Psychiatr Prax 2009; 36(3): 146-147
DOI: 10.1055/s-0029-1220814
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Leserbriefe
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Abweichungen von einer Behandlungsvereinbarung ohne Zustimmung des Patienten bedürfen einer Rechtsgrundlage

Zum Beitrag von Borbé R et al. Behandlungsvereinbarungen in der Psychiatrie. Psychiat Prax 2009; 36: 7-15
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Publication Date:
06 April 2009 (online)

 

Es ist verdienstvoll, dass die Autoren Borbé, Jaeger und Steinert eine Suche nach empirischen Studien zu Behandlungsvereinbarungen und eine systematische Sichtung der Funde unternommen haben [1]. Hinsichtlich der rechtlichen Bewertung der Verbindlichkeit solcher Vereinbarungen bin ich allerdings etwas anderer Auffassung als die Autoren.

Unter dem Stichwort "Terminologie" (S.8) heißt es, dass die Behandlungsvereinbarung als Absprache zwischen Patient und Behandlern rechtlich nicht bindend sei, dass eine davon abweichende Behandlung aber gut begründet und fachärztlich angeordnet sein sollte. Unter dem Stichwort "Geltungsbereich" (S.10) wird dargelegt, dass die Vereinbarung für beide Seiten bindend, wenngleich rechtlich nicht einklagbar sei. Im Muster der Bielefelder Behandlungsvereinbarung [2], auf die Bezug genommen wird, lautet die Präambel zu dieser Frage: "Von den Absprachen darf nicht abgewichen werden, wenn nicht zuvor die/der zuständige Oberärztin/Oberarzt bzw. der ärztliche Hintergrunddienst eingeschaltet wurde und zugestimmt hat. Wenn im Einzelfall von den Behandlungsabsprachen abgewichen wird, ist dies vonseiten der Klinik ausführlich zu begründen und mit der Patientin/dem Patienten zu besprechen, wenn diese/r es wünscht." All dies erscheint mir nicht schlüssig.

Mit der ausdrücklichen Zustimmung der betroffenen Person kann selbstverständlich jederzeit, wenn es sich als notwendig erweist, vom Inhalt der Behandlungsvereinbarung abgewichen werden. Abweichungen ohne Zustimmung bedürfen dagegen, soweit es sich um Behandlungsmaßnahmen handelt, nach meiner Auffassung zwingend einer Rechtsgrundlage.

Rechtlich gesehen kommt in der Behandlungsvereinbarung der Wille des Patienten zum Ausdruck. Von der Patientenverfügung unterscheidet sich die Behandlungsvereinbarung nur in praktischer, aber nicht in rechtlicher Hinsicht; sie ist im Grunde eine mit ärztlicher Beratung erstellte und ärztlich bestätigte Patientenverfügung. Ein einwilligungsfähiger Patient kann seine Willensbildung jederzeit der aktuellen Situation anpassen. Bei einem in der aktuellen (Notfall- oder Krisen-)Situation nicht einwilligungsfähigen Patienten gibt die Behandlungsvereinbarung dagegen die Willensbildung zu einem Zeitpunkt wieder, zu dem die Einwilligungsfähigkeit (noch) bestanden hat. Insofern muss der behandelnde Arzt in der aktuellen Situation davon ausgehen, dass die Behandlungsvereinbarung wie sonst auch eine Patientenverfügung den mutmaßlichen Willen des Patienten wiedergibt.

