Endo-Praxis 2008; 24(3): 5
DOI: 10.1055/s-0028-1085710
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Immer neue Gerinnungshemmer – Neue Gefahren und Bedeutung für die Endoskopie ?

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Publication Date:
27 August 2008 (online)

Endoskopieabteilungen und –praxen haben sich in den letzten Jahren immer mehr zu Institutionen mit extrem hoher Untersuchungsdichte entwickelt, die eine ausgeprägte Organisationsgüte entwickeln müssen, um qualitativ hochwertig und profitabel arbeiten zu können.

Unabhängig von der eigentlichen Prozessdurchführung in der Endoskopieeinheit ist die optimale Vorbereitung der Patienten eine Grundvoraussetzung für die professionelle Gesamtqualität endoskopischer Untersuchungen.

Neben der Patientenaufklärung und einer eventuell notwendigen Antibiotikaprophylaxe ist es die immer mehr zunehmende Einschätzung von Blutungsrisiken, die sorgfältig bedacht werden müssen, da immer ältere Patienten mit Komorbidität immer mehr gerinnungshemmende Medikamente erhalten.

Dabei geht es weniger um die bei vorsichtiger Schätzung sicher in über 25 % der Bevölkerung sporadische oder regelmässige Einnahme von Aspirin oder anderen nicht–steroidalen Antiphlogistika, sondern um therapeutisch wirksame, z. T. komplett neue Medikamente, die bei einigen Patienten auch längerfristig und kombiniert eingesetzt werden.

Bereits heute nehmen mehr als 700.000 Patienten in Deutschland Vitamin–K–Antagonisten ein. Indikationen sind Vorhofflimmern, Herzklappenfehler, venöse oder arterielle Thrombembolien sowie Gerinnungsstörungen. Zunehmend sind auch Patienten mit gekopppelten Medikamenteneinahmen wie Aspirin und Clopidogrel z.T. in hoher Dosierung und monatelanger Einnahme.

Vielen der betroffenen Patienten ist das damit verbundene Blutungsrisiko im täglichen Alltag oder bei medizinischen Eingriffen nicht oder nur unvollständig bewusst, denn sie haben mit der Einhaltung ihrer täglichen und häufig komplexen Medikamenteneinnahme mehr als genug zu tun.

Der persönliche Kontakt zum Patienten vor einer endoskopischen Untersuchung ist somit die letzte Möglichkeit, das potentielle Ausmass des Blutungsrisikos zu erfahren und ggfls. über aktualisierte Gerinnungsanalysen zu bestimmen.

Das Problem ist aber, dass nicht für alle gerinnungsaktiven Medikamente ausreichende Labortests bestehen und zeitaufwendige Analysen direkt vor einer endoskopischen Untersuchung die Organisation erschwert bzw. die Untersuchung verbietet.

In dieser Situation ist nur durch eine ausreichend präventive Aufklärung über alle Blutungsrisiken die Untersuchungssicherheit der Patienten zu gewährleisten.

Konsequenterweise greift dann bei Patienten mit erhöhtem Blutungsrisiko eine spezifische und an die Medikamente angepasste Bridging–Strategie bis zur Untersuchung und in der Phase danach.

Das bedeutet aber auch, dass die Kommunikation zum Patienten entweder direkt oder über die überweisende Institution (Praxis oder Klinik) erfolgen muss. Für diese heterogenen Versorgungsbereiche sind klare Vorgaben notwendig, um das Gefährdungszeitfenster für den Patienten (geringstes Blutungsrisiko aber auch geringstes Risiko einer Gerinnungskomplikation) so klein wie möglich zu halten.

Bei elektiven Eingriffen ist das Bridging durch unfraktioniertes Heparin in den Hintergrund gerückt, da dies nur unter stationären Bedingungen realisierbar ist. Absetzen der oralen Antikoagulation eine Woche vor dem Eingriff, überlappende subkutane Gabe von niedermolekularen Heparinen bis am Tag vor der Untersuchung und Start der oralen Antikoagulation am Tag nach der Endoskopie sind mittlerweile etablierter Standard, vermeidet repetitive Laboruntersuchungen und senkt die Kosten.

Diese Situation sollte aber auch genutzt werden, ggf. die Indikation für die Antikoagulation generell zu überprüfen, das reelle Blutungsrisiko der endoskopischen Untersuchung zu quantifizieren (diagnostischer Eingriff, Vorsorge oder interventioneller Eingriff) und das aktuell individuelle Blutungsrisiko des Patienten zu identifizieren.

Ausnahmen bilden selbstverständlich Akut– bzw. Notfallsituationen. Hier sind erweiterte Risiken akzeptierbar, um das therapeutische Untersuchungsziel z.B. der Blutstillung zu erreichen.

Besondere Vorsicht ist auch bei Patienten mit vaskulären hämorrhagischen Diathesen (Morbus Osler, Ehlers–Danlos–Syndrom und Marfansyndrom) geboten, die nur bei zwingender Indikation biopsiert und dann ggf. mit Suprarenin oder Fibrinkleber unterspritzt werden müssen.

Letztlich dürfen bei den durch Medikamente induzierten Gerinnungshemmungen die Patienten mit Thrombopenien, Thrombozytopathien und plasmatischen Gerinnungsstörungen nicht unberücksichtigt bleiben.

Somit sind aktuell wie noch nie zuvor die kombinierten Patientendaten zu bekannten endogenen Gerinnungsstörungen oder medikamentös induzierten Gerinnungshemmungen wichtig, um in Abhängigkeit von der endoskopischen Untersuchung das geringste Prozessrisiko zu erreichen.

Prof. Dr. med. S. Rossol

M.Sc. F.E.B.G.