudie wurden nach schriftlicher Einwilligung Patient*innen mit Erstdiagnose eines invasiven Mammakarzinoms oder duktalen Carcinoma in situ (DCIS) an der Universitätsfrauenklinik Rostock zwischen 09/2023 und 05/2024 eingeschlossen, bei welchen im Rahmen einer primären operativen Therapie eine axilläre SLNE geplant wurde. Die SLNE wurde entsprechend den im Rekrutierungszeitraum geltenden Empfehlungen der AGO-Kommission Mamma indiziert. Die Indikation zur SLNE wurde somit bei Patient*innen mit klinisch nodal negativer Erkrankung gestellt, außer es lag ein inflammatorisches oder fernmetastasiertes Mammakarzinom vor, wurde eine brusterhaltende Operation bei DCIS durchgeführt oder es war bereits eine SLNE oder ALND im Rahmen einer früheren Erkrankung erfolgt [7]. Postmenopausalen Patient*innen mit brusterhaltender Operation wurde aufgrund der Ergebnisse der
SOUND-Studie [11] bereits vor deren Implementierung in die AGO-Empfehlung ein Verzicht auf die SLNE angeboten bei invasivem, hormonrezeptor-(HR-)positivem, Human Epidermal growth factor Receptor 2-(HER2-)negativem Tumor bis maximal 2 cm Größe. Ausschlusskriterien für die Studie waren Kontraindikationen für eine ICG-Anwendung (Überempfindlichkeit gegen Jod, Natriumjodid oder ICG, Hyperthyreose, autonome Schilddrüsenadenome), primäre Systemtherapie, Alter ˂ 18 Jahre, Schwangerschaft, Stillzeit und vorausgegangene Axillaoperation ([Abb. 1]). Ein positives Votum der Ethikkommission der Universitätsmedizin Rostock lag vor (A2022–0161).
Abb. 1
Flussdiagramm der Studie. DCIS = duktales Carcinoma in situ; SLNE = Sentinellymphknotenexzision; ICG = Indocyaningrün.
Markierung und Detektion des SLN
Es wurden 25 mg ICG-Pulver (Verdye, Diagnostic Green GmbH, Aschheim-Dornach, Deutschland) in 10 ml Aqua aufgelöst, sodass die fertige Lösung 2,5 mg ICG pro ml enthielt. Nach Narkoseeinleitung und Lagerung der Patient*innen wurden 2–5-mal 1 ml der Lösung subkutan/intradermal in den kraniolateralen Quadranten der zu operierenden Mamma injiziert. Nicht verbrauchte Lösung wurde abgedunkelt zwischengelagert und für weitere am gleichen Tag stattfindende ICG-Markierungen verwendet. Im Anschluss erfolgte die Desinfektion des Operationsgebietes und das Abdecken mit sterilen Tüchern. Die Zeitspanne zwischen Injektion und Beginn mit der SLNE sollte minimal 5 und maximal 60 Minuten betragen. Ob mit der Brustoperation oder mit der SLNE begonnen wurde, war nicht im Studienprotokoll festgelegt. Auch der Zugangsweg zur Axilla war nicht vorgegeben und konnte entweder über eine separate Hautinzision in der vorderen Axillarlinie oder aber, wenn aufgrund der Tumorlage oder der Art der
Mammaoperation möglich, von der Mamma aus erfolgen. Zur Detektion der SLN wurden das Videoendoskopiesystem IMAGE1 S CONNECT, Optik HOPKINS 0° oder Rubina 30° mit Fluoreszenzbildgebung (Karl Storz, Tuttlingen, Deutschland) verwendet ([Abb. 2]).
Abb. 2
Intraoperative Darstellung zweier indocyaningrünmarkierter Sentinellymphknoten mit Nahinfrarot-Kamera.
Erfassung von Komplikationen
Unmittelbar postoperativ erfolgte die Dokumentation potenziell injektionsbedingter Komplikationen (Hämatom, Hautverfärbung, allergische Reaktion) durch den Operateur in einem vorgegebenen Protokoll. Vier Wochen postoperativ wurden alle Studienteilnehmer*innen telefonisch kontaktiert und gezielt nach postoperativen Komplikationen an Mamma oder Axilla (persistierende Hautverfärbung, Hautnekrose, Serom, Wundinfektion, Hämatom) befragt. Bei persistierenden Komplikationen erfolgte weitere 4 Wochen später erneut eine telefonische Kontaktaufnahme.
