Ernährung & Medizin 2009; 24(1): 9
DOI: 10.1055/s-0029-1213460
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Laktoseintoleranz und Fruktoseunverträglichkeit – Modediagnose oder zunehmende Inzidenz?Edmund A. Purucker
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Publication Date:
31 March 2009 (online)

Eine Unverträglichkeit gegenüber laktosehaltigen Nahrungsmitteln stellt sich dann ein, wenn in den Bürstensaumzellen des Jejunums das Enzym Laktase nicht mehr ausreichend hergestellt wird. Die Folge ist, dass Milchzucker nicht in seine Monosaccharide Galaktose und Glukose aufgespaltet wird, somit nicht resorbiert werden kann und daher durch Darmbakterien abgebaut wird. Die Abbauprodukte – Wasserstoff, Kohlendioxid und kurzkettigen Fettsäuren – werden für die Beschwerden verantwortlich gemacht, unter denen Patienten mit Laktoseunverträglichkeit leiden. Das klassische Beschwerdebild mit Meteorismus, Bauchkrämpfen, Flatulenz und Durchfällen ist dabei aber nur die Spitze des Eisberges; häufig liegen nur unspezifische abdominelle Beschwerden vor oder es treten Beschwerden auf, wie z. B. eine chronische Müdigkeit, die zunächst gar nicht mit dem Magen-Darm-Trakt in Verbindung gebracht werden.

In der Tat sind in Deutschland 15–20 % der Gesamtbevölkerung von einer Laktoseintoleranz unterschiedlichen Ausmaßes betroffen, wobei die Beschwerden nicht in jedem Falle zu einem Arztbesuch führen müssen. Die Zunahme der Diagnose einer Laktoseintoleranz in den vergangenen Jahren lässt daher eher vermuten, dass diese Diagnose früher zu selten gestellt wurde. Dass sie heute häufiger gestellt werden kann, liegt in erster Linie aber auch an der erst seit 10–15 Jahren einfach einsetzbaren Messmethode des H2-Atemtestes. Dieser hat eine hohe diagnostische Sensitivität und Spezifität für die Diagnose einer Laktoseintoleranz; er wird auch für die Diagnose der selteneren Fruktose- wie auch der Sorbitunverträglichkeit verwendet.

Die wichtigste ärztliche Aufgabe bei positivem H2-Atemtest ist es, eine primäre von einer sekundären Kohlenhydratintoleranz zu differenzieren. Nicht selten konnte in den letzten Jahren Patienten mit einem „Colon irritabile” nach der korrekten Diagnosestellung einer Kohlenhydratunverträglichkeit mit einer spezialisierten Ernährungstherapie nachhaltig geholfen werden bzw. auslösende Erkrankungen wie z. B. eine Zöliakie oder ein Morbus Crohn ursächlich behandelt werden.

Für eine erfolgreiche Ernährungstherapie ist die Kennzeichnungspflicht für Laktose gemäß EU-Richtlinie seit 2005 eine wichtige Hilfe, um Laktosebeimengungen insbesondere in Fertiggerichten erkennen zu können. Die Nahrungsmittelindustrie hat auf die hohe Prävalenz der Laktoseunverträglichkeit reagiert: Mittlerweile sind laktosefreie Milch und Milchprodukte breit verfügbar, was insbesondere für die Vermeidung eines Kalziumdefizits wichtig ist, das durch eine milchfreie Ernährung begünstigt wird.

Wichtig ist aber auch, dass die Diagnose einer Laktose-, Fruktose- oder Sorbitunverträglichkeit nur selten zum kompletten Verzicht der jeweiligen Kohlenhydrate führen muss. Vielmehr sollte es Inhalt jeder Beratung sein, mit den Betroffenen eine individuelle Verträglichkeitsgrenze zu erarbeiten, um weiterhin eine abwechslungsreiche Nahrungspalette genießen zu können.

Priv.-Doz. Dr. Edmund A. Purucker