Z Sex Forsch 2025; 38(01): 58-59
DOI: 10.1055/a-2520-9107
Buchbesprechung

The Intimacy Coordinator’s Guidebook: Specialties for Stage and Screen

Laura Pietras
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Brooke M. Haney, Hrg. The Intimacy Coordinator’s Guidebook: Specialties for Stage and Screen. Milton Park, UK: Routledge 2024. 214 Seiten, GBP 33,99

Wie übergriffig, diskriminierend und grenzverletzend Hollywood ist, wurde der Welt im Oktober 2017 im Zuge des Weinstein-Skandals und der damit einhergehenden #metoo-Bewegung vor Augen geführt, die längst die Grenzen Hollywoods überschritten hat und zu einem gesamtgesellschaftlichen Phänomen geworden ist. Die Film-, Fernseh- und Bühnenindustrie reagierte, indem sie intimacy professionals an die Sets holte. Intimacy professionals verfügen über ein umfassendes Wissen über Einverständnis (engl. consent), Grenzen und Machtdynamiken und sind in der Lage, intime Momente auf der Leinwand und der Bühne zu erzählen und gleichzeitig die Sicherheit der Schauspieler*innen zu gewährleisten. [ 1 ] Man unterscheidet zwischen Intimitätskoordinator*innen (engl. intimacy coordinators) für Film und Fernsehen und Intimitätsdirektor*innen (engl. intimacy directors) für Theater und Bühne. Bereits 2018 hat HBO (Home Box Office, ein US-amerikanischer Fernsehprogrammanbieter) die Beschäftigung eines intimacy coordinators für alle Produktionen mit Sex-, Nackt- und Intimitätsszenen verpflichtend gemacht, wodurch intimacy coordinators zunehmend zum Standard und Anspruch der Branche werden.

„The Intimacy Coordinator‘s Guidebook: Specialties for Stage and Screen“, herausgegeben von Brooke M. Haney ist eine umfassende und kreative Einführung in das aufstrebende Feld der intimacy coordinators, die sowohl auf der Bühne als auch bei Film und Fernsehen zum Einsatz kommen. Haney geht auf die speziellen Anforderungen dieses noch jungen Berufsfeldes ein und beleuchtet sowohl theoretische als auch praktische Aspekte der Arbeit. Haney [ 2 ] selbst ist intimacy coordinator in New York und war eine der ersten 50 intimacy coordinators, die von der SAG-AFTRA (einer US-amerikanischen Gewerkschaft für Künstler*innen) anerkannt wurden. Haney identifiziert sich als queer und nichtbinär, arbeitet als Schauspieler*in für Theater, Film und TV und lehrt seit 8 Jahren an Colleges und Universitäten in Amerika. Das Handbuch ist Haneys erste Veröffentlichung. Die Zielgruppe des Buches sind intimacy professionals und solche in Ausbildung, Produzent*innen, Regisseur*innen, Schauspieler*innen sowie alle am Set, die mit intimacy professionals arbeiten. Ein Nachteil dieses breiten Spektrums für die Leser*innen ist, dass sich die einzelnen Kapitel zum Teil an unterschiedliche Ansprechpersonen richten, so dass ein ständiges Anpassen der Perspektive erforderlich ist und ein einheitlicher Modus gänzlich fehlt.

Inhaltlich ist das Buch in drei Teile gegliedert und deckt ein breites Themenspektrum ab. Der erste Teil befasst sich mit dem Tätigkeits- und Kompetenzbereich von intimacy professionals, mit Kapiteln wie „Finding your Lens“ (Kapitel 2) oder der Abgrenzung zu tangierenden Tätigkeitsbereichen wie Kampfdirektor*innen (engl. fight directors, Kapitel 4), Koordinator*innen für psychische Gesundheit (engl. mental health coordinators, Kapitel 5) und Spezialist*innen für kulturelle Kompetenz (engl. cultural competency specialist, Kapitel 3). Haney beschreibt die wichtigsten Aspekte der Berufspraxis, die Notwendigkeit eines Bewusstseins für Sensibilität und Sicherheit am Arbeitsplatz und wie ein respektvolles und sicheres Umfeld geschaffen werden kann, in dem sich alle Beteiligten wohlfühlen. Im ersten Teil wird auch eine Besonderheit des Buches vorgestellt: Einige Kapitel bestehen ausschließlich aus oder werden ergänzt durch Interviews bzw. Gespräche und Fallstudien von Haney und erfahrenen Fachleuten, die Einblicke in herausfordernde Situationen und deren erfolgreiche Lösungen geben. Diese Praxisbeispiele bereichern das Buch um reale Bezüge, die einige der Themen noch greifbarer machen.