Kostenanalyse
Für den Vergleich der Kosten von SLN-Markierung mit 99mTc und ICG wurden die im Untersuchungszeitraum geltenden Preise inklusive gesetzlicher Mehrwertsteuer verwendet. Für die ICG-Markierung wurden die Kosten für Verbrauchsmaterialien (Injektionskanülen, Spritzen und ICG-Lösung) pro SLNE einbezogen. Für die 99mTc-Markierung des SLN wurden die Kosten für den Nuklearmediziner pro SLN-Markierung und die Transportkosten in die nuklearmedizinische Praxis pro Patient*in analysiert. Des Weiteren wurde anhand der Kostendifferenz zwischen 99mTc- und ICG-Markierung und des Preises für die ICG-Endoskopietechnik (Herstellerangaben 12/2022) zur Aufrüstung eines vorhandenen Laparoskopieturmes berechnet, nach wie vielen SLNE sich die Anschaffungskosten mit der Möglichkeit, täglich bis zu 3 SLNE mit ICG-Markierung durchzuführen (d. h. inklusive Anschaffung von 3 Optiken) amortisieren.
Statistische Analyse
Die statistische Auswertung erfolgte mit der SPSS-Software Version 27 (IBM, Armonk, NY, USA). Für die deskriptive Analyse mit dem Ziel, das Studienkollektiv und die operativen Parameter zu charakterisieren, erfolgte die Angabe von absoluten und relativen Häufigkeiten für qualitative und von Mittelwerten (± Standardabweichung) oder Median (Minimum – Maximum) für quantitative Parameter.
Ergebnisse
Patient*innenkollektiv
Im Untersuchungszeitraum wurde bei 132 von 325 (40,6%) erstdiagnostizierten Patient*innen mit invasivem Mammakarzinom oder DCIS die Indikation zur axillären SLNE gestellt. Bei 193 (59,4%) Patient*innen mit Erstdiagnose eines Malignoms der Mamma wurde aus folgenden Gründen im Studienzeitraum keine SLNE durchgeführt: Fernmetastasierung n = 22, klinisch suspekte axilläre Lymphknoten n = 39, brusterhaltende Operation bei DCIS n = 30, postmenopausale Patient*innen mit brusterhaltender Operation bei invasivem HR-positivem, HER2-negativem Tumor bis 2 cm Größe n = 62, laufende primäre Systemtherapie n = 34, andere Gründe n = 6. Es wurden 33 Patient*innen mit Indikationsstellung zur SLNE aus der Studienkohorte ausgeschlossen (n = 26/19,7% primäre Systemtherapie, n = 4/3,0% bekannte Unverträglichkeit gegenüber Jod/Natriumjodid/ICG, n = 1/0,8% vorbestehende Schilddrüsenerkrankungen, n = 1/0,8% Schwangerschaft/Stillzeit und n = 1/0,8% Ablehnung der Studienteilnahme), sodass 99
Patient*innen als Studienkohorte verblieben ([Abb. 1]). Bei einer Patientin mit beidseitigem Mammakarzinom wurde auch beidseitig eine SLNE durchgeführt, sodass 100 SLNE ausgewertet werden konnten. Drei Patienten (3,0%) waren männlich, 26 Patient*innen (26,3%) adipös ([Tab. 1]). Lymphknotenmetastasen wurden bei 18 Fällen (18,0%) nachgewiesen ([Tab. 2]). Bei 7 Patient*innen (7,0%) wurde eine ALND durchgeführt (2-mal wegen Nichtdetektion des SLN, 5-mal wegen Metastasen im SLN). Bei 5 Fällen (5,0%) war die Indikation zur SLNE eine Mastektomie wegen DCIS, in 95 Fällen (95,0%) ein invasives Mammakarzinom ([Tab. 2]). Die Voroperationen an der betroffenen Mamma waren bei 4 (4,0%) Patient*innen Tumorexstirpationen bei benignen Befunden und bei 2
(2,0%) brusterhaltende Operationen bei Malignom. Als Zugangsweg für die SLNE wurde in 85 (85,0%) Fällen eine separate Hautinzision in der Axilla durchgeführt, in 15 Fällen (15,0%) von der Mamma aus die Fossa axillaris eröffnet.
