Zeitschrift für Palliativmedizin 2025; 26(02): 80
DOI: 10.1055/a-2516-9982
Forum
Lebensliteratur

Demenz: Einem schweren Thema, mit Leichtigkeit begegnet

Zoom Image

Die Begegnung der 15-jährigen Linda mit dem 86-jährigen demenzkranken Hubert steht im Mittelpunkt des Romans von Petra Pellini.

Die Autorin absolvierte eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenschwester, und hat viele Jahre mit demenzkranken Patient:innen gearbeitet. Für Auszüge aus ihrem Roman erhielt sie 2021 den Vorarlberger Literaturpreis. „Die Nähe zu den Figuren ist etwas Wunderbares und das Schreiben eine schöne Gelegenheit, der Kreativität im eigenen Kopf Gestalt zu verleihen“, sagt die Autorin in einem Interview mit dem Rowohlt Verlag.

Das Besondere an diesem Buch ist, wie dem Thema Demenz mit Leichtigkeit, Humor und gleichzeitig Melancholie und Tiefgang begegnet wird. Man ist berührt, Lachen und Weinen liegen nahe beisammen.

Dies gelingt vor allem deswegen, weil Petra Pellini für die jugendliche Linda eine ganz besondere Sprache findet. Kaltschnäuzig, gegen ihre Mutter aufbegehrend, ist sie selbstkritisch, ironisch und doch ungeheuer einfühlsam und kreativ im Umgang mit dem mehr und mehr seinen Halt verlierenden Hubert.

Während sich der Demenzkranke immer stärker verändert, weniger spricht und sich zurückzieht, stellt sich auch für die von Selbstmordgedanken geplagte Schülerin die Frage nach dem Sinn des Lebens.

„Jeden Abend scanne ich meinen Tag nach einem Höhepunkt. Habe ich entschieden, frage ich mich, ob ein anderer anders entscheiden würde. Mein Grübeln stürzt mich in den Abgrund, weil mir bewusst wird, dass jeder sich anders erinnert. Und wenn jeder sich anders erinnert, hat jeder eine andere Realität. Und wenn jeder eine andere Realität hat, gerät alles ins Wanken. Und wenn alles ins Wanken gerät, sind Sicherheit und Halt eine Illusion. (…) Rein theoretisch könnte auch Gutes passieren. Ich drehe mich zur Seite, schmiege meine Wange ans Kopfkissen, und stelle mir Hubert vor, der wie ein Stein schläft.“

Hubert war Bademeister, und ist stolz darauf, dass während seiner Arbeitsjahre nie ein Kind ertrunken ist. Betreut wird er von Ewa, der erfahrenen und sich mit großem Engagement kümmernden polnischen 24-Stunden-Helferin. Die Begegnungen von Linda und der Pflegerin sind von herzerfrischendem Humor geprägt und es entwickelt sich eine zunehmend enge Freundschaft zwischen den beiden.

Weitere Personen im Kosmos von Linda sind ihr einziger Freund Kevin, ein Nerd, ihre mit Beziehungsproblemen kämpfende Mutter und die Tochter von Hubert, die den Spitznamen Nachtfalter bekommt. Allesamt Menschen, die sich mit ihren Sorgen durch den Alltag kämpfen.

Linda übernimmt Besuchsdienste bei Hubert, der im selben Wohnblock lebt. Mit ihrer erfrischenden, jugendlich naiven Art schafft sie es, sich in die Gedankenwelt des zunehmend verlorenen Patienten hineinzufühlen. Er ist der einzige, dem sie ihre Sorgen und Probleme anvertrauen kann und der nicht nachfragt. Wie Linda hinter der äußeren Erstarrung und Verschlossenheit den besonderen Menschen sieht und wie sie ihrer Intuition folgt, um die Stimmungen des Demenzkranken wahrzunehmen, gehört zu den besonderen Momenten dieses lesenswerten Romans.

„Das Ticken der Wanduhr. Das Schlagen der Kirchturmglocken. Die stille Wohnung. Wir beide zusammengerückt. Als beschütze der eine den anderen. Es fühlt sich an, als hätten sie uns vergessen. Als hätte man uns zurückgelassen, in einer Wohnung, die aus der Zeit gefallen ist. Alte Topfpflanzen, scheußliche Teppiche, Briefe, Ordner, Dokumente aus früheren Zeiten. Schwarzweißbilder aus der Vergangenheit. Verwandte in Bilderrahmen – alle tot.“

Am Ende rückt das Sterben näher, und Linda fällt der Abschied schwer. Sie sehnt sich zurück an die Phasen der Krankheit, als Hubert ihr mit seinen Vergiftungs- und Verfolgungsgedanken den Alltag erschwert hat, aber dadurch auch Präsenz gezeigt hat. Diese innige, emotionale Begleitung ist es jedoch, die ihrem Leben selbst wieder Sinn und Hoffnung gibt.

„An dem Tag, an dem Hubert ins Wanken geriet, also wirklich nicht mehr stehen und laufen konnte, es war ausgerechnet an einem Mittwoch, musste ich die ganze Zeit über an die Dementoren aus Harry Potter denken. Dementoren sind wirklich die fiesesten magischen Wesen. Sie entziehen ihren Opfern Kraft und Lebensmut. Genau das ist mit Hubert passiert.

Otto Gehmacher, Hohenems



Publication History

Article published online:
04 March 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany