psychoneuro 2008; 34(9): 429-431
DOI: 10.1055/s-0028-1099275
Serie
Berufliche Wiedereingliederung psychisch Kranker
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Die Arbeitssituation klären – Den Betriebsarzt einbinden, betrieblich eingliedern

Clarifying the work situation – Involving the company doctor, professional reinstatementPeter Zubrod1
  • 1Facharzt für Arbeitsmedizin, B.A.D. Gesundheitsvorsorge und Sicherheitstechnik GmbH und Der Gen Re Rehabilitations–Dienst GmbH
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Korrespondenz

Dr. med. Peter Zubrod

Schulstraße 33/1

69245 Bammental

Email: PeterZubrod@t-online.de

Publication History

Publication Date:
17 October 2008 (online)

Table of Contents

Psychisch krank zu sein bedeutet sehr häufig, den Arbeitsanforderungen der zu gesunden Tagen ausgeübten Tätigkeit zunehmend nicht mehr gerecht werden zu können. Psychische Auffälligkeit und der Versuch des Verschweigens und Kaschierens psychischer Beschwerden am Arbeitsplatz führen durch die nun auch noch von beruflicher Seite hinzutretenden Probleme oft zu einer weiteren Verschlechterung der psychischen Erkrankung. Am Arbeitsplatz kann es zu Fehldeutungen auffälliger Verhaltensweisen kommen und nicht selten eskalieren Probleme bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes.

To be mentally ill is very frequently associated with an increasing inability to meet the professional demands which the employee has to tackle in his everyday work and by his efforts to conceal this state of affairs. The mental disease is often aggravated by colleagues or superiors noticing occasional unusual behavior at the place of work. In addition, professional problems arising in this connection make things worse and the disease even more serious. This may lead to misinterpretations and problems may escalate to the point of loss of employment.

Die Betreuung von Mitarbeitern mit psychischen Gesundheitsproblemen stellt schon immer eine wichtige betriebsärztliche Aufgabe dar. Sowohl das Erkennen einer behandlungsbedürftigen psychischen Erkrankung als auch die Beratung und Begleitung bei der Einleitung einer adäquaten Therapie sowie die Betreuung im Rahmen der beruflichen Eingliederung nach längerer Arbeitsunfähigkeit gehören zum Aufgabenbereich des Betriebsarztes. Im Rahmen der betrieblichen Wiedereingliederung nach einer langen psychischen Erkrankung kommt der Zusammenarbeit und gegenseitigen Abstimmung mit den behandelnden Ärzten und Psychotherapeuten eine große Bedeutung zu, um im betrieblichen Umfeld die berufliche Reintegration erfolgreich zu gestalten.

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Verfügbarkeit eines Betriebsarztes

Leider bestehen aufgrund unterschiedlicher Betreuungskonzepte und Verfügbarkeiten nicht für jeden Mitarbeiter die gleichen Bedingungen der Inanspruchnahme betriebsärztlicher Leistungen. Je nach Betriebsgröße und Branche steht der Betriebsarzt in einem sehr unterschiedlichen zeitlichen Umfang im Betrieb zur Verfügung. In Großbetrieben ab ca. 3 000 Mitarbeitern pro Standort steht in der Regel ein täglich vor Ort erreichbarer Betriebsarzt bereit. Viele große Betriebe verfügen darüber hinaus über einen Sozialdienst und psychologische Beratungsangebote. In größeren mittelständischen Unternehmen erlaubt die betriebsärztliche Einsatzzeit regelmäßige wöchentliche oder monatliche Anwesenheitszeiten des Betriebsarztes. Eine Kontaktaufnahme mit dem Betriebsarzt ist in diesen Betrieben bei festen Anwesenheitszeiten in der Regel kein Problem. Sowohl betroffene Mitarbeiter als auch Personalverantwortliche, Personalvertretung, Vorgesetzte und Kollegen können bei Bedarf Kontakt aufnehmen. In Klein– und Kleinstbetrieben bestehen dagegen lediglich geringe betriebsärztliche Einsatzzeiten von teilweise nur 1–2 Stunden pro Jahr, sodass der Betriebsarzt vom einzelnen Mitarbeiter subjektiv meist nicht als „vorhanden” und „verfügbar” wahrgenommen wird. Häufig kommt es über Jahre hinweg zu keinem direkten Kontakt zwischen Mitarbeitern und Betriebsarzt. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass es in Kleinbetrieben auch im Falle einer psychischen Erkrankung meist nicht zu einer Einbindung des Betriebsarztes kommt.