Tab. 1
Klinische Charakteristika der untersuchten Patient*innenkohorte (n = 99).
Parameter
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n (%)
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BMI = Body-Mass-Index; SD = Standardabweichung; WHO = World Health Organization
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mittleres Alter, Jahre (± SD)
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62,6 (± 12,6)
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mittlerer BMI, kg/m2 (± SD)
|
26,8 (± 5,6)
|
Adipositas-Klassifikation nach WHO
|
|
Untergewicht (BMI < 18,5 kg/m2)
|
2 (2,0)
|
Normalgewicht (BMI 18,5–24,9 kg/m2)
|
42 (42,4)
|
Übergewicht (BMI 25,0–29,9 kg/m2)
|
29 (29,3)
|
Adipositas Grad I (BMI 30,0–34,9 kg/m2)
|
16 (16,2)
|
Adipositas Grad II (BMI 35,0–39,9 kg/m2)
|
6 (6,1)
|
Adipositas Grad III (BMI ≥ 40 kg/m2)
|
4 (4,0)
|
Geschlecht
|
|
weiblich
|
96 (97,0)
|
männlich
|
3 (3,0)
|
synchrones beidseitiges Mammakarzinom
|
|
ja
|
1 (1,0)
|
nein
|
98 (99,0)
|
Menopausenstatus (anamnestisch)
|
|
prä-/perimenopausal
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23 (23,2)
|
postmenopausal
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70 (70,8)
|
keine Angabe
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3 (3,0)
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nicht zutreffend (männlich)
|
3 (3,0)
|
Tab. 2
Tumor- und Operationscharakteristika der durchgeführten Sentinellymphknotenexzisionen (n = 100).
Parameter
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n (%)
|
DCIS = duktales Carcinoma in situ; HER2 = Human Epidermal growth factor Receptor 2; HR = Hormonrezeptor; max = Maximum; min = Minimum; SD = Standardabweichung; SLN = Sentinel Lymph Node; SLNE = Sentinellymphknotenexzision
|
Voroperationen Mamma
|
|
ja
|
6 (6,0)
|
nein
|
94 (94,0)
|
onkoplastische Mammaoperation
|
|
ja
|
6 (6,0)
|
nein
|
91 (91,0)
|
nicht zutreffend (alleinige SLNE)
|
3 (3,0)
|
Tumortyp
|
|
invasiv-duktal
|
60 (60,0)
|
invasiv-lobulär
|
21 (21,0)
|
gemischt invasiv-duktal/lobulär
|
7 (7,0)
|
anderer invasiver Tumor
|
7 (7,0)
|
DCIS
|
5 (5,0)
|
Tumorbiologie
|
|
HR+/HER2−
|
83 (83,0)
|
HR+/HER2+
|
2 (2,0)
|
HR−/HER2+
|
2 (2,0)
|
HR−/HER2−
|
8 (8,0)
|
nicht zutreffend (DCIS)
|
5 (5,0)
|
histologisches Grading
|
|
1
|
13 (13,0)
|
2
|
74 (74,0)
|
3
|
8 (8,0)
|
nicht zutreffend (DCIS)
|
5 (5,0)
|
mittlerer Ki-67, % (± SD)
|
15,1 (± 12,8)
|
Tumorlokalisation
|
|
kraniolateral
|
36 (36,0)
|
kraniomedial
|
24 (24,0)
|
kaudolateral
|
9 (9,0)
|
kaudomedial
|
10 (10,0)
|
zentral
|
12 (12,0)
|
multizentrisch
|
9 (9,0)
|
Mammaoperation
|
|
brusterhaltend
|
59 (59,0)
|
Mastektomie
|
38 (38,0)
|
alleinige SLNE
|
3 (3,0)
|
mediane Anzahl detektierter SLN intraoperativ (min–max)
|
1 (0–4)
|
mediane Anzahl histologisch nachgewiesener SLN (min–max)
|
2 (0–9)
|
Histologie SLN
