Schlüsselwörter
Patientenbeteiligung - Bürgerforschung - Partizipative Forschung - Partizipation - Patientenforscher
Keywords
patient involvement - citizen science - participatory research - participation - patient research partner
Hintergrund und Fragestellung
Hintergrund und Fragestellung
Die Integration der Patient*innenperspektive in Forschungsvorhaben (IPF) gründet auf
dem Recht der Vertretung der Interessen Betroffener in Gremien der Selbstverwaltung
auf Bundes- und Landesebene vgl. § 140 f SGB V [1]. Mit der im Jahr 2013 vom
Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Einrichtung einer
zentralen Plattform für alle Citizen-Science-Projekte und -Akteure in Deutschland
konnte eine wichtige Grundlage für die IPF geschaffen werden [2]. Die Umsetzung der IPF wurde 2022
durch die Vorgabe zur Beantragung von Fördergeldern für klinische Studien des BMBF
gefestigt und konkretisiert [3].
Letztere setzt die aktive Einbindung von Betroffenen in klinische Studien voraus.
Gemeint ist hier nicht die Partizipation der Betroffenen als Proband*in, sondern als
Mitgestalter*in von Studien. Die Zusammenarbeit zwischen Betroffenen und
Wissenschaftler*innen soll die Relevanz, Glaubwürdigkeit und Qualität von Forschung
erhöhen [4]
[5]
[6]
[7]
[8]
[9]. International werden die Ziele der
partizipativen Forschung im Gesundheitswesen bereits systematisch umgesetzt [8]
[10]
[11]
[12]. Internationale
Best-Practice-Beispiele bietet das National Institute for Health Research (NIHR) in
England, das umfassende Informationen zur patientenorientierten Integration sowie
Methoden zur Rekrutierung und Integration von Patient*innen bereitstellt. In den USA
bietet das Patient-Centered Outcomes Research Institute (PCORI) einen Literature
Explorer und Keyword-Listen zur Unterstützung der partizipativen Patientenforschung
[8]
[9]
[13]
[14]
[15]
[16]
[17]
[18]. Verglichen mit Großbritannien, den
USA oder Kanada wurde die IPF in Deutschland bisher nur geringfügig implementiert.
Von den deutschen IPF-Arbeitsgruppen wird immer wieder kritisiert, dass ein
systematisches, in Forschungsprozessen verankertes Anforderungs- und
Umsetzungsverfahren fehle [19]
[20]
[21]
[22]. Erst in den letzten vier Jahren
gab es in den Bereichen Public Health und Versorgungsforschung vermehrt Bemühungen,
Patient*innen- und Bürger*innen-Beteiligung umzusetzen, zu beschreiben und zu
systematisieren [20]
[21]
[22]
[23]
[24]. Jilani et al. [25] von der Universität Bremen
veröffentlichten einen ersten Leitfaden zur Patient*innenbeteiligung an klinischer
Forschung.
Die vorliegende Studie hat sich zum Ziel gesetzt, die Beteiligung von Patient*innen
in Forschungsprojekten für Patient*innen und Forschende zu erleichtern, indem
derzeitige Vorgaben für Patient*innenpartizipation gesichtet, Barrieren für die
Umsetzung identifiziert und systematische Hilfen für die optimale Implementierung
von Patient*innenpartizipation in Forschungsprojekten entwickelt werden. Dafür wurde
a) in qualitativen Interviews analysiert, in welchem Umfang theoretische
Empfehlungen zur IPF in einem deutschen Graduiertenkolleg zum Thema Depression
bekannt sind bzw. praktisch angewendet werden. Darauf aufbauend wurde b) eine
Handreichung im Sinne einer Checkliste zur systematischen Anwendung und weiteren
Pilotierung entwickelt.
Methodik
Auswahl der Wissenschaftler*innen
Das Graduiertenkolleg „PrädiktOren und Klinische Ergebnisse bei depressiven
ErkrAnkungen in der hausärztLichen Versorgung“ (DFG-GRK 2621 POKAL,
www.pokal-kolleg.de) setzt sich aus 17 Promovierenden und neun Projektleitenden
zusammen und verfolgt das generelle Ziel, die Primärversorgung von Depressionen
durch Forschungsprojekte in den Bereichen Diagnostik, Behandlung und
Implementierung zu optimieren [26]. In der Beantragungsphase war bereits Kontakt zur EX-IN-
Mitarbeiterin des Münchner Bündnisses gegen Depression aufgenommen worden, um
die Patient*innenperspektive zu berücksichtigen. Als Patient*innenvertreterin
wurde sie in den wissenschaftlichen Beirat aufgenommen und war als
Ansprechpartnerin für Kollegiat*innen und Projektleitende vorgesehen. Außerdem
war eine Task Force „Patient*innenperspektive“ im Graduiertenkolleg eingerichtet
worden, um die IPF unter den Forschenden zu verankern und die praktische
Umsetzung zu fördern.
