Dialyse aktuell 2008; 12(4): 214-216
DOI: 10.1055/s-0028-1082097
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© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Erhöhter Bedarf bei dialysepflichtiger Niereninsuffizienz – Sinnvolle Ergänzung von Vitaminen und Spurenelementen

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Dr. Herbert Stradtmann

Bad Wildungen

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
10. Juli 2008 (online)

Inhaltsübersicht

Gesunderhaltung bedeutet zuallererst Prävention. In diesem Sinne ist der bequeme, weil keine körperlichen Anstrengungen erfordernde, Glaube an gesundheitsfördernde Effekte von Multivitamin– sowie Multimineralprodukten (Kombinationsprodukte) nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande in der Bevölkerung ungebrochen. Evidenzbasierte Beweise für signifikant positive Effekte in der Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen, von Krebs und Katarakt fehlen aber bisher. Das gilt nicht für die Substitution bei nachgewiesenen Mangelzuständen.

Von den Anwendern können etwa 24 % keinen speziellen Grund für die Einnahme benennen, außer, dass es 'gut für sie sei' [1]. Das zugrunde liegende Motiv dürfte hierbei die 'primäre Prävention' sein.

Motive zur Einnahme von Multivitamin – und Multimineralprodukten

  • Erhaltung der Gesundheit

  • Risikominimierung zusätzlich zur Gesunderhaltung

  • spezielle Prävention aus gesundheitlichen Gründen

  • Behandlung aus medizinischem Anlass nach [2]

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Ältere Menschen können von gezielter Supplementierung profitieren

Viele ältere Menschen allerdings sind aus verschiedenen Gründen nicht optimal mit den lebensnotwendigen Nährstoffen versorgt. Der aktuelle Wissensstand lässt es dennoch nicht zu, eine dauerhafte Einnahme beziehungsweise Verschreibung von Vitamin– und Mineralsupplementen bei alten Menschen zu empfehlen. Eine ernährungsmedizinische Beratung in den frühen (gesunden) Lebensjahren zum Konsum von Nahrungsmitteln mit einer idealen Nährstoffzusammensetzung scheint mehr präventiven Nutzen zu bringen, gehört jedoch in den Schulen und Gymnasien nicht zum Standard. In besonderen Situationen jedoch ist die gezielte Zufuhr von Vitamin– und Mineraliensupplementen durchaus sinnvoll.

Eine präventive Wirkung von Nahrungsergänzungsmitteln ist nur in zweckmäßiger Kombination und Dosierung zu erwarten. Am deutlichsten ist der präventive Effekt von Kalzium in Kombination mit Vitamin D auf das Frakturrisiko von Knochen. Bei Frauen nach der Menopause ließ sich ein Nutzen zum Wiedererlangen der Knochendichte nachweisen. Das Spurenelement Selen erwies sich als protektiv hinsichtlich Häufigkeit und Gesamtsterblichkeit von Lungen–, Kolon– und Prostatakarzinom. Folsäure ist unentbehrlich für die Prophylaxe des Neuralrohrdefekts – immerhin die zweithäufigste angeborene Missbildung in den USA [1].

Der Nachweis für eine sichere präventive Wirkung von Multivitamin– und Mineralienpräparaten – insbesondere von Betacarotin, Vitamin C und Selen – auf atherosklerotische Gefäßerkrankungen, die altersbedingte Makulopathie, die Cataracta senilis sowie die kognitiven Funktionen fehlt bisher.

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Situationen mit erhöhtem Bedarf

Das Durchschnittsalter der etwa 61000 von der chronischen Dialyse abhängigen Patienten in Deutschland liegt bei 65 Jahren. Für diese Krankengruppe ist der Leitgedanke 'primäre Prävention' nicht mehr relevant.

Liegt eine chronische Nierenerkrankung vor, verstärkt dies noch die physiologischen alterspezifischen Effekte auf den Stoffwechsel verschiedener Nährstoffe. Zudem beeinflusst die Medikation bei Niereninsuffizienz den Vitamin– und Spurenelementhaushalt ungünstig. Diuretika, besonders im Prädialysestadium eingesetzt, bewirken nicht nur einen vermehrten Verlust von Elektrolyten über den Urin, sondern auch den verschiedener wasserlöslicher Vitamine sowie Spurenelemente (zum Beispiel Zink). Die Einnahme magensäurebindender Medikamente behindert die Absorption von Vitamin B12.