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|
pN0(sn)
|
81 (81,0)
|
pN1mi(sn)
|
2 (2,0)
|
pN1(sn)
|
13 (13,0)
|
pN2(sn)
|
2 (2,0)
|
keine Angabe
|
2 (2,0)
|
pT-Stadium
|
|
pTis
|
5 (5,0)
|
pT1
|
49 (49,0)
|
pT2
|
44 (44,0)
|
pT3
|
1 (1,0)
|
pT4
|
1 (1,0)
|
pN-Stadium
|
|
pN0
|
82 (82,0)
|
pN1mic
|
2 (2,0)
|
pN1
|
13 (13,0)
|
pN2
|
3 (3,0)
|
pN3
|
0 (0,0)
|
Detektionsrate ICG-markierter SLN
Nach Injektion von im Mittel 2,9 (± 0,9) ml ICG-Lösung und einer mittleren Zeitspanne von 22,5 (± 8,7) Minuten zwischen Injektion und Beginn der SLNE wurde in 98,0% (98 von 100 SLNE) mindestens 1 SLN intraoperativ detektiert. Eine der Patient*innen mit nicht detektierbarem SLN (60 Jahre, BMI 20,0 kg/m2) hatte ein 36 mm großes, gemischtes invasiv-duktales und invasiv-lobuläres, retromamilläres, HR-positives, HER2-negatives Mammakarzinom und keine axillären Lymphknotenmetastasen in der ALND (pT2 pN0 cM0 R0, G2). Das ICG-Injektionsvolumen betrug 4 × 1 ml und die Zeitspanne zwischen Injektion und SLNE 20 Minuten, die Patientin erhielt eine Mastektomie ohne Rekonstruktion. Die zweite Patientin (61 Jahre, BMI 25,2 kg/m2) hatte ein 9 mm großes, kraniolateral lokalisiertes, invasiv-duktales, triple-negatives Mammakarzinom und ebenfalls keine Lymphknotenmetastasen (pT1b pN0 cM0 R0, G2). Bei ihr wurden im Rahmen der brusterhaltenden Operation 3 × 1 ml ICG
appliziert und die SLNE 40 Minuten nach Injektion über eine separate Hautinzision axillär durchgeführt.
Komplikationen nach ICG-Markierung des SLN
Bei 11 (11,0%) ICG-Markierungen wurde vom Operateur unmittelbar intraoperativ eine grüne Hautverfärbung an der Injektionsstelle beschrieben ([Abb. 3]). Andere Komplikationen unmittelbar nach Injektion traten nicht auf. Postoperativ hatten 5 Patient*innen (5,2%) ein Hämatom, 6 (6,3%) ein Serom und 2 (2,1%) eine Wundinfektion in der Axilla. Die telefonische Kontaktaufnahme 4 Wochen postoperativ war bei 96 von 99 Patient*innen (97,0%) erfolgreich. Diese berichteten in 8 Fällen (8,3%) über eine bis dahin persistierende Hautverfärbung. Bei nochmaliger Kontaktierung dieser Patient*innen weitere 4 Wochen später waren in keinem Fall mehr Hautverfärbungen sichtbar.
Abb. 3
Hautverfärbung rechte Mamma am ersten Tag postoperativ nach brusterhaltender Operation mit axillärer Sentinellymphknotenexzision (invasiv-duktales Mammakarzinom rechts, pT2 pN0(0/1sn) cM0 R0, G2).
Kostenvergleich ICG- und 99mTc-Markierung
An der UFK Rostock betrugen die mittleren Kosten für eine axilläre SLN-Markierung mit 99mTc pro SLNE im Studienzeitraum 233,09 Euro, für die ICG-gestützte SLN-Markierung 62,73 Euro. Hieraus ergibt sich eine Differenz von 170,36 Euro. Bei Nachrüstung des vorhandenen Laparoskopieturmes mit ICG-Technik würden sich die hierfür entstehenden Kosten bei Umstellung von 99mTc- auf ICG-Markierung nach 324 SLNEs amortisieren.
