psychoneuro 2008; 34(10): 488
DOI: 10.1055/s-0028-1101450
Forum der Industrie

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Alzheimer-Demenz - Prof. Markus Jüptner im Interview - Patienten mit schwerer Demenz in der Praxis - Wie lange und womit behandeln?

Further Information

Publication History

Publication Date:
04 November 2008 (online)

 

Bei Alzheimer-Demenz gelten bisher nach den Empfehlungen der Fachgesellschaften Acetylcholinesterasehemmer wie Galantamin (Reminyl®) im leichten bis mittelschweren Stadium als Mittel der 1. Wahl. Für Patienten mit moderater bis schwerer Demenz ist in Deutschland jedoch bisher nur der NMDA-Rezeptorantagonist Memantine zur Behandlung zugelassen. Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat jetzt in seinem aktuellen Vorbericht vom 14. August 2008 das vorläufige Fazit gezogen, "dass der Nutzen von Memantine für die Behandlung der moderaten bis schweren Alzheimer Demenz nicht belegt ist." Wir sprachen dazu mit Herrn Prof. Markus Jüptner, Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie und Leiter des Zentrums für Gesundheit im Alter in Mühlheim.

? Wie bewerten Sie aus Ihrer Sicht den vorläufigen Bericht des IQWiG zur Nutzenbewertung von Memantine bei Patienten mit Alzheimer-Demenz?

Prof. Markus Jüptner: Nach Angaben des Instituts bleibt die Frage vorerst noch ungeklärt, ob Patienten mit Alzheimer-Demenz von Medikamenten profitieren, die den Wirkstoff Memantine enthalten. Das Institut moniert, alle Aussagen des Vorberichts stünden unter einem generellen Vorbehalt, da die bislang für die Bewertung vorgelegten Daten lückenhaft seien. Was mich nachdenklich macht, ist die Frage, warum nicht alle Studiendaten offengelegt wurden. Man könnte spekulieren, dass es an negativen Daten liegen könnte ...

Bewerte ich meine eigenen bisherigen Erfahrungen mit Memantine, komme ich persönlich zu der Schlussfolgerung, dass ein klinisch relevanter Effekt auf die Kognition unter Memantine nicht zu erkennen ist. Ein Effekt auf die Vigilanz ist dagegen klinisch sichtbar. Die Patienten wirken wacher. Auch nach den bisherigen Studienergebnissen scheint die Wirksamkeit auf die Kognition und die Alltagsfähigkeiten nicht so ausgeprägt zu sein, wie z. B. bei Galantamin. Das bestätigen auch die vorliegenden Metaanalysen. Sollte das IQWiG im endgültigen Bericht wie bei den Cholinesterasehemmern fast deckungsgleich bei seinem Vorbericht bleiben, sieht es bei aller Vorsicht für die Nutzenbewertung von Memantine nicht gut aus.

Die Leitlinien der Fachgesellschaften wird dies aber nicht unbedingt beeinflussen. Antidementiva müssen ja für die Zulassung in 3 Parametern signifikante Ergebnisse erzielt haben - Kognition, Alltagsaktivität und klinischer Gesamteindruck. Das haben die Acetylcholinesterasehemmer gezeigt und auch Memantine in einzelnen Studien. Für die Nutzenbewertung fordert das IQWIG jetzt aber weitere patientenrelevante Parameter. Die Hersteller der Acetylcholinesterasehemmer haben bereits darauf reagiert und entsprechende Daten vorgelegt. Bei Memantine scheint dies jedoch schwierig zu sein.

? Bei Patienten mit schwerer Demenz zeigte gerade die SERAD-Studie [1] , dass der Acetylcholinesterasehemmer Galantamin die Kognition gegenüber Placebo signifikant verbessern kann. Was bedeutet das für die moderne Alzheimer-Therapie?

Jüptner: Die methodisch einwandfreie SERAD-Studie untersuchte Sicherheit und Wirksamkeit von Galantamin bei Patienten mit schwerer Demenz. Galantamin (24 mg/d) verbesserte dabei die Kognition der Patienten signifikant. Damit Acetylcholinesterasehemmer jetzt auch bei fortgeschrittener Erkrankung zugelassen werden, muss aber noch eine Wirksamkeit in anderen Parametern nachgewiesen werden. Nichtsdestotrotz ist der Einsatz von Galantamin auch bei schwerer Demenz sinnvoll, da er nicht nur die Kognition verbessert, sondern - wie in anderen Studien gezeigt - auch bei Verhaltensauffälligkeiten wirksam ist. Weitere wichtige Parameter, die untersucht werden sollten, sind die Lebensqualität der Patienten, Betreuungsaufwand und Einsatz von begleitenden Medikamenten.

? Wie sollten Patienten mit schwerer Alzheimer-Demenz ihrer Meinung nach aktuell behandelt werden? Sollte Galantamin im späten Stadium der Erkrankung abgesetzt werden?

Jüptner: Ich mache das davon abhängig, ob der Patienten von der Behandlung noch profitiert, d. h. vor allem auf Seiten der Kognition, aber auch der Alltagskompetenz oder der Verhaltensauffälligkeiten. Ich würde die Behandlung nicht nur deshalb absetzen, weil der Patient aufgrund seiner kognitiven Fähigkeiten ein schweres Stadium erreicht hat. Zumal es bisher noch keine eindeutige Definition gibt, wann genau ein schweres Stadium erreicht wird.

Auch führende Experten empfehlen eine Weiterbehandlung, solange der Patient davon noch kognitiv profitieren kann. Juristisch gesehen ist dies aufgrund der Zulassungssituation natürlich schwierig. Medizinisch und ethisch würde ich aber weiterbehandeln, solange der Patient profitiert.

! Herr Professor Jüptner, herzlichen Dank für das Gespräch.

Durch das Interview führte die freie Journalistin Dr. Katrin Wolf, Eitorf.

01 Burns A, Bernabel R, Bullock R et al. The SERAD Study: Galantamine Improves Cognitive Function In Nursing Home Patients With Severe Alzheimer's Disease. Poster präsentiert auf dem 12. Kongress der European Federation of Neurological Societies (EFNS) 2008 in Madrid, Posternummer P2002