Schlüsselwörter
Ernährung - Gesundheit - Lebensmittel - Ernährungsempfehlung - Umwelt
Keywords
nutrition - health - food - dietary recommendation - environment
Ziel, Methodik und Zielgruppe der neuen Empfehlungen
Ziel, Methodik und Zielgruppe der neuen Empfehlungen
Die bisherigen lebensmittelbezogenen Empfehlungen für gesunde Erwachsene wurden von
der DGE aktuell überarbeitet mit dem Ziel, neben einer bedarfsdeckenden
Nährstoffversorgung (die bislang im Mittelpunkt stand) auch die Risikoreduzierung
für „chronische ernährungsmitbedingte Erkrankungen“ sowie die „Umweltauswirkungen
der derzeitigen Ernährungssysteme“ zu berücksichtigen. Zur Umsetzung wurde von der
DGE-Arbeitsgruppe Lebensmittelbezogene Ernährungsempfehlungen ein mathematisches
Optimierungsmodell ausgewählt, das folgende Ziele simultan erreichen sollte [1]:
-
Abweichungen vom üblichen Verzehr minimieren (mit einer Gewichtung von
40%)
-
die Umweltlast minimieren/reduzieren (mit einer Gewichtung von 30%)
-
die Krankheitslast minimieren/reduzieren (mit einer Gewichtung von 30%)
Die Optimierungsergebnisse („optimierter Verzehr“) wurden zur Grundlage der neuen
lebensmittelbezogenen Ernährungsempfehlungen (FBDG=Food Based Dietary Guidelines)
für gesunde, sich omnivor ernährende Erwachsene (18–65 Jahre) mit einem
Energiebedarf von ca. 2.000 kcal/Tag. Für andere Zielgruppen sind später FBDG
geplant. In das mathematische Optimierungsmodell flossen ein [1]:
-
der in Deutschland von 2005 bis 2007 beobachtete Verzehr anhand der
Nationalen Verzehrstudie II (NVS II) von ca. 20.000 Erwachsenen
(modifizierte Diet-History-Fragebögen, Verzehr der letzten vier Wochen)
[2].
-
Die Aufteilung der Lebensmittel in 18 Gruppen anhand des
Bundeslebensmittelschlüssels (BLS, Version 3.02).
-
Korrelationen zwischen dem Verzehr bestimmter Lebensmittel und chronischen,
ernährungsmitbedingten Erkrankungen, gemäß den DALYs (Disability Adjusted
Life Years) der Global Burden of Disease Studie (GBD) 2017 [3] und einer Meta-Analyse [4].
-
die Umwelteinflüsse „Treibhausgasemissionen“ und „Landnutzung“ anhand
europäischer Ökobilanzdaten [5].
-
agronomische Abhängigkeiten in Form sogenannter „Koppelprodukte“: So führt
der Konsum von Milch über die Haltung von Kühen zu gewissen Mengen an
Rindfleisch, die Verarbeitung der Milch auch zu Butter und der Verzehr von
Fleisch zu Teilstücken, die zu Wurst verarbeitet dabei helfen, den gesamten
Tierkörper zu verwerten.
-
eine Deckelung der Verzehrmengen zur Vermeidung unrealistisch großer
Portionen.
-
die Erfüllung zuvor von der DGE festgelegter Nährstoffziele ([Tab. 1]), die interessanterweise für
Kohlenhydrate keinerlei Vorgaben enthalten.
Tab. 1 Neue Energie- und Nährstoffziele für das optimierte
Verzehrmuster.
Nährstoff
|
Untergrenze
|
Obergrenze
|
Nährstoff
|
Untergrenze
|
Obergrenze
|
Fett (En%)
|
–
|
40
|
Kohlenhydrate (En%)
|
–
|
–
|
GFS (En%)
|
–
|
10
|
freie Zucker (En%)
|
–
|
10
|
EUFS (En%)
|
10
|
–
|
Ballaststoffe (g/d)
|
30
|
–
|
MUFS (En%)
|
7
|
10
|
Vitamin A (RAE μg/d)
|
776
|
–
|
Linolsäure (En%)
|
2,5
|
–
|
Vitamin D (μg/d)
|
–1
|
100
|
α-Linolensäure (En%)
|
0,5
|
–
|
Kalzium (mg/d)
|
1000
|
2500
|
EPA & DHA (mg/d)
|
250
|
–
|
Eisen (mg/d)
|
152
|
–
|
Cholesterin (mg/d)
|
–
|
300
|
Jod (μg/d)
|
–1
|
600
|
Protein (g/d)
|
52
|
–
|
Wasser (ml/d)
|
2156
|
–
|
1 Ausschluss wg. ungenügender Daten; 2 Wert für Frauen
anstelle des Durchschnittswertes; GFS: gesättigte Fettsäuren, EUFS: einfach
ungesättigte Fettsäuren, MUFS: mehrfach ungesättigte Fettsäuren, EPA:
Eicosapentaensäure, DHA: Docosahexaensäure, RAE: Retinoläquivalente; Quelle:
Auszüge, modifiziert nach [6].