Diskussion
Die aktuelle prospektive Untersuchung belegt die Machbarkeit der axillären SLNE unter alleiniger Verwendung des Fluoreszenzfarbstoffes ICG. Es wurde eine hohe DR für den SLN nach ICG-Markierung nachgewiesen. Dies bestätigt die Ergebnisse früherer, prospektiv randomisierter Untersuchungen, in welchen die DRs genauso hoch wie nach 99mTc-Markierung [12]
[13] und höher als nach alleiniger Blaumarkierung waren [14]. In diesen Studien wurde jedoch nicht die alleinige ICG-Markierung des SLN mit den anderen Tracern verglichen, sondern das ICG jeweils in Kombination mit 99mTc oder Blaufarbstoff mit deren alleinigen Anwendung verglichen. Randomisierte Studien, welche die DR des SLN beim Mammakarzinom nach alleiniger Verwendung von ICG mit anderen
Markierungsverfahren vergleichen, gibt es bis dato nicht. Auch in nicht randomisierten Kohortenstudien, die DR für den SLN nach ICG-Markierung von mehr als 95% zeigten, wurde im Gegensatz zur hier präsentierten Untersuchung zusätzlich zum ICG 99mTc appliziert [15]
[16]
[17]
[18]
[19]
[20]. Lediglich 2 Studien untersuchten die alleinige ICG-Markierung. Eine retrospektive Kohortenanalyse konnte bei 36 Patient*innen mit alleiniger ICG-Markierung des SLN eine DR von 94,4% ermitteln [21]. Eine zweite prospektive Kohortenstudie an 184 Patient*innen zeigte eine DR von 98,4% [22]. Dieses Ergebnis wurde in der aktuellen Untersuchung mit jedoch höherer ICG-Dosis, anderer Injektionstechnik und anderem Kamerasystem bestätigt. Beide Patient*innen mit nicht detektiertem SLN waren nicht adipös. Die schlechtere Detektion der ICG-Markierung bei Adipositas infolge einer auf maximal 2 cm begrenzten Eindringtiefe [23], insbesondere ab einem BMI von 40 kg/m2
[24], konnte in unserer Studie nicht bestätigt werden. Weiterhin zeigt die vorliegende Untersuchung, dass ein narbensparendes Vorgehen ohne separate axilläre Hautinzision die DR des SLN auch nach alleiniger ICG-Markierung nicht negativ beeinflusst. Bei der Präparation
ICG-markierter SLNs sollte jedoch beachtet werden, dass die Durchtrennung von Lymphbahnen zu einer diffusen Verteilung des ICG im umgebenden Gewebe führen kann und damit die Identifikation des SLN erschwert werden kann [25].
Nur wenige Patient*innen kommen aufgrund von Kontraindikationen nicht für eine ICG-Markierung in Frage. Schwerwiegende Komplikationen wie allergische Reaktionen traten in der aktuellen Studie nicht auf. Dies bestätigt die Beobachtung, dass Unverträglichkeitsreaktionen nur sehr selten (0,002%) auftreten [26]. Zu beachten ist jedoch, dass bei der hier angewendeten intradermalen/subkutanen Injektion des ICG in einer Dosierung von 5–12,5 mg und einer Konzentration von 2,5 mg/ml bei 8,3% der Patient*innen über mehrere Wochen postoperativ persistierende Hautverfärbungen an der Injektionsstelle auftraten. Dies wurde bisher in anderen Studien nicht beschrieben. Die verwendete Menge und Konzentration von ICG entspricht der in der Literatur empfohlenen Angabe von ˃ 2 ml und ˂ 5 mg/ml für eine optimale DR [27]. Gegebenenfalls kann ein Abfluten
des Farbstoffes aus der Haut durch eine lokale Massage unmittelbar nach Injektion beschleunigt und somit der unerwünschte Effekt der Hautverfärbung vermieden werden. Letztlich waren jedoch alle Hautverfärbungen nur vorübergehend nachweisbar.