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Der Erstkontakt

Der Betriebsarzt wird bei psychischen Auffälligkeiten eines Mitarbeiters von der Personalstelle, der Personalvertretung, den Vorgesetzten, den Kollegen oder auch vom betroffenen Mitarbeiter selbst angesprochen. Häufig erfolgt der Erstkontakt im Rahmen einer Beratung, wie man mit dem auffällig gewordenen Mitarbeiter umgehen solle. Der Betriebsarzt berät Vorgesetzte, Personalvertretung oder auch den betroffenen Mitarbeiter. Dabei kann die Initiative von den genannten Personen oder auch vom betroffenen Mitarbeiter selbst ausgehen, der sich beim Betriebsarzt vorstellt. Manchmal bestehen als erste Hinweise Verhaltensauffälligkeiten bei Besprechungen oder es treten Rückzugstendenzen auf (z. B. Nichtteilnahme am Betriebssport, Rückzug aus sonstigen sozialen Kontakten). Sehr oft ist auch das Nachlassen der Arbeitsleistung und das Auftreten von Fehlern ein Anlass für die Einbindung des Betriebsarztes. Nicht zuletzt besteht auch die Möglichkeit, dass sich psychisch erkrankte Mitarbeiter direkt an den Betriebsarzt wenden, um sich beraten zu lassen. Auch im Rahmen arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen werden immer wieder psychisch erkrankte Mitarbeiter erkannt und bezüglich des Behandlungsbedarfs und der Möglichkeit einer adäquaten Behandlung vom Betriebsarzt beraten. Anlass für die Aufnahme einer betriebsärztlichen Unterstützung kann schon ein einfacher Bildschirmsehtest sein, bei dem psychische Auffälligkeiten erkannt oder vom psychisch kranken Mitarbeiter angesprochen werden. Selbstverständlich unterliegen auch die Betriebsärzte der ärztlichen Schweigepflicht.

In meiner langjährigen Tätigkeit mit dem Schwerpunkt der betriebsärztlichen Betreuung mittelgroßer Betriebe kam es selten vor, dass ich von Seiten der Krankenversicherung, des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen (MDK) oder einer Rehabilitationseinrichtung gebeten wurde, im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung eines psychisch kranken Mitarbeiters mitzuwirken. Kein einziges Mal wurde ich von einem behandelnden Psychiater oder Psychotherapeuten gebeten, mich im Rahmen der beruflichen Wiedereingliederung für einen Patienten und Mitarbeiter eines von mir betreuten Betriebes einzusetzen. Hier besteht ein hoher Bedarf einer optimierten Zusammenarbeit.

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Betriebliches Eingliederungsmanagement

Mit Einführung des Sozialgesetzbuches IX zur Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen entstand für den Arbeitgeber die Verpflichtung, im Falle einer über 6 Wochen pro Jahr bestehenden Arbeitsunfähigkeit eines Mitarbeiters zu klären, mit welchen Möglichkeiten die Arbeitsunfähigkeit überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und damit der Arbeitsplatz erhalten werden kann (betriebliches Eingliederungsmanagement). Im Rahmen dieses, vom Arbeitgeber – unabhängig von der Betriebsgröße – abverlangten Engagements soll, soweit erforderlich, der Werks– oder Betriebsarzt hinzugezogen werden [1] [2] [3]. Während eine Umsetzung dieser seit dem Jahr 2001 bestehenden Rechtsgrundlage in Großbetrieben fast regelhaft der Fall ist, ist die Einführung entsprechender Umsetzungsroutinen in Mittel– und Kleinbetrieben noch lückenhaft. Dort besteht nur in Ausnahmefällen eine bei Bedarf nutzbare Umsetzungspraxis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements.

Ziel der betriebsärztlichen Betreuung psychisch erkrankter Mitarbeiter ist es, in einem engen Kontakt mit den örtlich ansässigen behandelnden Ärzten und in regionalen Netzwerken (u. a. unter Einbindung von Krankenkasse, MDK, Integrationsamt, Integrationsfachdienst und Servicestelle) eine zeitnahe und nachhaltige Betreuung und Behandlung sowie eine erfolgreiche betriebliche Wiedereingliederung zu ermöglichen. Dabei möchte der Betriebsarzt für jeden Betroffenen als Berater und Begleiter auch bei Vorliegen psychischer Erkrankungen zur Verfügung stehen können. Sind diese Voraussetzungen geschaffen, kann der Betriebsarzt als Schnittstelle zwischen „weißer” (behandelnder) Medizin und Arbeitsplatz dazu beitragen, auch bei Vorliegen langwieriger psychischer Erkrankungen eine erfolgreiche berufliche Reintegration im Betrieb zu bahnen und zu begleiten. Vom Betriebsarzt können im Kontakt mit Therapeuten für die berufliche Rehabilitation wichtige Daten zum Anforderungsprofil des Arbeitsplatzes ausgetauscht werden (Angaben zu psychischen Anforderungen, Stressfaktoren am Arbeitsplatz, etc.). Bei der betrieblichen Wiedereingliederung berät der Betriebsarzt bezüglich der erforderlichen Anpassungen am Arbeitsplatz (z. B. stufenweise Wiederaufnahme der Tätigkeit, Teildelegation besonders belastender Tätigkeitsinhalte, innerbetriebliche Umsetzung an einen leidensgerechten Arbeitsplatz, etc.). Häufig kann im Rahmen der Beratung des Arbeitgebers zu noch bestehenden, vorübergehenden Leistungseinschränkungen die Bereitschaft zur Aufnahme eines Arbeitsversuchs gebahnt und damit die Voraussetzung für eine erfolgreiche berufliche Reintegration geschaffen werden.