Die 26 POKAList*innen wurden in einer Posterpräsentation anlässlich eines
Forschungsretreats des Graduiertenkollegs über die Ziele der Studie informiert
und um ihr Mitwirken gebeten. Im Rahmen des Purposive-Sampling-Verfahrens war
pro Forschungsbereich eine Projektleitung und mindestens ein*e Kollegiat*in zu
rekrutieren. Die Ansprache der Teilnehmenden erfolgte über eine personalisierte
E-Mail-Einladung, auf die zur Terminabstimmung innerhalb von zwei Wochen
geantwortet werden konnte. Ablehnungen resultierten aus Abwesenheit aufgrund von
Urlaub oder fehlender Motivation. 50% der Mitarbeitenden (zehn Kollegiat*innen
und drei Projektleitungen) konnten befragt werden. Zum Schutz der Anonymität der
Teilnehmenden wurde eine Pseudonym-ID generiert. Darüber hinaus wurde von allen
Beteiligten eine schriftliche Einwilligungserklärung eingeholt. Ein Votum der
Ethikkommission der Technischen Universität München (TUM) liegt vor
(2022-603-S-KH).
Interviews
Die Entscheidung für Interviews als qualitative Methode wurde getroffen, um
individuelle Perspektiven unabhängig von Gruppendynamiken erfassen zu können,
flexibler auf die Antworten der Teilnehmenden reagieren zu können und um eine
höhere Kosteneffizienz im Vergleich zu Fokusgruppen oder Workshops zu erreichen.
Auf Basis einer Literaturrecherche zu den theoretischen und empirischen
Beiträgen der IPF [23]
[25]
[27] wurde ein teilstrukturierter
Interviewleitfaden (Online-Appendix) für monozentrische,
semistrukturierte qualitative Interviews und die Struktur des Prototyps
(P0) einer Checkliste (Px) entwickelt. Methodische
Grundlage boten Kvale und Brinkmann [28]. Der Interviewleitfaden und der Prototyp der Checkliste
durchliefen vor Befragungsbeginn mehrere Qualitätschecks und Pretests. Durch CJS
und GPW erfolgte eine Überprüfung hinsichtlich Relevanz, Verständlichkeit,
Formatierung und Fehlerfreiheit mit Konsensfindung nach mehreren
Revisionsrunden. Drei unabhängige Personen aus dem Forschungsumfeld überprüften
daraufhin den Leitfaden in einem Pretest auf Durchführbarkeit. Die Checkliste
P0 wurde von drei Mitgliedern des Graduiertenkollegs geprüft und
bewertet und von AFD optimiert.
Die Befragung gliederte sich in drei Abschnitte: „I. Allgemein“ (Einstieg), „II.
IPF“ (Hauptteil) und „III. Sonstiges“ (Rückblick und Ausblick). Abschnitt I
enthielt zwei geschlossene Fragen zu Umsetzungserfahrungen und etwaigen
Hindernissen bei der IPF. Adaptiert an die sechs von Jilani et al. [23] dargestellten Prozessschritte
eines Forschungsprojekts (Forschungsthemen identifizieren und priorisieren,
Design und Forschungsantrag, Management und Durchführung, Datenauswertung,
Dissemination und Implementierung, Evaluation) sollten in Abschnitt II jeweils
anhand drei offener Fragen neue Möglichkeiten der Umsetzung und potenzielle
Barrieren erschlossen werden. Der Abschnitt III. umfasste drei weitere offene
Fragen zu etwaigen offen gebliebenen Punkten, Umsetzungsplänen für die Zukunft
und Aha-Erlebnissen.
Die Studienteilnehmenden wurden im Zeitraum vom 13.12.2022 bis zum 22.12.2022 für
je 30 Minuten von AFD befragt. Es wurden 9 Video-Interviews und vier
Präsenzinterviews durchgeführt und per Tonband aufgezeichnet. Anschließend
wurden die Aufnahmen Wort-für-Wort pseudonymisiert transkribiert. Die Auswertung
der Interviews erfolgte nach Mayring unter Verwendung von MAXQDA (Version:
22.4.1). Die Transkripte wurden sorgfältig gelesen und in kleinere
Analyseeinheiten aufgeteilt. Deduktive Hauptkategorien wurden in Abstimmung mit
CJS und GPW entwickelt und bildeten die Grundlage für induktiv entstehende
Subkategorien. Zitate aus den Transkripten wurden zum besseren Verständnis
paraphrasiert, in eine deduktive Kategorie einsortiert und einer passenden,
induktiv entwickelten Subkategorie zugeordnet. Waren die Parameter mehrerer
Kodierungen erfüllt, so war die Zuweisung zu mehreren Subkategorien möglich. Die
Zuweisung zu den Kategorien und Subkategorien wurde mit GPW diskutiert und
finalisiert. Außerdem wurden die Häufigkeiten der Kategorien im Datensatz
berechnet.