Die neuen FBDG der DGE
Von den 10 Modellvarianten der Computeroptimierung wurde die Variante 3 für die neuen
FBDG zugrunde gelegt [6]: Sie „erlaubt“ einen
Fleisch- und Wurstkonsum von bis zu 300 g pro Woche, der Untergrenze der vorherigen
DGE-Empfehlung [7] ([Tab. 2]). Die Nähe zum bisherigen Verzehr laut
NVS II erhielt mit 40% die stärkste Gewichtung. Umweltaspekte und die Sicherung der
Nährstoffziele ([Tab. 1]) gingen mit jeweils
30% Gewichtung in die Optimierung ein [1].
Tab. 2 Neue FBDG und vorherige Empfehlungen der DGE, zum
Vergleich in g/Tag umgerechnet.
|
FBDG 2024 [1] (bezogen auf
2.029 kcal/Tag)
|
vorherige DGE-Empfehlungen [7] (bezogen auf 1.600–2.400 kcal/Tag)
|
Lebensmittelgruppe
|
Portion in g
|
Menge und Zeitbezug
|
errechnete tägliche Menge
|
errechnete tägliche Menge
|
Menge und Zeitbezug
|
Getreide, Brot, Nudeln1 davon mindestens 1/3 Vollkorn
|
60
|
5 Portionen/Tag
|
300 g
|
200–300 g Getreide(produkte)
und
150–250 g
gegarte Nudeln, gegarter
Reis
oder
150–250 g Kartoffeln
|
täglich
|
Kartoffeln
|
250
|
1 Portion/Woche
|
36 g
|
Obst
|
110
|
5 Portionen/Tag ohne Differenzierung
|
550 g
|
225 g und mehr
|
2 Portionen Obst und 3 Portionen Gemüse täglich
|
Gemüse
|
400 g und mehr
|
Säfte
|
200
|
2 Glas/Woche
|
57 g
|
|
|
Hülsenfrüchte
|
125
|
1 Portion (frisch2)/Woche
|
18 g
|
bei Gemüse inkludiert
|
|
Nüsse und Samen
|
25
|
1 Portion/Tag
|
25 g
|
25 g
|
täglich
|
Pflanzliche Öle
|
10
|
1 Esslöffel/Tag
|
10 g
|
10–15 g hochwertiges Öl
|
täglich
|
Butter und Margarine
|
10
|
1 Esslöffel/Tag
|
10 g
|
15–30 g
|
täglich
|
Milch und
|
2503
|
2 Portionen/Tag
|
500 g
|
200–250 g Milch/Joghurt
|
3 Portionen/Tag
|
Milchprodukte
|
50–60 g Käse
|
Eier
|
60
|
1 Stück/Woche
|
8 g
|
unter 25 g
|
bis zu 3 Stück/Woche
|
Fisch
|
120
|
2 Portionen/Woche
|
30 g
|
21–31 g
|
80–150 g fettarmer und 70 g fettreicher Seefisch/Woche
|
Fleisch (Geflügel, Schwein, Rind)
|
120
|
2 Portionen/Woche
|
34 g
|
43–80 g Fleisch und Wurst
|
|
& Wurst
|
30
|
2 Scheiben/Woche
|
8 g
|
Getränke
|
|
|
|
1.500 ml
|
mindestens 1,5 l täglich
|
1 eine Scheibe Brot/eine Portion Getreideflocken=60 g, eine
Portion Nudeln/Reis (ungekocht)=120 g, 2. Zur Umrechnung von
getrockneten Hülsenfrüchten in Frischgewicht gilt der Faktor 1,8,
3 250 g pro Portion=Milch als Getränk. Die Umrechnung in
Milchäquivalente erfolgte der NSV II entsprechend: eine Portion
Milchprodukte=eine Scheibe Käse (30 g) oder eine Portion Joghurt (150 g);
Quellen: modifiziert und berechnet für FBDG [1] und vorherige Empfehlungen [7].
