psychoneuro 2008; 34(6/07): 292
DOI: 10.1055/s-0028-1082347
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Schlaganfall - Entladungswellen verursachen weiteres Absterben von Neuronen

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Publication Date:
31 July 2008 (online)

 
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Mehr als 150 000 Menschen erleiden jährlich in Deutschland einen Schlaganfall, die zweithäufigste Todesursache in den Industrieländern. Verschließen Ablagerungen die Blutgefäße zum Gehirn, werden einzelne Bereiche nicht mehr ausreichend mit Sauerstoff versorgt, das Gewebe stirbt ab. Je nach Größe des betroffenen Hirnbereichs bleiben Dauerschäden wie etwa Lähmungen.

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Entladungswellen im Gehirn erstmals bei Schlaganfallpatienten nachgewiesen

Auf die Welle elektrischer Entladungen folgt eine Zeit, in der die Gehirnaktivität kurz zum Erliegen kommt: die Neuronen versuchen sich zu erholen.

Diese Entladungswellen - die Cortical Spreading Depressions (CSD) - wirken um ein Vielfaches gravierender auf die Nervenzellen als ein epileptischer Anfall: Nach dem Schlaganfall ist das angrenzende Gewebe rund um das betroffene Hirnareal zunächst zwar schlecht durchblutet, aber noch zu retten. Die Entladungswellen beeinträchtigen den Stoffwechsel der geschwächten Nervenzellen zusätzlich. Je häufiger diese auftreten, desto länger brauchen die Zellen zur Regeneration. In welchem Ausmaß das Gehirn nach einem Schlaganfall geschädigt wird, hängt also von der Anzahl der Entladungswellen ab.

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60 Jahre Forschung nun für Diagnose und Therapie nutzbar

Diese Entladungswellen konnten lange nur im Tiermodell untersucht werden. Jetzt ist es den Mitgliedern der COSBID-Studiengruppe (Cooperative Study on Brain Injury Depolarisations) um PD Dr. Jens Dreier, Charité Berlin, gelungen, diese Beobachtungen auch am Menschen zu bestätigen. Da die Wellen nur auf der Hirnoberfläche gemessen werden können, wählten die Mediziner für die Studie 16 Patienten aus, deren Gehirn nach einem Schlaganfall aufgrund einer lebensbedrohlichen Hirnschwellung teilweise freigelegt werden musste. Elektroden wurden an der Hirnoberfläche rund um das betroffene Gewebe angelegt (Elektrokortikografie), die Operationsnaht verschlossen und die Hirnströme über 5 Tage gemessen. Alle Patienten befanden sich in dieser Zeit aufgrund ihrer schweren Erkrankung im künstlichen Koma.

Da die Entladungswellen nach einem Schlaganfall das geschwächte Gewebe rund um das Gebiet des Hirnschlags zusätzlich schädigen, wäre es denkbar, die Folgeschäden etwa dadurch vorbeugen zu können, indem die Wellen unterdrückt werden. Da die Entladungswellen ebenso ein Warnsignal für das weitere Absterben von Zellen sind, könnten sie auch zur Diagnostik genutzt werden.

In einer Folgestudie mit einer größeren Zahl an Schlaganfallpatienten will das COSBID-Team nun klären, ob die Entladungswellen auch das Ausmaß der Folgeschäden beeinflussen.

Quelle: Dohmen C et al. Injury Depolarizations (COSBID). Spreading depolarizations occur in human ischemic stroke with high incidence? Annals of Neurology, Online-Vorabveröffentlichung