Entwicklung der Checkliste
Die Patientenvertreterin des Graduiertenkollegs POKAL war in die Erstellung der
Checkliste einbezogen. Sie brachte umfassende Kenntnisse der Bedürfnisse und
Herausforderungen von Menschen mit Depressionen ein, während die Erstautorin
ihre persönliche Erfahrung als ehemalige Patientin nutzte, um die Perspektive
weiter zu vertiefen. Der Prototyp P0 der Checkliste wurde auf Basis
der Literaturrecherche und der geschilderten Erfahrungen aus den Interviews zu
P1 weiterentwickelt, wobei die Schritteunterteilung nach Jilani
et al. [23] als Grundlage diente.
Die Checkliste P1 wurde von vier Mitgliedern der Task Force
Patient*innenperspektive des Graduiertenkollegs pilotiert. Aufgrund der
Rückmeldungen erfolgte eine Überarbeitung und nach mehreren Revisionsrunden im
Expertenkreis entstand die vorliegende Version P2 ([Tab. 1]).
Tab. 1 Checkliste zur Integration der
Patient*innenperspektive in Forschungsvorhaben.
Forschungsthema
|
Datum: Name des Forschenden:
|
|
1. Forschungsthemen
|
|
Ja
|
Dokumentation
|
Nein
|
Wieso nicht?
|
Anmerkungen
|
Feedback zu wissenschaftlichen Vorarbeiten erfragen ggf.
Betroffenenfragen in Wissenschaftsdesign aufnehmen
|
O
|
|
O
|
|
|
*Identifikation von Bedarf und Priorisierung von bestimmten
Forschungsthemen
|
O
|
|
O
|
|
|
*Definition Betroffenen-relevanter Zielgrößen
|
O
|
|
O
|
|
|
2. Design und Forschungsantrag
|
|
Ja
|
Dokumentation
|
Nein
|
Wieso nicht?
|
Anmerkungen
|
Einführung eines Vetorechts für die Perspektivenvertretung im
Ethikantrag
|
O
|
|
O
|
|
|
Patienten-relevante Outcomes aus bereits veröffentlichten
Studien zur Patient*innenperspektive heranziehen
|
O
|
|
O
|
|
|
In der Literaturanalyse Bezug nehmen auf Studien, die die
Patient*innenperspektive bereits einbezogen haben
|
O
|
|
O
|
|
|
*Ideengenerierung für Patient*innenbeteiligung in
verschiedenen Projektphasen oder Forschungsmethodik im
Studienverlauf
|
O
|
|
O
|
|
|
*Planung der konzeptionellen Umsetzung der
Perspektivenintegration mit Betroffenen-angemessenen
Methoden
|
O
|
|
O
|
|
|
*Erläuterung und Diskussion optionaler Studiendesigns (Vor-
und Nachteile, Machbarkeit, Bedeutung, Akzeptanz)
|
O
|
|
O
|
|
|
Materialgestaltung bzw. deren Optimierung
|
O
|
|
O
|
|
|
*Ausformulierung Betroffenen-relevanter Zielgrößen
(Hypothesen/Forschungsfragen/ Outcomeparameter)
|
O
|
|
O
|
|
|
3. Management und Durchführung
|
|
Ja
|
Dokumentation
|
Nein
|
Wieso nicht?
|
Anmerkungen
|
*Weisungsbefugnis an Patient*innenvertretung durch
formalisierte/vertragliche Rollenzuordnung erteilen
|
O
|
|
O
|
|
|
Patientengerechte Updates zur Studie verfassen
|
O
|
|
O
|
|
|
Unterstützung bei Inhalt-, Ziel- und Materialplanung bzw.
Optimierung von und für Proband*innen
|
O
|
|
O
|
|
|
Absprache bzw. Planung von Meilensteinen und deren
Überprüfung
|
O
|
|
O
|
|
|
4. Datenauswertung
|
|
Ja
|
Dokumentation
|
Nein
|
Wieso nicht?
|
Anmerkungen
|
Prozess- und Ergebnisevaluation von Zielen und Erfahrungen
aus der Patient*innenperspektive
|
O
|
|
O
|
|
|
Diskussion der Kategorienbildung in qualitativen
Interviews
|
O
|
|
O
|
|
|
* Interpretation, Gewichtung, Verknüpfung, und
Nutzenbewertung der Daten aus Betroffenenperspektive ggf.