Fachliche Kritik an den neuen FBDG
Fachliche Kritik an den neuen FBDG
Die Schlagzeilen zu den neuen FBDG der DGE bezogen sich zumeist darauf, dass nur noch
1 Ei wöchentlich „erlaubt“ sei. Die Validität der Methodik (mathematische
Optimierung) und die hohe Gewichtung der Aspekte Umwelt und üblicher Verzehr
erfuhren dagegen kaum kritische Aufmerksamkeit. Wir bezweifeln jedoch, dass es
möglich ist, per Computeroptimierung sinnvolle Ernährungsempfehlungen für alle
Menschen eines Landes zu formulieren, unabhängig von Geschlecht, Alter und
körperlicher Tätigkeit, zumal ein Computerprogramm nicht klüger sein kann als
derjenige, der es programmiert hat. Solche Programme bergen das Risiko von
undurchsichtig bzw. nicht evidenzbasiert herbeigeführten Ergebnissen.
Die wichtigsten Kritikpunkte:
-
Wir stellen die Höherbewertung „üblicher Verzehrmengen“ sowie die
Gleichbewertung von Umwelt mit Gesundheit (Nährstoffziele erreichen und
DALY-Verluste reduzieren/minimieren) grundsätzlich infrage, denn wir sehen
dafür keine wissenschaftliche Evidenz.
-
Die der Optimierung zugrunde liegenden Ökobilanzdaten sind noch lückenhaft,
was die DGE selbst konstatiert: z. B. ist der Frischwasserverbrauch nicht
berücksichtigt [1], steigt aber mit
dem Anteil an pflanzlicher Nahrung stark an, ganz besonders bei Pflanzen aus
dem Ausland oder aus hiesigen bewässerten Kulturen. So führt die von der DGE
gewünschte Steigerung des derzeitigen Anteils von 68% auf 75% nicht
automatisch zu positiverer Ökobilanz der Ernährung [8].
-
Die Aspekte Qualität bzw. Nachhaltigkeit der Lebensmittel sind gar nicht
bewertet: z. B. Wildfleisch aus heimischer (lokaler) Jagd versus
Schweinefleisch aus Masthaltung mit Sojaschrot aus Brasilien, eine Forelle
aus heimischer Fischzucht versus importiertem Viktoriabarsch,
Weidetierhaltung auf anderweitig nicht nutzbarer Landfläche, also dort die
einzige Möglichkeit zur nachhaltigen Nahrungsproduktion [9]. Auch fehlen Regionalität und
Saisonalität in der Beurteilung „Obst und Gemüse“ mit deren sonst durch
Kühlhauslagerung verschlechterten Ökobilanz.
-
Die hohe Empfehlung von 300 g Getreideprodukten bei nur 2.029 kcal täglicher
Energieaufnahme führt zusammen mit den empfohlenen Obst- und Saftmengen zu
einem Anteil der Kohlenhydrate an der Energiezufuhr von rund 57%, bei
Hinzurechnung der empfohlenen Kartoffeln und Hülsenfrüchte auf über 60
Energie%. Damit liegt die DGE – ohne nachvollziehbaren
ernährungsphysiologischen Grund – hinsichtlich der Kohlenhydratmenge
deutlich über den Vorgaben der Planetary Health Diet (PHD) der EAT-Lancet
Kommission für 2.500 kcal/Tag ([Tab.
3]) [10]. Dies ist
besorgniserregend, immerhin sind Übergewicht/Adipositas und Insulinresistenz
in Deutschland weit verbreitet [11].
Hohe Kohlenhydratzufuhren sind, im Gegensatz zu Fetten, mit einer
gesteigerten Gesamtmortalität assoziiert [12] und global hohe glykämische Indizes mit einer erhöhten
kardiovaskulären Mortalität und mit mehr Herz-Kreislauf-Ereignissen [13]. Angesichts der
Gesundheitssituation in Deutschland und ohne Berücksichtigung der
Lebensmittelqualität (v. a. Grad der Verarbeitung, glykämischer Index,
glykämische Last) erscheinen insbesondere die Getreideempfehlungen nicht
zielführend, sondern für viele Bürger kontraproduktiv.