Der zweite Teil ist das Kernstück des Buches und befasst sich mit Spezialgebieten im Bereich rechtlicher Themen, wie der Arbeit mit Minderjährigen (Kapitel 7), der Arbeit mit traumatischen Szenen (Kapitel 14), sexueller Gewalt und non-consent (Kapitel 15) sowie im Bereich diskriminierungssensibler Themen wie Intimität und Behinderung (Kapitel 8), der Inszenierung von queerer Intimität (Kapitel 11), schwarzamerikanischer Intimität (Kapitel 10), BDSM (Kapitel 12) oder der Arbeit mit dicken (engl. fat) Schauspieler*innen (Kapitel 9). Jedes Kapitel wird durch ein Gespräch mit Schauspieler*innen, Regisseur*innen oder Produzent*innen über ihre Erfahrungen bei der Arbeit mit intimacy coordinators ergänzt. Das Buch bietet einige praktische Anleitungen und Techniken, die bei der Choreografie von intimen Szenen helfen können. Haney geht auf verschiedene Genres und Medien ein und gibt spezifische Hinweise, wie Szenen oder Choreografien angepasst werden können, um die künstlerische Integrität eines Projekts zu wahren und gleichzeitig die Sicherheit und den Komfort der Darsteller*innen zu gewährleisten. Im Detail werden beispielsweise verschiedene Möglichkeiten für den besten Umgang mit modesty garments (spezielle Kleidungstücke, um bei Nacktszenen externe Genitalien der Schauspieler*innen zu schützen) und Prothesen besprochen. Wie gut und detailliert dies geschieht, hängt stark von den Kapiteln ab. Diese sind meist nur fünf bis zehn Seiten lang und insbesondere die kurzen Kapitel gehen wenig in die Tiefe. Positiv ist daher, dass die Kapitel durch Quellenangaben und Empfehlungen für weiterführende Literatur ergänzt werden.

Der dritte Teil des Buches beleuchtet die Frage der Qualifizierungsangebote für intimacy professionals. Die Meinungen über die Notwendigkeit einer Zertifizierung, insbesondere im internationalen Kontext, gehen auseinander. Thematisiert wird auch, was bei der Annahme von Aufträgen zu beachten ist. Es werden Tipps diskutiert, wie man Bewerbungsgespräche im Bereich Intimität führen kann. Das Buch schließt mit einem von Haney moderierten Gespräch über die Zukunft der Intimitätsbranche. Intimacy professionals, die im Laufe des Buches bereits zu Wort gekommen sind, sprechen über die Herausforderungen, mit denen sie konfrontiert sind, wie sich ihre Identität auf ihre Arbeit auswirkt und wie sie ihre eigenen Grenzen waren können. Bezüglich Letzterem verzichtet Haney selbst beispielsweise auf Projekte, bei denen non-consent als Romantik getarnt wird.

Insgesamt ist das Handbuch ein wichtiger Beitrag zu einer Praxis, in der es an Literatur mangelt. Es ist ein Buch für alle, die in den darstellenden Künsten tätig sind und ein fundiertes Verständnis für die Bedeutung von Intimitätskoordination entwickeln wollen. Haney ist es gelungen, ein breit gefächertes und zugleich äußerst sensibles und rücksichtsvolles Handbuch zusammenzustellen, das auch für Laien eine interessante Ressource darstellt.

Laura Pietras (Hamburg)



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Article published online:
18 March 2025

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