auch Abgleich, ob diese mit denen der Forschenden
übereinstimmen
|
O
|
|
O
|
|
|
Hilfe, um aus dem Material Themen für zukünftige Studien zu
entwickeln
|
O
|
|
O
|
|
|
5. Dissemination und Implementierung
|
|
Ja
|
Dokumentation
|
Nein
|
Wieso nicht?
|
Anmerkungen
|
*Feedback zum Publikationsmanuskript
|
O
|
|
O
|
|
|
Planung von Implementierungsmöglichkeiten und wer wie von den
Ergebnissen erfahren soll
|
O
|
|
O
|
|
|
Ergebnisse allein oder mit Forschenden der Öffentlichkeit,
der Zielgruppe und auf Kongressen vorstellen
|
O
|
|
O
|
|
|
*Alltagsrelevanz und Glaubwürdigkeit der Ergebnisse durch
Betroffenen belegen lassen
|
O
|
|
O
|
|
|
Vernetzung/Rekrutierung von neuen Forschungspartner*innen;
Weitergabe von Information
|
O
|
|
O
|
|
|
6. Evaluation
|
|
Ja
|
Dokumentation
|
Nein
|
Wieso nicht?
|
Anmerkungen
|
Interessensabfrage zu kommenden Forschungsprojekten
|
O
|
|
O
|
|
|
Beurteilung der Patient*innenintegration im Gesamtprozess
|
O
|
|
O
|
|
|
*ggf. vorhergehende Schulung oder Übersetzung des Materials in
laienverständliche Sprache notwendig; potentielle Schulungsthemen:
Rollen, Verantwortlichkeiten und Einbindung; Forschungszyklus und
Implementierung von Beiträgen der Patient*innenperspektive, Moderation
und Leitung von Gruppendiskussionen, Kommunikation und
Ressourcenplanung, Terminologie und methodische Kompetenz; HINWEIS:
Materielle und personelle Formalien sollten zu Beginn des
Forschungsprojekts geklärt sein: u. a. Schulung, Umfang der Beteiligung,
Dauer und Häufigkeit von Treffen, Umgang mit Vulnerabilität, Vergütung,
Betreuung von Kindern, Reisekosten, Materialien, Kosten für
Dissemination, Dolmetscher*in
Ergebnisse
Die Studienpopulation wird in [Tab. 2]
beschrieben ([Tab. 2]). In [Tab. 3] werden die Häufigkeiten der
Kategorien und Subkategorien zur bisherigen Umsetzung, den angenommenen Barrieren
und den Möglichkeiten der Integration dargestellt. Die Gesamtanzahl bezieht sich auf
die Anzahl der Befragten, die sich zu den jeweiligen Kategorien geäußert haben. Etwa
2/3 der Befragten (69%) hatten bereits Patient*innen in ihre Forschungsarbeit
einbezogen. Die Befragten nannten darüber hinaus eine Vielzahl an weiteren
Möglichkeiten zur IPF ([Tab. 3]). Im
Block K'4 berichteten 46,2% (6 von 13) der Befragten über erfahrene
strukturelle Schwierigkeiten, wobei die Subkategorien S'11 bis S'13
jeweils zweimal und die Subkategorien S'14 bis S'16 jeweils einmal genannt
wurden. 69% der Forschenden nahm an, dass die IPF durch strukturelle Barrieren
behindert werden könnte (44% aller Subkategorien). Als mögliche Schwierigkeiten und
Barrieren für die Einbeziehung von Betroffenen wurden insbesondere genannt:
Tab. 2 Absolute und Relative Häufigkeit der
Studienpopulation.
Gruppe
|
Cluster
|
n
|
Absolute Häufigkeit
|
N
|
Relative Häufigkeit
|
n/N
|
%
|
%
|
p
|
Forschungsbereich (FB)
|
Diagnostik
|
1 (nD)
|
11,1%
|
3 (ND)
|
33,3%
|
33,3%
|
Behandlung
|
1 (nB)
|
11,1%
|
4 (NB)
|
44,4%
|
25,0%
|
Implementierung
|
1(nI)
|
11,1%
|
2 (NI)
|
22,2%
|
50,0%
|
∑
FB
|
3
|
33,3%
|
9
|
100,00%
|
33,3%
|
k
|
Forschungsbereich (FB)
|
Diagnostik
|
4 (nD)
|
23,5%
|
7 (ND)
|
41,2%
|
57,1%
|
Behandlung
|
4 (nB)
|
23,5%
|
7 (NB)
|
41,2%
|
57,1%
|
Implementierung
|
2 (nI)
|
11,8%
|
3 (NI)
|
17,7%
|
66,7%
|
∑
FB
|
10
|
58,8%
|
17
|
100,00%
|
58,8%
|
Geschlecht (G)
|
Männlich
|
4 (nM)
|
23,5%
|
6 (NM)
|
35,3%
|
66,7%
|
Weiblich
|
6 (nW)
|
35,3%
|
11 (NW)
|
64,7%
|
54,6%
|
|
∑
FB
|
10
|
58,8%
|
17
|
100,00%
|
58,8%
|
p+k
|
Forschungsbereich (G)
|
Diagnostik
|
5 (nD)
|
19,2%
|
10 (ND)
|
38,5%
|
50,0%
|
Behandlung
|
5 (nB)
|
19,2%
|
11 (NB)
|
42,3%
|
45,5%
|
Implementierung
|
3 (nI)
|
11,5%
|
5 (NI)
|
19,2%
|
60,0%
|
∑
FB
|
13
|
50,0%
|
26
|
100,0%
|
50,0%
|
P: Projektleitende; k: Kollegiat*innen; n: befragte Stichprobe; N:
Grundgesamtheit POKAL Mitarbeitende.