-
Für das Ziel, chronische ernährungsmitbedingte Erkrankungen zu minimieren,
nutzt die DGE die DALYs der GBD Study 2017 [3]. Genau darin sind als ernährungsbedingte Hauptrisiken ein
hoher BMi und hohe Nüchtern-Blutzuckerwerte genannt mit signifikantem
Zuwachs von 2010–2019. Gegen diese Gesundheitsrisiken haben sich
kohlenhydratreduzierte Kostformen als präventiv und therapeutisch effektiv
erwiesen, z. T. sogar ohne begleitende Gewichtsreduktion [17]
[18]. Bei Typ-2-Diabetikern wurden dosislineare Vorteile der
Kohlenhydratreduktion auf HbA1c, Lipide und Gewicht aufgezeigt [19].
Daher sind Low-Carb- und
ketogene Kostformen nun in den Leitlinien der einschlägigen
Fachgesellschaften integriert [20]
[21]. In Deutschland
leben etwa 10 Millionen Typ-2-Diabetiker und weitere 20 Millionen
Prädiabetiker. Etwa jeder 4. Erwachsene hat eine nichtalkoholische
Fettlebererkrankung (NAFLD/MASLD), die wegen der begleitenden
Insulinresistenz gut auf Kohlenhydratreduktion anspricht [22]. Das vorgegebene Ziel der DGE, die
Krankheitslast zu reduzieren, lässt sich mit den nun noch höheren
Kohlenhydratzufuhren nicht erreichen. Unseres Wissens gibt es hierfür nicht
nur keine belastbare Evidenz – sie müssen sogar als kontraproduktiv
angesehen werden. Die gesundheitliche Ausgangssituation in Deutschland
erfordert, dass der Gesundheitsaspekt Vorrang vor Umweltaspekten hat und
dass von der Priorisierung stärkereicher Lebensmittel abgesehen wird.
-
Die Empfehlungen zum reduzierten Fleischverzehr basieren größtenteils auf
einer Meta-Analyse [4] und der
GBD-Studie [3]. Die Fachpresse
kritisierte letztere wegen Änderungen an methodischen Vorgaben ohne
Transparenz und Evidenz, woraus eine Menge von 0 g rotem, unverarbeitetem
Fleisch als risikoärmster Konsum resultierte. Der hohe Nährwert dieser
Lebensmittel wird komplett ignoriert. Dies kritisierte auch der World Cancer
Research Fund an der GBD-Studie und empfiehlt keinen Verzicht auf rotes
Fleisch [23].
-
Die erneut reduzierte Empfehlung zum Eierverzehr (max. 1 Ei/Woche) ist laut
DGE eine für Nährstoffzufuhr und Gesundheit „ausreichende“ Menge, die
zugleich die Umwelt „nicht stärker als nötig“ belaste [1]. Das irritiert, da die Produktion
von Eiern bei ökologischer Hühnerhaltung unter allen tierischen
Proteinquellen die niedrigste Treibhausgasemission bei wenig Landnutzung
verursacht [24]. Eier sind sehr
nährstoffdicht bei geringer Energiedichte, liefern Proteine höchster
biologischer Wertigkeit und sättigen hervorragend. Frühstückseier anstelle
von Backwaren führen zu metabolischen Vorteilen (z. B. geringere Glykämie)
und besserer Sättigung [25]. Man muss
auch fragen, wo hier die mit 40% priorisierte Minimierung in der Abweichung
vom üblichen Verzehr bleibt ([Tab.
3], ca. 4–5 Eier à 60 g pro Woche).
-
Schon die globalen Vorgaben der PHD sind von Ernährungsfachkräften wegen
unzureichender Nährstoffversorgung kritisiert worden. Die DGE unterschreitet
mit ihren „optimierten“ Empfehlungen deren Protein- und Fettvorgaben sogar
noch und überschreitet deren Kohlenhydratvorgaben ([Tab. 3]). Auch kamen mehrere aktuelle
Publikationen und eine Meta-Analyse zu dem Ergebnis, dass
„Umweltschutz-Diäten“ ernste Folgen für die Versorgung mit den
Mikronährstoffen Zink, Kalzium, Jod und den Vitaminen B12, A und D haben
können [26]. Die meisten der
meta-analysierten Studien berücksichtigen jedoch nicht die unterschiedlichen
Bioverfügbarkeiten aus pflanzlichen und tierischen Mikronährstoff-Quellen,
sodass rein rechnerisch ermittelte ausreichende Protein- oder Eisenzufuhren
bei pflanzlichen Quellen zu Engpässen führen können [26]. Als Fachgesellschaft für die
Ernährung der deutschen Bevölkerung ist die DGE unserer Einschätzung nach in
erster Linie für die Gesunderhaltung bei (erschwinglicher) Sicherung der
Nährstoffversorgung und angemessener Energiezufuhr zuständig.
