Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0028-1082380
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Schmerz- und Palliativtherapie - Opioidinduzierte Obstipation - Das Problem an der Wurzel packen
Publication History
Publication Date:
04 August 2008 (online)
- Symptomatische Therapie insbesondere bei Tumorpatienten problematisch
- Mit kausaler Therapie: Stuhlgang oft innerhalb von einer Stunde
- Vor der erfolgreichen Behandlung steht das Erkennen einer Obstipation
- Potenzial erstreckt sich auch auf andere Indikationen
- Literatur
Starke Opioide sind bei der Therapie von Tumor- oder starken Akutschmerzen inzwischen breit akzeptiert. Immer häufiger werden sie auch bei chronischen Nichttumorschmerzen eingesetzt, berichtete Dr. Reinhard Sittl, Erlangen. "Die Gründe dafür sind zum einen das Nebenwirkungsspektrum der nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), aber auch mögliche thrombembolische Komplikationen unter der NSAR-Therapie oder die verstärkte sedierende Wirkung bei gleichzeitiger Gabe von Antidepressiva - besonders bei Älteren."
Auch eine Opioidtherapie ist natürlich nicht frei von Nebenwirkungen. Diese sind aber in der Regel transient. Ausnahme von der Regel ist jedoch die opioidinduzierte Obstipation. Zwar finden sich Opioidrezeptoren besonders häufig entlang der Nervenleitbahnen, aber eben auch im Gastrointestinaltrakt - und hier wiederum zu 90% im Dünndarm, erklärte Sittl. Binden die Opioide dort, verringert sich die Acetylcholinausschüttung aus dem Plexus myentoricus und die propulsive Motorik geht zurück. Zudem steigt die segmentale Kontraktion, wodurch der Darminhalt länger verweilt. Es kommt zum Entzug von Wasser und zur Eindickung der Faeces.
#Symptomatische Therapie insbesondere bei Tumorpatienten problematisch
"Beim Gesunden wäre es kein Problem gegenzusteuern", so Sittl. Bei einem Tumorpatienten sind jedoch Empfehlungen wie viel Bewegung, eine ausreichende Trinkmenge oder die Erhöhung des Ballaststoffanteils in der Ernährung nur bedingt oder gar nicht umzusetzen.
Zudem habe bei vielen Betroffenen auch die symptomatische Therapie mit Laxanzien oder Prokinetika nicht den gewünschten Erfolg. Nur bei 54% der Patienten führe eine solche Behandlung zum - oft zudem erst spät einsetzenden - Stuhlgang, sagte Prof. Peter Conzen, München. Dazu kommen Reflux, Völlegefühl, auffällige Darmgeräusche, Krämpfe, eine unvollständige und vor allem eine nicht kalkulierbare Darmentleerung. "Dies führt immer wieder dazu, dass Patienten und auch ihre behandelnden Ärzte die Opioide absetzen wollen, um Probleme zu vermeiden", bestätigte Sittl - und dies trotz der starken Schmerzen, an denen die Patienten leiden.
#Mit kausaler Therapie: Stuhlgang oft innerhalb von einer Stunde
Mit Methylnaltrexon (Relistor®), das seit Anfang Juli von der europäischen Zulassungsbehörde EMEA in dieser Indikation zugelassen ist, steht jetzt die erste kausale und selektiv wirksame Therapieoption zur Verfügung. Das Derivat des Morphinantagonisten Naltrexon hemmt nur die peripheren Opioidrezeptoren. Durch die vergleichsweise höhere Polarität und eine geringere Fettlöslichkeit kann Methylnaltrexon - anders als Naltrexon selbst - die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden.
Die beiden kürzlich veröffentlichten, zulassungsrelevanten Studien haben eindrucksvoll untermauert, wie effektiv und schnell die neue Therapieoption das Problem der opioidinduzierten Obstipation lösen kann. 62% der Patienten, die zusätzlich zu einer Behandlung mit Laxanzien jeden zweiten Tag 0,15mg/kg Methylnaltrexon erhielten, hatten innerhalb von vier Stunden nach der Gabe Stuhlgang. In der Kontrollgruppe dagegen waren dies nur 13% [2]. "50% der Patienten sprachen innerhalb von einer Stunde auf die Behandlung an", so Conzen. Für die Pflegenden sei dieser planbare Wirkeintritt ein klares Plus, fügte Prof. Jürgen Osterbrink, Salzburg (Österreich), hinzu. Dabei ließ die Wirkung auch im Verlauf von 2 Wochen, nach insgesamt 7 Injektionen, nicht nach [1].
Inzwischen überblickt man einen Therapiezeitraum von 3,5 Monaten, denn im Anschluss an die doppelblinde Studienphase konnten sich die Patienten an einer offenen Behandlungsphase beteiligen. Auch über diese Zeitspanne blieb die Therapie wirksam - bei insgesamt nur relativ wenigen Nebenwirkungen. Am häufigsten klagten die Patienten über eine milde oder moderate Flatulenz und flüchtige Bauchkrämpfe - "klar, wenn man den Wirkort bedenkt", meinte Conzen. Signifikante Änderungen im Schmerzscore oder Entzugssymptome traten jedoch nicht auf.
#Vor der erfolgreichen Behandlung steht das Erkennen einer Obstipation
Die fehlende Kommunikation ist nach Ansicht von Prof. Jürgen Osterbrink, Salzburg, eines der Hauptprobleme, warum eine bestehende Obstipation oft übersehen oder unterschätzt wird - und das trotz ihrer hohen Prävalenz. Valide US-amerikanische Daten schätzen diese auf 14-20%. Er forderte daher eine Messung und Dokumentation der Obstipation nach einem Score-System wie bei Schmerzen inzwischen üblich, etwa mit der "Bristol Stool Form Scale", dem "Bowel Core" oder dem "European Organisation for Research and Treatment of Cancer core quality-of-life - questionnaire" (EORTC QLQ-C30).
Hiermit könnten der Schweregrad oder auch die Belastung der Obstipation für die Alltagsbewältigung und die Symptome genau beschrieben werden. "Man muss genau hinschauen und genau kommunizieren. Dann kann man zielgerichtet therapieren. Hier sind Pflegekräfte - auch aufgrund des 24-stündigen Patientenkontaktes - das Frühwarnsystem in allen Versorgungsbereichen, im Krankenhaus, im Pflegeheim und in der ambulanten Versorgung", betonte Osterbrink. "Dabei ist die Vertrauensbasis zwischen Pflegenden und Patienten von großer Bedeutung, denn damit werden Hemmungen abgebaut."
Potenzial erstreckt sich auch auf andere Indikationen
"Ich könnte mir auch vorstellen, dass sich die Indikation für Methylnaltrexon relativ schnell ausweitet", meinte Conzen, "beispielsweise bei Obstipationen in der postoperativen Situation auf der Intensivstation." Aber auch die Behandlung anderer opioidassoziierter Nebenwirkungen könnte damit möglich sein - angefangen bei der Harnretention über Juckreiz bis hin zu Übelkeit und Erbrechen, ergänzte Sittl.
sts
Quelle: Launch-Pressekonferenz "Relistor® - Erste kausale Therapie der opioid-induzierten Obstipation erhält EMEA-Zulassung", veranstaltet von der Wyeth Pharma GmbH, Münster
#