Zeitschrift für Palliativmedizin 2008; 9(4): 215
DOI: 10.1055/s-0028-1121916
Forum

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Buchbesprechnung

Further Information

Publication History

Publication Date:
19 December 2008 (online)

 

Eine Zeit ohne Tod

Saramago, José

2007, 256 Seiten, EUR (D) 19,90. Rowohlt, Reinbek.

ISBN 978 3 498 06389 4

Eine berührende und besondere Geschichte. Ein Roman über das Leben, wie es ist - und wie es sein würde, gäbe es "die Tod" nicht. Der portugiesische Autor - in seiner Muttersprache ist das Substantiv "morte" weiblichen Geschlechts - hat faszinierende Ideen und nimmt die Leser auf eine Gedankenreise mit, die spannend und aufregend verläuft, die nachdenklich macht und immer wieder auch zum Lachen verführt.

"Am darauffolgenden Tag starb niemand." Mit diesem Satz beginnt das Buch - und auf den folgenden 250 Seiten breitet José Saramago seine Gedanken aus, die im positiven Sinn unter die Haut gehen und Herz und Hirn erfreuen. Wie wäre es, wenn niemand mehr stirbt? Welche Probleme bewegen uns dann plötzlich? Welche Berufsgruppen leiden darunter am meisten?

Ich möchte nicht zuviel verraten vom Verlauf des Buches - es ist wert, gelesen zu werden. Es ist nicht wirklich überraschend, dass sehr früh die Kirche gegen diesen fiktiven Zustand der Zeit ohne Tod aufbegehrt, weil es ohne den Tod keine Auferstehung gibt, und ohne Auferstehung gibt es keine Kirche - so äußert sich zumindest der Kardinal gegenüber dem Premierminister im hier beschriebenen - und empfohlenen - Buch.

In weiterer (Reihen-)Folge melden naturgemäß Bestattungsunternehmen, Krankenhäuser, Alten- und Pflegeheime ihren großen Widerstand gegen die Zeit an, in der niemand stirbt. Der Zustand, den sich manche manchmal wünschen - die Verhinderung des Sterbens - wird durch die blendenden Ideen von Saramago klar als Alptraum erkenntlich, den es zu vermeiden gilt. Tausende von Briefen erreichen dann auch rasch die Versicherungsgesellschaften, die allesamt den Antrag auf eine fristlose Kündigung der Lebensversicherung der Unterzeichneten enthielten. Als dann eine besondere Art von Tourismus entsteht, und auch noch die "Maphia" (sic!) beginnt, die Zustände auszunützen, wird die Absurdität und Gefahr der Zeit ohne Tod immer direkter spürbar.

Auf den vielen weiteren spannenden Seiten des Buches findet sich eine merkenswerte "Parabel vom Holznapf", es wird ein bedeutsamer Brief öffentlich verlesen, und viele Briefe werden verschickt. Bevor ein Cellist begleitet wird, wird noch eine Idee der Vorankündigung ausgebreitet, die auf den ersten Blick vielleicht praktisch und wünschenswert erscheint - und rasch das gleichzeitig auftretende Erschrecken zeigt.

Geniale Ideen des Autors schaffen Verbindungen zur Realität und zu manch wichtiger Frage unserer Zeit. Das Buch ist aus meiner Sicht durch und durch ein Genuss, den ich Ihnen wünsche. Manche Gedanken des Romans werden in unserer Erinnerung haften bleiben - und manche vielleicht sogar unser Denken beeinflußen.

Dr. Harald Retschitzegger, Ried

Email: harald.retschitzegger@bhs.at

    >