RSS-Feed abonnieren
DOI: 10.1055/s-0028-1089978
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Hämophilie - Moderne Therapie wird immer sicherer
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
01. Oktober 2008 (online)
- Gefürchtet: die Entwicklung von Hemmkörpern
- Heimbehandlung mit hoher Therapiesicherheit
- Pharmakovigilanzstudie - Ein Beitrag zur Sicherung hoher Qualitätsstandards
Hämophilie bedeutet für die Betroffenen, dass sie lebenslang den fehlenden Blutgerinnungsfaktor substituieren müssen. In leichten Fällen genügt die Bedarfstherapie, also die Substitution nur bei akuten Blutungen. Häufig, vor allem bei Kindern, ist aber auch eine prophylaktische Behandlung angezeigt, um Spontanblutungen, etwa in die Gelenke, zu verhindern, die zu dauerhaften Schäden führen können. Bei der prophylaktischen Therapie wird der Gerinnungsfaktor 2-3-mal wöchentlich appliziert.
Seit es biotechnisch hergestellte Faktoren-Präparate wie das Faktor-VIII-Präparat ReFacto® gegen die Hämophilie A und das einzige rekombinante Faktor-IX-Präparat gegen Hämophilie B BeneFIX® gibt, ist die Therapiesicherheit viel größer geworden. Beide Produkte werden in Hamsterzellen gentechnisch produziert, es ist kein Spenderblut für die Herstellung notwendig, berichtete Dr. Mike Jankowski, Wyeth Pharma, Andover (Massachusetts, USA).
#Gefürchtet: die Entwicklung von Hemmkörpern
Stand als Komplikation in früheren Zeiten noch das Infektionsrisiko, etwa mit Hepatitis- oder HI-Viren, im Vordergrund, ist die gefürchtetste Komplikation heute die Bildung von Hemmkörpern. Schätzungsweise entwickeln bis zu 30 % der Patienten mit schwerer Hämophilie A solche neutralisierenden Antikörper, und dann sind Blutungen nur noch schwer zu stoppen, berichtete Prof. Johannes Oldenburg, Bonn.
An seiner Klinik wurde das so genannte "Bonner Protokoll" entwickelt, eine Immuntoleranztherapie zur Eradikation der Inhibitoren mit hoch dosiertem Faktor VIII. Es ist laut Oldenburg bei 80-90 % der Patienten erfolgreich.
#Heimbehandlung mit hoher Therapiesicherheit
Die gut verträglichen und einfach zu verabreichenden neuen Präparate machen eine "Heimbehandlung" möglich: Die Patienten selbst, oder bei jüngeren Kindern deren Eltern, spritzen die Gerinnungsfaktoren zu Hause nach entsprechender Schulung. Nach dem Transfusionsgesetz ist bei der Heimbehandlung das Führen eines Substitutionstagebuches vorgeschrieben. In dieses werden Blutungen, der Bedarf an Faktorkonzentrat, die Chargennummer, die Uhrzeit der Verabreichung, die Wirkung und die Nebenwirkungen eingetragen.
Gemeinsam mit dem Unternehmen Wyeth wurde am Institut für Thrombophilie und Hämostaseologie (ITH) in Münster das elektronische Substitutionstagebuch HaemoassistTM entwickelt. Es bessert die Kommunikation zwischen Arzt und Patient, ermöglicht es, Probleme in der Heimselbstbehandlung zeitnah zu erkennen und trägt so ebenfalls zur Therapiesicherheit bei, erläuterte Dr. Hartmut Pollmann aus Münster. Das Gerät hat im vergangenen Jahr den Innovationspreis Telemedizin 2007 erhalten.
Sonja Böhm, Weinheim
Quelle: Satellitensymposium "Hämophilietherapie von morgen - evidenzbasiert und transparent" im Rahmen der 52. Jahrestagung der Gesellschaft für Thrombose- und Hämostaseforschung e. V., veranstaltet von der Wyeth Pharma GmbH, Münster
#Pharmakovigilanzstudie - Ein Beitrag zur Sicherung hoher Qualitätsstandards
Kurz nach der Markteinführung von Refacto® begann im August 1999 eine große Pharmakovigilanz-Untersuchung. Mit deren Hilfe sollen langfristige Daten zu Wirksamkeit und Sicherheit des rekombinanten Faktor-VIII-Präparates gesammelt werden. Dr. Hartmut Pollmann aus Münster gab uns Auskunft über die bisherigen Ergebnisse der Studie.
klinikarzt: Was waren die aus ihrer Sicht wichtigsten Resultate der Pharmakovigilanzstudie?
Dr. Hartmut Pollmann: Die unter klinischen Routinebedingungen gewonnenen Daten bestätigen die Wirksamkeit und Sicherheit von ReFacto® sowohl in der Prävention als auch der Behandlung von Blutungen bei Patienten mit Hämophilie A.
klinikarzt: Wie aussagekräftig sind die Daten, vor allem in Bezug auf die in der Hämophiliebehandlung gefürchtete Hemmkörperentwicklung?
Pollmann: Inzwischen umfasst die Analyse 261 Patienten aus 45 Zentren. 22 dieser Patienten waren zuvor unbehandelt - das ist die Gruppe, bei der vor allem die Gefahr einer Inhibitorentwicklung besteht. Nur 3 dieser Patienten haben tatsächlich De-novo-Inhibitoren entwickelt, 2 davon hochtitrig. Diese beiden konnten erfolgreich mit einer Immuntoleranztherapie behandelt werden. Bei dem 3. Patienten handelte es sich um eine transiente niedrig titrige Inhibitorentwicklung ohne klinische Folgen, bei der die Therapie unverändert blieb.
klinikarzt: Wie ist der derzeitige Stand?
Pollmann: Seit 2002 haben wir in der Pharmakovigilanzstudie keine neuen Fälle von Inhibitorentwicklung bei zuvor unbehandelten Hämophiliepatienten diagnostiziert, obwohl in diesem Zeitraum 9 weitere Patienten mit der Therapie begonnen haben. Damit beträgt die Inhibitorinzidenz nun 13,6 % bei den zuvor unbehandelten Hämophiliepatienten - diese Zahl unterstreicht, denke ich, zusätzlich die Sicherheit der Behandlung. Da der letzte eingeschlossene Patient bereits 99 Expositionstage hinter sich hat, können wir davon ausgehen, dass alle Neustarter der Therapie bereits die kritische Phase, nämlich die ersten 20 Expositionstage, hinter sich haben.
klinikarzt: Und die Wirksamkeit?
Pollmann: Im Median reichte nach diesen Daten ein Expositionstag mit ReFacto® aus, um eine Blutung zu stillen. Dies bestätigt die hohe Effektivität und ist sicherlich auch ein Grund, warum die Anwender mit dem Präparat in der Regel zufrieden sind.
klinikarzt: Welchen Stellenwert haben solche Pharmakovigilanzstudien für die Praxis?
Pollmann: Sie liefern uns über die Phase der klinischen Prüfung hinaus Daten zur Wirksamkeit und Sicherheit der Präparate. Auch wir Ärzte brauchen eine solche Rückmeldung, um langfristig einen Überblick über das Nutzen/Risiko-Verhältnis einer Therapie zu erhalten und so einen hohen Qualitätsstandard der Therapie sichern zu können.
Herr Dr. Pollmann, vielen Dank für das Gespräch.