Dialyse aktuell 2009; 13(2): 55
DOI: 10.1055/s-0029-1214358
Editorial

© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Herausforderung alter Dialysepatient

Peter M. Jehle
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Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
02. März 2009 (online)

Geht es Ihnen nicht auch so, dass die von Ihnen behandelten Dialysepatienten immer älter sind? Oft stehen wir in der Klinik bei hochbetagten Menschen vor der Entscheidung, was zu tun wäre, wenn die Nierenfunktion sich weiter verschlechtert. Ist diese Thematik neu? Sind wir erst in unserer Generation damit konfrontiert? Sicherlich nicht. Während in der Steinzeit die Lebenserwartung des Menschen etwa 35 Jahre betrug, sagt bereits die Bibel im alten Testament: „Unser Leben währet siebzig Jahre und wenn es hoch kommt so sind es achtzig Jahre” (Psalm 90, Vers 10). Dies entspricht ziemlich genau der momentanen Lebenserwartung in unserer Gesellschaft. Ich persönlich bin zwar nicht überzeugt, einschlägige Experten gehen jedoch davon aus, dass die Lebenserwartung weiter steigt:

„Die Rekordlebenserwartung in den entwickelten Ländern steigt pro Jahr um 3 Monate und eine Verlangsamung dieses Trends ist nicht in Sicht.” (Dr. Jutta Gampe, Leiterin des Bereichs Statistik am Max–Planck–Institut für demografische Forschung in Rostock) „Alternsvorgänge werden durch die moderne Medizin zumindest beeinflusst und Alternsveränderungen in ein höheres Alter hinein verschoben.” (Prof. Klaus Hager, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Alternsforschung)

Was steht der steigenden Lebenserwartung entgegen? Ich denke, hier sind vor allem die zunehmende Adipositas in der Bevölkerung sowie Rauchen und übermäßiger Alkoholkonsum zu nennen. Im Buch Jesus Sirach aus den Apokryphen übersetzt Martin Luther eine entsprechende Empfehlung zur Erreichung eines langen Lebens sehr kraftvoll (Originalsprache der 1. Lutherbibel): „Viel haben sich zu tod gefressen, wer aber messig ist, der lebet desto lenger”. Für unsere Zeit möchte ich stellvertretend für viele Beiträge auf einen Artikel von Samuel H. Preston verweisen: Deadweight? – The influence of obesity on longevity (N Engl J Med 2005; 352: 1135–1137). Wie dachten die Menschen der Goethezeit über das Alter? Der berühmte Arzt Christoph Wilhelm Hufeland (1762–1836) machte sich ernst zu nehmende Gedanken, die auch heute noch zur Diskussion Anlass geben sollten. Für ihn war die Dauer des Lebens von 4 Dingen abhängig:

von der Summe der Lebenskraft, die dem betreffenden Geschöpf zu Beginn seines Lebens innewohnt von der Festigkeit und der Widerstandsfähigkeit der einzelnen Bausteine des Lebens von der Geschwindigkeit der Konsumtion, „gerade so, wie ein Licht, das man unten und oben zugleich anbrennt, noch einmal so geschwind verbrennt, als ein einfach angezündetes.” von der individuellen Regenerationskraft des betreffenden Körpers

Alle 4 Grundgedanken lassen sich auf die heutigen Erkenntnisse der Nephrologie im Hinblick auf die „Lebenserwartung der Nierenfunktion” gut übertragen. Der Summe der Lebenskraft könnten die in unterschiedlicher Zahl angelegten Nephrone entsprechen, die „peak kidney mass” also. Mit der Festigkeit und Widerstandsfähigkeit der Niere assoziiere ich die renale Funktionsreserve, die gerade beim Nierenversagen des alten Menschen eine entscheidende Rolle spielt. Die Geschwindigkeit der Konsumtion lässt unmittelbar an die oben genannten renalen Risikofaktoren Rauchen, Adipositas und Diabetes denken. Die individuelle Regenerationskraft sehen wir in der klinischen Nephrologie täglich. Es gibt immer wieder überraschende Krankheitsverläufe – auch bei Patienten, bei denen nierenbioptisch eher wenig Hoffnung auf eine Regeneration der Nierenfunktion besteht. Hier sind wir aufgefordert, weiter an den Risikofaktoren und Regenerationsfaktoren des Nierenversagens zu forschen und alles dafür zu tun, um im Alter eine suffiziente Nierenfunktion zu erhalten.

Im vorliegenden Heft haben sich 3 renommierte Experten der Thematik „Dialyse im Alter” angenommen. Ich danke Prof. Kerstin Amman, Prof. Mark Dominik Alscher und Prof. Markus Hollenbeck ganz herzlich für ihre Beiträge und wünsche Ihnen eine gute Lektüre.

Prof. Dr. Peter M. Jehle

Lutherstadt Wittenberg