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DOI: 10.1055/s-0028-1098953
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Schmerzdiagnostik und -therapie
Publication History
Publication Date:
17 October 2008 (online)
Schon die epidemiologischen Daten unterstreichen die Bedeutung der Schmerzdiagnostik und -therapie im hausärztlichen Alltag:
Mehr als 75 % aller Tumorkranken leiden in der Endphase ihres Lebens unter Schmerzen. Kopfschmerz ist das häufigste Symptom im Kindes- und Jugendalter. Die Prävalenz von Schmerzen bei Heimbewohnern wird auf 45–80 % geschätzt. Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis und bedingen oft hohe Kosten durch Arbeitsunfähigkeitstage und Frühberentungen.
Eine Frage an das ärztliche Selbstverständnis stellen aber die Folgen der unzureichenden Antworten auf diese epidemiologischen Daten dar: Ausgerechnet die bedürftigsten unserer Patienten, Tumorpatienten am Ende ihres Lebensweges und multimorbide, gebrechliche Senioren in Altersheimen leiden unter einer fehlenden oder unzureichenden Schmerzbehandlung. Diese Tatsache ist eine der Wurzeln der teilweise beklemmenden aktiven Sterbehilfe-Bewegungen. Effiziente Schmerztherapie ist selten an einen großen apparativen Aufwand gebunden, jedoch ergreift der starke chronische Schmerz den Patienten mit allen Facetten des Leidens, somatisch, psychisch, sozial und spirituell und erfordert eine entsprechende Hilfe auf allen Leidensebenen. Cicely Saunders, die Nestorin der Palliativmedizin, fordert, dem „total pain“ eine „total care“ gegenüberzustellen. Die Umsetzung der Forderung sollte für uns alle ein anzustrebendes Ziel sein. Die Beiträge unseres Schmerzschwerpunktes sollen Ihnen helfen, den Anforderungen gerade der schwierigen und häufigen Schmerzsituationen besser gerecht zu werden.
In Seniorenheimen sind insbesondere die Hilfen für die Schmerzdiagnostik beim kommunikationsgestörten Patienten der Schlüssel zur Verringerung schmerztherapeutischer Defizite. Wir sind aufgerufen, verbale und nonverbale Schmerzäußerungen zu dechiffrieren und für die Therapie zu nutzen.
Eine rationelle Stufendiagnostik beim Kopfschmerz des Kindes und das Führen eines Kopfschmerztagebuches helfen dem Hausarzt, gefährliche Krankheitsverläufe rechtzeitig auszuschließen und dabei eine Überdiagnostik zu vermeiden. Da Langzeitstudien über die Nebenwirkungen einer medikamentösen Prophylaxe der Migräne bei Kindern weitgehend fehlen, haben nichtmedikamentöse Maßnahmen Vorrang.
In der palliativen Schmerztherapie gerät ein starres Festhalten an der WHO-Stufentherapie ins Wanken. Der hohe Leidensdruck und die Progredienz der Schmerzursachen erfordern heute oft den frühzeitigeren Einsatz von starken Opiaten. So lautete eine der Forderungen, die der WHO bei einer Expertenbefragung zur Weiterentwicklung der WHO-Leitlinien zur Schmerztherapie mit auf den Weg gegeben wurde [1], den Nutzen der Schmerztherapie Stufe II zu überprüfen, je nach Typ und Intensität der Tumorschmerzen. Unser nachfolgender Beitrag vermittelt algesiologisches Basiswissen und Hilfen für den hausärztlichen Umgang mit typischen Schmerzsituationen bei Tumorkranken.
Die Versorgung von Patienten mit akuten und chronischen Rückenschmerzen bleibt angesichts erheblicher Über-, aber auch Unterversorgung eine enorme Herausforderung im hausärztlichen und orthopädischen Alltag. Die klaren evidenzbasierten Empfehlungen räumen mit alten Zöpfen der Behandlung auf und markieren deutlich den Paradigmenwechsel.
Zu einem angemessenen Gebrauch evidenzbasierter Medizin, aktuell noch einmal zusammengetragen von R. Chou [2] [3], gehört die individuelle Umsetzung der externen Evidenz am konkreten Patienten, wie D. Sackett stets fordert. Erst dieser individuelle Transferprozess bringt dem Patienten den größtmöglichen Nutzen. Der hohe Anspruch an die Kunst des Hausarztes ist angesichts gelegentlich konträrer Patientenwünsche aber auch eine schwierige Aufgabe [4]. Die Beiträge unseres Schwerpunktthemas beleuchten die externe Evidenz. Sie als Hausärzte bleiben die Spezialisten für den individuellen Patienten.
Literatur
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1 Kumar N.. WHO Normative Guidelines on Pain Management. Report of a Delphi Study to determine the need for guidelines and to identify the number and topics of guidelines that should be developed by WHO. Geneva June 2007. Internet: www.who.int/medicines/areas/quality_safety/delphi_study_pain_guidelines.pdf
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2 Chou R.. Using Evidence in Pain Practice. Part I: Assessing Quality of Systematic Reviews and Clinical Practice Guidelines. Pain Medicine, OnlineEarly Articles, Published article online: 11-Mar-2008, doi: 10.1111/j.1526–4637.2008.00422_1.x
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3 Chou R.. Using Evidence in Pain Practice. Part II: Interpreting and Applying Systematic Reviews and Clinical Practice Guidelines. OnlineEarly Articles, Published article online: 11-Mar-2008, doi: 10.1111/j.1526–4637.2008.00422_2.x
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4 Chenot JF, Scherer M, Becker A. et al. .Acceptance and perceived barriers of implementing a guideline for managing low back ((pain)) in general practice. Implementation Science 2008, 3: 7 doi:10.1186/1748–5908– 3-7