Onkologische Welt 2025; 16(02): 55
DOI: 10.1055/a-2526-3031
Editorial

Nutzen und Schaden

Alexander Kretzschmar
München
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Über den Nutzen epidemiologischer Studien und den Schaden, den sie anrichten können, gibt es viele Publikationen. Aber das nutzt nichts. Das Vermengen von kausalen und zufälligen Assoziationen scheint eine Berufskrankheit von Epidemiologen zu sein. Es ist ja ihre Aufgabe, die Hintergründe statistischer Auffälligkeiten zu identifizieren und zu interpretieren. Nun lernt der Mensch früh im Leben die Grundannahme „Das Leben ist per se gefährlich und endet mit dem Tod“. Als Konsequenz benimmt sich die Menschheit per se unvernünftig, was etwa beim Verfehlen sämtlicher Klimaziele endet.

Die Folgen unvernünftigen Verhaltens im Individualfall sind auch in der Onkologie ein wichtiges Thema. Bei Kopf-Hals-Tumoren sind Nikotin und Alkohol etablierte Risikofaktoren, bei Kaffee und Tee ist die Datenlage unklar. Mit großem PR-Hype wurde jetzt eine neue Auswertung des International Head and Neck Cancer Epidemiology Konsortiums von 14 Fall-Kontroll-Studien mit insgesamt 9548 Patient*innen mit Kopf-Hals-Tumoren und 15 783 Kontrollen vorgestellt [1]. Im Vergleich zu nicht-Kaffeetrinkern hatten Personen, die täglich > 4 Tassen koffeinhaltigen Kaffees tranken, ein um 17 % niedrigeres Risiko eines Kopf-Hals-Tumors insgesamt sowie der Mundhöhle (30 %), oropharyngealer (–22 %) und hypopharyngealer Tumoren (–29 %). Der tägliche Konsum von 0–1 Tassen Tee täglich war mit einem um 27 % niedrigeren Risiko hypopharyngealer Tumoren assoziiert, desgleichen von Kopf-Hals-Tumoren insgesamt (–9 %). Der Genuss von > 1 Tasse war dagegen mit einem um 38 % höheren Risiko eines Larynxkarzinoms assoziiert.

Die Tragweite dieser Befunde minimiert sich jedoch angesichts fehlender Daten zu zahlreichen konfundierenden Faktoren, etwa ob der Kaffee/Tee mit Milch, Zucker oder anderen Zusätzen konsumiert wurde [2], von anderen Ernährungsgewohnheiten, metabolischen Parametern und Mikrobiomproben. Die Erkenntnislage bleibt also angesichts der Komplexität möglicher Interaktionen so trübe wie der untersuchte Kaffee und Tee. Bliebe hinzuzufügen, dass auch Wasser manchmal Substanzen enthält, die dort nicht hineingehören.

Als ultimative Konsequenz könnte man daraus folgern, jegliche Aufnahme von Flüssigkeiten im Sinne einer effektiven Prävention von Kopf-Hals-Tumoren abzulehnen. Denn dies wäre ebenso töricht wie Kaffee und Tee aufgrund dieser Studiendaten als kausalen bzw. präventiven Faktor anzusehen. Womit wir wieder bei der obigen Grundannahme vom Leben usw. … angelangt wären. Als Ausweg aus diesem Teufelskreis kann ich Ihnen unsere Referate zu neuen Publikationen zu Kopf-Hals-Tumoren ab Seite 71 empfehlen.

Die Referate sind mit oder ohne gleichzeitige Flüssigkeitsaufnahme konsumierbar. Allerdings ohne Garantie.

Dr. Alexander Kretzschmar, München



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Article published online:
18 March 2025

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