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Aktuelle Situation und Ausblick

Die aktuelle Situation, für ca. 10 Millionen Mitarbeiter in Kleinbetrieben und kleinen Mittelbetrieben im Bedarfsfall oft nicht in ausreichendem Umfang betriebsärztlich tätig werden zu können, stellt aus arbeitsmedizinischer Sicht nicht zufrieden. Die Vorstellung, dass Betreiber kleiner Unternehmen für psychisch Erkrankte die zusätzlichen Kosten eines umfangreicheren arbeitsmedizinischen Case–Managements übernehmen, hat sich zumindest bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt als nicht umsetzbar erwiesen. Eine betriebsärztliche Betreuung sollte für jeden Arbeitnehmer in Deutschland unkompliziert und wie jede andere fachärztliche Betreuung zugänglich sein und zum selbstverständlichen Bestandteil einer integrierten Versorgung werden.

Psychische Erkrankungen werden zunehmend zur Ursache von Arbeitsplatzverlust und Frühberentung [Abb. 1],[Abb. 2],[Abb. 3]. Die berufliche Reintegration kann in vielen Fällen nicht ausschließlich durch eine erfolgreiche psychiatrische und psychotherapeutische Behandlung sichergestellt werden. Häufig kommt es darauf an, bei der Wiederaufnahme der Tätigkeit Vorgesetzte, Kollegen und die Betroffenen selbst zu beraten, mit den noch bestehenden psychischen Teilleistungsschwächen umgehen zu lernen und Überforderungen zu vermeiden. Ohne betriebsärztliche Begleitung scheitert in diesen Fällen der Wiedereinstieg in den Beruf leider allzu oft. Wir Betriebsärzte stehen gerne für eine intensivierte Zusammenarbeit und Einbindung zur Verfügung.

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Abb. 1 Veränderung der AU–Tage pro 100 Versicherte in 2007 gegenüber 2000 bei DAK–Versicherten nach ICD–Hauptgruppen.

Quelle: DAK–Gesundheitsreport 2008

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Abb. 2 Entwicklung von Arbeitsunfähigkeitstagen und –fällen.

Quelle: DAK–Gesundheitsreport

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Abb. 3 Gesundheitsbedingte Frühberentung aufgrund psychischer Erkrankungen (ICD–10) in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Quelle: Statistik des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger

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Literatur

  • 1 Glomm D.. Frühzeitige Bedarfserkennung von Teilhabeleistungen als betriebsärztliche Aufgabe.  Impulse Fachzeitschrift der BAG UB. 1999;  23
  • 2 Panther W.. Die Rolle der Betriebs– und Werksärzte. In: Weber A, Hörmann G, Hrsg. Psychosoziale Gesundheit im Beruf. Stuttgart: Gentner Verlag 2007: 589-592
  • 3 Sozialgesetzbuch IX, § 84 Prävention Absatz 1 und. 2
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Dr. med. Peter Zubrod

Schulstraße 33/1

69245 Bammental

Email: PeterZubrod@t-online.de

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Literatur

  • 1 Glomm D.. Frühzeitige Bedarfserkennung von Teilhabeleistungen als betriebsärztliche Aufgabe.  Impulse Fachzeitschrift der BAG UB. 1999;  23
  • 2 Panther W.. Die Rolle der Betriebs– und Werksärzte. In: Weber A, Hörmann G, Hrsg. Psychosoziale Gesundheit im Beruf. Stuttgart: Gentner Verlag 2007: 589-592
  • 3 Sozialgesetzbuch IX, § 84 Prävention Absatz 1 und. 2
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Abb. 1 Veränderung der AU–Tage pro 100 Versicherte in 2007 gegenüber 2000 bei DAK–Versicherten nach ICD–Hauptgruppen.

Quelle: DAK–Gesundheitsreport 2008

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Abb. 2 Entwicklung von Arbeitsunfähigkeitstagen und –fällen.

Quelle: DAK–Gesundheitsreport

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Abb. 3 Gesundheitsbedingte Frühberentung aufgrund psychischer Erkrankungen (ICD–10) in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

Quelle: Statistik des Verbands Deutscher Rentenversicherungsträger