Tab. 3 Häufigkeiten der Kategorien und
Subkategorien.
Kategorie (K‘)
|
Subkategorie (S‘)
|
Sub-kategorisierte Segmente
|
Sub-kategorie Anzahl
|
% aller Sub-kategorien
|
Personen je Kategorie
|
% aller Personen
|
1 | Bisherige Umsetzung
|
|
|
|
|
1A1 | Bisherige Integration
|
|
|
|
|
K'1: Beratung zu Thema, Konzept und Priorisierung
|
S‘1: Informelle Beratung im Voraus
|
2
|
3
|
50,0%
|
5
|
38,5%
|
S‘2: Einbezug in die Studienkonzeption
|
2
|
S‘3: Festlegung von Priorisierungsschwerpunkten
|
1
|
K'2: Beratung zu Materialien
|
S‘4: Einarbeitung von Anmerkungen zu Studienmaterialien
|
3
|
3
|
50,0%
|
5
|
38,5%
|
S‘5: Literaturanalyse zu vorhandenen Daten
|
1
|
S‘6: Prüfung der Patient*innenperspektive in Pilotstudie
|
1
|
Bisherige Integration insgesamt:
|
6
|
|
13
|
|
1A2 | Erfahrene Integrationsschwierigkeiten
|
|
|
|
|
K'3: Kurzfristig veränderbare Schwierigkeit:
Schulung in Kommunikation und Prozessen
|
S‘7: Divergierende Zielvorstellungen
|
4
|
4
|
40,0%
|
4
|
30,8%
|
S‘8: Missverständnisse
|
3
|
S‘9: Fehlender wissenschaftlicher Hintergrund
|
1
|
S’10: Zu späte Integration
|
1
|
K'4: Langfristig veränderbare Schwierigkeit:
%Strukturanpassung
|
S’11: Erhöhter Arbeitsaufwand
|
2
|
6
|
60,0%
|
6
|
46,2%
|
S’12: Strikte Vorgaben
|
2
|
S’13: Fehlender Leitfaden/ Prozess
|
2
|
S’14: Mangelnde Datenlage in der Literatur
|
1
|
S’15: Fehlender Pool geschulter Betroffenenvertreter*innen
|
1
|
S’16: Unterschiedliche Motivationen
|
1
|
Erfahrene Integrationsschwierigkeiten insgesamt:
|
10
|
|
13
|
|
1B | Bisherige Hinderungsgründe
|
|
|
|
|
K'5: Hinderungsfaktor: Strukturunklarheit
|
S’17: Unwissenheit/ Unklarheit /Überforderung
|
4
|
1
|
100,0%
|
4
|
30,8%
|
|
Bisherige Hinderungsgründe insgesamt:
|
1
|
|
13
|
|
2 | Angenommene Barrieren
|
|
|
|
|
K'6: Struktur (Organisationsmanagement):
Leitfaden/Prozess, Budgetierung,
Weisungsbefugnis, Interessenskonflikte, Personalressource,
Befugnisse und Aufgaben
|
S’18: Arbeitsaufwand
|
36
|
7
|
43,8%
|
9
|
69,2%
|
S’19: Finanzielle Vergütung
|
12
|
S’20: Rollenzuordnung /-aufgaben /-übernahme /-definition
|
9
|
S’21: Unklarheit in den Vorgaben
|
8
|
S’22: Budgetierung
|
7
|
S’23: Gefährdung der Forschungsidee
|
1
|
S’24: Interessenskonflikte in der Agenda
|
1
|
K'7: Schulungsbedarf (Integrationskompetenz):
Rekrutierung und Zusammenarbeit, Moderation und
Umgang, Selbstschutz, Repräsentativität,
Methodenkenntnis
|
S’25: Wissenschaftlicher Hintergrund/ Methodenkenntnis
|
34
|
9
|
56,3%
|
13
|
100,0%
|
S‘26: Interesse/ Motivation /Geduld /Ausdauer
|
24
|
S’27: Zugang zu repräsentativen Stichproben
|
10
|
S’28: Verständnisgenerierung (Vor- und Rückwärtsübersetzung)
|
9
|
S’29: Divergierende Zielvorstellungen
|
8
|
S’30: Geeigneter Umgang mit Betroffenen
|
7
|
S’31: Belastende Arbeit
|
7
|
S’32: Zusammenarbeit mit Betroffenen
|
5
|
S’33: Einseitige Perspektive vermeiden
|
3
|
Angenommene Barrieren insgesamt:
|
16
|
|
13
|
|
3 | Möglichkeiten der Integration
|
|
|
|
|
K'8: Priorisierung von Bedarf und Fokus
|
S’34: Befragung zu Bedarf und Fokus
|
16
|
2
|
8,3%
|
12
|
92,3%
|
S’35: Diskussion zur Literaturarbeit
|
2
|
K'9: Zielgrößendefinition
|
S’36: Definition Betroffenen-relevanter Zielgrößen
|
3
|
1
|
4,2%
|
3
|
23,1%
|
K'10: Definitionen und Inhalte festlegen
|
S’37: Ausformulierung Betroffenen-relevanter Zielgrößen
|
7
|
2
|
8,3%
|
8
|
61,5%
|
