Psychiatr Prax 2009; 36(2): 98
DOI: 10.1055/s-0029-1220833
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Blick in Psychiatriemuseen

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Publication Date:
08 April 2009 (online)

 

Am 12. Juni 2008 geschah in Schwerin etwas Ungewöhnliches: In der früheren "Irren-Anstalt Sachsenberg", dem 1830 eröffneten ersten deutschen Haus für Geisteskranke, wurde ein Mahnmal eingeweiht. Es soll aber nicht an dessen Baugeschichte erinnern, sondern an die über 1000 Opfer der NS-Medizin, die von dort aus in Vernichtungslager gebracht oder zwangssterilisiert wurden. Die Leitung der heutigen Klinik, Politiker, Mediziner, Historiker und ein Freundeskreis haben lange dafür gearbeitet, dass es neben einer schon zugänglichen Ausstellung zu diesem Mahnmal kam. Gibt es solche Denkmäler auch an anderen Orten, und wenn ja, wo?

Es gibt sie gar nicht so selten. In Deutschland und Österreich sind mindestens 12 Gedenkstätten zu finden, die ausdrücklich den Opfern der Psychiatrie nach 1933 gewidmet sind. Andererseits zeigen mehrere öffentliche Ausstellungen (die Heidelberger Sammlung Prinzhorn ist dabei eine der bekanntesten) aus unterschiedlicher Sicht etwas zum Schaffen von Psychiatriepatienten. Allein in Deutschland stößt man auf fast 30 spezielle Psychiatriemuseen, für das übrige Europa kommen 32 hinzu. Das ist viel, auch im Verhältnis zu den allgemeinen Medizin- und Pharmaziemuseen.

Diese Vielfalt wird selbst Kollegen vom Fach erstaunen; sie steht in Kontrast zu der Heimlichtuerei und traditionellen Stigmatisierung, die die Psychiatrie erlebt und erleidet. Selbst die umfangreiche "Geschichte der Psychiatrie" von Schott und Tölle (2006) sagt nichts zur Darstellung dieser Disziplin in Museen und Gedenkräumen. In einem 200-seitigen Band aber, der deutsche und englische Texte direkt nebeneinander stellt, breiten der Psychotherapeut Rolf Brüggemann und die Krankenschwester und Kunsttherapeutin Gisela Schmid-Krebs (sie haben 2004 in Göppingen das Museum MuSeele angeregt und eingerichtet) die wesentlichen Informationen zu diesen Orten aus.

Für jeden Platz gibt es höchstens 2 Seiten, dazu einige Farbbilder. Das ist manchmal zu wenig Raum, doch das Wichtigste kommt zur Sprache - über die Geschichte der Anstalten, deren Schwerpunkte und Besonderheiten. Und zu dem, was heute dort zu sehen ist: Fixiergurte, Zwangsjacken, Elektrokrampfgeräte, Mikrotome, Präparate, alte Schlafsäle, Dokumente aus Kriegs- und Friedenszeiten, Biografisches zu Patienten und Therapeuten. An Exponaten ist wahrhaftig kein Mangel, ob in den bekannten Museen in Berlin, Leipzig, Bern und Rom oder in denen aus kleineren Orten wie Warstein, Haina, Merzig, Zwiefalten, Edirne, Risskov und Geel.

Das Buch ist sehr lesenswert und eine Fundgrube für die, die sich mit der Entwicklung der Psychiatrie zwischen Fortschritten, Abwegen und Missbrauch befassen (oder jetzt näher befassen wollen). Die beiden Autoren vermitteln durch ihre kenntnisreichen und intensiven Besichtigungen, wie wichtig die öffentliche Darstellung der Psychiatrie mit deren - noch oder jetzt wieder - sichtbaren Verortungen ist.

Bedauerlich ist jedoch, dass die Psychiatriehistorische Sammlung im alten Mikroskopiersaal Alois Alzheimers an der Münchner Nussbaumstraße übersehen wurde, die 1998 dank einer Initiative von Hanns Hippius, Norbert Müller und Gabriele Neundörfer eröffnet wurde; dort wird neben fachlichen Veranstaltungen oft auch Künstlerisches ausgestellt und Musik geboten.

Die stets erwähnten Internetadressen machen es leicht, sich nach Eintrittspreisen und Öffnungszeiten zu erkundigen - und nach der genauen Zufahrt. Die ist bei den oft abseits gelegenen Gebäuden (die historischen und sozialen Gründe dafür sind bekannt) oft nicht leicht zu finden.

Dem Buch sind viele wache Leser zu wünschen, den dargestellten Museen und Gedenkstätten aufmerksame Besucher. Vielleicht finden nun manche vom Fach eher den Weg dorthin (auch so etwas kann ein Reiseziel sein), möglicherweise können sie ihnen aus ihrem Besitz dieses oder jenes Stück überlassen.

Gut wäre auch, gäbe es bald noch weitere Orte wie neuerdings Sachsenberg, die endlich mit dem Mahnen und Erinnern an eine Epoche pervertierter Forschung und menschenverachtender Therapien beginnen. Die nächste Auflage dieses empfehlenswerten Bandes sollte darüber berichten.

Eckart Klaus Roloff, Bonn

Email: ekroloff@web.de

Brüggemann R, Schmid-Krebs G. Verortungen der Seele - Locating the Soul. Psychiatriemuseen in Europa - Museums of Psychiatry in Europe. Frankfurt am Main: Mabuse-Verlag, 2007, 205S., zahlreiche Abb., Doppelbroschur, 29,90 €, ISBN 978-3-938304-48-8.

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