-
Die Nähe zum bisherigen Verzehr auf der Basis der recht alten Daten der NVSII
von 2007 erhielt mit 40% die stärkste Gewichtung in der Optimierung für die
FBDG [1]
[2]. In der Tendenz zeigen sie und der
geschätzte aktuelle Pro-Kopf-Konsum ([Tab.
3]), dass mit Ausnahme von Fisch deutlich höhere Mengen an
Eiweißträgern sowie Fetten und pflanzlichen Ölen verzehrt wurden und werden.
Inwiefern erfüllt dies das Ziel der Nähe zum bisherigen Verzehr?
-
Die neuen FBDG empfehlen, nur 2×10 g Fette/Öle täglich zu nutzen, also eine
fettarme Ernährungsweise, die in den vergangenen Jahrzehnten weltweit zu
mehr Kohlenhydratkonsum und Gewichtszunahmen geführt hat [12]
[27] ([Abb. 1]). Für diese
Reduktion der Fettmengen gibt es daher keine gesundheitliche und
ernährungsphysiologische Evidenz. So fand eine der größten
Interventionsstudien, die WHI-Studie, bei Frauen unter fettarmer Kost keine
Reduktion kardiovaskulärer Risiken [28]. Zudem unterschreitet die neue Fettempfehlung der DGE auch
die Vorgaben der PHD und erst recht den Verzehr der Bundesbürger ([Tab. 3]). Warum will die DGE, dass,
entgegen der Evidenz, in der täglichen Ernährung weitgehend auf sättigende
Fette und Proteine verzichtet wird?
Abb. 1 Folgen fettarmer Kost USA 1971–2001
Anteil der Fette und Kohlenhydrate an der Energiezufuhr (in %) und Anteil Übergewichtiger in der Bevölkerung (in %). Daten aus: A call for higher
standards of evidence for dietary guidelines [27].
Tab. 3 Neue FBDG der DGE im Vergleich zum Verzehr laut NVS
II, zum aktuellen Konsum sowie zur Planetary Health Diet.
|
pro Kopf Konsum 2005–2007 NVS II
|
pro Kopf Konsum 2021*
|
FBDG 2024 Basis 2.029 kcal/Tag
|
Planetary Health Diet (PHD) 2019 Basis: 2.500 kcal/Tag
|
Lebensmittelgruppe
|
errechnete tägliche Menge in g
|
errechnete tägliche Menge in g
|
errechnete tägliche Menge in g
|
kcal% pro Tag
|
errechnete tägliche Menge in g
|
kcal% pro Tag
|
Getreide, Brot, Nudeln1 davon mindestens 1/3
Vollkorn
|
283
|
250
|
300
|
49
|
232 Vollkorn-getreide/-produkte
|
32
|
Kartoffeln
|
81
|
163
|
36
|
1,3
|
50
|
1,6
|
Obst
|
246
|
198
|
550
|
6,5
|
200
|
5
|
Gemüse
|
232
|
300
|
|
4
|
300
|
3,1
|
Hülsenfrüchte (frisch)2
|
|
6
|
18
|
3,5
|
75
|
11,4
|
Nüsse und Samen
|
|
14
|
25
|
6,8
|
50
|
11,6
|
Pflanzliche Öle, Butter, Schmalz, Margarine
|
68
|
65
|
20
|
7,5
|
52
|
18
|
Milch und
|
195
|
131
|
2503
|
14,3
|
250
|
6,1
|
Milchprodukte
|
43
|
69
|
30
|
Eier
|
19
|
39
|
8
|
0,5
|
13
|
0,7
|
Fisch
|
26
|
35
|
30
|
1,7
|
28
|
1,6
|
Fleisch (Rind, Schwein, Geflügel, Wurst)
|
122
|
151
|
42
|
4,0
|
29 g Geflügel 14 g Rind, Lamm, Schwein
|
3,7
|
Zugesetzter Zucker
|
|
|
|
|
31
|
4,8
|
Säfte
|
|
|
57
|
1
|
|
|
1 eine Scheibe Brot/eine Portion Getreideflocken=60 g, eine
Portion Nudeln/Reis (ungekocht)=120 g, 2. Zur Umrechnung von
getrockneten Hülsenfrüchten in Frischgewicht gilt der Faktor 1,8;
3 250 g pro Portion=Milch als Getränk. Die Umrechnung in
Milchäquivalente erfolgte der NSV II entsprechend: eine Portion
Milchprodukte=eine Scheibe Käse (30 g) oder eine Portion Joghurt (150 g);
Quellen: [2]
[10]; *Der aktuelle Pro-Kopf-Konsum
wurde als geschätzt übernommen aus: [14]
[15]
[16].