S’38: Materialgestaltung /-optimierung /-inhalt
|
4
|
K'11: Konzeptplan gemeinsam erstellen
|
S’39: Forschungsplan für Forschungsantrag erstellen
|
7
|
4
|
16,7%
|
12
|
92,3%
|
S’40: Ideengenerierung für verschiedene Projektphasen
|
7
|
S’41: Nutzerorientierter Forschungsplan mit Supervision
|
4
|
S’42: Erläuterung und Diskussion optionaler Studiendesigns
|
4
|
|
Möglichkeiten der Integration der Patient*innenperspektive
insgesamt:
|
26
|
|
13
|
|
K'12: Literaturarbeit zu Methodik und Zielvariablen
|
S’43: Einführung eines Vetorechts
|
5
|
3
|
12,5%
|
6
|
46,2%
|
S’44: Bezug auf Interventionen mit Patient*innenperspektive
|
2
|
S’45: Evidenzsynthese aus Parametern mit
Patient*innenperspektive
|
2
|
K'13: Materialinhalte
|
S’46: Studienmaterialart/ -inhalte mitplanen und optimieren
|
8
|
2
|
8,3%
|
8
|
61,5%
|
S’47: Absprechen von Meilensteinen
|
4
|
K'14: Weisungsbefugnis
|
S’48: Rollenzuordnung /-aufgaben /-übernahme /-definition
|
7
|
1
|
4,2%
|
5
|
38,5%
|
K'15: Prüfung und Interpretation
|
S’49: Interpretation, Gewichtung, Verknüpfung &
Nutzenbeurteilung
|
23
|
2
|
8,3%
|
13
|
100,0%
|
S’50: Absegnung der Kategorisierung qualitativer Interviews
|
1
|
K'16: Zwischenevaluation
|
S‘51: Prozess- und Ergebnisevaluation der Ziele der Integration
der Patient*innenperspektive
|
3
|
1
|
4,2%
|
2
|
15,4%
|
K'17: Dissemination
|
S’52: Implementierungsmöglichkeiten planen
|
11
|
2
|
8,3%
|
10
|
76,9%
|
S’53: Feedback zum Publikationsmanuskript
|
1
|
K'18: Implementierung
|
S’54: Gesundheitsjournalismus
|
9
|
2
|
8,3%
|
6
|
46,2%
|
S’55: Vernetzung
|
3
|
K'19: Endevaluation
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S’56: Beurteilung der Umsetzung im Gesamtprozess
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15
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1
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4,2%
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12
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92,3%
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K'20: Weitere Projekte?
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S’57: Interessensabfrage für kommende Forschungsprojekte
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1
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1
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4,2%
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1
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7,7%
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Möglichkeiten der Integration der Patient*innenperspektive
insgesamt:
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26
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13
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Fehlende Vorgaben und Strukturen für die Einbeziehung von Betroffenen (K‘6:
S’21)
-
Schwierigkeiten bei der Rekrutierung von forschungsinteressierten Betroffenen
und Herstellung von Repräsentativität (K‘7: S’27)
-
Unsicherheit bezüglich adäquatem Umgang mit Betroffenen im Forschungskontext
(mögliche Belastungen; unklare Rollenzuteilung) (K‘6:S’20; K‘7: S’25, S’30
bis S’32)
-
Erhöhter Arbeitsaufwand für Forschende (K‘6: S’18 und S‘24)
-
Fehlender wissenschaftlicher Hintergrund von Betroffenen
(Verständnisprobleme, divergierende Zielvorstellungen) (K‘7: S’28 und
S’29)
-
Ungeklärte Vergütung von Betroffenen (K‘6: S’19 und S’22).