Die chronische Dialysebehandlung dann führt zu beträchtlichen Veränderungen im Mineralstoff– und Spurenelementhaushalt. Insbesondere der Selenspiegel im Serum ändert sich: Er liegt nach Einsetzen der Dialysepflicht nur noch halb so hoch. Die Langzeitfolgen sind allerdings noch nicht völlig klar. Selen ist essenzieller Bestandteil einer Reihe antioxidativer und an der zellulären Redoxregulation beteiligter Proteine und Enzyme.

Im jahrelangen chronischen Dialyseprogramm bestimmen Symptome, Diagnostik und Therapie von Begleit–, Folge– und typischen Alterskrankheiten sowie pflegerische und sozialmedizinische Probleme den Inhalt des zeitlich ohnehin begrenzten Patienten–Arzt–Gesprächs bei den Visiten am Dialyseplatz. Fragen zum Vitaminstoffwechsel und nach eventueller Eigenmedikation spielen kaum eine Rolle.

Oft ist es schwierig Vitaminmangelerscheinungen bei chronischen Dialysepatienten überhaupt zu erkennen, denn nicht selten sind diese vieldeutig und decken sich mit denen der Urämie. Rauchen stört zusätzlich den Stoffwechsel einzelner Nährstoffe, woraus bei rauchenden Dialysepatienten zumeist ein weiterer Mehrbedarf, zum Beispiel an Vitamin C, resultiert. Außerdem bestehen bei Dialysepatienten zusätzliche Risiken für eine Unterversorgung mit wasserlöslichen Vitaminen. Ursachen sind

  • eingeschränkte Zufuhr durch

    • spezielle Ernährungsanweisungen, Nahrungsmittelbeschränkungen

    • besondere Zubereitungsanforderungen

    • Unwissenheit wegen ungenügender Ernährungsberatung und Information

    • Phasen von Appetitlosigkeit

    • Behinderung durch Multi–morbidität

    • Einsamkeit, Depression, Altersarmut

  • Malabsorption im Gastrointestinaltrakt durch

    • Sub– oder Anazidität

    • altersbedingte degenerative Magenschleimhautveränderungen (atrophe Gastritis)

    • urämische Gastritis, Enteritis

    • Störungen der Eiweißverdauung

  • Interaktionen mit Medikamenten

    • Komplexbildung im Gastrointestinaltrakt bei Medikation mit Phosphatbindern

    • Einnahme von Magensäurebindern

  • Verlust der wasserlöslichen Vitamine durch den Dialysevorgang selbst.

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Probleme mit herkömmlichen Kombinationspräparaten

Für chronisch Nierenkranke ist die Einnahme der allgemein bekannten, kombinierten Vitamin–, Mineralstoff– und Spurenelementpräparate nicht sinnvoll. So enthält beispielsweise das unter dem Namen „A–Z” bekannte, stark verbreitete Nahrungsergänzungsmittel verschiedener Hersteller pro Tablette unter anderem 200 mg Kalzium, 76 mg Phosphor, 800 mg Retinol (Vitamin A) und 5,0 μg Cholecalciferol (Vitamin D). Auf diese Weise überschreiten chronisch Nierenkranke häufig – meist unerkannt – die empfohlene tägliche Kalziumzufuhr von maximal 2000 mg. Außerdem belastet der darin enthaltene Phosphor die von den Patienten ohnehin nicht einzuhaltende tägliche Phosphatbegrenzung. Eine zusätzliche Vitamin–A–Gabe ist nicht indiziert.

