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DOI: 10.1055/s-0029-1220815
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Anwort
Publication History
Publication Date:
06 April 2009 (online)
Wir freuen uns über die Resonanz auf unsere Übersicht zu Behandlungsvereinbarungen in der Psychiatrie und teilen grundsätzlich die Auffassung von Herrn Böcker, dass es rechtliche Rahmenbedingungen für Patientenverfügungen gerade auch psychisch kranker Menschen geben muss. Auf das Fehlen dieser Rahmenbedingungen in Deutschland hatten wir im Text hingewiesen. Dafür, dass wir die rechtlichen Aspekte in dieser Arbeit nicht weiter diskutiert haben, gab es zwei wesentliche Gründe:
Ziel der Übersicht war ein Überblick über die Formen von Behandlungsvereinbarungen und deren Anwendung sowie die gegenwärtige Evidenz zur Wirksamkeit national wie international. Die Diskussion der sehr komplexen und aktuell auch in Gesetzgebungsverfahren diskutierten rechtlichen Aspekte hätte den Rahmen gesprengt und bedürfte einer eigenen Abhandlung. Eine Behandlungsvereinbarung, wie sie in Deutschland angeboten wird, hat durch Nachbearbeitung des vorangehenden Aufenthaltes, durch die konsensorientierte Verhandlung und den Vorgriff auf einen möglichen erneuten Aufenthalt auch psychotherapeutische Züge. Sie kann als erweiterter Krisenpass, aber auch als vertragsähnliche Absprache gesehen werden. Die meisten Behandlungsvereinbarungen in Deutschland orientieren sich unserer Kenntnis nach an der Bielefelder Fassung (www.psychiatrie-bielefeld.de/trialog_barrierefrei/behandlungsvereinbarung/behandlungsvereinbarung.pdf), die folgenden Passus enthält: "Die getroffenen Absprachen bilden keinen rechtlich einklagbaren Vertrag. Bei Nichtbeachtung bzw. unbegründeter Abweichung kann jedoch ggf. von einem Behandlungsfehler ausgegangen werden." Nicht immer im Wortlaut, aber inhaltlich meist identisch haben dies die meisten Kliniken übernommen.
Angesichts der Vielfalt unterschiedlichster Modelle weltweit haben wir diese in unserer Arbeit zunächst kategorisiert und die in Deutschland übliche Behandlungsvereinbarung als konsensorientiert eingeordnet. Eine Patientenverfügung wäre dagegen nicht konsensorientiert, sondern eine reine Willensäußerung des Patienten, die letztlich auch die Ablehnung jeglicher Therapiemaßnahmen beinhalten könnte, vergleichbar mit dem Psychiatrischen Testament.
Eine aktuelle Übersicht von Henderson et al. (2008) bestätigt zwar die Sichtweise von Herrn Böcker, da dort erwähnt wird, dass Behandlungsvereinbarungen in Deutschland als rechtlich bindend eingeordnet werden. Widersprüchlich dazu ist aber, dass in dieser Arbeit sog. "joint crisis plans" als rechtlich nicht bindend gesehen werden. Gerade diese entsprechen aber den deutschen Behandlungsvereinbarungen inhaltlich am ehesten. Dies verweist nochmals auf das Definitionsproblem Behandlungsvereinbarung (joint crisis plan) versus Patientenverfügung (advance directive), das wir durch die oben genannte Einordnung berücksichtigt hatten.
Herr Böcker verweist auch darauf, dass eine vorweg abgegebene Willenserklärung rechtlich bindend sei. Dies trifft sicherlich auf eine einseitig gemachte Willenserklärung in einer Patientenverfügung zu. Allerdings enthält in Abgrenzung hierzu die Behandlungsvereinbarung den oben genannten oder einen ähnlichen Passus, der dem Patienten erläutert wird. Letztlich muss sich dann der Patient entscheiden, ob er diese Vereinbarung so mittragen kann oder ob er seinen Willen anderweitig äußern will. Dies betrifft ja auch die einzelne Klinik, die in jeder Verhandlung prüfen muss, ob sie die Vereinbarung in der individuellen Form mittragen kann. Insofern sind Behandlungsvereinbarungen auch nicht jederzeit auf eine andere Klinik übertragbar. Wenn man z.B. festlegt, dass der Patient nur auf eine Station mit Therapiehund aufgenommen wird, so führt dies möglicherweise in einer anderen Klinik zu einem nicht lösbaren Problem, weil diese nicht mit Therapiehunden arbeitet. Es sind gerade die "weichen", subjektiven Wünsche und Vorstellungen von Patienten, die eine Behandlungsvereinbarung interessant machen, weil diese häufig nicht bei Aufnahme berücksichtigt werden können, wenn ein Patient seinen Willen nicht mehr klar äußern kann.
Nicht stichhaltig erscheint uns daher der Hinweis von Herrn Böcker, dass es bei einem einwilligungsunfähigen Patienten immer geboten sei eine Rechtsgrundlage für eine begründete Abweichung von den Festlegungen der Behandlungsvereinbarung zu schaffen. Jegliche Maßnahme, die gegen den Patientenwillen durchgeführt wird, ob im Sinne, entgegen einer oder ohne Behandlungsvereinbarung bedarf der rechtlichen Grundlage.
Rechtssicherheit sollte für den Patienten in dieser Ausnahmesituation gegeben sein. Behandlungsvereinbarungen sollten dem Patienten aber auch eine "persönliche" Sicherheit geben, dass sein Wille auch dann Gehör findet, wenn er ihn nicht adäquat äußern kann. Dies näher, über den bisherigen Rahmen hinaus gesetzlich zu regeln ist nicht einfach, da eine zu deutliche Anlehnung an Patientenverfügungen aus dem Bereich der somatischen Medizin die Gefahr in sich birgt, dass dem beispielsweise suizidalen Patienten die Möglichkeit gegeben wird jegliche Therapie abzulehnen. Dann wäre dies keine konsensorientierte Behandlungsvereinbarung mehr. Die Problematik einseitiger Patientenverfügungen in der Psychiatrie wird dadurch illustriert, dass das Übergehen einer solchen Patientenverfügung ein häufiges Thema in der einschlägigen Literatur ist, gerade in Ländern wie den USA, die in mehr als der Hälfte der Bundesstaaten mittlerweile eine (im Detail teils sehr unterschiedliche) gesetzliche Regelung haben.
Insofern ist die Forderung der DGPPN in ihrer Presseinformation vom 3.3.2009 nach Berufung eines Fachvertreters für Psychiatrie und Psychotherapie in das Expertengremium zum Thema Patientenrechte und Patientenverfügungen, das den deutschen Bundestag berät, zu begrüßen.
Raoul Borbé, Ravensburg
Email: raoul.borbe@zfp-zentrum.de
Literatur
- 01 Borbé R . Jaeger S . Steinert T . Behandlungsvereinbarungen in der Psychiatrie. Psychiat Prax. 2009; 36 7-15
-
02 DGPPN. Für Patientenautonomie und ärztliche Fürsorge in der Psychiatrie. Presse-Information Nr. 3/03.03.2009.
- 03 Henderson C . Swanson JW . Szmukler G . Thornicroft G . Zinker M . A Typology of Advance Statements in Mental Health Care. Psychiatr Serv. 2008; 59 63-71