Ein weiteres Argument spricht dafür, dass diesen vorweg abgegebenen Willensäußerungen besonderes Gewicht zukommt: In der Regel werden mehr oder weniger genau für die Notfall- oder Krisensituation, die aktuell zu bewältigen ist, im Voraus Festlegungen getroffen. Und anders als Personen, die für eine abstrakte, noch nicht erlebte, sondern nur vorgestellte Situation am Lebensende Vorsorge treffen wollen, kennen die Partner, die eine psychiatrische Behandlungsvereinbarung aushandeln, die Situationen, die sie meinen, meist konkret aus eigenem Erleben; sie wissen, wie solche Krisen bisher verlaufen sind, wollen aus Fehlern lernen und bereits vorhandene Erfahrungen für künftige Krisen nutzen. Damit sind aber die Vorausverfügungen von Menschen mit psychischen Erkrankungen häufig viel besser in deren persönlichem Erfahrungshorizont verankert als Vorausverfügungen zum ärztlichen Handeln am Lebensende, und sie sind ausdrücklich gedacht für den Fall, dass der Patient seinen Willen krankheitsbedingt aktuell nicht mehr frei bestimmen kann.

Es ist eine Binsenweisheit, dass ein ohne Einwilligung vorgenommener ärztlicher Eingriff rechtswidrig ist [3]. Insofern fehlt der Entscheidung, bei der Behandlung eines einwilligungsunfähigen Patienten von der Behandlungsvereinbarung und damit vom mutmaßlichen Willen des Patienten abzuweichen, die Legitimation. Beim einwilligungsfähigen Patienten muss der Arzt im Voraus vorgenommene Festlegungen nicht zwingend befolgen; er kann versuchen den Patienten für eine andere Vorgehensweise zu gewinnen oder die Übernahme der Behandlung ablehnen. Bei einem einwilligungsunfähigen Patienten scheint es mir geboten zu sein, für eine begründete Abweichung von den Festlegungen der Behandlungsvereinbarung eine Rechtsgrundlage zu schaffen.

Aus diesem Grunde haben wir für den Entwurf einer Behandlungsvereinbarung, den wir derzeit in unserem Hause erproben, den Text der Präambel modifiziert: Dort heißt es (als Hinweis an den "Empfänger"): "Die Mitarbeiter der Klinik sehen sich verpflichtet, auch bei einer Unterbringung nach dem PsychKG LSA oder dem Betreuungsgesetz für die Einhaltung der Absprachen Sorge zu tragen und auf der Grundlage einer sorgfältigen Dokumentation über das Vorgehen im Einzelfall Rechenschaft abzulegen. Mit der Zustimmung der betroffenen Person kann, wenn es sich als notwendig erweist, vom Inhalt der Behandlungsvereinbarung abgewichen werden. Abweichungen ohne Zustimmung bedürfen einer Rechtsgrundlage und sind darüber hinaus ausführlich zu begründen, zu dokumentieren und mit den Beteiligten zu besprechen."

Ferner bleibt zu diskutieren, ob die Behandlungsvereinbarung nur diejenige Klinik bindet, mit deren Mitarbeitern sie abgeschlossen wurde, oder ob sie als Vorausverfügung des Patienten nicht grundsätzlich auch von anderen Ärzten, denen sie in einer Notfall- oder Krisensituation vorgelegt wird, beachtet werden muss.

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Aktionskreis Psychiatrie e.V. am 15.10.2008 in Berlin ein parlamentarisches Gespräch zum Thema "Patientenautonomie und ärztliche Fürsorge in der Psychiatrie - Patientenrechte - Patientenverfügungen - Zwangsbehandlung" durchgeführt hat mit dem Ziel, Abgeordnete des Deutschen Bundestages für die Bedeutung von Patientenverfügungen eben nicht im Hinblick auf das Lebensende und das selbst bestimmte Sterben, sondern insbesondere im Hinblick auf das selbst bestimmte Leben - gerade von Menschen mit psychischen Erkrankungen - zu sensibilisieren; von Psychiatrieerfahrenen, Angehörigen psychisch Kranker und Psychiatern gemeinsam wurde die Empfehlung formuliert, Behandlungsvereinbarungen als eine besondere Form der Patientenverfügung im Gesetzgebungsverfahren zu berücksichtigen.

Felix M. Böcker, Naumburg

Email: FM.Boecker@t-online.de

Literatur