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Der Nährstoffbedarf bei Dialysepatienten

Bereits viele ältere Menschen ohne manifeste Krankheiten weisen keine optimale Versorgung mit verschiedenen Nährstoffen auf. Das ist umso mehr bei alten Patienten im Prädialyse– und Dialysestadium der Fall. Studien und Messungen zeigten bisher in Deutschland für Vitamin B12 und Vitamin E keine Defizite bei Dialysepatienten auf: Die Mehrzahl erreicht die derzeit gültigen Werte an Vitamin B12 und Vitamin E. Diese Parameter scheinen jedoch nach Ansicht vieler Ernährungswissenschaftler und Mediziner zu gering angesetzt, um eine antioxidative Wirkung zu erzielen.

Die urämische Haut ist ein besonderes – oft juckendes – Problem. Führen Nierenkranke die notwendigen Vitamine konstant zu, kann dies Abhilfe schaffen. Den Mangel eines bestimmten Vitamins beseitigt jedoch eine alleinige Ergänzung desselben, selbst in höchsten Dosen, nicht. Hierzu ist vielmehr eine ausgeklügelte Komposition aus mehreren Substanzen notwendig. Diese wirken quasi wie eine 'komplette Mannschaft'. Therapeutischer Erfolg und Nutzen einer Substitution hängen davon ab, ob alle Komponenten zur rechten Zeit und in ausreichender Menge im Körper vorhanden sind.

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Geeignete Supplemente für Dialysepatienten

Die gängigen, frei käuflichen Kombinationspräparate sind in Dosierung und Zusammensetzung nicht auf die Bedürfnisse der niereninsuffizienten Patienten abgestimmt. Die letztlich dauernd notwendige Korrektur der renalen Anämie erfordert stets hinreichende Mengen an Vitamin B6, Vitamin B12, Folsäure sowie Vitamin C und Eisen.

Die komplette Versorgung von Dialysepatienten mit Vitaminen und Spurenelementen sollte ohne Gefahr von Überdosierung und Toxizität möglichst eine Tablette täglich sicherstellen (u. a. 6,0 μg Vitamin B12, 50 mg Vitamin E, 50 μg Selen, 25 mg Zink). Werden die Vitamine einzeln verschrieben, erhöht dies die ohnehin sehr hohe Anzahl einzunehmender Präparate und der Medikamentenplan wird noch unübersichtlicher. Die Gefahr für Non–Compliance steigt.

Mithilfe sinnvoll dosierter Präparate, die neben den wasserlöslichen Vitaminen und dem fettlöslichen Vitamin E auch die essenziellen Spurenelemente Selen und Zink enthalten, lassen sich Defizite ausgleichen und der spezifisch erhöhte Bedarf von Dialysepatienten decken. Um die Voraussetzungen für Compliance zu erhöhen und Kosten zu sparen, bietet es sich an, ein Kombinationspräparat zu verabreichen (z. B. Carenal®). Es kann helfen, die Qualität der häufig vernachlässigten Vitamin– und Spurenelementversorgung von niereninsuffizienten Patienten zu verbessern. Einzelgaben verschiedener Vitamine und Spurenelemente sind unnötig, keine Komponente fehlt und es sind keine überflüssigen Bestandteile enthalten. Der Kalziumgehalt ist gering [3].

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Literatur

  • 1 Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Use of supplements containing folic acid among women of childbearing age – Unites States, 2007.  Morb Mortal Wkly Rep. 2008;  57 5-8
  • 2 Ehrlich K.. Vitamine und Mineralien einnehmen: Sinnvoll, unsinnig oder gar gefährlich?.  KVH aktuell. 2007;  12 9-11
  • 3 Herstellerangabe: Fresenius Medical Care. 
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Dr. Herbert Stradtmann

Bad Wildungen

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Literatur

  • 1 Centers for Disease Control and Prevention (CDC). Use of supplements containing folic acid among women of childbearing age – Unites States, 2007.  Morb Mortal Wkly Rep. 2008;  57 5-8
  • 2 Ehrlich K.. Vitamine und Mineralien einnehmen: Sinnvoll, unsinnig oder gar gefährlich?.  KVH aktuell. 2007;  12 9-11
  • 3 Herstellerangabe: Fresenius Medical Care. 
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Dr. Herbert Stradtmann

Bad Wildungen