Auch wurde Unklarheit in der Umsetzung der IPF in reinen Literaturarbeiten (z. B.
Scoping Reviews) beschrieben. Während die Barrieren mit den Subkategorien S’18-S’24
durch geeignetes Organisationsmanagement (K‘6) behoben werden können, scheinen die
Subkategorien S’25 bis S‘33 durch geeignete Schulungen der Forschenden auflösbar,
weswegen sie der Kategorie K‘7 zugeordnet wurden. Ankerbeispiele aus den Interviews
sind im Online-Appendix ([Tab.
1]) zu finden.
Die Ergebnisse der Interviews flossen in die Checkliste ein ([Tab. 1]). Sie umfasst in einer Seite
verschiedene Abschnitte, die den gesamten Forschungsprozess abdecken, von der
Auswahl der Forschungsthemen, über die Erstellung des Forschungsantrag, die
Durchführung der Studie, die Datenauswertung, die Dissemination, bis hin zur
Evaluation der Patient*innenpartizipation. Jeder Abschnitt bietet konkrete Aufgaben
und Überlegungen zur erfolgreichen Einbindung der Patient*innen und ermöglicht die
Dokumentation der Umsetzung sowie das Hinzufügen von Anmerkungen, wo
erforderlich.
Diskussion
Ziel der Studie war es, bestehendes Wissen und Erfahrungen zur Integration der
Patient*innenperspektive in Forschungsvorhaben zu eruieren und für die Entwicklung
einer praxisorientierten Checkliste zu nutzen. Als ein Hauptergebnis zeigte sich,
dass 2/3 der Forschenden des Graduiertenkollegs angaben, bereits verschiedene
Strategien zur IPF umgesetzt zu haben. Dennoch behinderten Strukturunklarheiten
sowie fehlende Vorgaben die Umsetzung. Auch andere Forschungsarbeiten erklärten,
worauf in der Zusammenarbeit mit Betroffenen geachtet werden sollte [20]
[22]
[29]
[30]
[31]
[32]
[33]
[34]
[35]. Schilling et al. führen bspw.
ebenfalls aus, dass strukturelle Veränderungen die Umsetzung der Beteiligung
erleichtern könnten. Auch die begrenzte wissenschaftliche Ausbildung von Betroffenen
bzw. Expert*innen aus Erfahrung schien eine erhebliche Hürde für die Einbeziehung
darzustellen. Die Rekrutierung einer repräsentativen Gruppe von
forschungsinteressierten Betroffenen, der Umgang von Forschenden mit Betroffenen im
Forschungskontext und die Kommunikation zwischen wissenschaftlicher Fachsprache und
Laienverständnis seien Herausforderungen, die auch andere Wissenschaftler*innen
[7]
[27]
[29] berichteten. Darüber hinaus wurde
die Bedeutung finanzieller Vergütung der Betroffenen betont. Den Befragten nach
könnte eine finanzielle Anerkennung die Motivation steigern und somit die aktive
Beteiligung am Forschungsprozess fördern. Die Interviewten stimmten mit anderen
Forschenden überein, dass die Finanzierung der Patient*innenpartizipation
routinemäßig erfolgen bzw. in den Forschungsantrag aufgenommen werden sollte [29]
[36]
[37].
Die Ergebnisse bekräftigen die Komplexität und Bedeutung der IPF. Die Integration der
Patient*innenperspektive eröffne Möglichkeiten für vielfältigere und relevantere
Forschungsergebnisse und könne so zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung
beitragen. Eine umfassende Integration erfordere jedoch eine klare Struktur und
Rollenzuweisung, die Beachtung finanzieller Anreize, sowie gezielte Schulungen zu
Grundlagen der Forschung und zur Kommunikation auf Augenhöhe zwischen den
Beteiligten.
Die entwickelte Checkliste bietet eine standardisierte und strukturierte Möglichkeit
zur Integration der Patient*innenperspektive auf verschiedenen Beteiligungsebenen.
Im Vergleich dazu dient die bereits vorhandene, konsensusgestützte „Guidance for
Reporting Involvement of Patients and the Public“ (GRIPP2)-Checkliste [11] hauptsächlich der systematischen
Berichterstattung. Im Vergleich zum umfangreichen Leitfaden von Jilani et al. [23] bietet diese Checkliste auf der
Grundlage qualitativer Forschung eine kompakte und praxisorientierte Umsetzungsform,
die alle relevanten Informationen und Beispiele auf einer Seite zusammenfasst. Die
„Entscheidungshilfe Patientenpartizipation“ [24], die sich aktuell in Entwicklung befindet, bietet zwar auch eine
detaillierte Orientierung für Forschende, aber keine Möglichkeit, eigene Aktivitäten
einzuordnen und zu dokumentieren.