Kritik anderer Fachgesellschaften
Kritik anderer Fachgesellschaften
Auch von der Deutschen Akademie für Präventivmedizin (DAPM) kamen sehr kritische
Äußerungen zu den neuen DGE-Empfehlungen [29]:
Sie seien nicht für alle gesund, allenfalls für einen kleineren Teil der
Allgemeinbevölkerung. Auch seien sie zum Teil nicht wissenschaftlich begründet,
sondern wie die PHD eher klimapolitisch motiviert. Zudem seien die neuen FBDG
praxisfern, „in Teilen kontraproduktiv“ und insgesamt ein „Rückschritt“. Folglich
müsse man sich an einen Tisch setzen und die gesundheitspolitische Realität
Deutschlands stärker berücksichtigen. Die neuen DGE-Empfehlungen, so die DAPM,
sollten auf keinen Fall zum Maßstab werden, denn sie „könnten de facto größeren
Teilen der Bevölkerung in Deutschland nicht nur nichts nutzen, sondern sogar
schaden.“ [29]
Diese Kritikpunkte und Schlussfolgerungen der DAPM teilen wir ausdrücklich und
fordern die DGE ebenfalls zum Dialog mit der Ernährungsmedizin und -wissenschaft
auf, um zu aktuellen, evidenzbasierten Empfehlungen zu kommen, die auch zu den
gesundheitlichen Risiken von hoch verarbeiteten Lebensmitteln Stellung nehmen.
Fazit
Die neuen FBDG der DGE sind nicht evidenzbasiert und nicht zum gesundheitlichen
Nutzen der mehrheitlich Risiko-belasteten Menschen in Deutschland. Wir begrüßen
prinzipiell die verstärkte Berücksichtigung von ökologischen Aspekten, sehen jedoch
auch deren Risiken und die noch unvollständige Datenlage. Eine
Ernährungsgesellschaft wie die DGE sollte in erster Linie die Gesunderhaltung der
Menschen durch Ernährung im Fokus haben. Dass die DGE beständig darauf hinweist, die
Lebensmittelmengen ihrer neuen Empfehlungen seien „ohnehin als Orientierungswerte
für die Auswahl der Lebensmittel zu verstehen und kein Dogma“ dürfte eher zur
Verunsicherung der Verbraucher beitragen.
Da die FBDG auch für andere Altersgruppen angepasst werden sollen und damit in die
Beratungsstandards der DGE für die Gemeinschaftsverpflegung eingehen sowie für den
Gesundheitsunterricht in Schulen und innerhalb des Gesundheitssystems für
Krankenkassen übersetzt werden sollen, sehen wir dringenden Handlungsbedarf, die
FBDG zu überarbeiten.
Die Autor*innen sind Mitglieder der KetoMed (Internationale Fachgesellschaft für
kohlenhydratreduzierte und ketogene Ernährungsformen e. V., Berlin)
Hinweis
Dieser Artikel wurde gemäß des Erratums vom 23.Januar.2025
geändert.
Erratum
In o.g Artikel wurde die Abbildungslegende ergänzt. Richtig
ist:
Abb. 1 Folgen fettarmer Kost USA 1971–2001
Anteil der Fette und Kohlenhydrate an der Energiezufuhr
(in %) und Anteil Übergewichtiger in der Bevölkerung (in %).
Daten aus: A call for higher standards of evidence for dietary
guidelines [27].
Zitierweise für diesen Beitrag
Aktuel Ernahrungsmed 2024; DOI 10.1055/a-2459-8599