Die unmittelbaren Kosten für die Markierungsprozedur sind bei Anwendung von ICG niedriger als bei 99mTc. Die Detektion axillärer SLN mit einer herkömmlichen ICG-tauglichen Laparoskopietechnik ist möglich. Wenn diese Technik bereits vorhanden ist, ist die ICG-Anwendung kostengünstiger als eine Radionuklidmarkierung. Wenn ein bereits vorhandener Laparoskopieturm aufgerüstet werden muss, um ICG detektieren zu können, müssen mehr als 300 SLNEs mit ICG durchgeführt werden, damit sich die Anschaffungskosten amortisieren. In vielen gynäkologischen Abteilungen ist diese Laparoskopietechnik mit Nahinfrarot-Kamerasystem aufgrund der Bedeutung des ICG-Verfahrens für die Markierung des SLN bei gynäkologischen Malignomen [28]
[29] jedoch bereits verfügbar. Neben den geringeren Kosten hat die ICG-Markierung des SLN im Vergleich zur
99mTc-Anwendung auch logistische Vorteile. Da die Injektion des ICG vom Operateur selbst unmittelbar präoperativ durchgeführt wird, kann die Operation zeitlich unabhängig von der nuklearmedizinischen Abteilung geplant werden. Ob dies zusätzlich zu einer Kostenersparnis aufgrund der Optimierung logistischer Abläufe führt, kann anhand der aktuellen Untersuchung nicht beantwortet werden. Unmittelbare Vorteile für die Patient*innen ergeben sich aus der nicht vorhandenen Strahlenbelastung, dem Wegfall des Transportes in die Nuklearmedizin und die Injektion des ICG erst nach Narkoseeinleitung (Vermeidung von Schmerzen). Ein Nachteil der ICG-Anwendung zur SLN-Markierung unabhängig von der Tumorentität ist der Off-Label-Use, über welchen explizit aufgeklärt werden muss.
Vorteil der vorliegenden Untersuchung ist das prospektive Studiendesign, welches die standardisierte Untersuchung der Anwendbarkeit von ICG allein in einem vorgegebenen Protokoll und auch die Erfassung von Komplikationen mehrere Wochen postoperativ ermöglichte. Limitationen der aktuellen Studie sind das unizentrische Design und dass die FNR nach ICG-Markierung nicht ermittelt werden konnte, da nach aktuellen Leitlinien behandelt und daher eine ALND nicht bei allen Patient*innen durchgeführt wurde. Ob eine Tätowierung im ICG-Injektionsareal zu einer Alteration des Lymphabstromweges führt, wurde in der Untersuchung nicht erfasst. Erste Daten zu einer möglichen Beeinflussung des Lymphabflusses wurden erst nach der Phase der Studienplanung publiziert [30] und sollten in zukünftigen Studien überprüft werden. Ein direkter Vergleich der alleinigen ICG-Markierung mit der als Standard geltenden
99mTc-Markierung insbesondere im Hinblick auf DR, Anzahl entfernter SLN und Operationsdauer ist im Rahmen des Studiendesigns nicht möglich. Auch ein Vergleich mit der von der AGO als gleichwertig zum ICG empfohlenen Superparamagnetic Iron Oxide-(SPIO-)Markierung des SLN [7] ist auf Grundlage der vorliegenden Analyse nur indirekt möglich. Diese Methode wird zum einen nicht an der die Studie durchführenden Klinik angewendet, zu anderen existieren keine Studien, die beide Methoden direkt miteinander vergleichen. In einem Review wurde eine gepoolte DR von 97,4% nach SPIO-Anwendung ermittelt [31]. Diese ist mit der hier für ICG ermittelten vergleichbar.
Schlussfolgerung
ICG kann mit hoher DR für die Markierung des axillären SLN bei Malignomen der Mamma mit der hier beschriebenen Technik nach Aufklärung über den Off-Label-Use unabhängig vom Vorliegen einer Adipositas angewendet werden. Vorbestehende Kontraindikationen gegen eine ICG-Anwendung sind selten, sollten jedoch erfragt werden. Es sollte eine Aufklärung über mögliche vorübergehende Hautverfärbungen im Injektionsareal erfolgen, schwerwiegende systemische Komplikationen sind selten. Die Markierung mit ICG ist kostengünstiger als die mit 99mTc und zeigt sowohl Vorteile hinsichtlich logistischer Abläufe als auch eine geringere Belastung für die Patient*innen. Insbesondere vor dem Hintergrund zeitweilig auftretender Versorgungsengpässe mit 99mTc stellt die ICG-Anwendung in einem standardisierten Setting für fast alle Patient*innen mit Indikation zur axillären SLNE eine kostengünstige Alternative mit logistischen Vorteilen dar, ist jedoch in Deutschland noch als
Off-Label-Use zu behandeln.