Die Checkliste richtet sich primär an Forschende im Bereich Depression, ist jedoch
aufgrund ihrer generalistischen Ausrichtung potenziell auch auf andere
Forschungsthemen im Gesundheitswesen anwendbar. Weitere Forschung ist notwendig, um
die Anwendbarkeit und Wirksamkeit der Checkliste in verschiedenen Kontexten zu
eruieren und entsprechende Adaptionen zu überprüfen.
Limitationen
Der qualitative Forschungsansatz ermöglicht eine tiefgreifende Exploration eines
Forschungsthemas, enthält jedoch auch ein subjektives Element, das eine
vorsichtige Interpretation erfordert. Die Rolle der Forschenden wurde daher
regelmäßig kritisch hinterfragt und mögliche Voreingenommenheiten reflektiert,
um potenzielle Einflüsse zu erkennen und die Objektivität der Forschung zu
gewährleisten.
Die Verallgemeinerbarkeit der Ergebnisse könnte durch die Konzentration auf das
Graduiertenkolleg und die kleine Stichprobe eingeschränkt sein. Ein
Selektionsbias kann nicht ausgeschlossen werden. Die Stärken des qualitativen
Ansatzes unterstreichen jedoch die Glaubwürdigkeit dieser Arbeit. Beispielsweise
ermöglicht das qualitative Forschungsdesign mit halbstrukturiertem
Interviewleitfaden methodische Präzision und bietet gleichzeitig tiefgreifende
Einblicke in die Beweggründe hinter Handlungen. Der Einsatz der Inhaltsanalyse
nach Mayring gewährleistet eine systematische Dateninterpretation und erhöht die
Zuverlässigkeit der Daten. Die interne Validität wird durch den vorvalidierten
Interviewleitfaden und die Pseudonymisierung der Transkripte gestärkt.
Gleichzeitig unterstreicht die Pilotierung durch die Task Force
Patient*innenperspektive die praktische Anwendbarkeit der Checkliste und stärkt
damit auch die externe Validität der Ergebnisse.
Fazit und Ausblick
Während der Bedarf an Patient*innenbeteiligung bekannt ist, fehlt es noch an
konkreten Umsetzungshilfen. Die Entwicklung solcher Instrumente kann Forschenden
Orientierung bei der Umsetzung der Patient*innenperspektive in Forschungsprojekten
bieten. Die Anwendung verschiedener Methoden ist möglich und kann prozess- oder auch
ergebnisorientiert stattfinden. Im Graduiertenkolleg POKAL soll die entwickelte
Checkliste regelmäßig zum Einsatz kommen. Außerdem wurde die kontinuierliche
Überprüfung und Anpassung der Checkliste basierend auf dem Feedback von
Patient*innen und Forschenden eingeleitet, um ihre Relevanz und Wirksamkeit
sicherzustellen. Weiterer Forschungsbedarf besteht zu den Inhalten von Schulungen
für Forschende und Betroffene [38] und
zur optimalen Gewinnung von (ehemaligen) Patient*innen für eine
Forschungsbeteiligung.
Erklärung
Alle Autor*innen tragen Verantwortung für den gesamten Inhalt dieses Artikels und
haben der Einreichung des Manuskripts zugestimmt. FG, LP, CT, CJS, AS, JG und GPW
sind Promovierende oder Projektleitende im Graduiertenkolleg POKAL, gefördert durch
die DFG. Die POKAL-Studiengruppe (PrädiktOren und Klinische Ergebnisse bei
depressiven ErkrAnkungen in der hausärztLichen Versorgung (POKAL, DFG-GRK 2621))
besteht aus folgenden Projektleitenden: Tobias Dreischulte, Peter Falkai, Jochen
Gensichen, Peter Henningsen, Caroline Jung-Sievers, Helmut Krcmar, Karoline
Lukaschek, Gabriele Pitschel-Walz und Antonius Schneider. Folgende Promovierende
sind aktuell ebenfalls Mitglieder der POKAL-Studiengruppe: Jochen Vukas, Puya
Younesi, Clara Teusen, Feyza Gökce, Victoria von Schrottenberg, Petra Schönweger,
Hannah Schillock, Jonas Raub, Philipp Reindl-Spanner, Lisa Pfeiffer, Lukas Kaupe,
Carolin Haas, Julia Eder, Vita Brisnik, Katharina Biersack, Marie Emilia Vogel und
Christopher Ebert. Karolina De Valerio ist die Patient*innenvertreterin des
Graduiertenkollegs POKAL.
Förderung
Die Autoren erklären, dass die Forschung in Abwesenheit jeglicher kommerzieller oder
finanzieller Beziehungen durchgeführt wurde, die als potenzieller Interessenkonflikt
ausgelegt werden könnten.